TE Vwgh Erkenntnis 2003/3/19 2002/12/0075

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.03.2003
beobachten
merken

Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/05 Reisedokumente Sichtvermerke;

Norm

AVG §56;
FrG 1997 §10 Abs1 Z3;
FrG 1997 §10 Abs2 Z3;
Sichtvermerkspflicht Aufhebung Polen 1972 Art1 Abs2;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2002/12/0076

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Germ und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Bayjonesals Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lamprecht, über die Beschwerden 1. des am 15. August 1966 geborenen M A T und 2. des am 4. Dezember 1951 geborenen M Z T, beide in K/Polen, beide vertreten durch Dr. Alexander Kragora, Rechtsanwalt in 1010 Wien, An der Hülben 4, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres jeweils vom 12. Februar 1999,

1. Zl. 122.877/2-III/11/97 und 2. Zl. 122.878/2-III/11/97, jeweils betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführer beantragten mit ihren am 8. Jänner 1997 bei der erstinstanzlichen Behörde im Wege des österreichischen Generalkonsulats in Krakau eingelangten Anträgen die erstmalige Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung, wobei sie als Aufenthaltszweck "selbstständige Erwerbstätigkeit" und den beabsichtigten Beruf mit "Kanalräumer/Deichgräber" angaben.

Der Landeshauptmann von Wien wies diese Anträge mit gleich lautenden Bescheiden vom 11. Juli 1997 gemäß § 5 Abs. 1 AufG iVm § 10 Abs. 1 Z. 6 FrG 1992 ab. Begründend führte die erstinstanzliche Behörde aus, im Zuge des Ermittlungsverfahrens sei festgestellt worden, dass die Beschwerdeführer seit Juli 1996 im Bundesgebiet aufhältig seien.

In ihren dagegen erhobenen Berufungen brachten die Beschwerdeführer vor, ihre Anträge "ordnungsgemäß im Ausland gestellt" zu haben. Als polnische Staatsangehörige seien sie "in der glücklichen Lage, losgelöst von den anhängigen Verfahren zur Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung sichtvermerksfrei in Österreich einzureisen". Der von der erstinstanzlichen Behörde gezogene Schluss sei daher "mit der tatsächlichen Sachlage nicht in Einklang zu bringen".

Mit den angefochtenen gleich lautenden Bescheiden vom 12. Februar 1999 wies die belangte Behörde die nunmehr als solche auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung gewerteten Anträge der Beschwerdeführer gemäß §§ 10 Abs. 2 Z. 3 und 10 Abs. 1 Z. 3 des Fremdengesetzes 1997 (FrG 1997) ab. Nach Wiedergabe der bezughabenden Gesetzesstellen führte sie begründend aus, die Beschwerdeführer als polnische Staatsbürger seien zum sichtvermerksfreien Aufenthalt von drei Monaten im Bundesgebiet berechtigt. Während dieses sichtvermerkfreien Aufenthaltes sei jedoch eine Erwerbstätigkeit ausgeschlossen. Nach Wiedergabe ihres Vorhaltes vom 18. November 1998 an die Beschwerdeführer sowie deren Stellungnahme vom 7. Dezember 1998 führte die belangte Behörde aus, es stehe fest, dass der Erstbeschwerdeführer entgegen seiner Behauptung bei der erstinstanzlichen Behörde am 29. April 1997 "sehr wohl" im Beisein eines (näher bezeichneten) Dolmetschers befragt worden sei und daher die gestellten Fragen verstanden und korrekt beantwortet habe. Die Ausführungen in der Stellungnahme seien demnach Scheinbehauptungen, die Beschwerdeführer seien "sehr wohl im Bundesgebiet aufhältig und selbstständig erwerbstätig". In der Niederschrift vom 29. April 1997 habe der Erstbeschwerdeführer angegeben, vom 1. bis 26. Juli 1996 für das Unternehmen G & Co diverse (näher angeführte) Arbeiten ausgeführt zu haben. Insgesamt habe er nach seinen eigenen Angaben von Juli bis September 1996 vier Aufträge gehabt und Rechnungen in der Höhe von etwa S 105.000,-- ausgestellt. Der Erstbeschwerdeführer habe diesbezüglich auch sämtliche ausgestellten Rechnungen vorgelegt. Auf Grund der vorgelegten Auszüge aus dem Kassenbericht der T. OEG (Anmerkung: das Unternehmen der Beschwerdeführer) sei festzustellen, dass die Beschwerdeführer vom 1. Juli 1996 bis 31. Mai 1998 monatliche Entnahmen in der Höhe von S 15.000,-- bis S 20.000,-- getätigt hätten. Es seien Zahlungen in nicht unbeachtlichem Ausmaß von der G & Co und anderen nicht namentlich genannten Auftraggebern Monat für Monat im Kassenbericht eingetragen worden.

