TE Vwgh Erkenntnis 2003/3/25 2001/01/0360

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Veröffentlicht am 25.03.2003
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Nichtowitz, über die Beschwerde des 1968 geborenen H in Wien, vertreten durch Dr. Bernhard Gittler, Rechtsanwalt in 1170 Wien, Hernalser Hauptstraße 116, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 9. Mai 2001, Zl. 218.837/0-III/07/00, betreffend §§ 7 und 8 des Asylgesetzes 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Algeriens, gelangte am 25. Juni 1999 in das Bundesgebiet und beantragte am selben Tag die Gewährung von Asyl.

Im Rahmen seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt (der Erstbehörde) gab er auf Befragen zu seinem Fluchtgrund an, als Soldat bei der Luftwaffe gedient zu haben, und führte weiters aus:

"... Es gab 2 Gründe: Zuerst hatte ich Angst um mein Leben, außerdem wollte ich nicht unschuldige Menschen umbringen.

Die Terroristen von der GIA haben Flugblätter in den Moscheen angebracht, in denen sie jeden mit dem Tod bedroht haben, der mit der Regierung zusammenarbeitet, egal in welcher Form diese Zusammenarbeit erfolgt, freiwillig oder im Zuge eines Dienstverhältnisses. Diese Drohungen sind nicht nur leere Drohungen, jeden Tag werden Dutzende Menschen von den Terroristen getötet, das kann man in den verschiedenen Zeitungen und in den Medien erfahren. Obwohl die Terroristen eine Art Nachrichtensperre gegen die Presse verfügen, und die Presse nicht über alle Tötungen berichten kann. Die Terroristen nennen uns Mitarbeiter der Regierung Tyrannen. Daher ist es erlaubt, uns zu töten.

...

Meine Aufgabe war die Flugzeuge mit Bomben und Raketen zu beladen, die dann gegen die Terroristen eingesetzt wurden. Wir hatten zum Teil 3 Einsätze pro Tag, tagsüber und in der Nacht. In meiner Umgebung, wo ich wohnte, haben die Leute gewusst, dass ich diese Tätigkeit ausübe und dass ich gegen die Terroristen eingestellt bin.

...

Ich wollte nicht sterben. Ich wollte nicht einen Beitrag zum Töten von anderen Menschen leisten. Die Einsätze des Militärs beschränken sich nicht nur auf Terroristen, sondern wurden dabei immer auch Zivilisten getroffen und getötet. Das konnte ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren.

...

Ich fürchte von den Angehörigen der GIA getötet zu werden, als ehemaliger Angehöriger des Militärs. Für die Militärbehörde gelte ich als Verräter, darauf steht eine sehr hohe und strenge Strafe.

..."

Mit Bescheid vom 7. August 2000 wies die Erstbehörde den Asylantrag gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) ab und sprach gemäß § 8 AsylG aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Algerien zulässig sei. Die Erstbehörde ging bei ihrer Entscheidung davon aus, dass der Beschwerdeführer - entgegen seinem Vorbringen - nicht bis zu seiner Ausreise aus Algerien Armeeangehöriger gewesen und somit auch nicht aus der algerischen Armee desertiert sei. Da von einer Glaubhaftmachung von Fluchtgründen nicht gesprochen werden könne, könne auch nicht vom Vorliegen einer Gefahr im Sinn des § 57 FrG ausgegangen werden. Auch aus der allgemeinen Lage im Heimatland des Beschwerdeführers allein ergebe sich eine solche Gefährdung nicht.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er sich gegen die Versagung seiner Glaubwürdigkeit durch die Erstbehörde wandte.

Im Rahmen der Berufungsverhandlung vor dem unabhängigen Bundesasylsenat (der belangten Behörde) gab der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund an (VL = Verhandlungsleiter, BW = Beschwerdeführer):

"VL: Warum kamen sie auf die Idee das Land zu verlassen?

BW: Beim Militär sind Leute desertiert und in die Berge gegangen. Zu dieser Zeit sind auch viele Überfälle seitens der Terroristen auf die Soldaten verübt worden. Z.B. wurde in BEL-ABBAS, im Westen Algeriens eine Kaserne von Terroristen überfallen, wobei 150 Soldaten getötet worden sind. Möglich war dieser Überfall durch die Zusammenarbeit der Terroristen mit einem Wachposten. Dieser Vorfall ereignete sich bereits 1994. Über diesen Vorfall wurde auch in einem Buch namens 'Der schmutzige Krieg' berichtet.

VL: Es gab zu dieser Zeit Überfälle und Desertionen. Welche Gründe gab es noch?

BW: Es wurden die Befehle immer mehr, dass wir Hubschrauber mit Raketen bzw. Bomben bestücken, damit Terroristen, aber auch teilw. die Zivilbevölkerung damit beschossen werden konnte. Ich habe an diesen Operationen teilgenommen. Wir waren nervlich sehr belastet.

VL: Warum haben sie nicht gekündigt?

BW: Man wird von den Behörden als Verräter bezeichnet, wenn

man kündigt. Ich war Freiwilliger und hätte nicht einfach weggehen

können.

