TE Vfgh Erkenntnis 1999/12/4 B1518/98, B1519/98

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Veröffentlicht am 04.12.1999
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Index

10 Verfassungsrecht
10/11 Vereins- und Versammlungsrecht

Norm

StGG Art12 / Versammlungsrecht
StGG Art14
StGG Art17a
EMRK Art9
VersammlungsG §2
VersammlungsG §5

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Wertung einer als "Gegenveranstaltung" zu einem Totengedenken des Kameradschaftsbundes abgehaltenen Veranstaltung zur Ehre der im zweiten Weltkrieg gestorbenen Deserteure als Versammlung im Sinne des VersammlungsG und Verhängung einer Geldstrafe wegen nicht ordnungsgemäßer Anmeldung der Versammlung

Spruch

I. Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerden werden abgewiesen.

II. Die zu B1518/98 protokollierte Beschwerde wird dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten. Der Abtretungsantrag des Beschwerdeführers zu B1519/98 wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Straferkenntnis vom 26. März 1997 verhängte die Bundespolizeidirektion Salzburg über den Beschwerdeführer zu B1518/98, einem deutschen Staatsangehörigen (im folgenden als Erstbeschwerdeführer bezeichnet), u.a. eine Geldstrafe von

S 1.000,--, weil er eine anmeldepflichtige öffentliche Versammlung abgehalten habe, ohne diese rechtzeitig bei der zuständigen Behörde anzumelden; er habe dadurch eine Verwaltungsübertretung gem. §2 iVm §19 VersammlungsG 1953 begangen. Der dagegen erhobenen Berufung gab der Unabhängige Verwaltungssenat Salzburg mit Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides keine Folge und bestätigte das angefochtene Straferkenntnis in dieser Hinsicht mit der Maßgabe, daß im Spruch das Wort "abgehalten" durch "veranstaltet" ersetzt werde (mit Spruchpunkt I. gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers hinsichtlich der des weiteren erfolgten Bestrafung nach §81 SPG Folge und hob das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Salzburg in diesem Punkt auf; der Beschwerdeführer läßt Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides ausdrücklich unbekämpft).

2. Die belangte Behörde legte dem bekämpften Bescheid folgenden Sachverhalt zugrunde und würdigte diesen im Hinblick auf das VersammlungsG 1953 wie folgt:

"Sachverhalt:

Der Beschuldigte hat sich am 1.11.1996 gemeinsam mit sechs anderen Personen im Zeitraum zwischen 9:25 Uhr und 9:45 Uhr in Salzburg, auf dem Kommunalfriedhof, unmittelbar vor dem Kriegerdenkmal, bzw zwischen den für Gedenkfeiern und Kranzniederlegung vorgesehenen Kranzständern aufgestellt, wobei sie gemeinsam zum Aufstellort kamen und dort schweigend stehen blieben. Eine Anmeldung dieses Zusammentreffens (=Versammlung) 24 Stunden vor der beabsichtigten Versammlung bei der Behörde ist nicht erfolgt.

Der Beschuldigte und die weiteren Personen trugen an ihrem Körper Pappkartontafeln im Ausmaß von 40 x 70 cm, auf welchen 'Wir ehren die Deserteure' geschrieben stand.

Das Verhalten des Beschuldigten und der anderen Personen hat nach Aussagen des Meldungslegers, des Behördenleiters Dr. W. und des Leiters der Sicherheitswachebeamten, bei Friedhofsbesuchern Unmut hervorgerufen. Dieser Unmut äußerte sich darin, als Friedhofsbesucher den Beschuldigten und die anderen laut beschimpften, die Aktion erregte Aufsehen. Die Diskussionen zwischen Friedhofsbesuchern untereinander einerseits und Friedhofsbesuchern und dem Beschuldigten bzw den anderen Aktivisten andererseits wurde lautstark und teilweise aggressiv geführt.

Vertreter der Polizei forderten etwa um 9:25 Uhr den Beschuldigten und die anderen Aktivisten zur Abnahme ihrer Pappkartontafel auf. Der Aufforderung wurde nicht freiwillig entsprochen, sondern mußten die Sicherheitswachebeamten diese abnehmen. Nach Abnahme der Pappkartontafeln entfernten sich die Aktivisten vom Kriegerdenkmal und wurden ihre Personalien von der Polizei aufgenommen.

Die Zusammenkunft des Beschuldigten und der Mitaktivisten hatte zweifellos das Ziel einer 'Gegenveranstaltung' zu den vom Kameradschaftsbund und anderen Verbänden durchführten Totengedenkfeiern. Daran vermag die Beteuerung des Beschuldigten nichts zu ändern, wonach Ziel des 'Mittuns' gewesen sei, der gefallenen Deserteure zu gedenken. Der Beschuldigte und die Mitaktivisten provozierten durch die an ihrem Körper getragenen Pappkartons mit der Aufschrift 'Wir ehren die Deserteure', sie verhielten sich ansonsten aber still, wobei im Ermittlungsverfahren hervorgekommen ist, daß sie zwar in einen Dialog mit den Friedhofsbesuchern traten, welcher jedoch seinen Ausgang bei den Friedhofsbesuchern hatte. Durch die Versammlung des Beschuldigten und der weiteren Aktivisten ist es zwar offenbar zu einer gewissen Störung von Friedhofsbesuchern gekommen (diese äußerten ihren Unmut über das Auftreten der Aktivisten), eine Störung der Gedenkfeier, insbesondere eine Verzögerung der Kranzniederlegung durch die Verbände, ist nicht eingetreten.

Die getroffenen Feststellungen stützen sich auf die Ausführungen des Beschuldigten sowie seines Rechtsvertreters, und der einvernommenen Zeugen Dr. W., Bez.Insp.K. und Oblt. R., die auch vom Beschuldigten unbestritten blieben, schließlich auch auf die unbedenkliche Aktenlage.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Tatvorwurf a)

(...)

Zu Tatvorwurf b)

Nach §2 Abs1 des Versammlungsgesetzes 1953 hat, wer eine Volksversammlung oder überhaupt eine allgemein zugängliche Versammlung ohne Beschränkung auf geladene Gäste veranstalten will, dies wenigstens 24 Stunden vor der beabsichtigten Abhaltung unter Angabe des Zweckes, des Ortes und der Zeit der Versammlung der Behörde schriftlich anzuzeigen.

Gemäß §19 Versammlungsgesetz sind die Übertretungen dieses Gesetzes, insofern darauf das allgemeine Strafgesetz keine Anwendung findet, von der Bezirksverwaltungsbehörde, im Amtsgebiet einer Bundespolizeibehörde aber von dieser Behörde, mit Arrest bis zu 6 Wochen oder mit Geldstrafe bis zu S 5.000,-- zu ahnden.

Zentrale Frage im gegenständlichen Verfahren ist, ob das Zusammentreffen von 7 Personen vor dem Kriegerdenkmal des Salzburger Kommunalfriedhofes eine allgemein zugängliche Versammlung im Sinne des §2 des Versammlungsgesetzes 1953, welche durch den Beschuldigten als Veranstaltungsteilnehmer mitveranstaltet wurde, war.

Das Versammlungsgesetz 1953 definiert den Begriff 'Versammlung' nicht. Der Verfassungsgerichtshof wertet eine Zusammenkunft mehrerer Menschen nur dann als Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes, wenn sie in der Absicht veranstaltet wird, die Anwesenden zu einem gemeinsamen Wirken (Debatte, Diskussion, Manifestation usw) zu bringen, sodaß eine gewisse Assoziation der Zusammengekommenen entsteht (VfGH 30.11.1995, B262/95).

Gegenständlich ist durch das Auftreten des Beschuldigten und der weiteren Aktivisten zweifelsohne ein gemeinsames Wirken beabsichtigt gewesen; das Umhängen von Pappkartontafeln mit provokantem Inhalt und die dadurch ausgelöste Diskussion mit Friedhofsbesuchern hat die Absicht der Teilnehmer hinlänglich ausgedrückt.

