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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
FrG 1997 §35 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des S, geboren 1961, vertreten durch Dr. Michael Drexler, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hörlgasse 4/5, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 5. Juli 2001, Zl. Fr 1938/01, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 5. Juli 2001 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen rumänischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.
Zur Begründung stellte die belangte Behörde fest, der Beschwerdeführer sei am 10. September 1989 (illegal) nach Österreich eingereist und habe um Asyl angesucht. Die ihm in der Folge zuerkannte Flüchtlingseigenschaft sei dem Beschwerdeführer mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 21. Dezember 1995 wieder aberkannt worden, weil er sich einen rumänischen Reisepass besorgt habe und immer wieder nach Rumänien gefahren sei. Danach seien dem Beschwerdeführer "Aufenthaltsbewilligungen", zuletzt eine vom 18. Jänner 1999 bis 19. Dezember 2001 gültige Niederlassungsbewilligung, erteilt worden.
Die weiteren Ausführungen enthalten folgende Feststellungen zu den strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers:
"Mit Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 25.08.1994, Zahl 14 E Vr 532/94 Hv 44/94, wurden Sie wegen § 83 Abs. 1 Strafgesetzbuch zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je ATS 250,-- verurteilt.
Mit Urteil des Bezirksgerichtes Waidhofen/Ybbs vom 15.05.1995, Zahl U 101/94, wurden Sie wegen § 125 Strafgesetzbuch zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je ATS 130,-- verurteilt.
Mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 20.12.1995, Zahl 23 E Vr 2163/95 Hv 173/95, wurden Sie wegen der §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1, 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Ziff. 1 Strafgesetzbuch zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Monaten unbedingt und dreizehneinhalb Monaten bedingt, unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren, verurteilt.
Mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 11.10.2000, Zahl 28 E Vr 148/2000 Hv 9/2000, wurden Sie wegen § 125 Strafgesetzbuch zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je ATS 250,-- verurteilt."
Im Rahmen der Gefährdungsprognose nach § 36 Abs. 1 FrG folgerte die belangte Behörde, mit den rechtskräftigen Verurteilungen wegen Sachbeschädigung habe der Beschwerdeführer eindeutig unter Beweis gestellt, dass er eine Gefahr für die vermögensrechtliche Integrität anderer Personen darstelle. Zudem habe er auch einschlägige Verurteilungen wegen Körperverletzung aufzuweisen. Durch das Verhalten, das zu den strafrechtlichen Verurteilungen geführt habe, habe der Beschwerdeführer "eine nicht unwesentliche kriminelle Energie unter Beweis gestellt", sodass zu befürchten sei, er werde wiederum derartige kriminelle Handlungen setzen. Der Beschwerdeführer stelle somit auch weiterhin eine Gefahr für die vermögensrechtliche Integrität und die körperliche Unversehrtheit anderer Personen dar. "Angesichts des geschilderten Sachverhaltes" erscheine die in § 36 Abs. 1 FrG "gefasste" Annahme der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit "in jedem Fall gerechtfertigt".
Zur Ermessensübung führte die belangte Behörde aus, "eine positive Anwendung der Kannbestimmung zugunsten des Fremden" könne in "derart gelagerten Fällen" nur dann erfolgen, wenn der Fremde tatsächlich Umstände vorbringe, die für die Nichterlassung eines Aufenthaltsverbotes sprächen. Der Beschwerdeführer habe aber den wichtigen öffentlichen Interessen an der Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen keine ausreichenden Umstände, die gegen die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sprechen würden, entgegen gebracht.
Unter dem Gesichtspunkt des § 37 FrG stellte die belangte Behörde ergänzend fest, der Beschwerdeführer habe zwar im Jahre 1994 (richtig: 1988) geheiratet, 1998 sei jedoch die "einvernehmliche" Scheidung - nach der Aktenlage: mit Urteil vom 27. August 1998 aus dem gleichteiligen Verschulden beider Parteien - erfolgt und der Beschwerdeführer pflege derzeit keinen Kontakt mehr zu seiner ehemaligen Ehegattin. Bereits nach knapp fünfjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet sei der Beschwerdeführer erstmals verurteilt worden und auch in weiterer Folge - bis zum zuletzt ergangenen Urteil vom 11. Oktober 2000 - "kontinuierlich straffällig" gewesen. Angesichts der "massiven Gewichtung" des rechtswidrigen Verhaltens des Beschwerdeführers liege "das Dringend-geboten-sein der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 37 Fremdengesetz 1997 aber eindeutig auf der Hand". Unter neuerlichem Hinweis darauf, dass die erste Verurteilung nach nicht einmal fünfjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet erfolgt sei, verneinte die belangte Behörde schließlich auch eine - in der Berufung geltend gemachte - Aufenthaltsverfestigung, die der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes entgegen stünde.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Voraussetzung für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 36 Abs. 1 FrG die auf bestimmte Tatsachen gegründete Prognose, dass der (weitere) Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 36 Abs. 2 Z 1 gilt als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.
