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41 Innere AngelegenheitenNorm
B-VG Art140 Abs1 / PräjudizialitätLeitsatz
Zurückweisung des Antrags des UVS Wien auf Aufhebung einer Bestimmung des FremdenG 1997 über die erforderliche Zustimmung des Bundesministers für Inneres zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis trotz Vorliegens eines Versagungsgrundes in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen mangels PräjudizialitätSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
I. 1. Aus Anlaß eines bei ihm anhängigen Berufungsverfahrens betreffend eine Verwaltungsübertretung nach dem FrG 1997 stellt der Unabhängige Verwaltungssenat Wien mit Bezug auf Art140 Abs1 B-VG den Antrag, §90 Abs1 des Fremdengesetzes 1997, BGBl. I Nr. 75/1997 (im folgenden: FrG 1997 oder auch bloß FrG), als verfassungswidrig aufzuheben.
2. §90 Abs1 FrG 1997 hat folgenden Wortlaut:
"Besondere sachliche Zuständigkeiten
§90.(1) Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß §10 Abs4 bedarf der Zustimmung des Bundesministers für Inneres."
Der mit der Überschrift "Versagung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels" versehene §10 FrG 1997 regelt in seinem Absatz 4 folgendes:
"(4) Die Behörde kann Fremden trotz Vorliegens eines Versagungsgrundes gemäß Abs1 Z2, 3 und 4 sowie gemäß Abs2 Z1, 2 und 5 in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen aus humanitären Gründen von Amts wegen eine Aufenthaltserlaubnis erteilen. Besonders berücksichtigungswürdige Fälle liegen insbesondere vor, wenn die Fremden einer Gefahr gemäß §57 Abs1 oder 2 ausgesetzt sind. Fremden, die ihre Heimat als Opfer eines bewaffneten Konfliktes verlassen haben, darf eine solche Aufenthaltserlaubnis nur für die voraussichtliche Dauer dieses Konfliktes, höchstens für drei Monate erteilt werden. Im Falle strafbarer Handlungen gemäß §217 StGB darf Zeugen zur Gewährleistung der Strafverfolgung sowie Opfern von Menschenhandel zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche gegen die Täter eine solche Aufenthaltserlaubnis für die erforderliche Dauer erteilt werden."
3. Zur Zulässigkeit seines (auch in bezug auf die behauptete Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Gesetzesbestimmung näher begründeten) Antrags führt der Unabhängige Verwaltungssenat Wien im wesentlichen aus wie folgt:
"Beim Unabhängigen Verwaltungssenat Wien ist die Berufung gegen ein Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Fremdenpolizeiliches Büro vom 23.9.1998 anhängig, mit welchem über die Beschuldigte E. Z., türkische Staatsangehörige, eine Geldstrafe von S 3.000,-- verhängt wurde, da sie sich im Zeitraum 15.9.1996 bis 31.7.1998 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe.
Dem liegt sachverhaltsmäßig zugrunde, dass der am 5.3.1994 geborene Sohn der Berufungswerberin E. M. laut aktenkundigen ärztlichen Bestätigungen der Universitäts-Kinderklinik Wien seit 1996 an einer offensichtlich schweren Form einer Herzmuskelerweiterung leidet und laut Arztbrief der Universitätsklinik vom 12.8.1998 'dringend ständig laufender Kontrollen bedarf'.
Daher hat die Bundespolizeidirektion Wien mit Schreiben vom 6.4.1998 festgestellt, dass 'aufgrund der Schwere der Erkrankung eine Ausreise (der Berufungswerberin) nicht möglich' ist, der Ehemann der Genannten über eine gültige Aufenthaltsbewilligung zum Zwecke der unselbständigen Erwerbstätigkeit verfügt und die gesamte Familie sozialversichert ist, weshalb die Bundespolizeidirektion Wien beim Bundesministerium für Inneres die Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis für die Berufungswerberin und ihre beiden Kinder für die Dauer von einem Jahr angeregt hat.
Mit Schreiben vom 9.6.1998 teilte das Bundesministerium für Inneres der Bundespolizeidirektion Wien wie folgt mit:
'Für die im Betreff Genannten wurden mit os Zustimmung zur Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis gem. §10 Abs4 FrG 1997 ersucht.
Das Bundesministerium für Inneres stimmt der Erteilung nicht zu und wird der gesamte Verwaltungsakt an die erstinstanzliche Behörde retourniert.'
...
Die Bestimmungen (erg. §10 Abs4 und §90 Abs1 FrG 1997) sind vom Unabhängigen Verwaltungssenat Wien im Rahmen des gegenständlichen Berufungsverfahrens zur Klärung der Vorfrage anzuwenden, inwieweit der Berufungswerberin anlastungsgemäß eine Aufenthaltsbewilligung fehlt.
... "
4. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie sowohl die Zulässigkeit des Antrags als auch dessen Berechtigung bestreitet und sohin die Zurückweisung, hilfsweise die Abweisung des Antrags begehrt.
Zur Zulässigkeit des Antrags führt die Bundesregierung im wesentlichen aus:
"...
Zwar kann dem Antrag des unabhängigen Verwaltungssenats nicht konkret entnommen werden, auf Grund welcher Bestimmung die Beschuldigte des Anlaßfalles bestraft wurde, doch dürfte dafür insbesondere §107 Abs1 Z4 des Fremdengesetzes 1997 (FrG) in Betracht kommen (arg.: 'da sie sich ... nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe'). Weiters dürfte aus der Sachverhaltsschilderung, wonach die Bundespolizeidirektion Wien beim Bundesministerium für Inneres die Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis angeregt habe, zu erschließen sein, daß der Aufenthalt der Beschuldigten des Anlaßverfahrens bislang nicht im Sinn des §31 FrG rechtmäßig war, sie insbesondere über keinen anderen Aufenthaltstitel verfügte.