Da die T. OEG laut den eigenen Angaben des Erstbeschwerdeführers keine Arbeitnehmer beschäftige, müsse die belangte Behörde davon ausgehen, dass beide Beschwerdeführer sämtliche Aufträge alleine im Bundesgebiet ausgeführt hätten bzw. ausführten und demnach auch hier aufhältig seien. Selbst wenn sie in Österreich lediglich drei Monate durchgehend polizeilich gemeldet gewesen seien, ändere dieser Umstand nichts an der Tatsache, dass sie sich seit Mitte 1996 vorwiegend im Bundesgebiet aufgehalten hätten und hier einer Erwerbstätigkeit nachgegangen seien, obwohl sich beide lediglich drei Monate sichtvermerksfrei in Österreich aufhalten dürften. Laut Angaben des Erstbeschwerdeführers führen beide Beschwerdeführer lediglich ab und zu für ein bis zwei Wochen nach Polen zurück.

Unbeschadet dieses Vorbringens sei allein maßgeblich gewesen, dass die Beschwerdeführer sichtvermerksfrei in das Bundesgebiet eingereist seien und hier einer Erwerbstätigkeit nachgingen und sich mehr als nur drei Monate im Bundesgebiet aufgehalten hätten. Dieser Umstand stelle eine Gefährdung für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gemäß § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997 dar; auch die gesetzliche Bestimmung des § 10 Abs. 1 Z. 3 leg. cit. sei nicht eingehalten worden. Die öffentliche Ordnung werde schwer wiegend beeinträchtigt, wenn einwanderungswillige Fremde, ohne das betreffende Verfahren abzuwarten, sich unerlaubt nach Österreich begäben bzw. dort aufhielten, um damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Auf Grund des vorliegenden Sachverhaltes habe die belangte Behörde von der "positiven Verfahrensfinalisierung" Abstand nehmen müssen.

Der Abwägung gemäß § 8 FrG 1997 sei zu entnehmen, dass den öffentlichen Interessen gegenüber den privaten Interessen "absolute Priorität" habe eingeräumt werden müssen, da die Bekämpfung der unerlaubten Erwerbstätigkeit bzw. des "illegalen" Aufenthaltes nicht nur im Interesse der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens, sondern auch im weiteren Sinn der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung relevant sei. Die sichtvermerksfreie Einreise mit anschließendem "illegalem" Aufenthalt und die Ausübung einer Erwerbstätigkeit im österreichischen Bundesgebiet gefährdeten nicht nur die öffentlichen Interessen an der Möglichkeit der behördlichen Steuerung des Fremdenwesens, sondern führten bereits zu einer gravierenden Beeinträchtigung dieser Interessen.

Bei der Abwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK führte die belangte Behörde aus, unter den gegebenen Umständen habe trotz des Faktums, dass die Beschwerdeführer persönlich haftende Gesellschafter der T. OEG seien und somit die volle wirtschaftliche Verantwortung für den Fortbestand des genannten Unternehmens hätten und bei Nichterteilung der Niederlassungsbewilligung die berufliche und private Existenz zerstört werden würde, keinesfalls eine Niederlassungsbewilligung erteilt werden können. Die belangte Behörde sei nämlich auf Grund des oben angeführten Sachverhaltes zur Ansicht gelangt, dass die öffentlichen Interessen zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele höher zu werten seien als die nachteiligen Folgen der Verweigerung einer Niederlassungsbewilligung auf die Lebenssituation der Beschwerdeführer.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte - unter Abstandnahme von der Erstattung einer Gegenschrift - die Abweisung der Beschwerden als unbegründet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerden auf Grund ihres persönlichen, sachlichen und rechtlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und hierüber in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

§ 10 Abs. 1 Z. 3 und Abs. 2 Z. 3, § 28 Abs. 1 und § 112 FrG 1997 lauten (auszugsweise):

"§ 10. (1) Die Erteilung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn

...

3. der Aufenthaltstitel - außer für Saisonarbeitskräfte (§ 9), für begünstigte Drittstaatsangehörige (§ 47) oder Angehörige von Österreichern (§ 49) - nach sichtvermerksfreier Einreise (§ 28 oder § 29) erteilt werden soll;

...

(2) Die Erteilung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels kann wegen Gefährdung öffentlicher Interessen (§ 8 Abs. 3 Z. 2) insbesondere versagt werden, wenn

...

3. der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde;

...

§ 28. (1) Sofern die Bundesregierung zum Abschluss von Regierungsübereinkommen gemäß Art. 66 Abs. 2 B-VG ermächtigt ist, kann sie zur Erleichterung des Reiseverkehrs unter der Voraussetzung, dass Gegenseitigkeit gewährt wird, vereinbaren, dass Fremde berechtigt sind, ohne Visum in das Bundesgebiet einzureisen und sich in diesem aufzuhalten. ...

...

§ 112. Verfahren zur Erteilung eines Sichtvermerkes sowie Verfahren zur Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung, die bei Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes anhängig sind, oder gemäß der §§ 113 und 114 anhängig werden, sind nach dessen Bestimmungen - je nach dem Zweck der Reise oder des Aufenthaltes - als Verfahren zur Erteilung eines Einreisetitels oder als Verfahren zur Erteilung eines Erstaufenthaltstitels oder eines weiteren Aufenthaltstitels fortzuführen. ..."

