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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
FrG 1997 §36 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des M, geboren 1983, vertreten durch Dr. Stefan Joachimsthaler, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Kandlgasse 32/10, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 17. Oktober 2000, Zl. Fr 2879/00, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 17. Oktober 2000 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
Zur Begründung verwies die belangte Behörde auf zwei rechtskräftige Verurteilungen des Beschwerdeführers durch das Landesgericht Wiener Neustadt. Mit Urteil vom 1. September 1998 sei der Beschwerdeführer wegen versuchten Raubes nach §§ 15, 142 Abs. 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Jahr verurteilt worden. Nach dessen Schuldspruch habe der Beschwerdeführer am 24. Oktober 1997 mit Bereicherungsvorsatz versucht, dem Stefan F. 50,-- S mit Gewalt wegzunehmen, indem er ihn mit der Aufforderung, diesen Betrag herauszugeben, von hinten umklammert und nach dessen Geldbörse gegriffen, mit Steinen nach ihm geworfen und ihm Fußtritte versetzt habe.
Mit Urteil vom 23. Februar 2000 sei der Beschwerdeführer wegen schwerer Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten (davon zwei Monate unbedingt) verurteilt worden. Diesem Schuldspruch liege zugrunde, der Beschwerdeführer habe am 29. November 1999 den Manfred B. durch einen Fußtritt gegen den Bauch vorsätzlich am Körper an sich schwer verletzt, indem er ihm eine erhebliche Prellung des Oberbauchbereiches mit einer Milzruptur zugefügt habe. Bei der Strafbemessung seien das Geständnis und die Provokation durch den Verletzten als mildernd, die einschlägige Vorstrafe als erschwerend angesehen worden.
Damit sei - so die belangte Behörde in der rechtlichen Beurteilung - der "Sondertatbestand" des § 36 Abs. 2 Z 1 FrG verwirklicht. Der Beschwerdeführer habe trotz seines jugendlichen Alters eine besondere kriminelle Energie gezeigt, weshalb er auch als Wiederholungstäter zu gelten habe. Auf Grund seines bisherigen Verhaltens sei zu befürchten, dass er wiederum die körperliche Integrität und das Vermögen anderer Personen verletzen könnte. Im Sinne des § 36 Abs. 1 Z 1 FrG stelle der Beschwerdeführer daher eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit im Hinblick auf die genannten Rechtsgüter dar.
Der (am 1. März 1983 geborene) Beschwerdeführer sei seit 1991 in Österreich aufhältig. Ihm seien für die Zeit vom 29. Jänner 1993 bis 20. Februar 1995 ein "gewöhnlicher Sichtvermerk zum Zweck Familiengemeinschaft mit Fremden" und in der Folge mehrere - zuletzt bis 1. Februar 2002 - "Aufenthaltsbewilligungen" erteilt worden. Unter dem Gesichtspunkt des § 37 FrG führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer könne sich nur auf jene familiären und privaten Bindungen stützen, die während seines rechtmäßigen Aufenthaltes in Österreich entstanden seien. Seine Eltern und Geschwister seien ebenfalls hier aufhältig, was ein gewichtiges privates Interesses an einem Weiterverbleib in Österreich darstelle. Der Beschwerdeführer stehe "aber derzeit kurz vor Erreichung der Großjährigkeit" und er habe "zumindest bereits das Alter der Selbsterhaltungsfähigkeit erreicht". Auf ein berufliches Fortkommen sowie dessen allfällige Beeinträchtigung sei nicht Bedacht zu nehmen. Auf Grund der "massiven Gewichtung" der vom Beschwerdeführer begangenen strafbaren Handlungen, die er bereits im jugendlichen Alter gesetzt habe, und wegen der daraus resultierenden rechtskräftigen Verurteilungen liege - so die belangte Behörde wörtlich - "das Dringend-geboten-sein Ihrer Außerlandesschaffung und die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 37 Fremdengesetz 1997 eindeutig auf der Hand".
In den weiteren Ausführungen verneinte die belangte Behörde den Aufenthaltsverfestigungstatbestand des § 35 Abs. 2 FrG (iVm § 38 Abs. 1 Z 2 FrG), weil sich der Beschwerdeführer vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts (Straftat vom 24. Oktober 1997) noch nicht einmal sechs Jahre rechtmäßig in Österreich aufgehalten habe. Auch die Voraussetzungen nach § 38 Abs. 1 Z 4 FrG lägen nicht vor, weil der erst im Alter von acht Jahren nach Österreich eingereiste Beschwerdeführer hier nicht "von klein auf" aufgewachsen sei. Schließlich begründete die belangte Behörde ausführlich, warum die Ermessensübung nicht zugunsten des Beschwerdeführers erfolgen könne und warum eine Befristung des Aufenthaltsverbotes mit zehn Jahren gerechtfertigt sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Gemäß § 36 Abs. 1 FrG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2).
Gemäß § 36 Abs. 2 Z 1 FrG hat als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.
Die Beschwerde lässt die Ansicht der belangten Behörde, vorliegend sei der zitierte Tatbestand des § 36 Abs. 2 FrG - und zwar der zweite, dritte und letzte Fall - verwirklicht, unbekämpft. Im Hinblick auf die unbestrittenen rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers bestehen gegen diese Beurteilung keine Bedenken. Entgegen den Beschwerdeausführungen kann auch die Ansicht der belangten Behörde, es sei die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt, angesichts der in einem Abstand von etwa zwei Jahren jeweils unter Gewaltanwendung begangenen Straftaten nicht als rechtswidrig erkannt werden.
Gegen diese negative Zukunftsprognose sprechen weder das jugendliche Alter des Beschwerdeführers noch die Verbüßung des unbedingt verhängten Teiles der Freiheitsstrafe. Letzteres steht einer Prognosebeurteilung im Sinne des § 36 Abs. 1 FrG schon deshalb nicht entgegen, weil sich aus der Aufnahme der teilbedingten Freiheitsstrafe in den Katalog des § 36 Abs. 2 Z 1 FrG ergibt, dass eine solche Strafe und deren Vollzug der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht entgegenstehen. Aus demselben Grund können auch die Erwägungen des Strafgerichtes zur (teil)bedingten Nachsicht der Strafe aus fremdenrechtlicher Sicht bei der Prüfung der Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes nicht bindend sein. Die Fremdenbehörde hat die erwähnte Zukunftsprognose vielmehr eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechtes vorzunehmen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 26. Juni 2002, Zl. 99/21/0219, und vom 17. Dezember 2001, Zl. 2001/18/0242). Insoweit hat die belangte Behörde zutreffend aus der Art der begangenen Straftaten und der wiederholten Gewaltanwendung auf eine Neigung des Beschwerdeführers zur Missachtung insbesondere der körperlichen Integrität Anderer geschlossen und deshalb zu Recht eine Gefährdung der öffentlichen Interessen durch einen Weiterverbleib des Beschwerdeführers in Österreich angenommen.
Gemäß § 37 Abs. 1 FrG ist ein durch ein Aufenthaltsverbot bewirkter Eingriff in das Privat- oder Familienleben des betroffenen Fremden aber nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Ein Aufenthaltsverbot darf gemäß § 37 Abs. 2 FrG jedenfalls nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Bei dieser Beurteilung ist auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden und seiner Familienangehörigen (Z 1) sowie auf die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen (Z 2) Bedacht zu nehmen.
Angesichts des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung strafbarer Handlungen (gegen die körperliche Integrität und das Eigentum Anderer) kann es auch nicht als rechtswidrig erkannt werden, wenn die belangte Behörde das Aufenthaltsverbot zum Schutz der öffentlichen Ruhe und Ordnung sowie zum Schutz der Gesundheit, der Rechte und Freiheiten Anderer (Art. 8 Abs. 2 EMRK) im Grunde des § 37 Abs. 1 FrG für dringend geboten erachtete.
Unter anderem auch unter dem Gesichtspunkt des § 37 Abs. 2 FrG verweist die Beschwerde aber darauf, dass der im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides erst 17 Jahre alte Beschwerdeführer am 15. August 1991, sohin im Alter von acht Jahren nach Österreich gekommen sei. Er sei noch minderjährig und lebe mit seinen seit 1986 in Österreich niedergelassenen Eltern zusammen. Auch seine beiden Geschwister seien seit 1990 in Österreich. Er habe hier drei Jahre Volksschule und vier Jahre Hauptschule absolviert und eine Schlosserlehre begonnen, die noch nicht abgeschlossen sei. Deutsch sei für ihn die "Ausbildungs- und Kultursprache". Er verfüge über einen bis 30. August 2003 gültigen Befreiungsschein. Derzeit werde er von seinen Eltern erhalten. Er sei somit in Österreich in einem hohen Grad integriert und verfüge hier auch über einen großen Freundeskreis. Durch das Aufenthaltsverbot werde er gezwungen, in ein fremdes Land auszuwandern, in dem er sich der erlernten Sprache Deutsch nicht bedienen könne.
Zur ersten Straftat verweist die Beschwerde darauf, es handle sich um den Versuch des damals vierzehneinhalbjährigen Beschwerdeführers einem anderen Jungen S 50,-- wegzunehmen. Eine besondere sozialschädliche Neigung und erhebliche kriminelle Energie könne diesem Verhalten wohl noch nicht beigemessen werden. Bei der der zweiten Verurteilung zugrundeliegenden Tat habe der Geschädigte zwar eine erhebliche Verletzung (Milzriss) erlitten, die jedoch von dem damals auch erst sechzehneinhalbjährigen Beschwerdeführer keinesfalls beabsichtigt oder auch nur in Erwägung gezogen worden sei. Es habe sich dabei um eine Rauferei gehandelt, wie sie öfter zwischen Jugendlichen vorkomme und die nur unglücklicherweise zu einer so schweren Verletzung geführt habe.
Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde im Ergebnis eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides in Bezug auf die Abwägung nach § 37 Abs. 2 FrG auf:
Aus den vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten ergibt sich zwar - wie bereits erwähnt - dessen hohe Gewaltbereitschaft, doch ist bei der Beurteilung des Grades der hiedurch bewirkten Gefährdung der öffentlichen Interessen auch auf die Begleitumstände der Taten und auf sonstige Besonderheiten, wie insbesondere auf das Alter des Beschwerdeführers und auf einen noch möglichen Reifungsprozess, Bedacht zu nehmen. Bei Berücksichtigung der von der Beschwerde hervorgehobenen - relativierenden - Momente wiegt das Allgemeininteresse an der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes aber nicht so schwer, dass die massiven integrationsbegründenden Umstände nicht als höherwertig angesehen werden können. Entgegen der Meinung der belangten Behörde sind dabei nicht nur jene Umstände zu berücksichtigen, die während des - hier aber ohnehin weitgehend - rechtmäßigen Aufenthaltes in Österreich begründet wurden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. Oktober 2001, Zlen. 2001/21/0141 bis 144). Bei der Abwägung nach § 37 Abs. 2 FrG hätte die belangte Behörde - die diese in expliziter Form im Übrigen gar nicht vorgenommen hat - daher zu dem Ergebnis kommen müssen, dass das private und familiäre Interesse des (im maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides) noch minderjährigen, seit seinem achten Lebensjahr mehr als neun Jahre hier aufhältigen und nach der Aktenlage noch nicht selbsterhaltungsfähigen Beschwerdeführers an einem Weiterverbleib in Österreich das in Rede stehende öffentliche Interesse überwiegt, und sie hätte somit die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Grunde des § 37 Abs. 2 FrG nicht als zulässig ansehen dürfen.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001, wobei eine Umrechnung der Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG in Euro vorzunehmen war.
Wien, am 30. Jänner 2003
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2000210221.X00Im RIS seit
30.04.2003