TE Vwgh Erkenntnis 2003/2/20 2000/07/0287

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Veröffentlicht am 20.02.2003
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §71 Abs1 Z1;
AVG §71 Abs1;
VwGG §46 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Beck und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Kante, über die Beschwerde des Gotthard J in M, vertreten durch Dr. Dr. Ewald Jenewein und Dr. Gerhard Zimmermann, Rechtsanwälte in Innsbruck, Bürgerstraße 21, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 2. November 2000, Zl. uvs-2000/21/007-1, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Angelegenheit Übertretungen des AWG und des WRG 1959 (weitere Partei: Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck-Land vom 27. Juni 2000 wurde der Beschwerdeführer je einer Übertretung nach dem AWG und nach dem WRG 1959 für schuldig befunden und über ihn hiefür je eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt.

Gegen diese Straferkenntnis erhob der Beschwerdeführer Berufung, welche von der belangten Behörde mit Bescheid vom 8. August 2000 als verspätet (wegen Versäumung der Berufungsfrist) zurückgewiesen wurde.

In der Folge stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Berufung gegen das vorgenannte Straferkenntnis vom 27. Juni 2000 und erhob gleichzeitig Berufung.

In der Begründung dieses Antrages wurde u.a. ausgeführt, der Beschwerdeführer habe seinerzeit zwei Bescheide der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck in die Kanzlei seiner Rechtsvertreter gebracht. Bei beiden Bescheiden habe es sich um solche des Umweltreferates gehandelt, wobei der Bescheid vom 27. Juni 2000 ein Straferkenntnis und der andere Bescheid vom 28. Juni 2000 ein sonstiger Bescheid gewesen sei. Beide Bescheide hätten sich jeweils in einem Kuvert befunden und seien so vom Beschwerdeführer in der Kanzlei abgegeben worden.

Frau S., eine seit Jahren mit Abläufen der Rechtsvertreter vertraute Angestellte, die sich immer als äußerst zuverlässig und besonders umsichtig in Bezug auf die Eintragung von Fristen erwiesen habe, habe die Bescheide übernommen und an jenem Tag den Fristvormerk vorgenommen. Sie habe dazu die Bescheide den Umschlägen entnommen und zunächst jenen Bescheid überprüft, welcher als Zustellvermerk den 30. Juni 2000 getragen habe. Sie habe zu jenem Bescheid die Frist eingetragen. Auf Grund des regen Betriebes an jenem Tag in der Kanzlei habe S. während der Fristeintragung auch noch Telefonate zu vermitteln und Mandanten zu betreuen gehabt. Dabei sei es in der Folge dazu gekommen, dass S. die Umschläge verwechselt habe und den Umschlag des Straferkenntnisses für jenen gehalten habe, auf Grund dessen sie gerade den Fristvormerk durchgeführt habe. Sie habe daher irrtümlich erneut den ersten Umschlag zur Hand genommen und auch zum Straferkenntnis die ab der Zustellung vom 30. Juni 2000 berechnete Frist vorgemerkt. In voller Überzeugung sei S. davon ausgegangen, dass sowohl das Straferkenntnis als auch der (andere) Bescheid an jenem 30. Juni 2000 zugestellt worden seien. Sie habe ihre Meinung dadurch bestätigt gesehen, dass beide Bescheide, sowohl das Straferkenntnis als auch der (andere) Bescheid, jeweils von der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck-Land, Umweltreferat, erlassen worden seien. Beide Bescheide hätten im Kopf auch denselben Bearbeiter ausgewiesen. Bei beiden Bescheiden habe sich als Betreff sowohl der Name des Beschwerdeführers als auch der Hinweis auf das AWG bzw. WRG 1959 befunden.

Auf Grund der Tatsache - so die Begründung des Antrags weiter -, dass es sich bei den Geschäftszahlen um fortlaufende Nummern gehandelt habe, sei Frau S. der Überzeugung gewesen, dass für beide Bescheide der Fristlauf mit dem 30. Juni 2000 begonnen habe. Gestützt sei diese Ansicht auch darauf, dass beide Bescheide unmittelbar hintereinander erlassen worden seien. Da überdies die fortlaufenden Zahlen sehr ähnlich seien, habe sie auch bei der Eintragung der Frist auf dem Umschlag nicht gemerkt, dass sie denselben Umschlag zweimal in die Hand genommen habe. Aus diesem Grund sei sodann der 14. Juli 2000 als letzter Tag der Frist zur Einbringung eines Rechtsmittels sowohl gegen das Straferkenntnis vom 27. Juni 2000 als auch gegen den Bescheid vom 28. Juni 2000 vermerkt worden.

