TE Vwgh Erkenntnis 2003/1/28 2002/18/0249

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Veröffentlicht am 28.01.2003
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Index

19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §37 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs2;
MRK Art8 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des M, geboren 1981, vertreten durch Dr. Wolfgang Zatlasch, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Mariahilferstraße 49, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 19. September 2002, Zl. SD 403/02, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 19. September 2002 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Der Beschwerdeführer sei im Dezember 1990 gemeinsam mit zwei Geschwistern zu seinen bereits hier lebenden Eltern nach Österreich gezogen und seit dem an einer Wiener Adresse gemeldet.

Mit Urteil des Jugendgerichtshofs Wien vom 2. September 1998 sei der Beschwerdeführer wegen der Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung gemäß § 88 Abs. 1 StGB und des versuchten Diebstahls gemäß §§ 15, 127 leg. cit. zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Wochen rechtskräftig verurteilt worden. Dieser Verurteilung liege zu Grunde, dass der Beschwerdeführer am 3. Juni 1997 versucht habe, in einem Kaufhaus sechs Computerspiele im Wert von S 4.400,-- (EUR 319,76) zu stehlen. Überdies habe der Beschwerdeführer am 20. November 1997 in der Fußgängerzone eine Frau mit dem Fahrrad umgefahren, wodurch diese eine leichte Körperverletzung erlitten habe.

Am 6. September 2000 sei der Beschwerdeführer wegen des Lenken eines Kraftfahrzeuges ohne entsprechende Lenkerberechtigung rechtskräftig bestraft worden.

Am 13. März 2001 sei der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens gemäß § 28 Abs. 2 und Abs. 3 Suchtmittelgesetz (SMG) sowie wegen des Vergehens gemäß § 27 Abs. 1 leg. cit. zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Jahr rechtskräftig verurteilt worden. Diesem Urteil liege zu Grunde, dass der Beschwerdeführer in der Zeit von Oktober 2000 bis Anfang 2001 insgesamt 3000 Stück "Ecstasy"-Tabletten und ein Kilogramm Haschisch, sohin eine große Suchtgiftmenge, an zwei Personen verkauft habe. Dabei habe er in der Absicht gehandelt, sich dadurch eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen. Dazu komme, dass der Beschwerdeführer in der Zeit von Anfang 2000 bis Jänner 2001 wiederholt "Ecstasy" und Haschisch für den Eigenkonsum erworben und besessen habe.

Am 8. Jänner 2002 sei der Beschwerdeführer neuerlich wegen des teils vollendeten und teils versuchten Verbrechens gemäß § 28 Abs. 2, Abs. 3 erster Fall und Abs. 4 Z. 3 SMG, § 15 StGB sowie wegen des Vergehens gemäß § 27 Abs. 1 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren rechtskräftig verurteilt worden. Der Urteilsbegründung sei zu entnehmen, dass mit dem zuvor angeführten Urteil nur ein Teil des Suchtgifthandels des Beschwerdeführers erfasst worden sei. Der Beschwerdeführer habe nämlich zusätzlich insgesamt zumindest

103.100 "Ecstasy"-Tabletten in der Zeit von Februar 2000 bis Dezember 2000 gewerbsmäßig in Verkehr gesetzt. Zudem habe er im selben Zeitraum kleinere Mengen "Speed" (zumindest etwa 80 g) und etwa 100 Stück "LSD-Trips" an eine Person verkauft. Auch kurze Zeit nach der Verurteilung vom 13. März 2001 - dem Beschwerdeführer sei gemäß § 39 SMG der Aufschub des Strafvollzugs zur Durchführung einer ambulanten Suchtgiftentwöhnung gewährt worden -, nämlich bereits im April 2001, habe der Beschwerdeführer seine Suchtgiftgeschäfte fortgesetzt und im Zeitraum von April 2001 bis Juni 2001 in mehreren Angriffen etwa 2000 Stück "Ecstasy"-Tabletten verkauft. Schließlich habe der Beschwerdeführer am 11. Juli 2001 zur Eigenkonsumation Psylocibine samt "Speed-Staub" mit einer nicht mehr feststellbaren Menge Amphetamin erworben und besessen.