VL: Was wäre ihnen konkret passiert?

BW: Ich wäre dem Militärgericht vorgeführt worden, man hätte

mich angeklagt ...

VL: Wovor hätten sie heute Angst, wenn sie heute retour gehen würden?

BW: Ich würde dort als Verräter bezeichnet würden, ich hätte Angst vor den Terroristen. Ich hatte Kollegen, die desertierten und sich den Terroristen anschlossen. Wenn ich zurückkehren würde, würden mich diese erkennen. Ich versah meinen Dienst in 3 gr. Kasernen, mich kennen viele Leute. Der Cousin meiner Mutter, namens B. F., wurde von den Terroristen getötet, indem ihm die Kehle durchgeschnitten wurde. Ich will mit Militär und Terroristen nichts mehr zu tun haben.

VL: Warum würden sie von den Terroristen getötet werden, welchen Grund hätten die?

BW: Ich habe selbst gegen die Terroristen gekämpft, und diese

wissen das ...

...

Der Staat kann die Bevölkerung nicht schützen, er gab der Bevölkerung sogar Waffen zur Selbstverteidigung. Wie kann man da von der nationalen Versöhnung reden. Ländliche Bevölkerungsteile sympathisieren mit den Islamisten mehr, als die Städter, daher werden die Landmenschen eher getötet.

...

Ich füge hinzu, dass jeder, der mit der islam. Front sympathisiert hat, von den Generälen letztlich ermordet wird. Ich habe aber nicht mit den Islamisten sympathisiert, ich kam nach Österreich, da hier die Menschenrechte geachtet werden, bei uns ist dies nicht so. Ich hätte auch nach Frankreich gehen können, doch hätte ich dort Angst vor dem Alger. Geheimdienst."

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und sprach gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 des Fremdengesetzes 1997 die Feststellung aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführer nach Algerien zulässig sei. Begründend führte die belangte Behörde nach Darstellung des Verfahrensganges aus:

"Festgestellt wird, das der Asylwerber seit dem Jahre 1987 der Luftwaffe der algerischen Armee angehörte und dort als Flugzeugtechniker im Einsatz war. Im Jahre 1988 war der Asylwerber auch an der bewaffneten Niederschlagung eines Aufstandes in Bulida beteiligt. Im Jahre 1991 beendete er seine militärische Ausbildung als Flugzeugtechniker und begann seinen Dienst auf dem Militärstützpunkt in Biskara. Der Asylwerber nahm in der Folge an Einsatzflügen des Militärs teil, er flog jedoch nie selbst, er war 'nur' Techniker. Seine Aufgabe war es, die Flugzeuge mit Bomben und Raketen zu beladen, die dann gegen die Terroristen eingesetzt wurden. In der Umgebung, in der er wohnte, wussten die Nachbarn, welche Tätigkeit er ausübte, und dass er gegen die Terroristen eingestellt war. Der Asylwerber verließ seine Heimat letztlich aus zwei Gründen, nämlich zum einen, da er befürchtete, von Terroristen, konkret Angehörigen der GIA, getötet zu werden, da diese durch in den Moscheen angebrachten Flugblättern jeden mit dem Tod bedrohten, der mit der Regierung zusammen gearbeitet hatte. Zum anderen wollte der Asylwerber nicht einen Beitrag zum Töten von anderen Menschen leisten, da die Einsätze des Militärs sich nicht nur auf Terroristen beschränkten, sondern dabei auch immer wieder Zivilisten getroffen und getötet wurden. Bei einer Rückkehr in sein Heimatland befürchtet der Asylwerber eine hohe Strafe wegen Desertion.

Weiters wird zur Sicherheitslage in Algerien und hinsichtlich eventueller Strafverfahren wegen Desertion festgestellt:

...

Abgeschobene Algerier werden bei ihrer Einreise erkennungsdienstlich überprüft und Deserteure dürften mit großer Wahrscheinlichkeit an die entsprechende Armee- oder Polizeieinheit ihrer letzten Stationierung überstellt werden. Hier muss dann mit einem strafrechtlichen Verfahren wegen Desertion vom Dienst gerechnet werden. Nach dem algerischen Militärstragesetzbuch beträgt der Strafrahmen für Desertion je nach Fallgestaltung sechs Monate bis fünf Jahre, bei Offizieren bis zehn Jahre Freiheitsentzug (vgl. Bericht ...)."

