TE Vwgh Erkenntnis 2003/2/24 2000/21/0088

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Veröffentlicht am 24.02.2003
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
30/01 Finanzverfassung;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §17 Abs1;
AVG §76 impl;
FlKonv Art31 Z1;
FrG 1997 §107 Abs1 Z3;
FrG 1997;
F-VG 1948 §2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §47 Abs5;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn): 2000/21/0166 E 17. Juni 2003

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerde des N in Linz, vertreten durch Dr. Christoph Arbeithuber, Rechtsanwalt in 4040 Linz, Ferihumerstraße 31, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 16. Februar 2000, Zl. 3-1238-99, betreffend Übertretung des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein aus dem Kosovo stammender Staatsangehöriger der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien, reiste nach der Aktenlage am 5. Oktober 1998 unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet ein und stellte an diesem Tag einen Asylantrag.

Mit Straferkenntnis vom 17. März 1999 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe sich am 5. Oktober 1998 im Bundesgebiet (Traiskirchen) als passpflichtiger Fremder aufgehalten, ohne im Besitz eines gültigen Reisedokumentes zu sein. Wegen Übertretung des § 107 Abs. 1 Z. 3 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 107 Abs. 1 FrG eine Geldstrafe von S 300,-

- (Ersatzfreiheitsstrafe 18 Stunden) verhängt.

In seiner gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer unter Verweis auf § 20 Abs. 1 AsylG vor, die Asylbehörde habe ihm mit Bescheid vom 11. Jänner 1999 eine bis zum 11. April 1999 befristete und somit zum Zeitpunkt der Erlassung des Straferkenntnisses (19. März 1999) noch aufrechte Aufenthaltsberechtigung nach § 15 AsylG erteilt. Auch Art. 31 Z. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention, der auf seinen Fall anwendbar sei, lasse eine Bestrafung des Beschwerdeführers wegen des ihm angelasteten Delikts nicht zu. Das Vorliegen von Verfolgungssicherheit im Drittstaat bestritt der Beschwerdeführer im Wesentlichen mit dem Hinweis, die Asylbehörde habe einen solchen sicheren Drittstaat nicht namhaft machen können. Er selbst habe bei seiner Flucht oft gar nicht gewusst, in welchen Drittstaaten er überhaupt gewesen sei, jedenfalls sei er aber durch diese nur durchgereist.

Zum Verschulden führte der Beschwerdeführer in seiner Berufung aus, ein "maßgerechter (einsichtiger und besonnener) Mensch" hätte an seiner Stelle nicht anders gehandelt. Der Beschwerdeführer sei wegen seiner albanischen Abstammung und seiner ihm unterstellten politischen Gesinnung aus seiner Heimat geflüchtet, wozu er gleichzeitig auf die Menschenrechtssituation im Kosovo, insbesondere das brutale Vorgehen der serbischen Sicherheitskräfte gegen die albanischstämmige Bevölkerung verwies. Es sei aber geradezu typisches Merkmal einer politisch verdächtigen Person, dass dieser kein Reisepass ausgestellt werde. Ein seine Flucht vorbereitender Fremder werde auch nicht ernsthaft bei seiner Passbehörde die Ausstellung eines Reisedokumentes beantragen, weil er sich damit der Gefahr aussetze, seine Flucht zu vereiteln. Von einem maßgerechten Menschen sei daher nicht zu erwarten, dass er zu einer serbischen Behörde gehe, um sich einen Pass ausstellen zu lassen, wenn er beabsichtige, vor diesen Behörden zu flüchten. Dem Beschwerdeführer komme daher Notstand zugute.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers als unbegründet ab und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid "vollinhaltlich". Nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens und der maßgeblichen Rechtsvorschriften vertrat die belangte Behörde die Auffassung, nicht nur die im § 20 Abs. 1 AsylG genannte Gewährung von Asyl und die Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 15 AsylG würden die Anwendbarkeit des § 107 FrG ausschließen. Vielmehr ergebe sich aus der "ratio legis des AsylG 1997", dass auch der Erteilung einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach § 19 AsylG eine "tatbestandsausschließende Wirkung" in Bezug auf § 107 FrG zukomme. Einem Fremden, der wie der Beschwerdeführer unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet einreise, komme gemäß § 19 Abs. 2 AsylG eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung erst mit der Zuerkennung durch die Behörde zu. Im Tatzeitpunkt habe der Beschwerdeführer (daher) nicht über eine solche Aufenthaltsberechtigung verfügt. Der Beschwerdeführer könne die Unzulässigkeit seiner Bestrafung aber auch nicht auf Art. 31 Z. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention stützen, weil diese Bestimmung voraussetze, dass der Fremde "direkt" aus dem Gebiet komme, wo ihm Verfolgung drohe. Dass diese Voraussetzung im Fall des aus dem Kosovo stammenden Beschwerdeführers nicht zutreffe, ergebe sich einerseits aus den geographischen Gegebenheiten. Andererseits habe der Beschwerdeführer aber auch in Bezug auf die Durchreisestaaten eine dortige Verfolgungsgefahr nicht konkret behauptet. Da die belangte Behörde somit eine unmittelbare Gefährdung der Rechte des Beschwerdeführers sowohl im Tatzeitpunkt als auch im Zeitpunkt des Grenzübertrittes nicht erkennen könne, schieden sowohl die Anwendung des Art. 31 Z 1 der Genfer Flüchtlingskonvention als auch Notstand aus.

Zum Verschulden ergänzte die belangte Behörde, es sei nach dem Gesagten nicht nachvollziehbar, dass die "illegale Einreise" nach Österreich und der "illegale Aufenthalt im Bundesgebiet" die einzige Möglichkeit des Beschwerdeführers gewesen wären, den Verfolgungen in Jugoslawien zu entgehen. Vielmehr eröffne § 17 AsylG Möglichkeiten einer "legalen Einreise" bzw. eines "rechtmäßigen Aufenthaltes".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Der Beschwerdeführer verweist auch in seiner Beschwerde auf die Bestimmung des Art. 31 Z. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention, die der gegenständlichen Bestrafung entgegenstehe. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde sei der Beschwerdeführer "direkt" im Sinn der genannten Bestimmung eingereist, weil er sich bei seiner Flucht "in anderen Ländern nur im Transit" aufgehalten habe.

Was das letztgenannte Vorbringen und die Beurteilung der Voraussetzungen des Art. 31 Z 1 GFK durch die belangte Behörde betrifft, so gleicht der vorliegende Fall jenem, der dem hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2002, Zl. 99/21/0163, zugrunde lag. In diesem Erkenntnis, auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass die Behörde das Vorliegen der "direkten" Einreise im Fall der Behauptung fehlender Verfolgungssicherheit in Staaten des "Transits" nicht ohne entsprechende Feststellungen verneinen darf. Da die belangte Behörde in unrichtiger Beurteilung der Rechtslage solche Feststellungen auch im vorliegenden Fall unterließ, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Im Hinblick darauf, dass durch den angefochtenen Bescheid Bestimmungen eines Bundesgesetzes (FrG) vollzogen wurden, war die Kostenersatzpflicht ausgehend vom Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 29. November 2002, A 9/01, und unter Abgehen von der bisherigen Judikatur des erkennenden Senates dem Bund aufzuerlegen.

Wien, am 24. Februar 2003

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2000210088.X00

Im RIS seit

05.05.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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