Auf Grund dieser Verurteilungen sei der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt.

Der Beschwerdeführer habe mehrfach Suchtgifte in einer Menge, die das 25-fache der "Grenzmenge" übersteigt, gewerbsmäßig in Verkehr gesetzt. Deshalb und im Hinblick auf die der Suchtgiftkriminalität innewohnende Wiederholungsgefahr sei die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt.

Der Beschwerdeführer sei ledig und habe keine Sorgepflichten. Mit seinen im Inland wohnhaften Eltern und Geschwistern habe der Beschwerdeführer bis zu seiner Inhaftierung im gemeinsamen Haushalt gelebt. Der Beschwerdeführer habe auch seine Schulausbildung zum Teil in Österreich absolviert. Vor der Inhaftierung sei er - wenn auch nicht angemeldet - beschäftigt gewesen. Aus diesen Gründen sei das Aufenthaltsverbot mit einem Eingriff in das Privat- und Familienleben verbunden. Dieser Eingriff sei jedoch zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen (Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen, Schutz der Rechte Dritter, Schutz der Gesundheit) dringend geboten und daher im Grund des § 37 Abs. 1 FrG zulässig. Dies umso mehr als der Beschwerdeführer mehrfach wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Suchtgifthandels in Bezug auf eine "Übermenge" verurteilt worden sei, was eine positive Prognose nicht zulasse. Auch angesichts des Vorbringens des Beschwerdeführers, dass er während der Haftzeit eine Schlosserlehre begonnen hätte, sei der seit dem der letzten Verurteilung zu Grunde liegenden Fehlverhalten verstrichene Zeitraum viel zu kurz, um auf eine wesentliche Verringerung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr schließen zu können, zumal bei Suchtgiftdelikten die Wiederholungsgefahr erfahrungsgemäß besonders groß sei. Dies habe der Beschwerdeführer selbst augenscheinlich dokumentiert, weil er trotz einer durchgeführten Therapie und der Verbüßung einer Gerichtshaft binnen kürzester Zeit erneut einschlägig straffällig geworden sei. Selbst eine - vom Beschwerdeführer nicht einmal ins Treffen geführte - nunmehr erfolgreiche Suchtgifttherapie böte unter diesen Umständen noch keine Gewähr für künftige Straffreiheit des Beschwerdeführers.

Im Übrigen habe die Fremdenpolizeibehörde das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots nach fremdenrechtlichen Kriterien zu beurteilen, ohne an die gerichtlichen Erwägungen im Rahmen der Strafbemessung, der bedingten Entlassung oder der Gewährung eines Strafaufschubs zur Durchführung von "gesundheitsbezogenen Maßnahmen" gemäß § 39 SMG gebunden zu sein.

Bei der Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 2 FrG sei zu berücksichtigten, dass die aus dem Aufenthalt seit Dezember 1990 ableitbare Integration in ihrer sozialen Komponente durch die wiederholten schweren Straftaten des Beschwerdeführers massiv beeinträchtigt werde. Die Bindung des Beschwerdeführers zu den Eltern und Geschwistern werde durch die Volljährigkeit relativiert. Im Übrigen könne er den Kontakt zu seinen Familienangehörigen dadurch aufrechterhalten, dass er von diesen Personen im Ausland besucht werde. Der Beschwerdeführer habe weder die Hauptschule noch den polytechnischen Lehrgang positiv abgeschlossen. Auf dem Arbeitsmarkt sei er nicht als integriert anzusehen, weil er von 25. Jänner 1999 bis 30. Jänner 2000 bei insgesamt acht Unternehmen, jedoch zumeist nur zwei Wochen bzw. maximal zwei Monate lang, beschäftigt gewesen sei. Zuletzt sei er Anfang April 2001 bei einer Dienstleistungsfirma für sechs Tage und am 12. April 2001 bei einem anderen Unternehmen für einen Tag beschäftigt gewesen.