Der festgestellte Sachverhalt ergebe sich hinsichtlich des individuellen Vorbringens des Beschwerdeführers aus seinen übereinstimmenden Angaben vor den Asylbehörden. Die belangte Behörde habe insbesondere in der Berufungsverhandlung den Eindruck gewonnen, dass der Beschwerdeführer keine erfundene Geschichte, sondern vielmehr einen tatsächlich erlebten Lebenssachverhalt zu Protokoll gegeben habe. Er sei ständig bestrebt gewesen, eventuelle Ungereimtheiten aufzuklären und habe eine Fülle von Informationen über die technische Beschaffenheit der von ihm betreuten Fluggeräte und militärischen Ränge samt deren Abzeichen angeboten, die allein den Schluss zugelassen hätten, der Beschwerdeführer sei tatsächlich beim algerischen Militär gewesen. Die Feststellung zur allgemeinen Sicherheitslage und zu den Strafverfahren wegen Desertion ergäbe sich aus den in der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde erörterten Quellen. Rechtlich folge aus dem festgestellten Sachverhalt, dass der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention sei. Soweit er vorbringe, er hätte bei einer Rückkehr nach Algerien ein Strafverfahren wegen Desertion zu gewärtigen, sei ihm zu entgegnen, dass hiebei kein Zusammenhang mit politischen, religiösen, rassischen oder sonstigen in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen erkannt werden könne. Der Beschwerdeführer habe nach eigenen Angaben keinerlei Schwierigkeiten mit den Behörden seines Heimatlandes gehabt, er sei ein Gegner der islamischen Fundamentalisten und es bestünden keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass er - abgesehen von seiner Desertion - eventuell sonst jemals in irgendeiner Weise den Behörden Algeriens negativ aufgefallen wäre, sodass nicht erkannt werden könne, er würde im Vergleich zu anderen Deserteuren aus asylrechtlich relevanten Gründen strenger bestraft werden oder aus diesen Gründen kein faires Verfahren haben. Das von ihm bei seiner Rückkehr nach Algerien zu gewärtigende Strafverfahren wegen Desertion könne seine Flüchtlingseigenschaft sohin nicht begründen. Die vom Beschwerdeführer befürchtete Gefährdung seiner Person durch islamische Terroristen sei eine Bedrohung von Privaten und könne nicht seinem Heimatstaat zugerechnet werden, weil keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass der Staat Algerien seiner Garantenstellung nicht nachkommen würde. Auch sei die durch verschiedene Terrorgruppen ausgehende Gefahr regional unterschiedlich groß. In erster Linie seien die ländlichen Bevölkerungsschichten von Übergriffen bedroht, während hingegen Großstädte einen erhöhten, wenngleich auch nicht vollkommenen Schutz böten. Es könne keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit dafür erkannt werden, dass der Beschwerdeführer im gesamten Staatsgebiet Algeriens von den Terroristen konkret bedroht wäre. Betreffend die Feststellung nach § 8 AsylG führte die belangte Behörde schließlich aus, das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 57 Abs. 2 FrG sei bereits zu den Fluchtgründen geprüft und verneint worden. Der Beschwerdeführer hätte bei einem eventuell zu gewärtigenden Strafverfahren wegen Desertion eine Haftstrafe, jedenfalls nicht die Todesstrafe zu befürchten. Eine Haftstrafe stelle an sich keine unmenschliche Strafe dar und Desertion sei in praktisch allen Staaten mit Freiheitsstrafe sanktioniert. Soweit der Beschwerdeführer geltend mache, dass er seitens islamischer Terrorgruppen bedroht wäre, sei ihm entgegenzuhalten, dass diese Gefahr nicht im gesamten Staatsgebiet Algeriens mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Realisierung gegeben sei.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die Beschwerde verweist - im Ergebnis zutreffend - darauf, dass der Beschwerdeführer keinen Beitrag zur Tötung unschuldiger Menschen habe leisten wollen, zumal durch die Einsätze des algerischen Militärs auch immer wieder Zivilisten betroffen gewesen seien und sich die Angriffe sohin nicht nur auf Terroristen beschränkt hätten. Der Grund für die Flucht aus Algerien sei sohin gewesen, nicht an (auch gegen Zivilisten gerichteten) Bombenangriffen teilnehmen zu wollen, weshalb es höchst unwahrscheinlich sei, dass ein ehemaliges Mitglied der Polizei oder Armee bei seiner Rückkehr nicht gefährdet wäre, zumal der unbeteiligte Beobachter in Algerien davon ausgehe, dass der Beschwerdeführer die Angriffe auf die Terroristen nicht goutiert und sich deshalb dem Dienst entzogen hätte.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 21. März 2002, Zl. 99/20/0401, Pkt. 3., auf das im Übrigen gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ausführte, kann unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen -

etwa gegen die Zivilbevölkerung - auch eine "bloße" Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung darstellen.

Die belangte Behörde maß dem eingangs näher wiedergegebenen Vorbringen des Beschwerdeführers über seine Beweggründe zur Flucht und über seine Furcht vor Verfolgung seitens des Herkunftsstaates keine Bedeutung bei, weil hiebei "kein Zusammenhang mit politischen, religiösen, rassischen oder sonst in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen erkannt werden" könne. Die Flucht des Beschwerdeführers beruhte jedoch - seinen Angaben zufolge - unter anderem darauf, als Angehöriger der Streitkräfte keinen Beitrag zur Tötung von Zivilisten leisten zu wollen, sodass unter Beachtung des im hg. Erkenntnis vom 21. März 2002 aufgezeigten Gesichtspunktes der dem Beschwerdeführer wegen seiner Weigerung der Teilnahme an Einsätzen gegen die Zivilbevölkerung drohenden Gefängnisstrafe aber Asylrelevanz zukommen kann.

Nach dem Gesagten belastete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 25. März 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2001010360.X00

Im RIS seit

24.06.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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