TE Vfgh Erkenntnis 1999/12/16 B1787/98 - B2448/98, B1860/98, B2095/98

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Veröffentlicht am 16.12.1999
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Index

55 Wirtschaftslenkung
55/01 Wirtschaftslenkung

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

Leitsatz

Anlaßfallwirkung der Aufhebung des Wortes "anderen" in §373c Abs2 lita, b und c GewO 1994 und in §2 Abs1 und §3 Abs1 EWR-NachsichtsV mit E v 09.12.99, G42/99 ua, V18/99 ua.

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes und einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit S 29.500,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer ist österreichischer Staatsbürger. Er suchte mit Eingabe vom 15. Juli 1997 um Nachsicht von der Erbringung des Befähigungsnachweises zur Ausübung des Fotografengewerbes an. Mit Schriftsatz vom 16. April 1998 stützte er sein Nachsichtsbegehren ausdrücklich auch auf §373c GewO 1994 iVm der Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Erteilung der Nachsicht vom vorgeschriebenen Befähigungsnachweis für Staatsangehörige von Mitgliedstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, BGBl. 775/1993, (im folgenden: EWR-NachsichtsV) und brachte dazu vor, daß er die Lehrabschlußprüfung im Lehrberuf als Fotograf abgelegt habe und seit 1994 geschäftsführender Gesellschafter einer offenen Erwerbsgesellschaft sei, welche seit 1. Mai 1994 das Fotografengewerbe ausübe.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 13. August 1998 wurde sein Ansuchen "auf Anerkennung der den vorgeschriebenen Befähigungsnachweis ersetzenden Qualifikation für die Ausübung des Fotografengewerbes" gemäß §373c Abs1 iVm §3 Abs1 EWR-NachsichtsV und Art5 Abs1 der Richtlinie 75/368/EWG, ABl. 1975 L 167, S 22, abgewiesen. Nach Wiedergabe der einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen und nationalen Rechtsvorschriften (Art5 Abs1 RL 75/368/EWG, §373c Abs1 und 3 GewO 1994 und §3 Abs1 EWR-NachsichtsV) führte der Bundesminister aus, daß Österreich durch das Gemeinschaftsrecht nicht verpflichtet sei, im Inland verrichtete Tätigkeiten einer den Anerkennungsregelungen vergleichbaren Würdigung zu unterziehen. Der Gewerberechtsgesetzgeber habe sich auf die bloße Umsetzung der jeweils maßgeblichen Richtlinien beschränkt und die gemeinschaftsrechtliche Differenzierung zwischen im Heimat- oder Herkunftsstaat erworbenen Qualifikationen einerseits und jener des Aufnahmestaates andererseits im nationalen Recht übernommen. Dies sei zunächst bloß auf Verordnungs-, und nicht auf Gesetzesebene erfolgt. Der Verfassungsgerichtshof habe zwar in seinem Einleitungsbeschluß zum Verfahren V76/97 ua. grundsätzliche Bedenken gegen eine derartige örtliche Differenzierung geäußert, in weiterer Folge jedoch die maßgebliche Bestimmung der EWR-NachsichtsV lediglich im Grunde der Überschreitung der bezüglichen Verordnungsermächtigung (§373c Abs3 bis 6 GewO 1994 idF vor BGBl. I 63/1997) behoben (VfSlg. 14963/1997). Mit der Gewerberechtsnovelle BGBl. I 63/1997 sei das Anerkennungserfordernis einer in einem anderen EWR-Mitgliedstaat absolvierten fachlichen Tätigkeit im Gesetzesrang festgeschrieben worden (§373c Abs3 lita bis c GewO 1994), sodaß aufgrund der geltenden Rechtslage weiterhin eine Diplomanerkennung ausschließlich im Hinblick auf in anderen EWR-Mitgliedstaaten erworbene Berufsqualifikationen in Betracht komme.

2. a) Gegen diesen Bescheid wendet sich die auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der der Beschwerdeführer unter Hinweis auf VfSlg. 14963/1997 die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit vor dem Gesetz und auf Erwerbsausübungsfreiheit wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

b) Der belangte Bundesminister legte die Verwaltungsakten vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II. Aus Anlaß dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 B-VG und Art139 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungs- bzw. Gesetzmäßigkeit des Wortes "anderen" in §373c Abs3 lita, b und c GewO 1994 und im Einleitungssatz des §3 Abs1 der Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Erteilung der Nachsicht vom vorgeschriebenen Befähigungsnachweis für Staatsangehörige von Mitgliedstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, BGBl. 775/1993, ein. Mit Erkenntnis vom 9. Dezember 1999, G42/99, V18/99 ua., hob er das in Prüfung genommene Wort auf.

III. Die Beschwerde ist begründet.

Die belangte Behörde hat ein verfassungswidriges Gesetz und eine gesetzwidrige Verordnung angewendet. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, daß ihre Anwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war.

Der Beschwerdeführer wurde also durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes und einer gesetzwidrigen Verordnung in seinen Rechten verletzt (zB VfSlg. 10303/1984, 10515/1985).

Der Bescheid war daher aufzuheben.

Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten, die sämtliche vom Beschwerdeführer gesetzten Prozeßhandlungen abdecken, ist eine Eingabegebühr gemäß §17a VerfGG in Höhe von S 2.500,-- und Umsatzsteuer in Höhe von S 4.500,-- enthalten.

Schlagworte

VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:B1787.1998

Dokumentnummer

JFT_10008784_98B01787_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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