Auch bei der Kontrolle des Fristeintrags durch den ausgewiesenen Vertreter - so die Begründung des Wiedereinsetzungsantrags weiter - habe sich S. im vorgenannten Sinn erklärt. Aus diesem Grunde sei letztlich die Berufung erst am vorgeblich letzten Tag der Frist eingebracht worden. Sowohl der Beschwerdeführer als auch dessen Rechtsvertreter hätten erst auf Grund des Berufungserkenntnisses der belangten Behörde vom 8. August 2000 davon Kenntnis erlangt, dass die Berufung tatsächlich einen Tag verspätet eingebracht worden sei.

Als Bescheinigungsmittel seien eine nicht eidesstättige Erklärung der S. vom 28. August 2000 als auch deren Einvernahme angeboten worden.

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck-Land vom 21. September 2000 wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgewiesen. Die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck begründete - nach Darstellung des Beschwerdeführers in der Beschwerde - ihre Entscheidung u.a. dahin, dass die zur Bescheinigung vorgelegte eidesstättige Erklärung nicht unterzeichnet gewesen sei, weshalb von einer Glaubhaftmachung im Sinne des AVG nicht ausgegangen werden könne, und es "zu überprüfen wäre, ob das Verwechseln der Post als unabwendbares Ereignis mit einem minderen Grad des Versehens zu werten sei."

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 2. November 2000 wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen.

In der Begründung dieses Bescheides wird u.a. ausgeführt, es stehe fest, dass das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck- Land vom 27. Juni 2000 dem Beschwerdeführer am 29. Juni 2000 nachweislich zugestellt worden sei. Die Sekretärin der Rechtsvertreters habe sodann das Ende der Berufungsfrist falsch eingetragen, weil sie irrtümlich der Annahme gewesen sei, dass das Straferkenntnis vom 27. Juni 2000 und der Bescheid vom 28. Juni 2000 am selben Tag zugestellt worden seien, was aber nicht zugetroffen habe. Der Bescheid vom 28. Juni 2000 sei nicht wie das Straferkenntnis am 29. Juni 2000, sondern einen Tag später, am 30. Juni 2000 zugestellt worden. Bei der Verfassung der Berufung gegen das Straferkenntnis vom 27. Juni 2000 habe sich der Rechtsvertreter offensichtlich auf die Richtigkeit des Fristvormerks seiner Sekretärin verlassen und habe die Berufung am 14. Juli 2000, also einen Tag nach Ablauf der Rechtsmittelfrist, verfasst und zur Post gebracht. Spätestens bei Verfassung der Berufungsschrift hätte dem Rechtsvertreter auffallen müssen, dass die Rechtsmittelfrist am 14. Juli 2000 bereits abgelaufen gewesen sei.

Somit treffe nach Ansicht der belangten Behörde nicht nur die Sekretärin des Rechtsvertreters, sondern auch den Rechtsvertreter selbst ein Verschulden an der Fristversäumnis. Gerade die Tatsache, dass nicht einmal dem Rechtsvertreter selbst die Fristversäumnis aufgefallen sei, könne nicht mehr als minderer Grad des Versehens bezeichnet werden. Der Rechtsvertreter habe selbst zugestanden, dass seine Sekretärin, während sie mit dem Fristvormerk beschäftigt gewesen sei, auch noch mit Mandantenverkehr und mit der Entgegennahme von Telefonaten beschäftigt gewesen sei. Nach Ansicht der belangten Behörde handle es sich beim Fristvormerk um eine derart wichtige Tätigkeit, die einen Rechtsanwalt zwingend dazu veranlasse, jene Personen, die mit dem Fristvormerk beschäftigt seien, während der Dauer dieser Tätigkeit von anderen Tätigkeiten frei zu halten, sodass sie in der Lage seien, sich voll und ganz auf die Tätigkeit des Vormerkverkehrs zu konzentrieren. Da dies im gegenständlichen Fall nicht geschehen sei, könne von einem "minderen Grad der Fahrlässigkeit" nicht mehr die Rede sein.

Besonders erschwerend sei in diesem Fall zu werten, dass es dem Rechtsvertreter nicht einmal bei der Verfassung des seinerzeitigen Rechtsmittels aufgefallen sei, dass die Frist für die Einbringung verstrichen sei. Nach Ansicht der belangten Behörde habe die Frist für die Stellung des Antrages auf Wiedereinsetzung gemäß § 71 AVG gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung der Berufung gegen das Straferkenntnis vom 27. Juni 2000 bereits am 14. Juli 2000 begonnen und sei somit spätestens am 28. Juli 2000 abgelaufen. Es sei daher nicht nur die seinerzeitige Berufung vom 14. Juli 2000, sondern auch der Wiedereinsetzungsantrag verspätet gewesen. Da "von den Vorinstanzen" diese Verspätung nicht aufgegriffen worden sei, sei über den bei der belangten Behörde angefochtenen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck-Land vom 21. September 2000 "dennoch noch einmal zu entscheiden", womit für den Beschwerdeführer allerdings nichts gewonnen sei, weil ihm die Glaubhaftmachung des Vorliegens eines nur minderen Grades des Versehens nicht gelungen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der sowohl eine inhaltliche Rechtswidrigkeit als auch Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Vom Beschwerdeführer wird insbesondere eingewendet, die belangte Behörde gehe unter Berufung auf die Ausführungen im Wiedereinsetzungsantrag davon aus, dass es dem Rechtsvertreter selbst bei der behaupteten Kontrolle des Fristeintrags nicht aufgefallen sei, dass die Frist falsch vorgemerkt worden sei. Hiebei handle es sich klar erkennbar lediglich um eine Vermutung der Behörde. Zu diesem Punkt seien keinerlei Ermittlungen durchgeführt. Wenn die belangte Behörde jedoch ihre Entscheidung auf einen gänzlich anderen Sachverhalt stützen wolle, hätte sie jedenfalls ein Ermittlungsverfahren in diesem Sinne durchführen müssen. Bereits im Wiedereinsetzungsantrag sei darauf hingewiesen worden, dass Kontrollen der Fristvermerke durch die Rechtsvertreter durchgeführt worden seien. Überdies habe der Rechtsvertreter in der Berufung nicht näher auf die nunmehr von der belangten Behörde geäußerten Annahmen replizieren können, weil ihm dazu keine Gelegenheit gegeben worden sei. Aus dem angefochtenen Bescheid sei erkennbar, dass die Behörde eine abschließende Beurteilung nicht habe vornehmen können und sie ihre "Beurteilung" auch nicht auf Grund eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens, sondern bloß auf Grund von ihr getroffenen Annahme vorgenommen habe. Es sei nicht auszuschließen, dass die belangte Behörde bei Durchführung der erforderlichen Verfahrensergänzungen zu einem anderen Bescheidergebnis gelangt wäre.

Die belangte Behörde legte Teile der Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 71 Abs. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn:

1. die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder

2. die Partei die Rechtsmittelfrist versäumt hat, weil der Bescheid keine Rechtsmittelbelehrung, keine Rechtsmittelfrist oder fälschlich die Angabe enthält, dass kein Rechtsmittel zulässig sei.

Welche Anforderungen an die organisatorischen Vorkehrungen in einer Anwaltskanzlei und an die Überwachungspflicht gegenüber dem Kanzleipersonal zu stellen sind, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Oktober 1994, Zl. 94/07/0003).

Im vorliegenden Fall handelt es sich nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers bei der fraglichen Kanzleibediensteten um eine bereits seit Jahren in der Kanzlei der Rechtsvertreter tätige und bislang besonders zuverlässige und sorgfältige Kraft. Wenn in einem solchen Fall nach einiger Zeit die Überprüfung der Fristeintragungen und der sonstigen Tätigkeit der Bediensteten auf Stichproben beschränkt wird, dann muss dies nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs als ausreichend angesehen werden (vgl. das vorzitierte hg. Erkenntnis vom 25. Oktober 1994).

Der Beschwerdeführer wies in der Beschwerde ausdrücklich darauf hin, dass die Behörde erster Instanz in ihrer Entscheidung betreffend den Wiedereinsetzungsantrag ausgesprochen habe, es sei noch zu prüfen, ob das Verwechseln der Post als unabwendbares Ereignis mit einem minderen Grad des Versehens zu werten sei. Die belangte Behörde stützte ihre Annahme, es sei dem Rechtsvertreter kein minderer Grad des Versehens zuzubilligen, weil er seiner Überwachungspflicht nicht "in ausreichendem Maße nachgekommen" sei, insbesondere auf Ausführungen im Wiedereinsetzungsantrag selbst, wonach sich die Kanzleiangestellte S. "bei der Kontrolle des Fristeintrages durch den ausgewiesenen Vertreter ... im vorgetragenen Sinn erklärt habe".

