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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
FrG 1997 §114 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerde der D in S, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 19. Juni 2000, Zl. Fr 1213/00, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen die Beschwerdeführerin, eine armenische Staatsangehörige, gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.
Zur Begründung dieser Maßnahme verwies sie nach Wiedergabe der anzuwendenden Gesetzesbestimmungen auf folgende rechtskräftige Verurteilungen der Beschwerdeführerin wegen teils versuchten und teils gewerbsmäßig ausgeübten Diebstahls: vom 26. November 1991 zu einer bedingt nachgesehenen Geldstrafe von 80 Tagessätzen; vom 5. Juli 1993 zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen; vom 19. August 1994 zu einer unbedingten Geldstrafe von 120 Tagessätzen und einer bedingt nachgesehenen Geldstrafe von 250 (richtig: 240) Tagessätzen; vom 15. Mai 1995 zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen; vom 24. April 1996 zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von einem Monat; vom 16. April 1997 zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat und vom 20. Dezember 1998 zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen.
Die Beschwerdeführerin - so die belangte Behörde weiter - sei am 17. September 1991 illegal nach Österreich eingereist; ihr Asylantrag sei letztinstanzlich abgewiesen worden. Seit Abweisung der gegen den letztinstanzlichen Asylbescheid erhobenen Beschwerde durch den Verwaltungsgerichtshof am 20. September 1996 halte sie sich unrechtmäßig in Österreich auf. Auf Grund der sieben rechtskräftigen Verurteilungen wegen Ladendiebstahls, der illegalen Einreise und des illegalen Aufenthalts seit 20. September 1996 sei davon auszugehen, dass das Verhalten der Beschwerdeführerin eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstelle. Wegen der Häufigkeit der der Beschwerdeführerin vorgeworfenen Delikte scheine die Prognose nicht möglich, dass sie sich in Hinkunft bessern würde. Diese Annahme werde noch dadurch verstärkt, dass nach Erlassung des ersten Aufenthaltsverbotsbescheides im Herbst 1996 (vom 19. Dezember) die Beschwerdeführerin wiederum einen Ladendiebstahl begangen habe. Ihrer Rechtfertigung, dass sie an Kleptomanie leide, könne nicht nähergetreten werden, weil diese Rechtfertigung erstmals mit Schriftsatz vom 16. November 1999 vorgebracht worden sei. Weder in der Stellungnahme vom 4. Oktober (richtig: Dezember) 1996 zur Einleitung des (ersten) Aufenthaltsverbotsverfahrens noch in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Aufenthaltsverbotsbescheid vom 16. Jänner 1997 sei eine derartige Krankheit behauptet bzw. als Begründung für die Diebstähle angegeben worden. Weiters habe die Beschwerdeführerin auch bei ihren Vernehmungen vor der Gendarmeriebehörde diese nun behauptete Krankheit nicht angegeben. Durch die Verurteilungen sei der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt und es lasse das Verhalten der Beschwerdeführerin in der Vergangenheit den Schluss auf eine besonders sozialschädliche Neigung zur Missachtung österreichischer Rechtsvorschriften zu. Da dem Rechtsgut "fremdes Vermögen" ein besonderes Gewicht zukomme und sowohl die Beschwerdeführerin als auch ihre Familie (Ehemann und zwei Kinder) ohne Aufenthaltsberechtigung in Österreich aufhältig seien, sehe sich die Behörde außer Stande, die Ermessensbestimmung des § 36 Abs. 1 FrG zu ihren Gunsten anzuwenden. Im Hinblick auf die Dauer des inländischen Aufenthalts der Beschwerdeführerin sei von einem Eingriff (auch) in ihr Privatleben auszugehen; dieser sei jedoch insofern zu relativieren, als ihr Aufenthalt lediglich bis zum Abschluss des Asylverfahrens als rechtmäßig anzusehen sei. Trotz der familiären Bindungen zu in Österreich aufhältigen Personen sei das Aufenthaltsverbot zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten und es könne die Beschwerdeführerin wegen der schwerwiegenden Rechtsverletzungen nicht als besonders integriert angesehen werden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
In der Beschwerde werden die von der belangten Behörde festgestellten Verurteilungen der Beschwerdeführerin nicht bestritten und es wird auch der - zutreffenden - Ansicht nicht entgegengetreten, dass dadurch der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 (vierter Fall) FrG erfüllt sei.
Gegen die von der belangten Behörde im Sinn des § 36 Abs. 1 FrG angenommene Gefährlichkeitsprognose bringt die Beschwerde zum einen vor, dass die belangte Behörde die Kleptomanie der Beschwerdeführerin zu wenig berücksichtigt habe, zum anderen die Einstellung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens "in der ersten Runde des Aufenthaltsverbotsverfahrens" und das seitherige Wohlverhalten der Beschwerdeführerin zu wenig gewürdigt habe. Dem ersten Einwand ist entgegenzuhalten, dass die Beschwerde in keiner Weise argumentativ gegen die behördliche Beweiswürdigung über die Verneinung einer Kleptomanie der Beschwerdeführerin auftritt; im Übrigen ist anzumerken, dass das Vorliegen von Kleptomanie einer Gefährlichkeitsprognose nicht entgegensteht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. April 2001, Zl. 98/21/0380). Zum zweiten Einwand ist anzumerken, dass die Gegenstandslosigkeit der Beschwerde gegen den ersten Aufenthaltsverbotsbescheid gemäß § 114 Abs. 7 FrG iVm dem Außerkrafttreten auch des Bescheides der ersten Instanz der neuerlichen Verhängung eines Aufenthaltsverbotes nicht entgegenstand, zumal die belangte Behörde durch das weitere Fehlverhalten der Beschwerdeführerin nach Erlassung eines Aufenthaltsverbotsbescheides ihre Gefährlichkeitsprognose im Sinn des § 36 Abs. 1 FrG aufrecht erhalten durfte; sie hat nun auch - den geänderten gesetzlichen Erfordernissen entsprechend - ihre Ermessensentscheidung ausreichend begründet.
Wenn auch aus den wiederholten Straftaten der Beschwerdeführerin gegen fremdes Vermögen und ihrem seit Abschluss des Asylverfahrens - die vorläufige asylrechtliche Aufenthaltsberechtigung beruhte allerdings auf einem letztlich ungerechtfertigten Asylantrag - unrechtmäßigen Aufenthalt ein beträchtliches öffentliches Interesse an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes mit der belangten Behörde zu bejahen ist, unterlag diese doch einem Rechtsirrtum, indem sie das private Interesse der Beschwerdeführerin an einem Verbleib in Österreich nicht höher gewertet hat als das aus den oben dargestellten Umständen abzuleitende öffentliche Interesse an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes. Die Beschwerdeführerin verfügt nämlich über einen inländischen Aufenthalt seit 1991 und lebt hier mit ihrer Familie. Maßgeblich ist insbesondere, dass sich die Ausweisung ihrer Familienmitglieder, worauf die behördliche Interessenabwägung gestützt wurde, gemäß dem hg. Erkenntnis vom 20. März 2001, Zl. 98/21/0448, wegen der inländischen Integration der Familie als rechtswidrig erwiesen hat.
Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 24. Februar 2003
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2000210143.X00Im RIS seit
05.05.2003