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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
FrG 1997 §34 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des S, geboren 1974, vertreten durch Dr. August Rogler, Rechtsanwalt in 4840 Vöcklabruck, Parkstraße 15, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 31. Oktober 2002, Zl. St 107/02, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 31. Oktober 2002 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 iVm §§ 37 und 39 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
Der Beschwerdeführer sei am 14. Juni 1989 in Begleitung seiner Eltern in das Bundesgebiet eingereist. Am 16. Juni 1989 habe er einen Asylantrag gestellt, welcher am 13. Juli 1990 rechtskräftig abgewiesen worden sei.
Am 19. Oktober 1990 sei dem Beschwerdeführer erstmals ein bis 22. August 1991 gültiger Sichtvermerk erteilt worden. In der Folge seien ihm weitere Sichtvermerke und am 2. Jänner 1995 eine unbefristete Aufenthaltsbewilligung erteilt worden.
Mit Urteil des Landesgerichtes Wels vom 18. Jänner 2002 sei der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens nach § 28 Abs. 2 vierter Fall und Abs. 3 erster Fall Suchtmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, davon 16 Monate unter bedingter Strafnachsicht, rechtskräftig verurteilt worden. Diesem Urteil liege zu Grunde, dass der Beschwerdeführer in der Zeit zwischen Oktober 2000 und Juli 2001 Suchtgift in einer großen Menge in Verkehr gesetzt habe.
Der Beschwerdeführer habe u.a. ausgeführt, dass er bis zu dieser Verurteilung unbescholten gewesen wäre. Es wäre zu berücksichtigen, dass er sich bereits seit 1989 in Österreich aufhalten würde.
Im Weiteren führte die belangte Behörde mit Begründung aus, dass der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 erfüllt, die in § 36 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme gerechtfertigt und das Aufenthaltsverbot im Grund des § 37 Abs. 1 und Abs. 2 leg. cit. zulässig sei.
Ausführungen zur Zulässigkeit des Aufenthaltsverbots im Grund des § 38 Abs. 1 Z. 2 (iVm § 35 Abs. 3) und Z. 3 FrG enthält der angefochtene Bescheid nicht.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 38 Abs. 1 Z. 2 FrG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn eine Ausweisung gemäß § 34 Abs. 1 Z. 1 oder 2 wegen des maßgeblichen Sachverhaltes unzulässig wäre.
Die Ausweisung eines Fremden - auch eine solche gemäß § 34 Abs. 1 Z. 1 oder Z. 2 FrG - ist insbesondere in den Fällen des § 35 FrG unzulässig. Die Abs. 2 und 3 dieser Bestimmung haben folgenden Wortlaut:
"(2) Fremde, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet auf Dauer niedergelassen waren, dürfen nur mehr ausgewiesen werden, wenn sie von einem inländischen Gericht wegen Begehung einer strafbaren Handlung rechtskräftig verurteilt wurden und ihr weiterer Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährden würde.
(3) Hat der in Abs. 2 genannte Zeitraum bereits zehn Jahre gedauert, so dürfen Fremde wegen Wirksamwerdens eines Versagungsgrundes nicht mehr ausgewiesen werden, es sei denn, sie wären von einem inländischen Gericht
1. wegen eines Verbrechens oder wegen Schlepperei oder gemäß der §§ 27 Abs. 2, 28 Abs. 1 und 32 Abs. 1 des Suchtmittelgesetzes - SMG oder nach einem Tatbestand des 16. oder 20. Abschnitts des besonderen Teils des StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr oder
2. wegen einer Vorsatztat, die auf derselben schädlichen Neigung (§ 71 StGB) beruht, wie eine andere von ihnen begangenen strafbare Handlung, deren Verurteilung noch nicht getilgt ist, zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten
rechtskräftig verurteilt worden."
§ 38 Abs. 1 Z. 3 FrG lautet:
"(1) Ein Aufenthaltsverbot darf nicht erlassen werden, wenn
...
3. dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, es sei denn, der Fremde wäre wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden."
2. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist die in § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG enthaltene Wortfolge "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes" so auszulegen, dass zu prüfen ist, ob der Fremde vor Verwirklichung des ersten der von der Behörde zulässigerweise zur Begründung des Aufenthaltsverbots herangezogenen Umstände, die in ihrer Gesamtheit die Maßnahme tragen, die Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft erfüllte (vgl. das Erkenntnis vom 17. September 1998, Zl. 98/18/0170). Im Beschluss vom selben Tag, Zl. 95/18/1168, hat der Gerichtshof ausgeführt, dass die gleichlautende Wortfolge in § 35 Abs. 2 und Abs. 3 FrG ebenso auszulegen sei. Für die Beurteilung der Zulässigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach diesen Gesetzesstellen sei daher zu prüfen, ob der Fremde vor Verwirklichung des ersten von der Behörde zulässigerweise zur Begründung der Maßnahme herangezogenen Umstandes bereits acht bzw. zehn Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet auf Dauer niedergelassen gewesen sei.
Der Beschwerdeführer wurde zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, somit nicht mehr als zwei Jahren, verurteilt. Davon wurden 16 Monate bedingt nachgesehen. Der unbedingte Teil der Freiheitsstrafe beträgt daher nicht mehr als ein Jahr. Die belangte Behörde hat das Aufenthaltsverbot auf die dieser Verurteilung zu Grunde liegenden Straftaten gestützt.
Für die Beurteilung der Zulässigkeit dieser Maßnahme im Grund des § 38 Abs. 1 Z. 2 iVm § 35 Abs. 3 FrG ist daher maßgeblich, ob der Beschwerdeführer vor Begehung der ersten dieser Straftaten bereits zehn Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet auf Dauer niedergelassen war.
§ 38 Abs. 1 Z. 3 FrG stünde der Erlassung des Aufenthaltsverbots entgegen, wenn der Beschwerdeführer vor Begehung der ersten Straftat die Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985, das ist vor allem ein seit zumindest zehn Jahren ununterbrochen bestehender Hauptwohnsitz im Inland, erfüllt hätte. Hiebei ist zu beachten, dass ein Hauptwohnsitz auch bei einem nicht rechtmäßigen Aufenthalt bestehen kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. März 2002, Zl. 2001/18/0171).
3. Nach den - mit der bei den Akten erliegenden Ausfertigung des Gerichtsurteils übereinstimmenden - Feststellungen der belangten Behörde hat der Beschwerdeführer die Straftaten "in der Zeit zwischen Oktober 2000 und Juli 2001" begangen. Der Beschwerdeführer befindet sich seit 14. Juni 1989 im Bundesgebiet; am 19. Oktober 1990 wurde ihm ein Sichtvermerk für die Dauer von zehn Monaten - der zur dauernden Niederlassung berechtigt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 23. März 1999, Zlen. 98/19/0195, 0196) -, im Anschluss daran weitere Sichtvermerke und am 2. Jänner 1995 eine unbefristete Aufenthaltsbewilligung erteilt.
Warum das Aufenthaltsverbot ungeachtet dieser Umstände im Grund des § 38 Abs. 1 Z. 2 (iVm § 35 Abs. 3) und Z. 3 FrG zulässig ist, hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht begründet.
4. Schon deshalb, weil dieser Begründungsmangel den Verwaltungsgerichtshof an der Überprüfung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides hindert, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am 18. März 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2002180287.X00Im RIS seit
08.05.2003