Reichen jedoch bei einer bewährten Kanzleikraft, die sich über mehrere Jahre als besonders zuverlässig und sorgfältig erwiesen hat, im Sinne der vorzitierten hg. Judikatur stichprobenartige Kontrollen aus, so kann im Beschwerdefall aus der offenbar nur durch Befragung dieser verlässlichen Kanzleikraft überprüften Richtigkeit eines Fristeintrags durch den Rechtsvertreter für sich allein noch nicht abgeleitet werden, dass den Rechtsvertreter auf Grund dieser Kontrolle bereits ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Maß des Verschuldens träfe, zumal auf der Grundlage der Behauptungen des Wiedereinsetzungsantrages allein - entgegen den von der belangten Behörde zum Verschulden des Rechtsvertreters angestellten Überlegungen - nicht abgeleitet werden kann, dass die Kanzleiorganisation des Rechtsvertreters so gestaltet gewesen sei, dass von einer verlässlichen und langjährig bewährten Kanzleikraft eine ordnungsgemäße Berechnung und Eintragung von Fristen nicht zuverlässig erwartet werden konnte, sodass ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden in diesem Fall gegeben sei. Dass die belangte Behörde diesbezüglich ergänzende Ermittlungen angestellt hätte, ist weder dem angefochtenen Bescheid noch den vorgelegten Verwaltungsakten zu entnehmen. Der Beschwerdeführer zeigt daher mit seiner Rüge, es handle sich bei der von der belangten Behörde diesbezüglich angestellten Feststellungen lediglich um eine Vermutung, zu welcher keinerlei Ermittlungen durchgeführt worden seien, die Wesentlichkeit eines Verfahrensmangels auf.

Die belangte Behörde stützte ihre Entscheidung - anders als die erstinstanzliche Entscheidung - aber auch darauf, dass dem Beschwerdevertreter spätestens im Zeitpunkt der Abfassung der Rechtsmittelentscheidung (am 14. Juli 2000) auffallen hätte müssen, dass das Rechtsmittel verspätet war. Ausgehend von dieser Annahme wäre der Wiedereinsetzungsantrag vom 30. August 2000 jedenfalls verspätet.

Nach § 71 Abs. 2 AVG muss der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs ist von einer "Kenntnis" im Sinne des § 71 Abs. 2 AVG bereits dann auszugehen, sobald die Partei bzw. deren Vertreter die Verspätung des Rechtsmittels bei gehöriger Aufmerksamkeit erkennen konnte und musste (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Juli 2002, Zl. 99/02/0314, m. w.N.).

Das Hindernis an der rechtzeitigen Einbringung der Berufungsfrist war nach den Behauptungen des Wiedereinsetzungsantrages der Irrtum der Kanzleiangestellten bei der Fristeintragung (Verwechslung der Kuverts, welche jeweils offenbar den Zustellvermerk enthielten).

In dem von der belangte Behörde im angefochtenen Bescheid zitierten hg. Erkenntnis vom 21. November 1977, VwSlg. 9.434/A, wird im Zusammenhang mit der von einem Rechtsanwalt vorzunehmenden Kontrolle bei der Fristeintragung u.a. ausgeführt, dass es nicht darum geht, dass man dem Rechtsanwalt zusinnt, in jedem einzelnen Fall die Eintragung seiner Kanzleiangestellten im Terminkalender zu überprüfen, sondern darum, dass man von einem Rechtanwalt wohl erwarten kann, sich bei der Abfassung der Rechtmittelschrift selbst über deren Rechtzeitigkeit oder Verspätung schlüssig zu werden.

Kommt es aber für den Beginn der nach § 71 Abs. 2 AVG zu berechnenden Frist - wie bereits dargestellt - auf die Erkennbarkeit der Verspätung eines Rechtsmittels sowie auf eine "gehörige Aufmerksamkeit" an und geht man im Sinne der obigen Ausführungen davon aus, dass sich die Kontrolle der Kanzleiangestellten durch den Rechtsanwalt auf bloße Stichproben beschränken kann, so wäre es an der belangten Behörde gelegen gewesen, im Rahmen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens den Nachweis dafür zu erbringen, dass dem Rechtsvertreter bereits am Tag der Abfassung des Berufungsschriftsatzes (= am 14. Juli 2000) gegen das Straferkenntnis vom 27. Juni 2000 "bei gehöriger Aufmerksamkeit" erkennbar war oder hätte sein müssen, dass das Rechtsmittel verspätet war. Dass die Behörde diesbezügliche (ergänzende) Ermittlungen angestellt hätte, ist weder dem vorgelegten Verwaltungsakt, noch dem angefochtenen Bescheid zu entnehmen. Aus der Begründung des angefochtenen Bescheides geht auch nicht näher hervor, auf welche sonstigen Ermittlungsergebnisse die belangte Behörde ihre Annahme hätte stützen können, dass diese Voraussetzungen für die Annahme eines verspätet gestellten Wiedereinsetzungsantrages vorgelegen wären.

Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die belangte Behörde bei Vermeidung dieser Verfahrensmängel zu einem anders lautenden Bescheid hätte kommen können, weshalb der angefochtene Bescheid schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war. Es erübrigt sich daher auch auf das weitere Beschwerdevorbringen näher einzugehen.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf §§ 47 ff. VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl II Nr. 501/2001.

Wien, am 20. Februar 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2000070287.X00

Im RIS seit

05.05.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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