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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §71 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Binder-Krieglstein, über die Beschwerde des JA in P, vertreten durch Dr. Paul Fuchs, Rechtsanwalt in 4600 Thalheim bei Wels, Reinberghof 2, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich, Zl. VwSen-240444/2/Gf/An, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis vom 23. Februar 2001 wurde über den Beschwerdeführer wegen einer Verwaltungsübertretung nach dem Lebensmittelgesetz eine Geldstrafe verhängt. Die Strafverfügung wurde nach Zustellversuchen am 28. Februar und 1. März 2001 (nach Ausweis des Rückscheines wurden die Ankündigung eines zweiten Zustellversuches am 28. Februar 2001 und die Verständigung von der Hinterlegung am 1. März 2001 jeweils in den Briefkasten eingelegt) am 1. März 2001 beim Postamt hinterlegt. Die Sendung wurde nicht behoben.
Mit einem am 30. April 2001 bei der Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis eingebrachten Schriftsatz erhob der Beschwerdeführer Einspruch gegen die Strafverfügung, verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er machte geltend, er habe erst durch die am 24. April 2001 erfolgte Zustellung einer Zahlungsaufforderung von der Strafverfügung erfahren. Diese sei ihm bis dato nicht zugestellt worden. In der Nichtzustellung der Strafverfügung liege ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis, an dem den Beschwerdeführer kein Verschulden treffe.
Nach Vorhalt der im Ermittlungsverfahren erhobenen Angaben der Zustellerin, wonach diese sich an die Hinterlassung der Ankündigung und der Hinterlegungsanzeige im Briefkasten des Hauses des Beschwerdeführers genau erinnern könne, brachte der Beschwerdeführer vor, es habe "bislang mit der Zustellungspraxis des Postamtes keine Schwierigkeiten gegeben"; lediglich Ende Februar/Anfang März 2001 sei es zu "mehrfachen Zustellproblemen (gekommen) als in Parallelverfahren, so zum Beispiel einer Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Gmunden, die Ankündigungs- bzw. Hinterlegungsanzeige vom 1. März bzw. 2. März nicht im Briefkasten des Einschreiters hinterlegt wurde. Aus diesem Grund erfolgte auch im Parallelverfahren der Bezirkshauptmannschaft Gmunden die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund des Fehlverhaltens des Zustellorgans". Auch im gegenständlichen Verfahren sei der Beschwerdeführer weder durch eine Ankündigung noch durch eine Hinterlegungsanzeige über die Strafverfügung in Kenntnis gesetzt worden. Es entziehe sich seiner Kenntnis, aus welchen Gründen keine Hinterlegungsanzeigen in seinem Briefkasten deponiert wurden.
Mit Bescheid vom 15. März 2002 wies die Bezirkshauptmannschaft den Antrag auf Wiedereinsetzung ab. Begründend legte die Behörde dar, sie folge den schlüssigen Angaben der Zustellerin über die Einlegung der Ankündigung und der Hinterlegungsanzeige in den Briefkasten des Beschwerdeführers; dem Beschwerdeführer sei es somit nicht gelungen, einen Wiedereinsetzungsgrund glaubhaft zu machen.
Über Berufung des Beschwerdeführers hob der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich diesen Bescheid mit seinem Bescheid vom 11. April 2002 auf. Der Unabhängige Verwaltungssenat vertrat im Wesentlichen die Auffassung, es sei "die Frage, ob im gegenständlichen Fall die Zustellung der Strafverfügung gemäß § 17 Abs. 3 dritter Satz ZuStG oder nach § 17 Abs. 3 letzter Satz ZuStG oder erst zu einem späteren Zeitpunkt im Wege des § 7 ZuStG erfolgt sei, derzeit in Wahrheit noch offen"; die Beantwortung der Frage, wann die Zustellung der Strafverfügung "tatsächlich konkret" erfolgt sei, bilde jedoch eine entscheidende Voraussetzung dafür, die Zulässigkeit bzw. Rechtzeitigkeit des Wiedereinsetzungsantrages zu beurteilen. Zur amtswegigen Ermittlung der entscheidenden Tatsachen sei nicht der UVS, sondern die Behörde erster Instanz berufen.
In der Folge gab der Beschwerdeführer bekannt, er sei sowohl am 1. März 2001 als auch in den anschließenden zwei Wochen an der in Rede stehenden Abgabestelle ortsanwesend gewesen. Die gegenständliche Zustellung wie auch eine Zustellung am 2. März 2001 seien jedoch nicht ordnungsgemäß erfolgt, weil der Beschwerdeführer keine Hinterlegungsanzeigen vorgefunden habe.