Die dem angefochtenen Bescheid zu Grunde gelegte Auffassung, dass angesichts der erwähnten strafgerichtlichen Verurteilungen der zitierte Tatbestand des § 36 Abs. 2 FrG - und zwar der zweite und letzte Fall - verwirklicht ist, bleibt in der Beschwerde unbestritten. Gegen diese Beurteilung hegt der Verwaltungsgerichtshof angesichts der im Urteil vom 20. Dezember 1995 verhängten teilbedingten Freiheitsstrafe und der wiederholten Bestrafung wegen Körperverletzung und Sachbeschädigung auch keine Bedenken.
Der Beschwerdeführer wendet sich aber gegen die im Grunde des § 36 Abs. 1 FrG getroffene negative Zukunftsprognose einerseits mit dem Hinweis auf seinen langjährigen Aufenthalt in Österreich. Andererseits versucht er unter Darstellung der näheren Umstände der Straftaten zu erklären, warum es dazu gekommen sei und weshalb eine Wiederholungsgefahr aus seiner Sicht nicht mehr bestehe. Er sei damals "zugegebener Maßen" auf seine Ehegattin, die sehr hübsch gewesen sei und eine Vielzahl von Liebhabern gehabt habe, eifersüchtig gewesen, weshalb es zu Auseinandersetzungen gekommen sei, die auch in gerichtlichen Verurteilungen gemündet hätten. Letztendlich habe er sich aber 1998 scheiden lassen. Die letzte Verurteilung wegen Sachbeschädigung sei ebenfalls auf Grund seiner Eifersucht gegenüber seiner ehemaligen Ehegattin erfolgt. In Wahrheit habe er aber sein eigenes Auto beschädigt, das nur aus formalen Gründen auf seine geschiedene Gattin "angemeldet" gewesen sei. Da er nunmehr von seiner ehemaligen Gattin getrennt lebe und der Kontakt zur Gänze abgebrochen sei, sei eine negative Zukunftsprognose nicht gerechtfertigt. Mit dieser bereits in der Berufung vorgetragenen Argumentation habe sich die belangte Behörde nicht auseinander gesetzt und es entgegen dem ausdrücklichen Antrag unterlassen, die Strafakten beizuschaffen.
Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde einen relevanten Verfahrens- und Begründungsmangel auf:
Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose ist im Grunde des § 36 Abs. 1 FrG das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahingehend vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die im Gesetz umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Für die Beurteilung, ob im Einzelfall diese Annahme gerechtfertigt ist, ist nicht das Vorliegen von rechtskräftigen Bestrafungen oder Verurteilungen, sondern das diesen zu Grunde liegende Verhalten des Fremden maßgeblich (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 8. November 2001, Zl. 99/21/0092, und zuletzt das hg. Erkenntnis vom 19. November 2002, Zl. 98/21/0361).
Die belangte Behörde hat der erwähnten Verpflichtung zur Feststellung des den strafgerichtlichen Verurteilungen zugrunde liegenden Fehlverhaltens des Beschwerdeführers nicht entsprochen, sondern sie hat jeweils nur den Zeitpunkt der Urteilsfällung, den Tatbestand des Strafgesetzbuches und die Höhe der verhängten Strafe angeführt. Feststellungen über die vom Beschwerdeführer begangenen strafbaren Handlungen und die für die Beurteilung seines Verhaltens maßgeblichen Begleitumstände fehlen hingegen - wie schon im Erstbescheid - zur Gänze.
Das Fehlen derartiger Feststellungen bewirkt, dass die Ansicht der belangten Behörde, es sei vorliegend die im § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt und das Aufenthaltsverbot sei zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten (§ 37 Abs. 1 FrG), für den Verwaltungsgerichtshof nicht überprüfbar ist, zumal dies nicht bereits aus der Art und Häufigkeit der Delikte im Zusammenhang mit den verhängten Strafen von vornherein evident ist. Das trifft auch hinsichtlich der Erwägungen zur Ermessensübung zu. Gleiches würde schließlich für die nach § 37 Abs. 2 FrG erforderliche Abwägung, ob die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung, gelten, doch ist dem angefochtenen Bescheid eine solche Abwägung nicht zu entnehmen, was einen weiteren Begründungsmangel darstellt.
Schon aus diesen Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Zur Vollständigkeit sei allerdings noch in Erwiderung der Beschwerdeausführungen zu § 35 Abs. 2 und 3 FrG (iVm § 38 Abs. 1 Z 2 FrG) auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der in dieser Bestimmung enthaltenen Wendung "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes" verwiesen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 2002, Zl. 2000/21/0046).
Der Kostenausspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. In dem dort genannten Pauschalbetrag für Schriftsatzaufwand (EUR 908,--) ist die Umsatzsteuer bereits enthalten, sodass ein gesonderter Zuspruch nicht in Betracht kommt und das diesbezügliche Mehrbegehren abzuweisen war.
Wien, am 30. Jänner 2003
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2001210106.X00Im RIS seit
30.04.2003