RS OGH 1977/5/31 5Ob306/76, 4Ob32/79

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Veröffentlicht am 31.05.1977
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Norm

KO aF §68
KO §69

Rechtssatz

Der Begriff der Zahlungsunfähigkeit kann nur aus der Teleologie des Insolvenzrechtes verstanden werden. Aufgabe des Konkursrechtes ist es, die individualistische gestaltete Privatrechtsverfolgung der Exekutionsordnung, bei der Kollisionen mehrerer Gläubiger nach der dinglichen Rangordnung geschlichtet werden, sodaß ein unzureichender Befriedigungsfonds in aller Regel auch zu einer ungleichen, wenn nicht überhaupt völlig einseitigen Gläubigerbefriedigung führt, durch das nach sozialen Gesichtspunkten gestaltete System der gleichmäßigen Befriedigung aller unversicherten (nicht aussonderungsberechtigten oder absonderungsberechtigten) Gläubiger aus dem zu diesem Zweck herangezogenen gesamten exekutionsfähigen Vermögen des Schuldners abzulösen. Die Konkursordnung erachtet diesen Grundsatzwechsel mit dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit - der es bei juristischen Personen und Verlassenschaften die Überschuldung wirkungsmäßig gleichstellt - des Schuldners mehrerer Gläubiger geboten, wenn ein auf die Verfahrenseröffnung gerichteter Antrag vorliegt. Wenn das Gesetz diesen Grundsatzwechwsel für die Verfolgung der Gläubigeransprüche nur bei juristischen Personen und Verlassenschaften auch auf den Zeitpunkt des Eintrittes der Überschuldung festlegt und die bloße Überschuldung der natürlichen Person dafür nicht als ausreichend erachtet, so liegt die Rechtfertigung für diese differenzierte Behandlung darin, daß die persönliche Leistungsfähigkeit der natürlichen Person (ihre Arbeitskraft und geschäftliche Tüchtigkeit) bei der Beurteilung der Befriedigungsaussichten der Gläubiger eine wesentliche Rolle spielen kann, während die Zahlungsfähigkeit von juristischen Personen und Verlassenschaften ausschließlich auf ihrem Aktivvermögen beruht, sodaß bei ihrer Überschuldung der sichere Eintritt der Zahlungsunfähigkeit anzunehmen ist. Bei natürlichen Personen kann die bloße Überschuldung allein nicht Konkurseröffnungsgrund sein, weil sie nicht auch schon die Zahlungsunfähigkeit mit sich ziehen muß. Richtet man jedoch den Begriff der Zahlungsunfähigkeit auf den dargelegten Konkurszweck aus, dann kommt der Überschuldung auch der natürlichen Person für den Schluß auf ihre Zahlungsunfähigkeit sehr wesentliche Bedeutung zu: Wenn nämlich aus dem Verhältnis der verfügbaren Mittel des Schuldners - zu denen in der Regel seine persönliche Leistungskraft, aber auch sein Kredit zu zählen sind - zur vorhandenen Schuldbelastung nach der allgemeinen Lebenserfahrung angenommen werden muß, daß er seine Verbindlichkeiten gegenüber fordernden Gläubigern in absehbarer Zeit nicht wird erfüllen können, weil als Deckungsfonds im wesentlichen nur sein vorhandenes Aktivvermögen in Betracht zu ziehen ist, dann muß vom Konkurszweck her gesehen, die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners angenommen werden.

Entscheidungstexte

  • 5 Ob 306/76
    Entscheidungstext OGH 31.05.1977 5 Ob 306/76
    Veröff: EvBl 1978/4 S 19 = JBl 1978,158 (mit Anmerkung von Sprung)
  • 4 Ob 32/79
    Entscheidungstext OGH 08.05.1979 4 Ob 32/79
    nur: Bei natürlichen Personen kann die bloße Überschuldung allein nicht Konkurseröffnungsgrund sein, weil sie nicht auch schon die Zahlungsunfähigkeit mit sich ziehen muß. Richtet man jedoch den Begriff der Zahlungsunfähigkeit auf den dargelegten Konkurszweck aus, dann kommt der Überschuldung auch der natürlichen Person für den Schluß auf ihre Zahlungsunfähigkeit sehr wesentliche Bedeutung zu: Wenn nämlich aus dem Verhältnis der verfügbaren Mittel des Schuldners - zu denen in der Regel seine persönliche Leistungskraft, aber auch sein Kredit zu zählen sind - zur vorhandenen Schuldbelastung nach der allgemeinen Lebenserfahrung angenommen werden muß, daß er seine Verbindlichkeiten gegenüber fordernden Gläubigern in absehbarer Zeit nicht wird erfüllen können, weil als Deckungsfonds im wesentlichen nur sein vorhandenes Aktivvermögen in Betracht zu ziehen ist, dann muß vom Konkurszweck her gesehen, die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners angenommen werden. (T1)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1977:RS0065038

Dokumentnummer

JJR_19770531_OGH0002_0050OB00306_7600000_025
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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