Den - solcherart geminderten - privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet stehe das hoch zu veranschlagende öffentliche Interesse an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität gegenüber. Die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet wögen nicht schwerer als die gegenläufigen öffentlichen Interessen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Im Hinblick auf die unbestrittenen rechtskräftigen Verurteilungen des Beschwerdeführers kann die Ansicht der belangten Behörde, der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG sei erfüllt, nicht als rechtswidrig erkannt werden.

1.2. Der Beschwerdeführer hat in der Zeit von Anfang 2000 bis Juli 2001, also über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren, Suchtgifte nicht nur erworben und besessen, sondern auch mehrmals weitergegeben. Dabei handelte er in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung derartiger strafbarer Handlungen eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (gewerbsmäßig gemäß § 70 StGB). Unstrittig hat der Beschwerdeführer seine Suchtgiftdelikte in Bezug auf eine Menge von zumindest dem 25- fachen der gemäß § 28 Abs. 6 SMG u.a. unter Bedachtnahme auf die Eignung, eine Gefährdung für das Leben oder die Gesundheit in großem Ausmaß herbeizuführen, festgesetzten "Grenzmenge" begangen.

Dem Vorbringen, dass beim Beschwerdeführer ein "Besserungswille dahingehend besteht, den Suchtmittelkonsum abzustellen" ist entgegenzuhalten, dass der Beschwerdeführer unstrittig trotz Gewährung eines Strafaufschubs zur Durchführung einer Suchtgiftentwöhnungstherapie bereits etwa einen Monat nach der rechtskräftigen Verurteilung vom 13. März 2001 neuerlich einschlägig straffällig geworden ist. Von daher begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass für das künftige Verhalten des Beschwerdeführers keine positive Prognose erstellt werden könne, keinen Bedenken. Daran kann auch das in der Beschwerde Geltend gemachte Bestreben des Beschwerdeführers, eine Berufstätigkeit zu erlangen, nichts ändern.

Soweit die Beschwerde das bei Begehung der Straftaten noch jugendliche Alter des Beschwerdeführers ins Treffen führt, ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer bei Beginn seiner Suchtgiftdelinquenz Anfang des Jahres 2000 bereits fast 19 Jahre alt war.

Die Ansicht der belangten Behörde, dass sie die Frage, ob ein Aufenthaltsverbot gerechtfertigt sei, unabhängig von den Erwägungen des Gerichts bei der Strafbemessung zu beurteilen habe, hat die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs für sich (vgl. etwa das Erkenntnis vom 9. Februar 1999, Zlen. 99/18/0015, 0033).

Im Hinblick auf das überaus große öffentliche Interesse an der Verhinderung von Suchtgiftkriminalität in dem vom Beschwerdeführer zu verantwortenden großen Stil kann die Ansicht der belangten Behörde, die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme sei gerechtfertigt, nicht als rechtswidrig erkannt werden.

2. Bei der Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG hat die belangte Behörde auf die Dauer des seit Dezember 1990, also seit elf Jahren und neun Monaten, bestehenden inländischen Aufenthalts des Beschwerdeführers sowie auf die Haushaltsgemeinschaft mit Eltern und Geschwistern bedacht genommen.

Den daraus ableitbaren gewichtigen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet steht die dargestellte große Gefährdung öffentlicher Interessen durch sein Fehlverhalten gegenüber. Von daher begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbots zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen (Verhinderung strafbarer Handlungen, Schutz der Gesundheit) dringend geboten sei (§ 37 Abs. 1 FrG) und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 37 Abs. 2 leg. cit.), keinen Bedenken.

3. Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 28. Jänner 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2002180249.X00

Im RIS seit

30.04.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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