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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
ZustG §25 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des P in S, vertreten durch Czerwenka & Partner, Rechtsanwälte KEG in 1010 Wien, Ledererhof 2, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 17. Juni 2002, Zl. MA 15-II-S 35/2000, betreffend Zurückweisung eines Einspruches in einer Angelegenheit der Beitragshaftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG (mitbeteiligte Partei: Wiener Gebietskrankenkasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15-19), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen im Betrag von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid vom 28. April 2000 verpflichtete die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse den Beschwerdeführer als Mitglied des zur Vertretung nach außen bestimmten Organes einer näher bezeichneten Aktiengesellschaft zur Zahlung von bei der Gesellschaft uneinbringlichen rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen samt Nebengebühren in der Höhe von S 97.520,14 (EUR 7.087,06) samt Verzugszinsen. Dieser Bescheid wurde an die Wohnadresse des Beschwerdeführers in O, 8570 Weinfelden, Schweiz, adressiert und gegen internationalen Rückschein zugestellt. Der Rückschein weist eine Stampiglie des Schweizer Postamtes 9500 Wil vom 11. Mai 2000 und mit dem gleichen Datum eine Unterschrift für die Bestätigung der Übernahme der Postsendung auf.
Mit einem am 19. September 2000 datierten und am 20. September 2000 bei der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse eingelangten Schriftsatz erhob der Beschwerdeführer Einspruch gegen den vorgenannten Bescheid der Wiener Gebietskrankenkasse und behauptete zur Frage der Zustellung, dass der erstinstanzliche Bescheid "zunächst nicht an (den Beschwerdeführer) ..., sondern an Herrn Lucas B" zugestellt worden sei, wobei dem Beschwerdeführer nicht bekannt sei, "wann es tatsächlich zur Zustellung des Bescheides an Herrn B gekommen ist". Jedenfalls habe der Beschwerdeführer den Bescheid am 23. August 2000 von dem Genannten ausgehändigt bekommen, sodass die Einspruchsfrist ab diesem Zeitpunkt beginne und der "nun erstattete Einspruch (gemeint wohl: der erstinstanzliche Bescheid) jedenfalls noch nicht rechtskräftig" sei.
In einer mit dem Beschwerdeführer vor der belangten Behörde aufgenommenen Niederschrift vom 9. November 2000 gab dieser an, am 2. Februar 2000 von Bern nach St. Gallen verzogen zu sein. Auf einen Vorhalt der Vertreterin der mitbeteiligten Partei, dass der Beschwerdeführer nach Auskunft des Einwohnermeldeamtes Thalwil an der Adresse Weinfelden wohnhaft sei, an die auch bereits der "Haftungsbrief" vom 14. März 2000 geschickt worden sei, der nicht an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse zurückgelangt sei, gab der Beschwerdeführer an, dass an der genannten Anschrift ein Nachsendeauftrag für seine Post zu Handen des Lucas B bestehe, wobei diese Schriftstücke von einer Mitarbeiterin des Genannten behoben würden. Der Genannte habe dem Beschwerdeführer mehrere Schriftstücke, darunter auch den gegenständlichen Bescheid erst am 23. August 2000 ausgehändigt, da er sich vorher auf Urlaub befunden habe. Lucas B sei der Berater und Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, der Nachsendeauftrag von der Adresse Weinfelden habe schon seit etwa 1997 bestanden. In einer weiteren schriftlichen Äußerung teilte der Beschwerdeführer am 6. Dezember 2000 der belangten Behörde mit, dass sich Lucas B geweigert habe, ihm eine Bestätigung darüber auszustellen, dass er die genannten Schriftstücke dem Beschwerdeführer erst am 23. August 2000 ausgehändigt habe. Es werde beantragt, den Genannten im Rechtshilfeweg einzuvernehmen.