Mit Bescheid vom 5. September 2002 wies die Bezirkshauptmannschaft den Wiedereinsetzungsantrag des Beschwerdeführers (neuerlich) ab. Begründend legte sie dar, der Beschwerdeführer sei am 1. März 2001 ortsanwesend gewesen. Die Strafverfügung sei nach einem Zustellversuch und Ankündigung des zweiten Zustellversuches für den 1. März 2001 am 1. März 2001 beim Postamt Gmunden hinterlegt worden.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung machte der Beschwerdeführer im Wesentlichen geltend, die Angaben des "Postbediensteten K.H." (Anmerkung: es handelt sich offenbar um eine Verwechslung mit dem Behördenorgan, das die Vernehmungen der Postbediensteten M.S. durchführte) seien unglaubwürdig, weil sich dieser nur an die Zustellung der Strafverfügung am 1. März 2001 erinnern könne, nicht aber, ob es sich dabei um die Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis oder jene der Bezirkshauptmannschaft Gmunden gehandelt habe. Sollte jedoch den Angaben des Postbeamten Glauben zu schenken sein, könne die Erklärung dafür, dass der Beschwerdeführer "weder den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Gmunden noch den gegenständlichen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Ried bei seiner abendlichen Heimkunft im Briefkasten vorfinden konnte, nur darin liegen, dass beide Strafverfügungen durch dritte Personen entfernt wurden". Daher sei die Durchführung eines Ortsaugenscheines und die Vernehmung des Beschwerdeführers und des Postbediensteten beantragt worden. Hätte die Bezirkshauptmannschaft diese Beweise durchgeführt, hätte sie sich "dahingehend ein Bild machen können, wonach der gegenständliche Briefkasten tatsächlich in offener Form ausgeführt ist. Ebenso hätte das zuständige Postorgan darstellen müssen, in welcher Form die Hinterlegungsanzeige in den Briefkasten geworfen wurde. Es wäre sehr wohl möglich, dass im offen ausgeführten Briefkasten die Hinterlegungsanzeige vom Zustellorgan entweder äußerst schlampig angebracht wurde, sodass bereits ein Windstoß ausgereicht hätte, diese davon zu tragen bzw. wäre es ebenso möglich, dass auf der unmittelbar neben der Haustüre vorbeiführenden Straße Passanten die Hinterlegungsanzeigen sowohl der Zustellung der Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Gmunden als auch der Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis am 1. März 2001 entfernt haben". Weiters wurde darauf verwiesen, dass die Bezirkshauptmannschaft Gmunden bei gleicher Sachlage die Wiedereinsetzung bewilligt habe, und der Beschwerdeführer in seiner Eigenschaft als handelsrechtlicher Geschäftsführer "naturgemäß Adressat von monatlich mehreren Strafverfügungen" und bestrebt sei, "sämtliche Strafverfügungen unverzüglich zu beeinspruchen". Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Begründend wurde die Auffassung vertreten, die Gültigkeit der Zustellung sei nicht "gehindert", wenn es zuträfe, dass der Beschwerdeführer von der Hinterlegungsanzeige keine Kenntnis erlangt habe, weil diese von einem Dritten oder durch einen Windstoß entfernt worden sei. Es sei daher davon auszugehen, dass die Zustellung der Strafverfügung am 1. März 2001 erfolgt und diese mangels rechtzeitigen Einspruches in Rechtskraft erwachsen sei. Die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung lägen nicht vor, weil der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen über die Ausführung seines Briefkastens nicht aufgezeigt habe, dass ihn kein bloß minderer Grad des Versehens an der Fristversäumnis treffe. Wer über einen derart ausgestalteten offenen Briefkasten verfüge, dass eine darin zurückgelassene Sendung unschwer durch vorbeigehende Personen, ja sogar schon durch bloße Witterungseinflüsse entfernt werden könnte, der riskiere nämlich geradezu systembedingt, dass er nicht von allen Sendungen vollständig Kenntnis erlange.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht. Der Beschwerdeführer erachtet sich im Recht verletzt, dass seinem Wiedereinsetzungsantrag stattgegeben werde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die Ablehnung, in eventu die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG (hier: iVm § 24 VStG) ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Die Beschwerde macht als Verfahrensmangel geltend, die belangte Behörde habe die Durchführung eines Ortsaugenscheines unter Beiziehung des "Postbeamten K.H." sowie die Beischaffung eines näher bezeichneten Aktes der Bezirkshauptmannschaft Gmunden unterlassen. Bei Durchführung dieser Beweise hätte sie feststellen können, dass am Tag der Zustellung der gegenständlichen Strafverfügung eine weitere Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Gmunden zugestellt worden sei. Beide Zustellungen seien nicht korrekt erfolgt. Die Bezirkshauptmannschaft Gmunden habe daher die Wiedereinsetzung bewilligt. Der Postbeamte hätte zugestehen müssen, dass er nur einen RSa-Brief am 1. März 2001 zugestellt habe. Davon ausgehend hätte nicht festgestellt werden können, ob die gegenständliche Strafverfügung dem Beschwerdeführer zugekommen sei. Weiters wäre bewiesen worden, dass der Briefkasten am Haus des Beschwerdeführers ein handelsübliches Modell sei, das an der Oberseite einen 1 bis 2 cm breiten, ca. 10 bis 15 cm langen Einwurfschlitz aufweise.
Unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit des Inhaltes wendet sich die Beschwerde gegen die Annahme der belangten Behörde, in der Anbringung des vom Beschwerdeführer bezeichneten "offenen Briefkastens" durch eine Person, die nach eigenem Vorbringen" naturgemäß Adressat von monatlich mehreren Strafverfügungen" sei, liege ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden an der Fristversäumung. Die Beschwerde bringt - neben der Wiederholung der oben wiedergegebenen Hinweise auf die Beschaffenheit des Briefkastens - vor, der Beschwerdeführer sei als Geschäftsführer Monat für Monat Adressat von unzähligen anderen Schriftstücken, die allesamt - mit Ausnahme des Zustellvorganges vom 1. März 2001 - in den letzten 15 Jahren korrekt zugestellt worden seien. Die Anbringung eines Briefkastens mit einem nach oben offenen Einwurfschlitz stelle auch nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kein schuldhaftes Verhalten dar.
Diese Darlegungen zeigen nicht auf, dass der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid im Recht auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung des Einspruches gegen die Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis vom 23. Februar 2001 verletzt worden wäre.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat eine Partei, die einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung einer Frist stellt, den behaupteten Wiedereinsetzungsgrund im Wiedereinsetzungsantrag glaubhaft zu machen (vgl. hiezu die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, § 71 AVG, E 299 referierte hg. Rechtsprechung). Das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen ist nur im Rahmen der Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers zu untersuchen. Fehlt es schon nach diesen Behauptungen an einer Fristversäumnis, so wurde der Wiedereinsetzungsantrag im Ergebnis zutreffend abgewiesen (Walter/Thienel, aaO, E 4 bis 6). An den im Antrag vorgebrachten Grund bleibt die Partei gebunden. Das Auswechseln des Wiedereinsetzungsgrundes im Stadium der Berufung käme der Stellung eines neuerlichen, aber anders begründeten Antrages auf Wiedereinsetzung gleich, der außerhalb der Wiedereinsetzungsfrist erfolgte und daher unbeachtlich wäre (vgl. Walter/Thienel aaO, E 8 bis 10).
Im Wiedereinsetzungsantrag vom 30. April 2001 hatte der Beschwerdeführer seinen Antrag darauf gestützt, dass ihm die Strafverfügung niemals zugestellt worden sei. Erst durch die Zustellung einer Zahlungsaufforderung am 24. April 2001 habe er von der Erlassung einer Strafverfügung erfahren.
Darin liegt die Behauptung, der Beschwerdeführer habe die Einspruchsfrist nicht versäumt, weil die den Fristenlauf auslösende Zustellung noch gar nicht stattgefunden habe. Mit einer solchen Behauptung wird kein Wiedereinsetzungsgrund geltend gemacht (vgl. Walter/Thienel aaO, E 30 bis 34); dies wäre selbst dann der Fall, könnten die Behauptungen des Beschwerdeführers im Wiedereinsetzungsantrag in Richtung einer beim Zustellvorgang unterlaufenen Gesetzwidrigkeit gedeutet werden (vgl. Walter/Thienel aaO, E 34, 130, 131).
Träfe die im Wiedereinsetzungsantrag vorgetragene Behauptung des Beschwerdeführers zu, dass ihm die Strafverfügung "bis dato nicht zugestellt" worden sei, wäre der Einspruch am 30. April 2001 rechtzeitig erhoben worden; eine Fristversäumung im Sinne des § 71 Abs. 1 AVG läge nicht vor.
Auf nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist geltend gemachte Wiedereinsetzungsgründe hatte die Behörde nicht einzugehen; der Wiedereinsetzungsantrag wurde somit im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
Eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob die in der Berufung gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft vom 5. September 2002 enthaltenen Darlegungen, wonach "beide Strafverfügungen" (gemeint vermutlich: die Ankündigung eines weiteren Zustellversuches und die Hinterlegungsanzeige) von Passanten entfernt oder von einem Windstoß davon getragen worden sein könnten, geeignet gewesen wären, eine taugliche Begründung für einen Wiedereinsetzungsantrag darzustellen, erübrigt sich; dieses Vorbringen stellt eine unzulässige Auswechslung des Wiedereinsetzungsgrundes nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist dar.
Es ist daher auch ohne Bedeutung, ob die im erwähnten Zusammenhang von der belangten Behörde vertretene, von der Beschwerde bekämpfte Auffassung, die Anbringung eines "offenen Briefkastens" begründe unter den Umständen des Beschwerdefalles ein grobes Verschulden an der Fristversäumung, dem Gesetz entspricht.
Die Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 25. Februar 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2002100223.X00Im RIS seit
05.05.2003Zuletzt aktualisiert am
12.05.2015