TE Vwgh Erkenntnis 2003/3/19 2002/08/0065

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Veröffentlicht am 19.03.2003
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §7 Abs2;
AlVG 1977 §8;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des Dipl.-Ing. J in V, vertreten durch Dr. Reinhard Köffler, Rechtsanwalt in 9500 Villach, Moritschstraße 11, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Kärnten vom 15. März 2001, Zl. LGS/Abt.4/1218/2001, betreffend Abweisung eines Antrages auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer stellte am 18. September 2000 einen Antrag auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld. Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vom 9. Oktober 2000 wurde diesem Antrag mangels Arbeitsfähigkeit keine Folge gegeben. Begründend führte die Behörde erster Instanz aus, der Beschwerdeführer habe den vereinbarten Termin beim Amtsarzt am 25. September 2000 ohne Angabe von Gründen nicht eingehalten.

In seiner Berufung gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, er habe dem Arbeitsmarktservice schon mit der Antragstellung vom 8. August 2000 und vom 18. September 2000 wie auch der Berufung vom 18. September 2000 nachgewiesen, dass er gemäß den gutachterlichen Feststellungen der Gebietskrankenkasse seit 9. August 2000 arbeitsfähig sei. An die Feststellung der Gebietskrankenkasse sei das Arbeitsmarktservice gebunden.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid, da sich der Beschwerdeführer geweigert habe, den Termin für die amtsärztliche Untersuchung wahrzunehmen. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe bereits mit seinem Antrag vom 8. August 2000 eine Krankheitsbescheinigung der Gebietskrankenkasse vom 7. August 2000 vorgelegt, wonach er vom 28. Juni 2000 (richtig: 1999) bis 8. August 2000 wegen Krankheit arbeitsunfähig gewesen sei. Eine Rücksprache des Arbeitsmarktservice mit der Gebietskrankenkasse am 11. August 2000 habe ergeben, dass der Beschwerdeführer mit 8. August 2000 bei der Gebietskrankenkasse "ausgesteuert" worden sei. Auf Grund seiner neuerlichen Antragstellung am 18. September 2000 sei der Beschwerdeführer von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice über den Sachverhalt informiert und für den 25. September 2000 zu einer für seinen Leistungsbezug unbedingt notwendigen amtsärztlichen Untersuchung eingeladen worden. Diese Einladung sei ihm anlässlich seiner Antragstellung persönlich ausgehändigt worden. Der Termin für die amtsärztliche Untersuchung sei vom Beschwerdeführer jedoch nicht wahrgenommen worden. Nach Meinung der belangten Behörde liege seitens der Gebietskrankenkasse kein Gutachten vor, das die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers bestätige. Es bestünden begründete Zweifel an seiner Arbeitsfähigkeit, da er von der Gebietskrankenkasse mit 8. August 2000 "ausgesteuert" worden sei. Diese "Aussteuerung" bedeute nicht, dass er arbeitsfähig sei, sondern nur, dass er ab 9. August 2000 kein Krankengeld mehr erhalte, weil sein Anspruch auf Barleistung (Krankengeld) wegen Erschöpfung der Bezugsdauer von 52 Wochen nicht mehr gegeben sei. Die Zweifel an der Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers könnten nur durch eine amtsärztliche Untersuchung geklärt werden, deren Durchführung der Beschwerdeführer jedoch verweigert habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird, mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 8 AlVG in der im vorliegenden Fall anzuwendenden Fassung

BGBl. Nr. 314/1994 hat folgenden Wortlaut:

"Arbeitsfähigkeit

§ 8. (1) Arbeitsfähig ist, wer nicht invalid beziehungsweise nicht berufsunfähig im Sinne der für ihn in Betracht kommenden Vorschriften der §§ 255, 273 beziehungsweise 280 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes ist.

(2) Der Arbeitslose ist, wenn sich Zweifel über die Arbeitsfähigkeit ergeben, verpflichtet, sich auf Anordnung der regionalen Geschäftsstelle ärztlich untersuchen zu lassen. Weigert er sich, dieser Anordnung Folge zu leisten, so erhält er für die Dauer der Weigerung kein Arbeitslosengeld.

(3) Die ärztlichen Gutachten der regionalen Geschäftsstellen einerseits und der Sozialversicherungsträger andererseits sind, soweit es sich um die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit handelt, gegenseitig anzuerkennen. Die erforderlichen Maßnahmen trifft der Bundesminister für soziale Verwaltung nach Anhören des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger."