Art. 1 des Abkommens zwischen der österreichischen Bundesregierung und der Regierung der Volksrepublik Polen über die gegenseitige Aufhebung der Sichtvermerkspflicht, BGBl. Nr. 330/1972, lautet in der bis 31. Mai 1999 geltenden Fassung:

"Artikel 1

(1) Die Staatsbürger eines jeden der beiden Staaten, die Inhaber eines der im Artikel 3 angeführten Reisedokumentes sind, dürfen ohne Sichtvermerk des anderen Staates in dessen Hoheitsgebiet einreisen, sich dort bis zu drei Monaten aufhalten und aus ihm ausreisen.

(2) Die Berechtigung des Absatzes 1 gilt nicht für die Staatsbürger eines jeden der beiden Staaten, die sich auf das Hoheitsgebiet des anderen Staates begeben wollen, um dort ein Arbeitsverhältnis einzugehen."

Zutreffend ging die belangte Behörde in Anwendung des § 112 FrG 1997 davon aus, dass die Anträge der Beschwerdeführer vom 8. Jänner 1997 nach Inkrafttreten des FrG 1997 am 1. Jänner 1998 als solche auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung zu werten waren.

Die belangte Behörde hat die Abweisung der Anträge der Beschwerdeführer einerseits darauf gestützt, dass sie sichtvermerksfrei ins Bundesgebiet eingereist seien und sich mehr als drei Monate hier aufgehalten hätten (Vorliegen des Versagungsgrundes nach § 10 Abs. 1 Z. 3 FrG 1997), und andererseits darauf, dass sie im Bundesgebiet einer selbstständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen seien (Vorliegen des Versagungsgrundes nach § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997).

Die Beschwerdeführer bringen dazu vor, sich jeweils nur für die Dauer von drei Monaten in Österreich nach sichtvermerksfreier Einreise im Bundesgebiet aufgehalten zu haben; eine Arbeitstätigkeit habe die belangte Behörde "unberechtigter Weise" angenommen.

Für die Beurteilung der Frage, ob der Versagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 3 FrG 1997 gegeben ist, ist die Rechtslage im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides maßgeblich. Der Versagungsgrund ist auch anzuwenden, wenn die sichtvermerksfreie Einreise vor Inkrafttreten des FrG 1997 erfolgte. Entscheidend für die Verwirklichung des in Rede stehenden Versagungsgrundes ist allein, dass sich der Fremde im Anschluss an eine sichtvermerksfreie Einreise im Zeitpunkt der Bescheiderlassung im Bundesgebiet aufhält. Dies gilt auch dann, wenn die sichtvermerksfreie Einreise im Anschluss an eine im Ausland erfolgte Antragstellung erfolgte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Jänner 1999, Zl. 98/19/0229).

Den angefochtenen Bescheiden ist nicht zu entnehmen, dass die belangte Behörde von einem Aufenthalt der Beschwerdeführer im Bundesgebiet nach sichtvermerksfreier Einreise auch im Zeitpunkt der Erlassung ihrer Entscheidungen ausgeht, was sich insbesondere auch aus der Anführung der ausländischen Anschriften der Bescheidadressaten ergibt. Die belangte Behörde ist daher zu Unrecht vom Vorliegen des Versagungsgrundes nach § 10 Abs. 1 Z. 3 FrG 1997 ausgegangen.

Aber auch der Versagungsgrund nach § 10 Abs. 2 Z. 3 leg. cit. vermag die Abweisung der Anträge der Beschwerdeführer nicht zu tragen. Die Ansicht der belangten Behörde, dass die Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit nach sichtvermerksfreier Einreise nicht zulässig sei, ist nicht zutreffend:

Art. 1 Abs. 2 (in der bis 31. Mai 1999 in Geltung stehenden Fassung) des Abkommens zwischen der österreichischen Bundesregierung und der Regierung der Volksrepublik Polen über die gegenseitige Aufhebung der Sichtvermerkspflicht, BGBl. Nr. 330/1992, stellt hinsichtlich der Zulässigkeit einer sichtvermerksfreien Einreise ausdrücklich auf das Eingehen eines "Arbeitsverhältnisses" ab, das aber bei einer selbstständigen Erwerbstätigkeit nicht vorliegt. Die Aufnahme einer "selbstständigen Erwerbstätigkeit" ist demnach vom Begriff "ein Arbeitsverhältnis eingehen" nicht umfasst (vgl. das hg. Erkenntnis vom 2. Oktober 2000, Zl. 96/19/2640). Den Beschwerdeführern stand demnach im hier relevanten Zeitpunkt das Recht zur sichtvermerksfreien Einreise auch zum Zweck der Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit offen.

Die Annahme der belangten Behörde, der Aufenthalt der Beschwerdeführer auf Grund der zu erteilenden Bewilligung werde die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit im Sinn des § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997 gefährden, ist demnach nicht gerechtfertigt.

Die angefochtenen Bescheide waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Der Kostenausspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Die im Betrag von S 2.500,-- entrichtete Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG war jeweils im Betrag von EUR 181,68 zuzusprechen.

Wien, am 19. März 2003

Schlagworte

Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2002120075.X00

Im RIS seit

06.05.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten