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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
ABGB §1332;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2003/02/0025Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Holeschofsky und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. König,
1.) über den Antrag des RB in Wien, vertreten durch Dr. Manfred Müllauer, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Wohllebengasse 16, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 8. August 2002, Zl. UVS-03/V/42/6902/2002/2, betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiederaufnahme eines Verfahrens i. A. Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960 und des Führerscheingesetzes, und 2.) in dieser Beschwerdesache, den Beschluss gefasst:
Spruch
1.) Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.
2.) Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Begründung
1.) Der angefochtene Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 30. August 2002 zugestellt. Der Beschwerdeführer stellte fristgerecht einen Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe. Mit hg. Beschluss vom 8. November 2002 wurde dem Beschwerdeführer die Verfahrenshilfe bewilligt. Der Bescheid über die Bestellung von Rechtsanwalt Dr. M. vom 2. Dezember 2002 zum Vertreter für den Beschwerdeführer wurde dem Rechtsanwalt am 16. Dezember 2002 zugestellt. Die dadurch ausgelöste Frist zur Erhebung der Beschwerde endete am 27. Jänner 2003.
Mit dem vorliegenden, am 28. Jänner 2003 zur Post gegebenen Antrag begehrt der Antragsteller die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der genannten Frist mit folgender Begründung:
"Der einschreitende Rechtsanwalt hat nach Verfassung des Schriftsatzes durch einen Konzipienten diesen korrigiert (per Diktat), auf Nachfrage am 24.01.2003 wurde seitens der ansonsten sehr zuverlässigen Kanzleileiterin GB die Auskunft erteilt, dass der Schriftsatz schon weggegangen sei. Dabei handelt es sich jedoch bei Frau B um eine Verwechslung, weil ein anderer Schriftsatz betreffend den gleichen Herrn B (Anm.: der Beschwerdeführer) von ihr tags zuvor abgefertigt wurde. In der Hektik des Kanzleigeschehens kam es zu dieser Verwechslung. Da es sich um einmaliges geringfügiges Versehen der Kanzleileiterin handelt und der Rechtsanwalt nach Korrektur die Frage an die Kanzleileiterin gerichtet hatte, ob der Schriftsatz rechtzeitig weggegangen sei, handelt es sich um einen minderen Grad des Versehens."
Im gegenständlichen Fall wird somit nicht behauptet, dass der Vertreter des Beschwerdeführers die "per Diktat" vorgenommene Korrektur des Schriftsatzes vor seiner "Nachfrage" am 24. Jänner 2003 noch kontrolliert und den Beschwerdeschriftsatz unterschrieben hätte. Dafür spricht auch die vorliegende Form des "Wiedereinsetzungsantrages" samt "Bescheidbeschwerde", datiert mit 28. Jänner 2003.
§ 46 VwGG lautet (auszugsweise):
"Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
(1) Wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
..."
Die Bewilligung der Wiedereinsetzung gemäß § 46 Abs. 1 VwGG setzt voraus, dass der Partei kein den "minderen Grad des Versehens" übersteigendes Verschulden vorzuwerfen ist.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes trifft das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei. Dabei stellt ein dem Vertreter widerfahrenes Ereignis einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei nur dann dar, wenn dieses Ereignis für den Vertreter selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und dem Vertreter höchstens ein minderer Grad des Versehens vorzuwerfen ist. Ein Verschulden, das über den minderen Grad des Versehens hinausgeht, schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber bzw. sein Vertreter darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, somit die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt in dieser Weise außer Acht gelassen haben (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 26. April 2002, Zl. 2002/02/0062).
Mit den oben wiedergegebenen Ausführungen zeigt der Antragsteller nicht auf, dass seinem Vertreter nur ein den minderen Grad des Versehens nicht übersteigendes Verschulden vorzuwerfen sei. Zwar darf ein Rechtsanwalt die Vornahme bestimmter Arbeitsgänge innerhalb seiner Kanzlei, wie etwa das Kuvertieren oder die Postaufgabe seinen Kanzleiangestellten überlassen, und stellt ein Versehen eines Kanzleiangestellten eines bevollmächtigten Rechtsanwaltes dann ein Ereignis im Sinne des § 46 Abs. 1 VwGG dar, wenn der Anwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht jenen Bediensteten gegenüber nachgekommen ist (vgl. etwa das zitierte hg. Erkenntnis vom 26. April 2002, Zl. 2002/02/0062). Davon zu unterscheiden ist jedoch die Überprüfung der Richtigkeit und Vollständigkeit eines vom Rechtsanwalt - wie hier im Fall der Erhebung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gemäß § 24 Abs. 2 VwGG - zu unterfertigenden Schriftsatzes. Diesbezüglich kann der Rechtsanwalt nicht aus seiner Verantwortung entlassen werden, und zwar auch dann nicht, wenn er sich bei der Vorbereitung des Schriftstückes (technischer) Hilfsmittel sowie (besonders) verlässlicher Kanzleikräfte bedient (vgl. auch dazu das zitierte hg. Erkenntnis vom 26. April 2002, Zl. 2002/02/0062). Dem Rechtsvertreter des Antragstellers ist im vorliegenden Fall ein über einen minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden anzulasten, weil er sich betreffend den in seiner Kanzlei "per Diktat" vorbereiteten korrigierten Schriftsatz ohne inhaltliche Kontrolle bzw. Unterfertigung auf "Nachfrage" mit der Auskunft seiner Kanzleileiterin begnügte, "dass der Schriftsatz schon weggegangen sei", obwohl ihm jedenfalls seine fehlende Unterschrift als Mangel hätte bewusst sein müssen, sodass er schon auf Grund dieses Umstandes die Unrichtigkeit der Auskunft seiner Kanzleileiterin hätte erkennen und deshalb nähere Ermittlungen hätte vornehmen müssen.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher abzuweisen.
2.) Bei diesem Ergebnis war die am 28. Jänner 2003 zur Post gegebene Beschwerde wegen Versäumung der Beschwerdefrist gemäß § 34 Abs. 1 VwGG durch Beschluss in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.
Wien, am 28. Februar 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2003020024.X00Im RIS seit
11.06.2003