Index
50 GewerberechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Keine sachliche Rechtfertigung für die Erteilung der Nachsicht vom Befähigungsnachweis für Inländer mit einschlägiger fachlicher Tätigkeit im Ausland nicht jedoch für Inländer mit derartiger Tätigkeit in Österreich; Umsetzung gemeinschaftsrechtlichen Richtlinienrechts kein ausreichender Rechtfertigungsgrund; Präjudizialität der aufgehobenen gewerberechtlichen Gesetzesbestimmung im Hinblick auf ihre Funktion als gesetzliche Grundlage für die - nach Wegfall der gesetzlichen Grundlage - ebenfalls teilweise aufgehobene EWR-NachsichtsVSpruch
I. Das Wort "anderen" in §373c Abs3 lita, b und c der Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994), BGBl. Nr. 194, in der Fassung BGBl. Nr. I 63/1997 wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.
II. Das Wort "anderen" im Einleitungssatz des §2 Abs1 und des §3 Abs1 der Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Erteilung der Nachsicht vom vorgeschriebenen Befähigungsnachweis für Staatsangehörige von Mitgliedstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, BGBl. Nr. 775/1993, wird als gesetzwidrig aufgehoben.
Der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof sind zu B1787/98 und zu B2448/98 Verfahren über zwei Beschwerden (Art144 B-VG) anhängig, denen folgender Sachverhalt zugrunde liegt:
Die Beschwerdeführer sind österreichische Staatsbürger. Beide suchten unter Berufung auf §373c GewO 1994 idF BGBl. I 63/1997 iVm der Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Erteilung der Nachsicht vom vorgeschriebenen Befähigungsnachweis für Staatsangehörige von Mitgliedstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, BGBl. 775/1993, (im folgenden: EWR-NachsichtsV) um Nachsicht von der Erbringung eines Befähigungsnachweises an.
a) Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 13. August 1998 wurde das Ansuchen des Beschwerdeführers zu B1787/98 "auf Anerkennung der den vorgeschriebenen Befähigungsnachweis ersetzenden Qualifikation für die Ausübung des Fotografengewerbes" gemäß §373c Abs1 iVm §3 Abs1 EWR-NachsichtsV und Art5 Abs1 der Richtlinie 75/368/EWG, ABl. 1975 L 167, S 22, abgewiesen. Nach Wiedergabe der einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen und nationalen Rechtsvorschriften (Art5 Abs1 RL 75/368/EWG, §373c Abs1 und 3 GewO 1994 und §3 Abs1 EWR-NachsichtsV) führte der Bundesminister aus, daß Österreich durch das Gemeinschaftsrecht nicht verpflichtet sei, im Inland verrichtete Tätigkeiten einer den Anerkennungsregelungen vergleichbaren Würdigung zu unterziehen. Der Gewerberechtsgesetzgeber habe sich auf die bloße Umsetzung der jeweils maßgeblichen Richtlinien beschränkt und die gemeinschaftsrechtliche Differenzierung zwischen im Heimat- oder Herkunftsstaat erworbenen Qualifikationen einerseits und jener des Aufnahmestaates andererseits im nationalen Recht übernommen. Dies sei zunächst bloß auf Verordnungs-, und nicht auf Gesetzesebene erfolgt. Der Verfassungsgerichtshof habe zwar in seinem Einleitungsbeschluß zum Verfahren V76/97 ua. grundsätzliche Bedenken gegen eine derartige örtliche Differenzierung geäußert, in weiterer Folge jedoch die maßgebliche Bestimmung der EWR-NachsichtsV lediglich im Grunde der Überschreitung der bezüglichen Verordnungsermächtigung (§373c Abs3 bis 6 GewO 1994 idF vor BGBl. I 63/1997) behoben (VfSlg. 14963/1997). Mit der Gewerberechtsnovelle BGBl. I 63/1997 sei das Anerkennungserfordernis einer in einem anderen EWR-Mitgliedstaat absolvierten fachlichen Tätigkeit im Gesetzesrang festgeschrieben worden (§373c Abs3 lita bis c GewO 1994), sodaß aufgrund der geltenden Rechtslage weiterhin eine Diplomanerkennung ausschließlich im Hinblick auf in anderen EWR-Mitgliedstaaten erworbene Berufsqualifikationen in Betracht komme.
b) Mit im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 26. November 1998 wurde die vom Beschwerdeführer zu B2448/98 nachgewiesene Qualifikation als Ersatz für den das Baumeistergewerbe (§202 GewO 1994) hinsichtlich der ausführenden Tätigkeiten vorgeschriebenen Befähigungsnachweis gemäß §373c Abs1 GewO 1994 iVm §2 Abs1 EWR-NachsichtsV nicht anerkannt. Begründend wurde ausgeführt, daß nach §2 der EWR-NachsichtsV die Anerkennung der Qualifikation zur Ausübung des Baumeistergewerbes u.a. zu erteilen sei, wenn der Nachsichtswerber durch Zeugnisse die Absolvierung bestimmter fachlicher Tätigkeiten in einem "anderen" EWR-Mitgliedstaat nachweise. Da der Nachsichtswerber seine Tätigkeit und Ausbildung jedoch in Österreich ausgeführt bzw. erworben habe, lägen die Voraussetzungen für die Anerkennung seiner Qualifikation nach §373c GewO 1994 nicht vor.
2. Bei Behandlung der gegen diese Bescheide - vorläufig für zulässig angesehenen - Beschwerden sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungs- bzw. Gesetzmäßigkeit des Wortes "anderen" in §373c Abs3 lita, b und c GewO 1994 idF BGBl. I 63/1997 einerseits sowie im Einleitungssatz des §2 Abs1 und des §3 Abs1 der EWR-NachsichtsV andererseits entstanden. Er hat daher in beiden Beschwerdeverfahren beschlossen, diese Gesetzesstellen sowie - je nach Anlaßfall - die gleichlautenden Verordnungsstellen in Prüfung zu ziehen.
II. Die in Prüfung genommenen Bestimmungen stehen in folgendem normativen Zusammenhang:
1. Die Gewerbeordnung sieht als Voraussetzung für die zulässige Gewerbeausübung in einer Reihe von Fällen vor, daß der Gewerbetreibende oder in bestimmten Fällen ein gewerberechtlicher Geschäftsführer den Nachweis der Befähigung zur Ausübung des Gewerbes erbringt. Der Verfassungsgerichtshof hat die Verfassungsmäßigkeit des Befähigungsnachweissystems, das das Gewerberecht insgesamt prägt, an sich nicht in Zweifel gezogen, jedoch betont, daß angesichts der grundrechtlichen Verbürgung der Erwerbsausübungsfreiheit durch Art6 StGG Nachsichtsregelungen vorhanden sein müssen, die die Ausübung eines Gewerbes auch dann ermöglichen, wenn zwar der standardisierte Befähigungsnachweis nicht erbracht wird, aber auf andere Weise sichergestellt ist, daß die notwendigen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen für die Gewerbeausübung vorhanden sind.
Solche Nachsichtsregeln enthält zunächst §28 GewO 1994. Diese Bestimmung sieht zwei Arten der Nachsichtserteilung vom Befähigungsnachweis vor: Zum einen (§28 Abs1 Z1 leg.cit.) ist die Nachsicht zu erteilen, wenn nach dem Bildungsgang und der bisherigen Tätigkeit des Nachsichtswerbers angenommen werden kann, daß er die für die Gewerbeausübung erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen, die "volle Befähigung" besitze, zum anderen besteht im Fall der Unzumutbarkeit der Erbringung des Befähigungsnachweises und im Falle des Vorliegens besonderer örtlicher Verhältnisse die Möglichkeit der Nachsichtserteilung aus dem in §28 Abs1 Z2 leg.cit. genannten Grund der hinreichenden tatsächlichen Befähigung. Hiebei muß dargetan sein, daß der Nachsichtswerber nach seiner bisherigen Betätigung immerhin über soviel an Kenntnissen und Erfahrungen verfügt, als erforderlich ist, um Leistungen zu erbringen, die in der Regel von Inhabern des entsprechenden Gewerbes verlangt werden.
Im Zusammenhang mit dem Beitritt Österreichs zum EWR wurde durch die Gewerberechtsnovelle 1992 schließlich eine weitere Möglichkeit der Nachsichtserteilung eingeführt: Einem Staatsangehörigen eines EWR-Mitgliedstaates ist die Nachsicht vom vorgeschriebenen Befähigungsnachweis auch zu erteilen, wenn der Nachsichtswerber die in einer Verordnung (durch die die einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien für diesen Bereich umgesetzt werden können) festgelegten Voraussetzungen erfüllt. Die Regelung dieses Wegs der Nachsicht vom Befähigungsnachweis enthält §373c GewO 1994, der in der Fassung BGBl. I 63/1997 wie folgt lautet (die in Prüfung genommenen Worte sind hervorgehoben):
"§373 c. (1) Die Anerkennung der den vorgeschriebenen Befähigungsnachweis ersetzenden Qualifikation eines Staatsangehörigen einer EWR-Vertragspartei ist vom Landeshauptmann durch Bescheid auszusprechen, wenn der betreffende EWR-Staatsangehörige die in einer Verordnung gemäß Abs4 bis 6 festgelegten Anerkennungsvoraussetzungen erfüllt und keine Ausschlußgründe gemäß §13 vorliegen.
(2) Durch die Verordnungen gemäß Abs4 bis 6 werden die Anerkennungsregelungen der auf Grund des EWR-Abkommens geltenden Richtlinien des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über die Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs in der durch das EWR-Abkommen rezipierten Fassung, soweit von diesen in diesem Bundesgesetz geregelte Tätigkeiten erfaßt sind, umgesetzt. Die genannten Anerkennungsregelungen sind in den in der Anlage zu diesem Bundesgesetz bezeichneten Richtlinien enthalten.
(3) Das Vorliegen der Anerkennungsvoraussetzungen ist nach Maßgabe der Anerkennungsregelungen der im Abs2 genannten Richtlinien durch Belege der folgenden Art nachzuweisen:
a) Zeugnis über eine einschlägige fachlich selbständige Tätigkeit in einem anderen EWR-Mitgliedstaat,
b) Zeugnis über eine einschlägige fachliche Tätigkeit in leitender Stellung in einem anderen EWR-Mitgliedstaat,
c) Zeugnis über eine einschlägige fachlich unselbständige Tätigkeit anderer Art in einem anderen EWR-Mitgliedstaat,
d) Zeugnis über eine einschlägige Ausbildung,
e) Eignungs- oder Befähigungsnachweis für die betreffende Tätigkeit.
(4) Der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten hat nach Maßgabe der Anerkennungsregelungen der im Abs2 genannten Richtlinien durch Verordnung festzulegen, durch welche der im Abs3 bezeichneten Belege - für sich allein oder in entsprechender Verbindung untereinander - das Vorliegen der Voraussetzungen für die Anerkennung der den vorgeschriebenen Befähigungsnachweis ersetzenden Qualifikation für bestimmte Gewerbe nachzuweisen ist; in dieser Verordnung ist auch die Dauer einer vorgesehenen einschlägigen fachlichen Tätigkeit (Abs3 lita bis c) festzulegen.
(5) In einer Verordnung gemäß Abs4 kann nach Maßgabe der Anerkennungsregelungen der im Abs2 genannten Richtlinien hinsichtlich der im Abs3 lita bis c genannten fachlichen Tätigkeiten auch bestimmt werden, daß diese nur anzurechnen sind, wenn sie der Anerkennungswerber jedenfalls bis zu einem bestimmten Zeitpunkt vor der Antragstellung auf Anerkennung ausgeübt hat. Weiters kann nach Maßgabe der Anerkennungsregelungen der im Abs2 genannten Richtlinien festgelegt werden, daß Tätigkeiten gemäß Abs3 lita bis c nur insoweit anzurechnen sind, als der Anerkennungswerber diese nach Vollendung eines bestimmten Lebensalters ausgeübt hat.
(6) In einer Verordnung gemäß Abs4 kann die Anerkennung nach Maßgabe der Anerkennungsregelungen der im Abs2 genannten Richtlinien davon abhängig gemacht werden, daß der Anerkennungswerber die Übereinstimmung der von ihm ausgeübten fachlichen Tätigkeit (Abs3 lita bis c) mit den wesentlichen Berufsmerkmalen desjenigen Gewerbes, hinsichtlich dessen die Anerkennung beantragt wird, nachweist."
2. In Durchführung dieser Bestimmungen erließ der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten die EWR-NachsichtsV, deren §§1 bis 3 folgendermaßen lauten (die in Prüfung genommenen Worte sind hervorgehoben):
"§1. Die Nachsicht vom vorgeschriebenen Befähigungsnachweis ist einem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Mitgliedstaat) unter sinngemäßer Anwendung der Bestimmungen der §§28 Abs3 und 346 Abs3 und 4 GewO 1973 auch unter den in den §§2 bis 11 festgelegten Voraussetzungen zu erteilen, wenn keine Ausschlußgründe gemäß §13 GewO 1973 vorliegen.
§2. (1) Zur Ausübung der im ... (es folgen verschiedene
Bestimmungen, darunter:) §128 ... (Z) 4 (Baumeister)
hinsichtlich der ausführenden Tätigkeiten, ... der Gewerbeordnung
1973 festgelegten Gewerbe ist die Nachsicht vom vorgeschriebenen Befähigungsnachweis zu erteilen, wenn der Nachsichtswerber durch Zeugnisse die Absolvierung folgender fachlicher Tätigkeiten (§22 Abs2 GewO 1973) in einem anderen EWR-Mitgliedstaat nachweist:
1. Ununterbrochene sechsjährige Tätigkeit als Selbständiger oder als Betriebsleiter, oder
2. ununterbrochene dreijährige Tätigkeit als Selbständiger oder als Betriebsleiter, nachdem der Nachsichtswerber eine mindestens dreijährige staatlich anerkannte Ausbildung für die Ausübung des betreffenden Gewerbes absolviert hat, oder
3. ununterbrochene dreijährige Tätigkeit als Selbständiger und mindestens fünfjährige Tätigkeit als Unselbständiger, oder
4. ununterbrochene fünfjährige Tätigkeit in leitender Stellung (Abs3) einschließlich einer mindestens dreijährigen Tätigkeit mit technischen Aufgaben und mit der Verantwortung für mindestens eine Abteilung des Unternehmens, nachdem der Nachsichtswerber eine mindestens dreijährige staatlich anerkannte Ausbildung für die Ausübung des betreffenden Gewerbes absolviert hat.
(2) Die im Abs1 Z1 und 3 geregelten Tätigkeiten dürfen vom Zeitpunkt des Einlangens des Antrages auf Nachsichtserteilung an gerechnet nicht vor mehr als zehn Jahren beendet worden sein.
(3) Als Tätigkeit in leitender Stellung (Abs1 Z4) gilt eine Tätigkeit, die verantwortungsvoll ist und regelmäßig ohne Weisung und Aufsicht ausgeführt wird, wie die Tätigkeit eines Leiters einer Abteilung des Unternehmens.
(4) Abs1 ist nur anzuwenden, wenn der Nachsichtswerber nachweist, daß die von ihm gemäß Abs1 absolvierten Tätigkeiten mit den wesentlichen Berufsmerkmalen desjenigen Gewerbes, hinsichtlich dessen die Nachsichtserteilung beantragt wird, übereinstimmen.
§3. (1) Zur Ausübung der im ... (es folgen verschiedene
Bestimmungen, darunter:) §94 litg Z79 (Fotografen) ... der
Gewerbeordnung 1973 festgelegten Gewerbe ist die Nachsicht vom vorgeschriebenen Befähigungsnachweis zu erteilen, wenn der Nachsichtswerber durch Zeugnisse die Absolvierung folgender fachlicher Tätigkeiten (§22 Abs2 GewO 1973) in einem anderen EWR-Mitgliedstaat nachweist:
1. Ununterbrochene sechsjährige Tätigkeit als Selbständiger oder in leitender Stellung (Abs3), oder
2. ununterbrochene dreijährige Tätigkeit als Selbständiger oder in leitender Stellung (Abs3), nachdem der Nachsichtswerber eine mindestens dreijährige staatlich anerkannte Ausbildung für die Ausübung des betreffenden Gewerbes absolviert hat, oder
3. ununterbrochene dreijährige Tätigkeit als Selbständiger und fünfjährige Tätigkeit als Unselbständiger, oder
4. ununterbrochene fünfjährige Tätigkeit in leitender Stellung (Abs3) einschließlich einer mindestens dreijährigen Tätigkeit mit technischen Aufgaben und mit der Verantwortung für mindestens eine Abteilung des Unternehmens, nachdem der Nachsichtswerber eine mindestens dreijährige staatlich anerkannte Ausbildung für die Ausübung des betreffenden Gewerbes absolviert hat."
(Es folgen Abs2 bis 4, die jenen des §2 gleichen.)
III. 1. In den Prüfungsbeschlüssen
ging der Verfassungsgerichtshof im Anschluß an seine Entscheidung VfSlg. 14963/1997 von der Prämisse aus, daß der Ausdruck "Staatsangehörige einer EWR-Vertragspartei" in den §§373a ff. GewO 1994 auch österreichische Staatsbürger umfaßt und daß durch die Verwendung des Wortes "anderen" in §373c Abs3 GewO 1994 idF BGBl. I 63/1997 und im Einleitungssatz des §3 Abs1 bzw. des §2 Abs1 der EWR-NachsichtsV zum Ausdruck gebracht wird, daß die in den Bestimmungen genannten Tätigkeiten in irgendeinem EWR-Staat mit Ausnahme Österreichs absolviert sein müssen, und vermochte vorläufig keine sachliche Rechtfertigung dafür zu erkennen, daß österreichischen Staatsbürgern mit einer einschlägigen fachlichen Tätigkeit im Ausland eine Nachsicht vom vorgeschriebenen Befähigungsnachweis zu erteilen ist, nicht aber dann, wenn sie eine derartige Tätigkeit im Inland belegen können.
Durch die in Prüfung genommenen Worte dürfte es auch - so der Verfassungsgerichtshof weiter -
"zu einer unsachlichen Differenzierung innerhalb der Gruppe der EWR-Angehörigen fremder Staatsangehörigkeit kommen. Sollte nämlich die Formulierung "in einem anderen EWR-Mitgliedstaat" (wie dies der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis (VfSlg. 14963/1997) freilich zur Bedeutung des Wortes "anderen" in der damals in Prüfung stehenden Verordnungsbestimmung, der eine entsprechende Gesetzesbestimmung nicht zugrundelag, angenommen hat) zum Ausdruck bringen, daß die Tätigkeit außerhalb Österreichs erbracht sein muß, so dürfte das denselben Bedenken begegnen, wie sie (für die Differenzierung betreffend österreichische Staatsbürger) dargelegt wurden: Es ist dem Verfassungsgerichtshof vorläufig nicht einsichtig, warum eine entsprechende Tätigkeit eines EWR--Bürgers ohne österreichische Staatsbürgerschaft außerhalb Österreichs zur Anerkennung führen soll, eine gleichartige Tätigkeit, die in Österreich ausgeübt wurde, aber nicht. Sollte hingegen in der vorliegenden Konstellation die Formulierung zum Ausdruck bringen, daß jede einschlägige Tätigkeit des Anerkennungswerbers, außer einer in seinem Heimatstaat ausgeübten, zur Anerkennung führen kann, so bestünden ebenfalls verfassungsrechtliche Bedenken, da die sachliche Rechtfertigung einer solchen Differenzierung ebenfalls nicht einsichtig wäre."
Gegen die in Prüfung genommenen Verordnungsstellen hegte der Verfassungsgerichtshof vorläufig dieselben Bedenken wie gegen das Wort "anderen" in den lita bis c des §373c GewO 1994 idF BGBl. I 63/1997; überdies dürfte es - im Fall der Aufhebung des Gesetzes - dem Wort "anderen" im Einleitungssatz des §3 Abs1 bzw. des §2 Abs1 der EWR-NachsichtsV an einer gesetzlichen Deckung mangeln.
2. a) Im Gesetzesprüfungsverfahren G42/99 erstattete die Bundesregierung eine Äußerung, auf die sie im Verfahren G135/99 verwies. Sie verteidigte die in Prüfung genommenen Gesetzesbestimmungen verbunden mit dem Antrag, diese nicht als verfassungswidrig aufzuheben und für den Fall der Aufhebung eine Frist von 18 Monaten für das Außerkrafttreten zu bestimmen, um legistische Vorkehrungen für ein neues System von Befähigungsnachweis- und Anerkennungsregelungen zu ermöglichen.
Darauf replizierte die zu B1787/98 beschwerdeführende Partei.
b) Der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten als verordnungserlassende Behörde begnügte sich in den Verordnungsprüfungsverfahren einmal mit einem Hinweis auf die Äußerung der Bundesregierung einmal mit einem Hinweis auf seine im Verfahren B1787/98 erstattete Gegenschrift.
IV. Der Verfassungsgerichtshof hat die Normenprüfungsverfahren zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
V. Der Verfassungsgerichtshof hat zur Zulässigkeit erwogen:
In seinen Einleitungsbeschlüssen ging der Verfassungsgerichtshof vorläufig von der Zulässigkeit der bei ihm anhängigen Beschwerden aus und nahm an, daß er bei Prüfung der Bescheide, die sich explizit und der Sache nach auf §3 (B1787/98) bzw. §2 (B2448/98) der EWR-NachsichtsV stützen dürften, je nach Anlaßfall den jeweiligen Einleitungssatz dieser Bestimmungen, aber auch §373c Abs3 GewO 1994, der zum einen iVm mit Abs4 die gesetzliche Grundlage der genannten Verordnungsbestimmungen bilden, zum anderen aber auch unmittelbar vollziehbare Anordnungen treffen dürfte, anzuwenden hätte.
Die Bundesregierung meinte dazu, daß sich die Regelung der lita des §373c Abs3 GewO 1994 überhaupt nur als Anerkennungsnorm verstehen lasse, "die eine in einem EWR-Mitgliedstaat außerhalb Österreichs absolvierte selbständige Tätigkeit betrifft, sodaß hier die Aufhebung des Wortes 'anderen' jedenfalls in Leere ginge". An diesem Einwand ist zwar die Prämisse richtig, nicht jedoch die Schlußfolgerung: In der genannten Bestimmung wird als Anerkennungsvoraussetzung das Zeugnis über eine einschlägige fachlich selbständige Tätigkeit in einem anderen EWR-Mitgliedstaat festgelegt. Voraussetzung dafür, daß ein EWR-Bürger eine selbständige Tätigkeit im Sinne dieser Bestimmung in Österreich durch eine bestimmte Zeit hindurch gesetzmäßig ausgeübt hat, ist jedoch, daß er bereits einen Befähigungsnachweis erbracht oder eine Nachsicht vom Befähigungsnachweis erlangt hat. Die Bestimmung ist daher auf Nachsichts- bzw. Anerkennungsbegehren österreichischer Staatsbürger nicht unmittelbar anwendbar; sie wurde dementsprechend in den Anlaßfällen nicht angewendet und war auch nicht anzuwenden. Dennoch erweist sie sich als präjudiziell, und zwar im Hinblick auf ihre Funktion als gesetzliche Grundlage für die Verordnung. Denn in dieser werden - zufolge der besonderen sprachlichen Gestaltung der letzten Worte des Einleitungssatzes des §2 Abs1 und jenes des §3 Abs1 iVm deren jeweiligen Z1 bis 4 - die Voraussetzungen der Nachsicht für Personen, die schon selbständig oder unselbständig tätig waren, in einem, und zwar derart geregelt, daß sie in beiden Fällen nur dann zutreffen, wenn die Tätigkeit und/oder Ausbildung in einem anderen EWR-Mitgliedstaat nachgewiesen wird. Das Wort "anderen" bezieht sich daher in §2 Abs1 und in §3 Abs1 der EWR-NachsichtsV auf selbständige und unselbständige Tätigkeiten; die gesetzliche Grundlage dafür bietet das Wort "anderen" in den lita bis c des §373c Abs3 GewO 1994.
Zweifel an den übrigen Prozeßvoraussetzungen sind weder vorgebracht worden noch sonst hervorgekommen. Die Gesetzes- und Verordnungsprüfungsverfahren sind daher zulässig.
VI. In der Sache hat der Verfassungsgerichtshof zu den Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der in Prüfung genommenen Gesetzesbestimmungen folgendes erwogen:
1. Der Verfassungsgerichtshof hat - was im Hinblick auf die während des Verfahrens geführte öffentliche Diskussion zu betonen ist - weder in seiner bisherigen Judikatur noch auch in den Prüfungsbeschlüssen die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Regelungen in Frage gestellt, die als Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Gewerbeausübung die Ablegung von Meisterprüfungen oder die Erbringung eines anderen Nachweises für die Befähigung zur Ausübung eines Gewerbes verlangen.
In seiner Entscheidung VfSlg. 13094/1992 hat der Verfassungsgerichtshof dargetan, daß es im öffentlichen Interesse liegt, einen gewissen Standard fachlicher Leistungen zu sichern und zu diesem Zweck den Nachweis entsprechender Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen zu verlangen. Er hat dabei die Zulässigkeit der Standardisierung von Ausbildungsgängen und Prüfungsanforderungen, die das Befähigungsnachweissystem des Gewerberechts insgesamt prägt, nicht in Zweifel gezogen; freilich haben aber auch solche Regelungen den Anforderungen der Verfassung zu entsprechen, wobei im konkreten Zusammenhang insbesondere die Grenzen zu beachten sind, die das Gleichheitsgebot und das Grundrecht der Erwerbsausübungsfreiheit dem Gesetzgeber ziehen.
Der Verfassungsgerichtshof hat in der zitierten Entscheidung ebenso wie in den Prüfungsbeschlüssen aber auch dargetan, daß angesichts der Zulässigkeit von Standardisierungen Nachsichtsregelungen vorhanden sein müssen, die die Ausübung eines Gewerbes auch dann ermöglichen, wenn zwar der standardisierte Befähigungsnachweis nicht erbracht wird, aber auf andere Weise sichergestellt ist, daß die notwendigen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen für die Gewerbeausübung vorhanden sind. Auch solche Nachsichtsregelungen müssen aber den genannten verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechen und, was den Gleichheitsgrundsatz betrifft, dürfen sie zu keinen sachlich nicht rechtfertigbaren Differenzierungen führen und müssen in sich gleichheitsgemäß sein.
2. Zu der konkret in Prüfung genommenen gesetzlichen Regelung hatte nun der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, daß sie den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgrundsatz verletze. Er ging bei seinen Bedenken von folgenden Prämissen aus:
"Der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, daß der Ausdruck 'Staatsangehörige einer EWR-Vertragspartei' in den §§373a ff. GewO 1994 auch österreichische Staatsbürger umfaßt und daß durch die Verwendung des Wortes 'anderen' in §373c Abs3 GewO 1994 idF BGBl. I 63/1997 und im Einleitungssatz des §3 Abs1 (bzw. §2 Abs1) der EWR-NachsichtsV zum Ausdruck gebracht wird, daß die in den Bestimmungen genannten Tätigkeiten in irgendeinem EWR-Staat mit Ausnahme Österreichs absolviert sein müssen; nur die Absolvierung in Österreich scheint nach diesen Bestimmungen nicht geeignet zu sein, die Nachsichtsvoraussetzungen zu erfüllen. Zur Begründung dieser Annahmen genügt es, auf die Entscheidung V76/97 ua. vom 7. Oktober 1997 (VfSlg. 14963/1997) zu verweisen."
Die Bundesregierung teilt diese Auffassungen, wenn sie ausführt:
"Die in Prüfung genommene Bestimmung differenziert nicht nach der Staatsbürgerschaft. Sie knüpft nur am Ort des Erwerbs bestimmter Fähigkeiten bzw. der Erlangung beruflicher Praxis an. In ihren Anwendungsbereich fällt daher jeder Bürger eines EWR-Mitliedstaates, unabhängig davon, welche Staatsbürgerschaft er besitzt. Österreicher und Staatsangehörige anderer EWR-Mitgliedstaaten, die beide in einem anderen EWR-Mitgliedstaat als Österreich bestimmte fachliche Tätigkeiten etwa in leitender Position ausgeübt haben, sind im Hinblick auf die Möglichkeit der Erlangung einer Anerkennung vom Befähigungsnachweis gleichgestellt. §373c Abs3 GewO 1994 differenziert somit nicht zwischen Österreichern und Staatsangehörigen anderer EWR-Mitgliedstaaten, sondern zwischen den österreichischen Staatsbürgern und Angehörigen anderer EWR-Mitgliedstaaten auf der einen Seite, die bestimmte fachliche Tätigkeiten in leitender Position in Österreich ausgeübt haben, und zwischen österreichischen Staatsbürgern und Angehörigen anderer EWR-Mitgliedstaaten auf der anderen Seite, die solche Tätigkeiten in einem anderen EWR-Mitgliedstaat als Österreich ausgeübt haben."
3. a) Unter diesen - damit außer Streit gestellten - Prämissen vermochte der Verfassungsgerichtshof vorläufig keine sachliche Rechtfertigung dafür zu erkennen, daß österreichischen Staatsbürgern mit einer einschlägigen fachlichen Tätigkeit im Ausland eine Nachsicht vom vorgeschriebenen Befähigungsnachweis zu erteilen ist, nicht aber dann, wenn sie eine derartige Tätigkeit im Inland belegen können.
Ebensowenig war dem Verfassungsgerichtshof vorläufig einsichtig, warum eine entsprechende Tätigkeit eines EWR-Bürgers ohne österreichische Staatsbürgerschaft außerhalb Österreichs zur Anerkennung führen soll, eine gleichartige Tätigkeit, die in Österreich ausgeübt wurde, aber nicht.
Dem fügte der Verfassungsgerichtshof an:
"Der vom Bundesminister angestellten Erwägung, es sei deshalb gerechtfertigt, nur auf den Nachweis einschlägiger Tätigkeiten im Ausland abzustellen, weil ein Nachweis über gleichartige Tätigkeiten im Inland eben eine hinreichende tatsächliche Befähigung des Nachsichtswerbers im Sinn des §28 Abs1 Z2 GewO 1994 darzutun geeignet sei, dürfte schon der Umstand entgegenstehen, daß eine Anerkennung nach §373c GewO 1994 vom Erfordernis eines Befähigungsnachweises schlechtweg zu befreien scheint, während der Nachweis hinreichender tatsächlicher Befähigung im Sinne der genannten Bestimmung des §28 GewO 1994 diese Rechtsfolge nur unter bestimmten Voraussetzungen (im Fall der Unzumutbarkeit der Erbringung des Befähigungsnachweises oder im Fall des Vorliegens besonderer örtlicher Verhältnisse) eintreten läßt. Der erwogenen Auslegungsvariante, daß §373c GewO 1994 im Effekt die Nachsicht von der Befähigung für ausländische EWR-Bürger und für Österreicher mit einer entsprechenden fachlichen Tätigkeit im Ausland ermögliche und §28 Abs1 Z2 GewO 1994 das Pendant für die Nachsichtserteilung für österreichische Staatsbürger mit einer entsprechenden Tätigkeit im Inland darstelle, dürfte somit entgegenstehen, daß die Nachsicht nach §373c anders als die nach §28 Abs1 Z2 GewO 1994 von keinen weiteren Voraussetzungen abhängt."
b) Die Bundesregierung ging in ihrer Äußerung - unter Zitierung des hg. Erkenntnisses vom 10. März 1999, B2478/97 ua. und von Holoubek, Die Sachlichkeitsprüfung des allgemeinen Gleichheitssatzes, ÖZW 1991, 72 (76 ff.) - davon aus, daß nach dem Gleichheitsgrundsatz und dem BVG BGBl. 377/1973 eine Ungleichbehandlung von österreichischen Staatsbürgern und von Fremden nur dann und insoweit zulässig sei, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Den Grund für die mit den in Prüfung stehenden Bestimmungen zugestandenermaßen bewirkten Ungleichbehandlungen vermeint die Bundesregierung im Umstand zu erblicken, daß die Regelung der Umsetzung von gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben diene; hiezu führt sie aus:
"Die im Rahmen der allgemeinen Sachlichkeitsprüfung nach dem Gleichheitssatz vorzunehmende Prüfung, ob die betreffende Rechtsvorschrift auf einem vernünftigen Grund beruht, führt zu dem Ergebnis, daß am Vorliegen eines vernünftigen Grundes für die vom Verfassungsgerichtshof in Prüfung gezogene Bestimmung kein Zweifel bestehen kann. Ihre Ratio liegt zum einen in der Umsetzung von Richtlinien und zum anderen in der Erhaltung eines hohen Niveaus gewerblicher Tätigkeit in Österreich. Zur Umsetzung besteht eine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung und die schutzpolitische Zielsetzung liegt im öffentlichen Interesse (vgl. VfSlg. 13094/1992). Die mit der in Rede stehenden Bestimmung verfolgten Zielsetzungen somit sachlich-objektiver Natur und damit vernünftiger Weise vertretbar.
In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, daß es zu inhaltlichen Gegensätzen zwischen den genannten Anerkennungsregelungen und den Bestimmungen über den Befähigungsnachweis in der Gewerbeordnung käme (insbesondere §§18 und 22 GewO 1994), würde die Regelung des §373c GewO 1994 auch auf EWR-Bürger Anwendung finden, die die Anerkennungsvoraussetzungen durch eine Tätigkeit im Inland nachweisen. Nach den Bestimmungen über den Befähigungsnachweis kommt es in erster Linie auf die inhaltlichen Merkmale einer Tätigkeit an. Sie stellen nicht darauf ab, in welcher hierarchischen Position der Bewerber in einem Unternehmen tätig war. Die Regelung des §18 Abs4 GewO 1994 legt als Voraussetzung für die Zulassung zur Meisterprüfung eine Tätigkeit 'im betreffenden Handwerk' oder eine fachliche Verwendung fest. Nach §22 Abs2 GewO 1994 ist unter einer fachlichen Tätigkeit eine Tätigkeit zu verstehen, die geeignet ist, die Erfahrungen und Kenntnisse zu vermitteln, die zur selbständigen Ausübung des betreffenden Gewerbes erforderlich sind. Ein Facharbeiter, der zwei Jahre im betreffenden Handwerk tätig war, darf zur Meisterprüfung antreten. Eine Tätigkeit in leitender Stellung verschafft erfahrungsgemäß einem Bewerber, der eine handwerklich-ausführende Tätigkeit auszuüben beabsichtigt, eine in praktischer Hinsicht weniger fundierte Qualifikation als die Berufsausübung als Geselle. Der leitend Tätige, der für die unmittelbare handwerkliche Praxis weniger Erfahrungen sammelt als der im Betrieb beschäftigte Geselle, muß die Meisterprüfung nicht ablegen, während der praktisch orientierte Geselle die Prüfung, deren Kernstück die praktischen Arbeiten sind, ablegen müßte. Die Aufhebung des Wortes 'anderen' im §373c Abs3 litb und c GewO 1994 würde daher einen gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßenden Systembruch zwischen den Befähigungsnachweisregelungen einerseits und den Anerkennungsregelungen der Gewerbeordnung andererseits schaffen.
Es ist schließlich darauf hinzuweisen, daß die Anerkennungsregelungen insbesondere dort, wo sie die Anerkennung von einer Tätigkeit in leitender Stellung abhängig machen, mit der Betriebsstruktur vieler Handwerksbetriebe nicht harmonieren. So sind zB im Fotografengewerbe die Kleinbetriebe bzw. die Einmannbetriebe vorherrschend. litb der in Prüfung gezogenen Bestimmung kommt sohin in solchen Bereichen für den durchschnittlichen Bewerber, der im Inland eine Tätigkeit absolviert hat, gar nicht in Betracht."
Weiters meint die Bundesregierung:
"Diese Bestimmung genügt weiters dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Die durch sie bewirkten Differenzierungen haben keine derart gravierenden Benachteiligungen zur Folge, daß sie als unverhältnismäßig qualifiziert werden müßten. Die Konkurrenznachteile für Inländer und EWR-Bürger anderer Staatsangehörigkeit, die ihre berufliche Ausbildung jeweils in Österreich absolviert haben, sind vernachlässigbar gering und fallen deshalb in gleichheitsrechtlicher Hinsicht nicht ins Gewicht. Das zeigt ein Blick auf die tatsächlichen Gegebenheiten:
Bei einer Gesamtzahl von derzeit (Stand Februar 1999) 415.633 aufrechten, an einen Befähigungsnachweis gebundenen Gewerbeberechtigungen, von denen 23.336 (die Zahl bezieht sich auf Österreich ohne Wien; für das letztgenannte Bundesland liegen keine Angaben vor) auf erteilter Nachsicht beruhen, liegt lediglich 40 (Angabe ohne Wien) eine Anerkennung iSd. §373c GewO 1994 zugrunde. Setzt man diese Größen zueinander in Beziehung, so wird offenkundig, daß es sich bei der Zahl der Begünstigten um eine quantite negligeable handelt, bewegt sie sich doch, bezogen auf die Gesamtzahl der Gewerbeberechtigungen, im Promillebereich. Da der Gesetzgeber nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs bei der Verfolgung seiner Ziele von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehen darf, wobei weder Härtefälle noch Einzelfälle einer Begünstigung eine am Durchschnitt orientierte Regelung unsachlich machen (zB VfSlg. 8871/1980), ist die Verhältnismäßigkeit der in Prüfung gezogenen Vorschrift zu bejahen.
Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist es dem Gesetzgeber außerdem von Verfassungs wegen erlaubt, sich im Rahmen des ihm zukommenden rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes für eigenständige Ordnungssysteme zu entscheiden, die nur 'in sich', dh. jeweils für sich betrachtet, gleichheitskonform ausgestaltet sein müssen (zB VfSlg. 9965/1984 und 10084/1984). Dem Gesetzgeber ist es nicht verwehrt, innerhalb eines von ihm geschaffenen Ordnungssystems einzelne Tatbestände auf eine nicht systemgerechte Art zu regeln, wenn dies sachliche Gründe rechtfertigen und die von einem solchen Ordnungssystem abweichende Regelung in sich dem Gleichheitssatz entspricht (zB VfSlg. 5862/1968, 10084/1984). Diese Judikaturlinie läßt sich, wie in der Literatur wiederholt betont worden ist, auf inlandsmarktdiskriminierende Vorschriften übertragen (vgl. Knobl, Inländerdiskriminierung aus verfassungsrechtlicher Sicht, in: FS Rill, 1995, 293 (328); Öhlinger - Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht, 1998, 94). Innerstaatliches Recht und Gemeinschaftsrecht sind demnach als unterschiedliche Ordnungssysteme anzusehen. In diesem Sinne kann die vom Verfassungsgerichtshof in Prüfung gezogene Bestimmung als vom innerstaatlichen Ordnungssystem abweichende Regelung bezeichnet werden. Der für ihre Erlassung maßgebliche sachliche ('vernünftige') Grund ist in der gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtung zur Umsetzung der Anerkennungsrichtlinien zu sehen.
Die aufgeworfenen Bedenken werden sohin von der Bundesregierung nicht geteilt."
c) Bei diesen Überlegungen beachtet die Bundesregierung aber nicht ausreichend, daß ein österreichisches Gesetz, mit dem eine gemeinschaftsrechtliche Vorschrift ausgeführt und in österreichisches Recht umgesetzt wird, rechtlich doppelt bedingt ist: Es ist - wie der Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 15106/1998 mwH (vgl. seither insbesondere auch Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht, 1998, 93, 107, 117) zusammenfassend ausgeführt hat -
"in Lehre und Rechtsprechung unbestritten, daß der Gesetzgeber bei der Ausführung von Gemeinschaftsrecht jedenfalls insoweit an bundesverfassungsgesetzliche Vorgaben gebunden bleibt, als eine Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben durch diese nicht inhibiert wird. Der Gesetzgeber unterliegt in diesen Fällen also einer doppelten Bindung, nämlich einer Bindung an das Gemeinschaftsrecht und einer Bindung an den verfassungsgesetzlich gezogenen Rahmen."
Der Umstand, daß mit einer gesetzlichen Regelung gemeinschaftsrechtliches Richtlinienrecht umgesetzt werden soll, bildet für sich allein - läßt man den hier nicht vorliegenden (und in den Konsequenzen umstrittenen) Fall, daß die Umsetzung einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift zwingend eine Änderung österreichischen Verfassungsrechts erfordert, außer Betracht - keinesfalls einen ausreichenden Rechtfertigungsgrund für eine durch die Art der Umsetzung bewirkte Differenzierung.
Aber auch mit dem Hinweis auf das Ziel der Erhaltung eines hohen Niveaus der gewerblichen Tätigkeit in Österreich ist für die Rechtfertigung der durch die in Prüfung genommenen Bestimmungen bewirkten Differenzierung nichts gewonnen: Denn es vermag dieses - zweifellos legitime - Anliegen eine Regelung nicht zu rechtfertigen, derzufolge der Erwerb einer entsprechenden Ausbildung im Ausland und eine entsprechende Tätigkeit in leitender Position im Ausland geeignet ist, vom Erfordernis des Befähigungsnachweises zu dispensieren, die gleiche Ausbildung und die gleiche Tätigkeit in Österreich hingegen nicht. Im Gegenteil: Der Verfassungsgerichtshof ist der Auffassung, daß eine entsprechende Ausbildung und eine entsprechende Tätigkeit im jeweiligen Gewerbe im Inland im Hinblick auf die für die Erbringung eines Befähigungsnachweises erforderlichen Elemente der kaufmännisch-rechtlichen Anforderungen eher besser als schlechter geeignet ist, das angestrebte Niveau und die erforderliche Qualifikation zu erreichen, ermöglicht sie doch leichter den Erwerb der spezifischen Kenntnisse der österreichischen Rechtslage und der spezifischen österreichischen Marktgegebenheiten.
Auch der Hinweis darauf, daß eine Beschäftigung in leitender Stellung im Hinblick auf die handwerklich-ausführenden Tätigkeiten weniger fachliche Qualifikation vermittelt als eine Tätigkeit als Facharbeiter oder Geselle, mag richtig sein, vermag aber nicht zu rechtfertigen, daß eine entsprechende Beschäftigung in leitender Stellung im Ausland für die Aufnahme einer Gewerbetätigkeit ausreicht, es aber nicht hinreicht, wenn die betreffende Person eine gleichartige Tätigkeit im Inland ausgeübt hat. Das von der Bundesregierung schließlich vorgetragene Argument, daß die Anerkennungsregelungen mit der Betriebsstruktur in vielen Handwerksbetrieben überhaupt nicht harmonieren, wendet sich gegen die Regelung als solche, rechtfertigt aber ebenfalls die beanstandete Differenzierung nicht.
Welche Bedeutung es schließlich für die Rechtfertigung unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsgrundsatzes haben soll, daß die Regelung - wie die Bundesregierung unter Berufung auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip ausführt - in ihrer derzeitigen, eingeschränkten Bedeutung nur von wenigen Personen in Anspruch genommen wurde, bleibt unerfindlich.
d) Es hat sich somit das Bedenken des Verfassungsgerichtshofs bestätigt, daß für die durch die in Prüfung genommenen Bestimmungen bewirkte Differenzierung zwischen einer einschlägigen fachlichen Tätigkeit im Ausland und im Inland eine sachliche Rechtfertigung nicht gefunden werden kann. Die in Prüfung genommenen Worte waren daher aufzuheben.
4. Einen Grund für die Bestimmung einer Frist konnte der Verfassungsgerichtshof nicht erkennen.
Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG.
5. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zu unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Bundesgesetzblatt I erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 (iVm §65) VerfGG sowie §2 Abs1 Z4 BGBlG, BGBl. 660/1996.
VII. 1. Der Verfassungsgerichtshof hatte für den Fall, daß die in Prüfung genommenen Worte in §373c Abs3 GewO 1994 idF BGBl. I 63/1997 wegen Verfassungswidrigkeit aufgehoben werden, das Bedenken, daß das Wort "anderen" in den Einleitungssätzen des §2 Abs1 und des §3 Abs1 der EWR-NachsichtsV einer gesetzlichen Deckung ermangelt und als gesetzlos aufzuheben sein würde.
Dieses Bedenken hat sich als zutreffend erwiesen. Mit der Aufhebung der Worte "anderen" in §373c Abs3 GewO 1994 verlieren die in Prüfung genommenen Bestimmungen in der Verordnung ihre gesetzliche Grundlage und sind daher als gesetzlos aufzuheben.
2. Die Verpflichtung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Bundesgesetzblatt II erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B-VG und §60 Abs2 (iVm §61) VerfGG sowie §2 Abs2 Z4 BGBlG, BGBl. 660/1996.
VIII. Diese Entscheidung konnte
gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung getroffen werden.
Schlagworte
VfGH / Präjudizialität, Gewerberecht, Gewerbeberechtigung, Nachsicht (vom Befähigungsnachweis), EWR, EU-Recht Richtlinie, InländerdiskriminierungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1999:G42.1999Dokumentnummer
JFT_10008791_99G00042_00