Die Veranstaltung war auch nicht auf eine von vornherein festgesetzte Zahl von Teilnehmern beschränkt, wurden doch Personen, welche zunächst unbeteiligte Friedhofsbesucher waren, wenn auch unfreiwillig, Teilnehmer an der (unangemeldeten) Versammlung. Es war daher von einer allgemeinen Zugänglichkeit der gegenständlichen Versammlung zweifelsohne auszugehen, wobei die Ausnahme von der Anzeigepflicht gemäß §5 des Versammlungsgesetzes nicht anwendbar ist.

Das Vorbringen des Beschuldigten, für den Fall, daß das Zusammentreffen der 7 Aktivisten unter den Versammlungsbegriff fiele, dies dann auch für die Kameradschaft IV und die sonstigen Verbände, welche am Allerheiligentag Kranzniederlegungen und Totengedenkfeiern durchführten, Geltung besitzen müsse, geht ins Leere, da gegenständlich von der Berufungsbehörde ausschließlich das Zusammentreffen der 7 Aktivisten am 1.11.1996 einer Prüfung zu unterziehen ist.

Weiters war zu prüfen, ob der Beschuldigte als Mitveranstalter der gegenständlichen Versammlung fungiert hat. Auch diese Frage ist zu bejahen: Der Beschuldigte hat - ebensowenig wie die anderen 6 Aktivisten - nicht in Abrede gestellt, für die Gestaltung der Plakate verantwortlich zu sein, weshalb von einem offenbar gleichberechtigten und gleichteiligen Interesse der Teilnehmer auszugehen war. Der Beschuldigte hat im gesamten Verfahren stets zum Ausdruck gebracht, daß er die 'Aktion' als gemeinsamen Protest gegen das organisierte Auftreten ehemaliger Mitglieder der Waffen-SS verstanden wissen wollte.

An der Veranstaltereigenschaft des Beschuldigten traten sohin keinerlei Zweifel auf.

Der Beschuldigte hat also durch das Nichtanzeigen der als Versammlung qualifizierten Zusammenkunft am Salzburger Kommunalfriedhof 24 Stunden vor Beginn fahrlässig gegen §2 iVm §19 Versammlungsgesetz verstoßen."

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der der Erstbeschwerdeführer die Verletzung "in seinen verfassungsrechtlichen gewährleisteten Rechten auf Gleichheit vor dem Gesetz, auf Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie auf Kunstfreiheit" behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides hinsichtlich seines Spruchpunktes II. begehrt.

4. Der Beschwerdeführer zu B1519/98, ein österreichischer Staatsbürger (im folgenden als Zweitbeschwerdeführer bezeichnet), bekämpft mit einer nahezu wörtlich übereinstimmenden Beschwerde seine Bestrafung durch Spruchpunkt II. des Bescheides des Unabhängigen Verwaltungssenates Salzburg vom 23. Juni 1998, mit dem ihm die gleiche Verwaltungsübertretung mit gleicher Begründung zur Last gelegt wird, wie dem (Erst-)Beschwerdeführer zu B1518/98.

5. Die belangte Behörde legte zu beiden Beschwerdeverfahren die Verwaltungsakten vor, sah jedoch in beiden Fällen von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die beiden - zulässigen - Beschwerden, die er wegen ihres sachlichen Zusammenhanges in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 VerfGG 1953 zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden hat, erwogen:

1. Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz nach Art2 StGG. Die rechtliche Qualifikation des Gedenkens an die Opfer des Zweiten Weltkrieges in Gestalt der "Deserteure" am 1. November 1996 durch die Beschwerdeführer als eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes sei nicht nur unrichtig, sondern verletze das Recht der Beschwerdeführer auf Gleichheit vor dem Gesetz nach Art2 StGG. Dabei spiele es eine entscheidende Rolle, daß die Kranzniederlegung vor dem Kriegerdenkmal durch ehemalige Angehörige der SS offensichtlich nicht unter den Versammlungsbegriff des Versammlungsgesetzes zu subsumieren sei. Inhaltlich hätten die Bundespolizeidirektion Salzburg und die belangte Behörde nämlich zwei vergleichbare Veranstaltungen ohne sachlichen Grund ungleich behandelt und damit gegen das Willkürverbot verstoßen. Letztlich handle es sich bei der Aktion der Beschwerdeführer um ein Gedenken der im Zweiten Weltkrieg gestorbenen Deserteure. Dies komme auch durch die umgehängten Pappschilder deutlich zum Ausdruck. Nichts anderes als ein Gedenken an die Toten des Zweiten Weltkrieges, wenn auch wohl eines anderen Personenkreises, stellten die Kranzniederlegung und die "Gedenkenzusammenkunft" der ehemaligen SS-Angehörigen vor dem Kriegerdenkmal dar. Angesichts dessen, daß solche Kranzniederlegungen und ähnliche Veranstaltungen auf dem Kommunalfriedhof Salzburg bislang keiner Genehmigung bedurft hätten, habe sich zumindest eine allgemeine Verwaltungspraxis herausgebildet, solche Gedenkfeiern unter §5 Versammlungsgesetz zu subsumieren. Demgemäß seien Gedenkfeiern am Allerheiligentag grundsätzlich nicht anmeldepflichtig im Sinne des Versammlungsgesetzes. Das Gedenken der Toten des Zweiten Weltkrieges einmal als genehmigungspflichtige Versammlung und einmal als nicht genehmigungspflichtige Versammlung zu behandeln, entbehre jeden sachlichen Grundes. Es könne kein sachlicher Grund für eine andere Behandlung der Veranstaltung der Beschwerdeführer darin gesehen werden, daß sich ihr Gedenken speziell auf den Personenkreis der Deserteure konzentriere. Daß diesem Personenkreis gedacht werden solle und dies mit Pappkartons zum Ausdruck gebracht worden sei, könne nicht dazu führen, daß diese Art des Gedenkens versammlungsrechtlich anders beurteilt werden müsse, als die Gedenkfeier und die Kranzniederlegung und das Zusammenkommen ehemaliger SS-Angehöriger. Was für Kameradschaftsgruppen und ehemalige SS-Angehörige Recht sei, müsse für diejenigen, die am Allerheiligentag der Deserteure, die im Zweiten Weltkrieg gefallen seien, gedenken wollten, billig sein. Zudem sei nicht ersichtlich, warum die erkennende Behörde die Aufschrift "Wir ehren die Deserteure" als besonders erkennbare, provokante Absicht im Sinne des Versammlungsgesetzes ansehe. Auch müsse gesagt werden, daß eine solche Art des Gedenkens durch die Beschwerdeführer wohl auch nicht als provokanter einzustufen sei, als das paramilitärische Auftreten der Kameradschaften bei Gedenken der Kriegstoten in Form von geschlossenen Formationen und in uniformähnlicher Kleidung. Somit sei kein sachlicher Grund dafür vorhanden, zwei Formen des Gedenkens an die Kriegstoten unterschiedlich, einmal als nicht unter das Versammlungsgesetz fallende Totenehrung und einmal als besonders provokante Versammlung, zu qualifizieren.

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat - zumal er bei der Entscheidung über Beschwerden nach Art144 B-VG nicht an die Beschwerdebehauptungen gebunden ist, sondern zu untersuchen hat, ob der Beschwerdeführer in irgendeinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt wurde - erst untersucht, ob der Zweitbeschwerdeführer durch den bekämpften Bescheid im verfassungsgesetzlich geschützten Recht auf Versammlungsfreiheit gemäß Art12 StGG verletzt wurde. Jede Verletzung des VersammlungsG 1953, die in die Versammlungsfreiheit eingreift, ist als Verletzung des durch Art12 StGG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes zu werten (vgl. z.B. VfSlg. 9103/1981, 9303/1981, 9646/1983, 9783/1983, 10443/1985, 14773/1997). Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (vgl. zuletzt z.B. VfSlg. 14365/1995, 14366/1995, 14773/1997) kann auch eine Bestrafung wegen Übertretung des VersammlungsG 1953 in das erwähnte Grundrecht eingreifen. Auch Verfahrensmängel können dieses Recht verletzen (vgl. z.B. VfSlg. 11832/1988).

2.2. Eine Verletzung des VersammlungsG 1953 oder von Verfahrensnormen ist hier der belangten Behörde nicht unterlaufen:

2.2.1. Gemäß §2 VersammlungsG 1953 muß, wer eine "Volksversammlung oder überhaupt eine allgemein zugängliche Versammlung ohne Beschränkung auf geladene Gäste veranstalten will", dies wenigstens 24 Stunden vor der beabsichtigten Abhaltung unter Angabe des Zweckes, des Ortes und der Zeit der Versammlung der Behörde schriftlich anzeigen.

Das VersammlungsG 1953 definiert den Begriff der von ihm erfaßten "Versammlung" nicht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist eine Zusammenkunft mehrerer Menschen dann eine Versammlung im Sinne des VersammlungsG 1953, wenn sie in der Absicht veranstaltet wird, die Anwesenden zu einem gemeinsamen Wirken (Debatte, Diskussion, Manifestation, u. s.w.) zu bringen, sodaß eine gewisse Assoziation der Zusammengekommenen entsteht (vgl. zuletzt VfSlg. 15109/1998 und die dort nachgewiesene Rsp.). Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, hängt nicht zuletzt von den Umständen des Einzelfalles ab (vgl. etwa VfSlg. 11935/1988).

2.2.2. Der Verfassungsgerichtshof kann der belangten Behörde nicht entgegentreten, wenn sie das Geschehen, an dem auch der Zweitbeschwerdeführer maßgeblich beteiligt war, als Versammlung im Sinne des VersammlungsG 1953 wertete. Nach den Umständen des Geschehens können nämlich keine Zweifel bestehen, daß es dem Zweitbeschwerdeführer und den (sechs) weiteren Mitwirkenden zumindest primär um eine politische Manifestation ging. Hierfür sprechen die Umstände des Zusammenkommens und die Verknüpfung von Ort, Zeitpunkt und Gegenstand des Gedenkens. Die Zusammenkunft kann nach ihrem Erscheinungsbild und den konkreten Umständen des Falles aber auch nicht den Ausnahmetatbeständen des §5 VersammlungsG 1953 unterstellt werden.

2.2.3. Zum Vorbringen des Zweitbeschwerdeführers, ein vergleichbares Verhalten von Soldatenkameradschaften würde von den Behörden §5 VersammlungsG 1953 subsumiert und damit von den Pflichten des VersammlungsG ausgenommen, sieht sich der Verfassungsgerichtshof zu folgenden Bemerkungen veranlaßt: wie schon mehrfach festgestellt wurde (s. etwa VfSlg. 7836/1976, 9169/1981, 10797/1986), kann auch dann, wenn der Behörde in anderen Fällen ein Fehlverhalten anzulasten wäre, hieraus kein Recht auf eine gleiche Fehlentscheidung durch die Behörde abgeleitet werden. Es muß daher für die Beurteilung des vorliegenden Beschwerdefalles dahingestellt bleiben, ob der Aufmarsch von Soldatenkameradschaften zu einem Totengedenken bei einem Kriegerdenkmal - wie die Sicherheitsbehörde erster Instanz anzunehmen scheint - noch dem Ausnahmetatbestand des §5 VersammlungsG 1953 zu unterstellen ist oder - ob nicht neben religiösen Motiven - durch Ort, Zeitpunkt, Gegenstand und äußeres Erscheinungsbild eine Assoziation der Zusammengekommenen entsteht, die den Ausnahmetatbeständen des §5 VersammlungsG nicht mehr entspricht. Die Beantwortung dieser Frage ist für die rechtliche Beurteilung der vorliegenden Beschwerdesache unmaßgeblich.

2.3. Da die Subsumtion der Veranstaltung des Zweitbeschwerdeführers unter §2 VersammlungsG 1953 somit dem Gesetz entspricht und auch sonst keine Verletzung des VersammlungsG 1953 erkennbar ist, hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid nicht mit Verfassungswidrigkeit infolge Verstoßes gegen die Versammlungsfreiheit belastet.

Bei diesem Ergebnis kann aber der Zweitbeschwerdeführer auch nicht in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt sein.

2.4. Nichts anderes kann daher für den Erstbeschwerdeführer, einen deutschen Staatsangehörigen, gelten; somit erübrigt sich hier eine genauere Untersuchung, ob sich unter Bedachtnahme auf gemeinschaftsrechtliche Verpflichtungen neben österreichischen Staatsangehörigen auch Staatsangehörige eines EU- oder eines EWR-Mitgliedstaates auf die durch Art12 StGG sowie Art7 B-VG bzw. Art2 StGG gewährleisteten Rechte berufen könnten.

3.1. Die Beschwerdeführer behaupten weiters die Verletzung der ihnen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Glaubens- und Gewissensfreiheit gemäß Art14 StGG. Im Rahmen der Glaubensfreiheit werde die Freiheit geschützt, eine Religion oder Weltanschauung einzeln oder in Gemeinschaft öffentlich oder privat auszuüben. Das Gedenken an Tote auf Friedhöfen, gerade an Allerheiligen, stelle zweifelsfrei eine Ausübung einer religiösen Handlung in Form der Totenehrung und das öffentliche Bekenntnis einer Weltanschauung dar. Somit falle ihr Verhalten unter den Schutzbereich der Glaubensfreiheit. Durch die Qualifikation eines religiösen Totengedenkens zu Allerheiligen als genehmigungspflichtige Versammlung würde die Freiheit der Religionsausübung und die Bekenntnisfreiheit "in unerträglicher Weise" beeinträchtigt. Wenn Totengedenken zu Allerheiligen auf öffentlichen Friedhöfen mittels der Beschränkungen des Versammlungsgesetzes beschnitten werden könnten, bestünde die verfassungsmäßig nicht hinnehmbare Gefahr, daß die Behörde jede mißliebige religiöse Gedenkfeier über den Umweg des Versammlungsgesetzes verbieten könne.

3.2. Auch mit diesem Vorbringen sind die Beschwerdeführer nicht im Recht.

Art14 StGG gewährleistet jedem Staatsbürger die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit und Art9 EMRK garantiert jedermann - unter den in Art9 Abs2 leg. cit. genannten Schranken - den "Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit".

Die Beschwerdeführer übersehen jedoch, daß ihre Bestrafung keineswegs deswegen erfolgte, weil sie ihre Glaubens- oder Gewissensfreiheit bzw. ihre Gedanken-, Gewissens- oder Religionsfreiheit in Anspruch genommen haben, sondern allein weil sie eine anzeigepflichtige Versammlung nicht gehörig angezeigt haben. Der angefochtene Bescheid verletzt daher die Beschwerdeführer weder in den durch Art14 StGG noch in den durch Art9 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten.

4.1. Letztlich rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung ihres verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Freiheit der Kunst. Die Aktion der Beschwerdeführer sei dem Kunstbegriff zu subsumieren. Der Erstbeschwerdeführer sei ein bekannter Münchner Künstler, der in letzter Zeit durch "polarisierende Aktionen" bekanntgeworden sei, die das Vergessen der NS-Zeit verhindern sollten. Der Zweitbeschwerdeführer habe sich an einer künstlerischen Aktion des Erstbeschwerdeführers beteiligt. Das Postieren vor dem Kriegerdenkmal mit den entsprechenden Papptafeln solle das Vergessen der NS-Zeit verhindern. Als Kunstform bediene sich der Künstler hier des Aktionismus. Diese Kunstform sei auch in Kunstkreisen allgemein anerkannt. So bestätige auch der Bundeskurator für bildende Kunst, daß der Erstbeschwerdeführer als politischer Künstler wegen seiner kompromißlosen Haltung international bekannt und angesehen sei. Die Arbeit des Künstlers sei als zeitgemäß und als wichtiger Beitrag im Zusammenhang mit der Diskussion Kunst und Politik zu bewerten. Der Erstbeschwerdeführer sei einer der wichtigsten Proponenten und Vertreter einer Art von Kunst, die sich mit der Aufarbeitung der Vergangenheit auseinandersetze und die natürlich nicht von allen Menschen akzeptiert werde und Widerstand auslöse. Diese Einschätzung der Aktionen des Beschwerdeführers als Kunst teile auch das Forum Stadtpark in Graz. Es könne daher im Ergebnis kein Zweifel daran bestehen, daß die Aktion des Beschwerdeführers als Kunst in Form des Aktionismus zu werten sei, die das Vergessen der NS-Zeit verhindern solle. Als Kunstform sei das Zusammenkommen der Beschwerdeführer nicht als Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes zu werten, weshalb die angefochtenen Bescheide die Beschwerdeführer auch in ihrem Grundrecht auf künstlerische Betätigung verletzten.

4.2. Geht man davon aus, daß das von den Beschwerdeführern inszenierte Geschehen dem Kunstbegriff des Art17a StGG zu unterstellen ist, sieht sich der Verfassungsgerichtshof erneut zu folgenden Bemerkungen veranlaßt: Auch im Fall einer künstlerischen Aktion wäre das künstlerische Schaffen kraft der immanenten Grundrechtsschranken zu Art17a StGG jedenfalls an die allgemeinen Gesetze, zu denen auch das VersammlungsG 1953 zählt (s. idS bereits VfSlg. 10401/1985), gebunden (s. etwa VfSlg. 10401/1985, 11737/1988). Daß daher - wie die Beschwerdeführer vermeinen - ein Schaffen in der Art des hier zu beurteilenden Geschehens allein schon wegen seines künstlerischen Charakters von den ordnungspolizeilichen Vorschriften des VersammlungsG 1953 ausgenommen sei, kann der Verfassungsgerichtshof nicht finden, zumal die im VersammlungsG 1953 vorgesehene Anmeldung einer Versammlung dem Grundrecht der Freiheit der Kunst weder intentional noch im Hinblick auf ihre Auswirkung widerspricht.

4.3. Die Beschwerdeführer sind aus diesen Gründen auch nicht in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten nach Art17a StGG verletzt worden.

5. Die Beschwerdeführer wurden sohin aus den in den Beschwerden vorgetragenen Erwägungen weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt.

6. Die Beschwerdeverfahren haben auch nicht ergeben, daß dies aus anderen, in den Beschwerden nicht dargelegten Gründen der Fall gewesen wäre. Die Beschwerden waren daher als unbegründet abzuweisen.

7. Die zu B1518/98 protokollierte Beschwerde war gemäß Art144 Abs3 B-VG antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten (s. VfSlg. 15109/1998 mwN). Der Abtretungsantrag des Beschwerdeführers zu B1519/98 war jedoch abzuweisen, weil in seinem Fall mit Hinblick auf den gem. Art149 Abs1 B-VG als Verfassungsgesetz geltenden Art12 StGG für eine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes kein Raum bleibt (vgl. zuletzt etwa VfSlg. 14761/1997 mwN).

III. Dies konnte gemäß §19

Abs4, erster Satz und Z1, VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Versammlungsrecht, Glaubens- und Gewissensfreiheit, Religionsfreiheit, Kunstfreiheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:B1518.1998

Dokumentnummer

JFT_10008796_98B01518_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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