TE Vwgh Erkenntnis 2003/2/26 98/13/0091

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Veröffentlicht am 26.02.2003
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Index

32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

BAO §119 Abs1;
BAO §236 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Hargassner, Mag. Heinzl, Dr. Fuchs und Dr. Büsser als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Ginthör, über die Beschwerde der G GmbH in W, vertreten durch Mag. Werner Suppan, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Huttengasse 71-75, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 27. Jänner 1997, Zl. GA 7 - 1478/2/96, betreffend Abgabennachsicht, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdefall steht im Zusammenhang mit den unter der Bezeichnung "Vorsteuerschwindel des Werner Rydl" durch zahlreiche Medienberichte und Publikationen in der Öffentlichkeit bekannten Vorgängen.

Mit Schriftsatz vom 6. Dezember 1995 stellte die Beschwerdeführerin den Antrag auf Nachsicht gemäß § 236 BAO hinsichtlich eines Betrages von rund S 4 Millionen. Mit diesem Betrag an "als nicht abzugsfähig anerkannter Vorsteuer", entsprechenden Säumniszuschlägen sowie Aussetzungszinsen sei sie "belastet" worden. Begründend machte die Beschwerdeführerin sachliche und persönliche Unbilligkeit der Einhebung geltend.

Das Finanzamt wies den Antrag im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass die der Beschwerdeführerin in Rechnung gestellten "Leistungen" tatsächlich nicht ausgeführt worden seien bzw. über die tatsächlich ausgeführten Lieferungen keine Rechnungen im Sinne des § 11 Abs. 1 UStG hätten vorgewiesen werden können. Die Versagung des Vorsteuerabzuges sei somit auf die Auswirkung einer generellen Norm zurückzuführen, weswegen eine sachliche Unbilligkeit in der "Abgabeneinhebung" nicht gegeben sei. Auch eine persönliche Unbilligkeit, hinsichtlich welcher es die Aufgabe der Antragstellerin sei, einwandfrei und unter Ausschluss jeglichen Zweifels das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf welche die Nachsicht gestützt werden soll, liege nicht vor. Die Beschwerdeführerin habe im Übrigen in keiner Weise dargetan, welche Anstrengungen sie bisher unternommen habe, den behaupteten Vermögensschaden beim Initiator des Vorsteuerbetruges im Regressweg geltend zu machen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die dagegen erhobene Berufung ab. Die Beschwerdeführerin habe im Jahr 1992 und im Voranmeldungszeitraum 1-7/1993 Vorsteuerbeträge aus Eingangsrechnungen einer U-GmbH für die Lieferung von "DPF-Sinterwerkstoffen" geltend gemacht. Tatsächlich seien aber keine hochwertigen Sinterwerkstoffe, sondern wertloses Material eingekauft worden. Mangels entsprechender Rechnungen im Sinne des § 11 Abs. 1 Z 3 UStG sei daher der Vorsteuerabzug zu versagen gewesen. Die Verweigerung des Vorsteuerabzuges stelle sich somit als Auswirkung einer generellen Norm, nämlich des § 12 UStG dar, weshalb eine sachliche Unbilligkeit nicht vorliege. Eine solche Verweigerung des Vorsteuerabzuges sei vom Vorliegen eines Verschuldens unabhängig. Die Beschwerdeführerin habe aber auch eine hinreichende Darstellung ihrer maßgeblichen wirtschaftlichen Verhältnisse im Sinne der sie in einem Nachsichtsverfahren treffenden erhöhten Mitwirkungspflicht unterlassen, sodass auch dem Vorbringen zu einer persönlichen Unbilligkeit nicht gefolgt werden könne.

Der Verfassungsgerichtshof hat die Behandlung der von der Beschwerdeführerin gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom 24. Februar 1998, B 573/97-3, abgelehnt und sie über gesonderten Antrag gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach Lage des Falles unbillig wäre. Die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach der Lage des Falles ist tatbestandsmäßige Voraussetzung für die im § 236 BAO vorgesehene Ermessensentscheidung. Verneint die Abgabenbehörde die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt Unbilligkeit der Einhebung im Allgemeinen voraus, dass die Einhebung in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zu jenen Nachteilen stünde, die sich aus der Einziehung für den Steuerpflichtigen oder für den Steuergegenstand ergeben. Die Unbilligkeit kann "persönlich" oder "sachlich" bedingt sein. Eine "persönliche" Unbilligkeit liegt insbesondere dann vor, wenn die Einhebung der Abgaben die Existenzgrundlagen des Nachsichtswerbers gefährdete. Allerdings bedarf es zur Bewilligung einer Nachsicht (aus persönlichen Gründen) nicht unbedingt der Existenzgefährdung oder besonderer finanzieller Schwierigkeiten und Notlagen, sondern es genügt, dass die Abstattung der Abgabenschuld mit wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, die außergewöhnlich sind, so etwa wenn die Abstattung trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Veräußerung von Vermögenschaften möglich wäre und diese Veräußerung einer Verschleuderung gleichkäme. Eine sachliche Unbilligkeit ist anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt. Jedenfalls muss es zu einer anormalen Belastungswirkung und - verglichen mit ähnlichen Fällen - zu einem atypischen Vermögenseingriff kommen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Mai 1994, 92/13/0129).

Im Nachsichtsverfahren liegt das Hauptgewicht der Behauptungs- und Beweislast beim Nachsichtswerber. Ihm obliegt es im Sinne seiner Mitwirkungspflicht, einwandfrei und unter Ausschluss jeglichen Zweifels das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf welche die Nachsicht gestützt werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. September 1992, 91/13/0225).

Vor diesem Hintergrund ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdeführerin, insoweit sie die Ansicht vertritt, die belangte Behörde habe das ihr eingeräumte Ermessen nicht gesetzmäßig ausgeübt, übersieht, dass die belangte Behörde infolge Verneinung einer sachlichen und persönlichen Unbilligkeit auf dem Boden der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Ermessen nicht zu üben hatte.

In weiterer Folge bringt die Beschwerdeführerin vor, § 236 BAO solle die Möglichkeit bieten, die formale Strenge des Gesetzes in solchen Fällen aufzubrechen und zu entschärfen, in denen die "Einziehung" gemessen am Regelungsziel und -zweck unbillig erscheine. Sie zeigt aber nicht auf, inwiefern es im gegenständlichen Fall zu einer - verglichen mit anderen Fällen der Verweigerung des Vorsteuerabzuges wegen Fehlens einer zum Vorsteuerabzug berechtigenden Rechnung im Sinne des § 12 UStG - atypischen Belastungswirkung und zu einem vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigten Ergebnis gekommen ist. Entspricht es doch dem Regelungsziel und -zweck des § 12 UStG, dass eine Vorsteuer nur bei Vorliegen einer ordnungsmäßigen Rechnung abgezogen werden kann.

Soweit sich die Beschwerdeführerin in ihrem ergänzenden Schriftsatz vom 8. Juli 1998 darauf beruft, dass die belangte Behörde neben weiteren Erhebungen hätte berücksichtigen müssen, dass hinsichtlich des Umsatzsteuerverfahrens eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof anhängig sei, ist darauf hinzuweisen, dass der Verfassungsgerichtshof die Behandlung dieser Beschwerde bereits mit Beschluss vom 8. Oktober 1997, B 4035/95, abgelehnt hat und das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof zu diesem Zeitpunkt nicht mehr anhängig war. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Übrigen die antragsgemäß an ihn abgetretene Beschwerde mit Erkenntnis vom 22. Juni 2001, 98/13/0043, abgewiesen.

Die Rüge, die belangte Behörde habe es verabsäumt, insbesondere die Einvernahmen des Geschäftsführers der Beschwerdeführerin und deren steuerlichen Vertreters durchzuführen, ist schon deswegen verfehlt, weil ein entsprechender Antrag im Verwaltungsverfahren nicht gestellt worden war. Der Hinweis in dem vom steuerlichen Vertreter formulierten Antrag auf Nachsicht, dass "meine Mandantschaft und ich für eine persönliche Erörterung des Falles sowie alle weiteren denkbaren Auskünfte jederzeit zur Verfügung stehen", stellt einen solchen Antrag nicht dar. Davon abgesehen hat - wie oben ausgeführt - in einem Nachsichtsverfahren der Antragsteller (die Antragstellerin) einwandfrei und unter Ausschluss jeglichen Zweifels das Vorliegen jener Umstände, auf welche die Nachsicht gestützt werden kann, darzutun, und zwar von sich aus, ohne dass es noch gesonderter Aufforderungen bedarf. Inwiefern mit der Verweigerung des Vorsteuerabzuges (oder mit der Einhebung des damit in Verbindung stehenden Säumniszuschlages und entsprechender Aussetzungszinsen) aber wirtschaftliche Auswirkungen verbunden gewesen wären, die unter den oben angeführten Voraussetzungen für eine persönliche Unbilligkeit einer "Abgabeneinhebung" gesprochen hätten, hat die Beschwerdeführerin nicht näher ausgeführt.

Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl II Nr 501/2001.

Wien, am 26. Februar 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:1998130091.X00

Im RIS seit

05.05.2003

Zuletzt aktualisiert am

23.09.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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