Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
StVO 1960 §16 Abs2 lita;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Holeschofsky und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. König, über die Beschwerde des ML in Wien, vertreten durch Dr. Wolfgang Rumpl, Rechtsanwalt in 2340 Mödling, Babenbergergasse 7/3/16, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich, Außenstelle Zwettl, vom 23. Mai 2002, Zl. Senat-ZT-02-3005, betreffend Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, dass er
1. am 19. Juli 2001, um 16.08 Uhr, auf der B 36, zwischen Str.km 65,0 und Str.km 65,2 im Gemeindegebiet von Z, bei der Fahrt in Richtung G beim Lenken eines dem Kennzeichen nach bestimmen Personenkraftwagens bei einer Fahrgeschwindigkeit von ca. 100 km/h nur einen Nachfahrabstand von ca. 5 m, somit keinen solchen Abstand vom nächsten vor ihm fahrenden Fahrzeug eingehalten habe, dass ihm jederzeit das rechtzeitige Anhalten möglich gewesen wäre, auch wenn das vordere Fahrzeug plötzlich abgebremst worden wäre;
2. am 19. Juli 2001, um 16.09 Uhr, auf der B 36, auf Höhe Str.km 66,4, im Gemeindegebiet von Z, bei der Fahrt in Richtung G beim Lenken desselben Personenkraftwagens auf einer durch eine Fahrbahnkuppe unübersichtlichen Straßenstelle überholt habe, obwohl die Fahrbahn nicht durch eine Sperrlinie geteilt sei;
3. am 19. Juli 2001, um 16.09 Uhr, auf der B 36, auf Höhe Str.km 66,4, im Gemeindegebiet von Z, bei der Fahrt in Richtung G beim Lenken dieses Personenkraftwagens einen Pkw überholt habe, wobei der Lenker des überholten Fahrzeuges dadurch gefährdet und behindert worden sei, weil dieser sein Fahrzeug habe stark abbremsen und nach rechts auslenken müssen und
4. am 19. Juli 2001, um 16.09 Uhr, auf der B 36, auf Höhe Str.km 66,4, im Gemeindegebiet von Z, bei der Fahrt in Richtung G beim Lenken dieses Personenkraftwagens einen Pkw überholt und dabei nach dem Überholen beim Zurücklenken auf den rechten Fahrstreifen den Fahrstreifen gewechselt habe, ohne sich davon überzeugt zu haben, dass dies ohne Gefährdung und Behinderung anderer Straßenbenützer möglich sei, weil der überholte Fahrzeuglenker sein Fahrzeug habe stark abbremsen und nach rechts auslenken müssen.
Wegen Übertretung des
1. § 18 Abs. 1 StVO wurde gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960 eine Geldstrafe von EUR 36,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 30 Stunden);
2. § 16 Abs. 2 lit. b StVO wurde gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960 eine Geldstrafe von EUR 72,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 60 Stunden);
3. § 16 Abs. 1 lit. a StVO wurde gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960 eine Geldstrafe von EUR 72,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 60 Stunden) und
4. § 11 Abs. 1 StVO wurde gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960 eine Geldstrafe von EUR 72,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 60 Stunden)
verhängt.
Die belangte Behörde stützte sich zur Feststellung des als erwiesen angenommenen Sachverhaltes auf die Aussagen von zwei Gendarmeriebeamten, die in der am 17. April 2002 auf der B 36 bei Str.km 66,4 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung einvernommenen worden waren und die eigene Wahrnehmung des Verhandlungsleiters zur baulichen Ausgestaltung der Tatörtlichkeit.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer rügt, der angefochtene Bescheid folge in den Punkten 2., 3. und 4. nicht den "logischen Denkgesetzen", weil der Beschwerdeführer "exakt um 16.09 Uhr exakt bei Str.km 66,4 einerseits ein anderes Fahrzeug überholt haben, andererseits aber diesen Überholvorgang bereits abgeschlossen gehabt" haben solle. Damit verkennt der Beschwerdeführer, dass die örtliche Umschreibung "auf Höhe Str.km 66,4" keinen exakten Punkt bezeichnen kann, sondern eine bei "Str.km 66,4" gelegene Wegstrecke. Denn wie der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach erkannt hat, liegt es in der Natur der Sache, dass ein Überholvorgang eine längere Wegstrecke in Anspruch nimmt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. August 1994, Zl. 94/02/0237). Die Uhrzeit "16.09" umfasst - selbst bei strengstem Verständnis - einen Zeitraum von 60 Sekunden, in welchem - wie die belangte Behörde in der Gegenschrift richtig vermerkt - ein Überholvorgang begonnen und zu Ende geführt werden kann.
Jedoch rügt der Beschwerdeführer zu Recht die Unterlassung der Einvernahme der von ihm bereits in seiner Berufung beantragten Zeugin Maria H.
Diese Zeugin wurde von der belangten Behörde zwar zur mündlichen Verhandlung geladen, sie entschuldigte sich aber, ihre Entschuldigung wurde von der belangten Behörde offenbar akzeptiert und die beantragte Einvernahme nicht nachgeholt. Im angefochtenen Bescheid findet sich keine Begründung dafür, warum die belangte Behörde auf die Einvernahme der Zeugin verzichtet hat.
In der Berufung hat der Beschwerdeführer folgende Gegendarstellung zum Tatvorwurf vorgebracht:
"Grundsätzlich zutreffend ist, dass Herr L" (das ist der Beschwerdeführer) "am 19.7.2001 den PKW mit dem Kennzeichen ... kurz nach 16 Uhr auf der B 36 in Fahrtrichtung G gelenkt hat. Allerdings erweist sich die Darstellung wie sie von der Behörde aus der Anzeige ohne Beweisaufnahme übernommen wurde als vollkommen unmöglich. Der Beschuldigte hatte mit einer Fahrgeschwindigkeit von ca. 70 km/h eine Kolonne von 4 Fahrzeugen, die relativ langsam unterwegs war, überholt. Unter diesen Fahrzeugen erkannte der Beschuldigte auch ein Gendarmeriefahrzeug. In der Folge hatte der Beschuldigte freie Fahrt und hat er zu keinem anderen Fahrzeug aufgeschlossen. Herr L ist daher weder mit 100 km/h gefahren noch konnte er überhaupt zu einem anderen Fahrzeug einen zu geringen Sicherheitsabstand einhalten.
Weiters hat Herr L auch bei keiner Fahrbahnkuppe, die unübersichtlich ist, überholt. Die Fahrbahn ist in dem Bereich, wo die Übertretung begangen worden sein soll, 4-spurig und auch nirgends unübersichtlich. Selbst wenn er in diesem Bereich überholt haben sollte war dies auf Grund der einschlägigen Bestimmungen der StVO durchaus zulässig.
Da vom Beschuldigten, abgesehen von der vorhin angesprochenen Fahrzeugkolonne, keine anderen Fahrzeuge überholt wurden, konnte er auch keine anderen Fahrzeuglenker zum starken Abbremsen und nach rechts Auslenken veranlassen."
Zum Beweis für dieses Sachverhaltsvorbringen nannte er Maria H als Zeugin.
Entgegen der von der belangten Behörde in der Gegenschrift vertretenen Ansicht bezog sich das Sachverhaltsvorbringen des Beschwerdeführers in der Berufung jedenfalls auch auf die ihm angelasteten Tatbestände; auch war der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren nicht verpflichtet, über die konkrete Benennung des Beweisthemas hinausgehend auch anzugeben, aus welcher (örtlichen) Position die Zeugin die Wahrnehmungen gemacht habe. Es ist deshalb nicht entscheidungsrelevant, dass der Beschwerdeführer erst in der Beschwerde behauptet hat, dass die Zeugin "in einem anderen Fahrzeug hinter dem vom BF gelenkten PKW nachgefahren" sei.
Bei Einvernahme der beantragten Zeugin wäre es nicht ausgeschlossen, dass die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können. Da somit Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am 28. Februar 2003
Schlagworte
Spruch der Berufungsbehörde Änderungen des Spruches der ersten InstanzEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2002020165.X00Im RIS seit
05.05.2003