Die Arbeitsfähigkeit ist gemäß § 7 Abs. 1 und 2 AlVG in der hier anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 179/1999 eine der Voraussetzungen für die Zuerkennung von Arbeitslosengeld.

Soweit sich der Beschwerdeführer darauf beruft, das Arbeitsmarktservice hätte das ärztliche Gutachten der Gebietskrankenkasse zur Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers anerkennen müssen, ist er nicht im Recht: Die vom Beschwerdeführer in seiner Berufung genannten Unterlagen befinden sich in dem Verwaltungsakt, den die belangte Behörde dem Verwaltungsgerichtshof zu dem den Beschwerdeführer betreffenden hg. Verfahren zur Zl. 2002/08/0061 vorgelegt hat. Dabei handelt es sich einerseits um eine Krankheitsbescheinigung der Kärntner Gebietskrankenkasse vom 7. August 2000, wonach der Beschwerdeführer von 28. Juni 1999 bis 8. August 2000 wegen Krankheit arbeitsunfähig gewesen sei und ab 11. August 1999 bis 8. August 2000 ein tägliches Krankengeld von S 994,-- erhalten habe. Andererseits liegt ein "Beleg für Krankenstandabschluss bzw. Gesundmeldung und Antrag für Anweisung" der Kärntner Gebietskrankenkasse vor, auf dem vermerkt ist, dass der Beschwerdeführer für 3. Juli 2000 zur ärztlichen Untersuchung eingeladen war. Die Arbeitsunfähigkeit werde bis 8. August bestätigt, arbeitsfähig sei der Beschwerdeführer seit 9. August. Auf dem genannten Beleg findet sich ferner ein Vermerk des ärztlichen Dienstes, Dr. B., vom 3. Juli 2000.

Aus der genannten Krankheitsbescheinigung ergibt sich nicht, dass der Beschwerdeführer arbeitsfähig sei. Zu dem "Beleg für den Krankenstandabschluss bzw. die Gesundmeldung und den Antrag für Anweisung" ist festzuhalten, dass, unbeschadet der Antwort auf die Frage, ob es sich dabei um ein "ärztliches Gutachten" handelt, daraus schon aus zeitlichen Gründen keine im vorliegenden Fall relevante Bestätigung der Arbeitsfähigkeit abgeleitet werden kann. Das Arbeitsmarktservice hat die Arbeitsfähigkeit im Zeitpunkt der Antragstellung auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld zu beurteilen (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 16. Februar 1999, Zl. 96/08/0083, und vom 22. März 2002, Zl. 99/02/0334). Es kann dahingestellt bleiben, ob ärztlicherseits bereits am 3. Juli 2000 beurteilt werden konnte, dass der Beschwerdeführer ab 9. August 2000 arbeitsfähig sein werde. Für den Zeitpunkt der Beantragung der Zuerkennung des Arbeitslosengeldes am 18. September 2000 konnte schon deshalb keine Verpflichtung der belangten Behörde zur bindenden Anerkennung des Beleges der Gebietskrankenkasse mehr bestehen, zumal sich durch die Auskunft der Gebietskrankenkasse, der Beschwerdeführer sei "ausgesteuert" worden, in der Zwischenzeit begründete Zweifel an seiner Arbeitsfähigkeit ergeben haben.

Der Beschwerdeführer bringt weiters vor, eine Ladung zu einer amtsärztlichen Untersuchung am 25. September 2000 sei ihm gegenüber weder ausgesprochen noch ihm ausgehändigt worden. Im Falle der Möglichkeit zur Stellungnahme hätte der Beschwerdeführer vorbringen können, dass er den Amtsarzt Dr. W. noch am 18. September 2000 aufgesucht und dass dieser von ihm ohne Fristsetzung Vorbefunde angefordert habe. Hiezu hätte er auch die Einvernahme von Dr. W. verlangen können.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg: Wie der Verwaltungsgerichtshof im hg. Erkenntnis vom 21. November 2001, Zl. 98/08/0357, ausgeführt hat, hat die Behörde Zweifel an der Arbeitsfähigkeit und die daraus resultierende Anordnung einer ärztlichen Untersuchung gegenüber dem Arbeitslosen offen zulegen. Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof Folgendes ausgeführt:

"§ 8 AlVG stellt es nicht in das freie Belieben des Arbeitsmarktservice, Arbeitslose ärztlichen Untersuchungen zuzuführen. Der Arbeitslose ist gemäß § 8 Abs. 2 AlVG vielmehr nur dann verpflichtet, sich einer Untersuchung zu unterziehen, wenn sich Zweifel an seiner Arbeitsfähigkeit ergeben. Es versteht sich von selbst, dass es sich dabei um objektiv begründete Zweifel handeln muss, aber auch dass diese Zweifel der Partei gegenüber konkretisiert werden müssen, einerseits damit auch ihr gegenüber klargestellt ist, dass ein Fall des § 8 Abs. 2 AlVG eingetreten ist und daher nunmehr die Verpflichtung zur Vornahme der Untersuchung besteht, ihr andererseits im Sinne des § 37 iVm § 45 Abs. 3 AVG allenfalls Gelegenheit gegeben wird, diese Zweifel durch Vorlage bereits vorhandener geeigneter Befunde zu zerstreuen. Nur so wird das Parteiengehör gewahrt und dem Verwaltungsgerichtshof die Möglichkeit eröffnet, das Verhalten der Behörde auf seine Rechtsmäßigkeit nachzuprüfen.

...

Wurden die Zweifel an der Arbeitsfähigkeit gegenüber der Partei nicht konkretisiert, so treten daher auch im Falle der Weigerung der Partei, sich einer Untersuchung zu unterziehen, die Rechtsfolgen des § 8 Abs. 2 letzter Satz AlVG nicht ein. Die der Behörde unterlaufene Unterlassung kann daher auch nur im Zuge einer neuerlichen Zuweisung zur Untersuchung behoben werden, nicht aber durch - hier ohnehin nicht vorgenommene - Nachholung der Information im Berufungsverfahren gegen einen nach § 8 Abs. 2 letzter Satz AlVG ergangenen Bescheid, mit welchem ein Anspruchsverlust ausgesprochen worden ist."

Die belangte Behörde führt in ihrer Gegenschrift aus, der Beschwerdeführer habe die Einladung zur amtsärztlichen Untersuchung am 18. September 2000 persönlich erhalten; dies auch deshalb, weil von ihm mehrmals Schriftstücke postalisch nicht entgegengenommen worden seien. Die der Gegenschrift angeschlossene Aktennotiz vom 18. September 2000 belege dies. Der Beschwerdeführer habe somit genau gewusst, dass er sich am 25. September 2000 zur amtsärztlichen Untersuchung einzufinden habe bzw. welche Rechtsfolgen ein Nichterscheinen nach sich zöge.

Besagte Aktennotiz hat folgenden Wortlaut:

"Neuer Termin für amtsärztliche Untersuchung am 25.9. um 8h30 mit Sekr. Dr. W. vereinbart ----- wurde KU. pers. mitgeteilt. Aufgrund RS mit Koll. F. neuer ALG-Antrag ausgegeben. 14tägige pers. Kontaktaufnahme vereinbart. Bisherige Ebs neg."

Abgesehen davon, dass sich aus dieser Aktennotiz nicht ergibt, dass die Aufforderung zur amtsärztlichen Untersuchung eine solche im Sinne des § 8 Abs. 2 AlVG war und dem Beschwerdeführer auch als solche bewusst wurde, kann ihr jedenfalls nicht entnommen werden, dass dem Beschwerdeführer anlässlich der Aufforderung bekannt gegeben wurde, aus welchen Gründen seine Arbeitsfähigkeit angezweifelt werde. Allfällige diesbezügliche gesprächsweise Mitteilungen sind ohne Belang (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 21. November 2001). Bei Fehlen einer begründeten Anordnung zur Untersuchung ist aber die Verweigerung der Untersuchung für sich allein noch nicht ungerechtfertigt. Auf Grund der vorliegenden Sachlage kann somit von einer ungerechtfertigten Weigerung im Sinne des § 8 Abs. 2 AlVG noch nicht gesprochen werden.

Die belangte Behörde hätte daher Ermittlungen dazu anstellen müssen, ob dem Beschwerdeführer eine Anordnung im Sinne des § 8 Abs. 2 AlVG zugegangen ist. Auf die Aktennotiz vom 18. September 2000 durfte sich die belangte Behörde insoweit nicht ohne weitere Ermittlungen stützen. Der Verfahrensmangel ist auch relevant, weil der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde aufzeigt, dass er im Falle ergänzender Ermittlungen Angaben gemacht hätte, die zu einem anderen Verfahrensergebnis hätten führen können.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 19. März 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2002080065.X00

Im RIS seit

08.05.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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