Die Bundesregierung geht daher davon aus, daß die genannten Bestimmungen vom unabhängigen Verwaltungssenat im Rahmen des bei ihm anhängigen Verfahrens anzuwenden sind. Die vom unabhängigen Verwaltungssenat als solche bezeichnete Vorfrage, 'inwieweit der Berufungswerberin anlastungsgemäß eine Aufenthaltsbewilligung fehlt', dürfte indes, ohne daß eine Anwendung der §§90 Abs1 oder 10 Abs4 FrG in Betracht käme, damit bereits geklärt sein; §107 Abs1 Z4 des Fremdengesetzes 1997 stellt nämlich ausschließlich darauf ab, ob sich der Beschuldigte nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Das ist aber nach den Ausführungen des unabhängigen Verwaltungssenats offenkundig der Fall.
Ob der Bundesminister für Inneres die Zustimmung mit Entscheidung vom 9. Juni 1998 aufgrund eines verfassungswidrigen oder verfassungskonformen Gesetzes verweigert hat, kann daran nichst ändern. Selbst wenn Verfassungswidrigkeit vorläge, würde der Berufungswerberin 'anlastungsgemäß' ein Aufenthaltstitel fehlen. An der Tatbestandsmäßigkeit ihres Verhaltens kann somit in Hinblick auf §107 Abs1 Z4 FrG kein Zweifel bestehen, der angefochtenen Bestimmung kommt dafür keinerlei Relevanz zu.
Zu prüfen bleibt, inwieweit die angefochtene Bestimmung im Hinblick auf die Beurteilung der Frage der Vorwerfbarkeit der Verwaltungsübertretung von Relevanz ist. Hiezu ist zunächst darauf zu verweisen, daß der vom Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien erfaßte Zeitraum von nicht ganz zwei Jahren nur in den letzten sechs Wochen von der Reaktion des Bundesministers für Inneres auf die Anregung der Bundespolizeidirektion Wien, der Berufungswerberin eine 'humanitäre Aufenthaltserlaubnis' zu erteilen, betroffen war. Bis dahin waren für die Vorwerfbarkeit - entsprechend den Regeln der §§19 ff VStG - ausschließlich Faktoren der Strafzumessung (Erschwerungs- und Milderungsgründe etc) maßgeblich. Diese sind es auch nach dem Eintreffen der Äußerung des Bundesministers für Inneres geblieben, allerdings mag zu einem bestimmten Zeitpunkt als zusätzlicher Milderungsgrund hinzugekommen sein, daß nach Ansicht der Bundespolizeidirektion Wien eine Ermessensübung gemäß §10 Abs4 FrG zugunsten der Berufungsswerberin angezeigt gewesen wäre, daß die Betroffene also für sich in Anspruch nehmen konnte, es liege auch nach Ansicht der Fremdenpolizeibehörde erster Instanz ein 'besonders berücksichtigungswürdiger Fall' vor. Dieser Zeitpunkt hat freilich nichts mit der Reaktion des Bundesministers für Inneres zu tun, sondern ausschließlich mit der Anregung der Bundespolizeidirektion Wien, die mit Datum vom 6. April 1998 erfolgt war. Die dieser Einschätzung zugrunde liegende Gesetzesbestimmung ist gleichfalls nicht der §90 Abs1 FrG, sondern der §10 Abs4 FrG. Die angefochtene Bestimmung ist somit auch in dieser Hinsicht nicht präjudiziell.
..."
II. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht und ebensowenig den antragstellenden UVS an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes (dieses UVS) in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag im Sinne des Art140 B-VG bzw. des Art139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, daß die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes (des antragstellenden UVS) im Anlaßfall bildet (zB VfSlg. 9811/1983, 10296/1984, 12189/1989, 14551/1996).
Im vorliegenden Fall erscheint es dem Verfassungsgerichtshof iS seiner zitierten Judikatur jedoch als denkunmöglich, daß der antragstellende UVS Wien in dem bei ihm anhängigen Verwaltungsstrafverfahren im Rahmen seiner Entscheidung über die Feststellung eines unrechtmäßigen Aufenthalts der Berufungswerberin die angefochtene Bestimmung anzuwenden hätte. Es ist nämlich auszuschließen, daß der antragstellende Verwaltungssenat in der von ihm zu entscheidenden Verwaltungsstrafsache das Vorliegen der formellen und materiellen Voraussetzungen einer aus humanitären Gründen von Amts wegen zu erteilenden Aufenthaltserlaubnis zu prüfen, sich demnach etwa mit der - im Interesse einer möglichst einheitlichen Gesetzeshandhabung festgelegten, wohl unbedenklichen - Zustimmungsbefugnis des Bundesministers für Inneres oder dessen Bindung an die in §10 Abs4 FrG 1997 umschriebenen, die Richtung seiner Ermessensübung bestimmenden Kriterien auseinanderzusetzen hätte.
Da sohin die Prozeßvoraussetzungen nicht gegeben sind, erweist sich der Antrag als unzulässig und ist daher zurückzuweisen.
III. Diese Entscheidung wurde
gemäß §19 Abs3 Z1 lite VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen.
Schlagworte
VfGH / Präjudizialität, FremdenrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1999:G2.1999Dokumentnummer
JFT_10008787_99G00002_00