Daraufhin erließ die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid, mit welchem sie den Einspruch des Beschwerdeführers als verspätet zurückwies. Nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und des Vorbringens des Beschwerdeführers führte die belangte Behörde aus, dass nach dem eigenen Vorbringen des Beschwerdeführers Lucas B sein Berater und Rechtsvertreter gewesen sei, wodurch er nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als Vertreter für Handlungen oder Unterlassungen seines Vertreters und damit für Irrtümer, die diesem unterlaufen würden, einzustehen habe, also auch dafür, dass er ihm erst am 23. August 2000 den angefochtenen Bescheid ausgehändigt habe. Eine Einvernahme zu diesem Themenkreis sei daher nicht erforderlich gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, der Sache nach Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hat sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer wendet sich zunächst gegen die Annahme der belangten Behörde, Lucas B sei sein "Berater und Rechtsvertreter" gewesen, mit der Begründung, dass dieser "keinesfalls Rechtsvertreter des Beschwerdeführers nach österreichischem Recht" gewesen sei. Es handle sich bei diesem nicht etwa um einen Rechtsanwalt, sondern lediglich um einen sogenannten "Rechtsagenten", welche in den Schweiz gewisse Agenden der Parteienvertretung wahrnehmen dürfen. B sei vor allem wegen eines vom Beschwerdeführer auf Grund eines Umzuges nach St. Gallen erteilten alten Nachsendeauftrages in den Besitz des in Frage stehenden Haftungsbescheides gelangt und nicht etwa, weil der Beschwerdeführer seinem Rechtsagenten eine Zustellvollmacht ausgestellt hätte. Die belangte Behörde habe "ihre Argumente lediglich auf ein im Akt ersichtliches Fragment einer allgemeinen Vollmacht, welches der Behörde offensichtlich vom Masseverwalter ... übermittelt worden" sei, gestützt. Daraus sei aber nicht einmal ersichtlich, in welchem Umfang Vollmacht erteilt worden sei. In rechtlicher Hinsicht verweist der Beschwerdeführer auf nähere Bestimmungen des Zustellgesetzes.
Entgegen dieser Auffassung ist der Zustellvorgang insoweit nicht zu beanstanden, als die belangte Behörde auf Grund des eigenen Vorbringens des Beschwerdeführers davon ausgehen durfte, dass der Beschwerdeführer dem genannten Lucas B (zumindest) für jene Schriftstücke, die an der Anschrift des Beschwerdeführers in Weinfelden zugestellt werden sollten, eine Zustellvollmacht erteilt hat, die daher auch für Schriftstücke wie den in Rede stehenden Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse galt. Einschränkungen dieser Zustellvollmacht hat der Beschwerdeführer nämlich trotz gegebener Gelegenheit aus Anlass seiner Einvernahme vor der belangten Behörde nicht einmal behauptet. Er hat auch sonst nichts vorgebracht, dass an der Berechtigung des Lucas B, auf Grund eines (nicht weiter eingeschränkten) Nachsendeauftrages Poststücke mit Wirkung für den Beschwerdeführer entgegenzunehmen, zu zweifeln wäre. Soweit der Beschwerdeführer die Verletzung näher bezeichneter Bestimmungen des Zustellgesetzes geltend macht, übersieht er einerseits, dass das Zustellgesetz im Prinzip die Zustellung behördlicher Schriftstücke im Inland regelt, wohingegen für Zustellungen im Ausland die Bestimmung des § 11 Zustellgesetz gilt. Andererseits ist die Erteilung einer Postvollmacht zur Entgegennahme von behördlich zuzustellenden Schriftstücken auch nach den Bestimmungen des Zustellgesetzes nicht ausgeschlossen (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I, § 13 ZustellG unter E 10 ff wiedergegebene Rechtsprechung). Ob eine derartige Zustellvollmacht auch mit einem Nachsendeauftrag kombiniert und die Sendung zur Hinterlegung in ein Postfach eingelegt werden darf, ist Regelungsgegenstand des schweizerischen Postrechts und nicht des Zustellgesetzes. Schließlich kann auch offen bleiben, ob eine nach den schweizerischen postrechtlichen Vorschriften allenfalls zulässige Hinterlegung in einem Postfach die Wirkung einer Zustellung nach dem ZustellG hat, da ein solcher Zustellmangel jedenfalls mit tatsächlicher Übernahme des Poststückes durch den Zustellungsbevollmächtigten nach § 7 ZustellG geheilt wäre, auch dieser Zeitpunkt aber jedenfalls vor dem Zeitpunkt der Übergabe des Poststückes an den Beschwerdeführer läge und der Einspruch sich daher jedenfalls als verspätet erweisen würde.
Dennoch ist die Beschwerde wegen eines vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen des Beschwerdepunktes von Amts wegen aufzugreifenden Verfahrensfehlers im Ergebnis begründet:
Die belangte Behörde hat nämlich unbeachtet gelassen, dass der Beschwerdeführer vorgebracht hat, schon am 2. Februar 2000 nach St. Gallen verzogen zu sein, worüber er einen Niederlassungsausweis vorgelegt hat, der das Zuzugsdatum 2. Februar 2000 bestätigt. Es steht nicht fest, dass der Beschwerdeführer von einem Verfahren bei der Wiener Gebietskrankenkasse betreffend Beitragshaftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG zu diesem Zeitpunkt überhaupt Kenntnis hatte. Nach der Aktenlage (die vollständigen Akten der Wiener Gebietskrankenkasse liegen allerdings nicht vor) hat die Gebietskrankenkasse am 14. März 2000 an den Beschwerdeführer den sogenannten "Haftungsbrief" gerichtet, von dem jedoch nicht festgestellt worden ist, ob und wann er dem Beschwerdeführer überhaupt zugegangen ist. Legt man die mit der vorgelegten Niederlassungsbestätigung übereinstimmenden Behauptungen des Beschwerdeführers zu Grunde, dann wäre aber schon dieses Schreiben an eine Adresse des Beschwerdeführers adressiert gewesen, an der dieser zum Zeitpunkt der Zustellung dieses Schreibens nicht mehr gewohnt hat. Steht aber nicht fest, dass der Beschwerdeführer von einem gegen ihn laufenden Verfahren im Zeitpunkt seiner Übersiedlung nach St. Gallen informiert und die Anschrift in Weinfelden zu diesem Zeitpunkt eine der Gebietskrankenkasse bekannte Abgabestelle iS des § 4 ZustellG gewesen ist (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 20. November 2001, Zl. 2000/09/0018 und vom 20. Juni 2002, Zl. 2000/20/0285), dann war der Beschwerdeführer auch nicht verpflichtet bzw. in der Lage, iS des § 8 des ZustellG seine Übersiedlung der Gebietskrankenkasse bekannt zu geben, sodass auch ein Vorgehen nach § 8 Abs. 2 ZustellG von vornherein nicht in Betracht kommt.
Eine Heilung von allfälligen Zustellmängeln mit der tatsächlichen Übernahme der Postsendung durch den Postbevollmächtigten des Beschwerdeführers iS des § 7 ZustellG setzt daher voraus, dass die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse die Sendung an die Adresse des Beschwerdeführers in Weinfelden senden durfte, maW dass sich noch zum Zeitpunkt des Zustellvorganges am 11. Mai 2000 an dieser Anschrift eine Abgabestelle des Beschwerdeführers befunden hat. Eine Abgabestelle iS des § 4 ZustellG setzt aber u.a. voraus, dass der Beschwerdeführer an dieser Anschrift entweder regelmäßig gewohnt hat oder eine Betriebsstätte besaß. War dies nicht der Fall, dann durfte die Gebietskrankenkasse an dieser Anschrift eine Zustellung nicht verfügen. Eine entgegen den gesetzlichen Bestimmungen an eine Anschrift, an der sich keine Abgabestelle im Sinne des Gesetzes befindet, gerichtete behördliche Postsendung ist im Zweifel auch nicht von einer an dieser Anschrift bestehenden Postvollmacht erfasst, da der Beschwerdeführer, aber auch der Postbevollmächtigte, von vornherein nicht damit rechnen und sich daher auch nicht darauf einrichten mussten, dass an dieser Anschrift Postsendungen eingehen würden, die rechtens an diese Anschrift (mangels regelmäßiger Benutzung durch den Beschwerdeführer für Wohn- oder Beschäftigungszwecke) nicht gerichtet werden dürfen. Diesfalls wäre eine Sanierung der fehlerhaften Zustellung iS des § 7 ZustellG erst mit tatsächlichem Zugang der Postsendung an den Beschwerdeführer eingetreten.
Der Einspruch des Beschwerdeführers könnte daher nur dann als verspätet beurteilt werden, wenn entweder feststünde, dass Lucas B über die Postvollmacht hinaus auch über eine allgemeine Bevollmächtigung zur Empfangnahme von an den Beschwerdeführer gerichteten behördlichen Schriftstücken verfügt hätte, oder dass er ihm das Schriftstück vor dem vom Beschwerdeführer behaupteten Zeitpunkt ausgehändigt hätte, oder wenn erwiesen wäre, dass der Beschwerdeführer am 11. Mai 2000 an der Anschrift in Weinfelden nach wie vor eine Abgabestelle iS des § 4 ZustellG hatte.
Da die belangte Behörde zu keiner dieser Fragen Ermittlungen durchgeführt und entsprechende Feststellungen getroffen hat, erweist sich das Verfahren vor der Behörde als ergänzungsbedürftig.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 1 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Das Mehrbegehren war im Hinblick auf die auch im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof bestehende sachliche Gebührenbefreiung nach § 110 ASVG abzuweisen.
Wien, am 19. Februar 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2002080207.X00Im RIS seit
05.05.2003