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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §79a;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Nichtowitz, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den am 19. April 2002 mündlich verkündeten und am 16. Mai 2002 schriftlich ausgefertigten Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien, Zl. UVS- 02//12/2662/2000/90, betreffend behauptete Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (hier: wegen Zuspruch von Kostenersatz; mitbeteiligte Partei: L, geboren 1999, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwedenplatz 2/74), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Bund hat der Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Kostenersatzbegehren der belangten Behörde wird abgewiesen.
Begründung
Im Hinblick auf einen Vorfall vom 17. Februar 2000 erhob die Mitbeteiligte gegen die Bundespolizeidirektion Wien Beschwerde "gemäß §§ 67a Abs. 1 Z. 2 AVG und 88, 89 SPG" an den Unabhängigen Verwaltungssenat Wien (die belangte Behörde). Darin brachte sie vor, dass gestützt auf einen Hausdurchsuchungsbefehl des Jugendgerichtshofes Wien ein konzertierter Zugriff von WEGA-Beamten und Kriminalbeamten auf verschiedene Räumlichkeiten der Asylwerber-Unterkunft in 1100 Wien, Sonnwendgasse 22, stattgefunden habe. Fünf Beamte seien ohne Vorwarnung gewaltsam in das von der Mitbeteiligten und ihrer Mutter bewohnte Zimmer eingedrungen; der Mutter sei verboten worden, sich der Mitbeteiligten zu nähern; sämtliche Besitztümer seien aus den Kästen gerissen und auf den Boden geworfen worden; man habe die Mitbeteiligte von ihrem Bett auf ein anderes Bett gelegt und dort teilweise entkleidet bzw. entblößt und durchsucht; eine Balkontür sei geöffnet worden und man habe der Mutter der Mitbeteiligten nicht gestattet, diese zu schließen, obwohl die teilweise entkleidete Mitbeteiligte nur rund einen halben Meter davon entfernt, direkt im Luftstrom, gelegen sei; erst rund eine Stunde nach Beginn des Vorfalles, nach Ende der Durchsuchungen (insbesondere auch der Mutter), hätten die Beamten das Zimmer verlassen und habe sich die Mutter der Mitbeteiligten wiederum um diese kümmern können. Durch die Untersuchung ihrer Wohnung, insbesondere ihrer persönlichen Besitztümer und ihrer Schlafstelle, sowie durch die erfolgten Freiheitsbeschränkungen sei sie - so die Mitbeteiligte bei Darstellung der "Beschwerdepunkte" weiter - in ihren Rechten verletzt worden; die erfolgte Entkleidung sowie die Durchsuchung hätten jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und es sei das Einschreiten der amtshandelnden Organe entgegen den für derartige Amtshandlungen bestehenden gesetzlichen Vorgaben erfolgt; das Geöffnetlassen der Balkontüre und der Umstand, dass die einschreitenden Beamten die Mitbeteiligte über längere Zeit hinweg hätten schreien lassen, seien jedenfalls als Zufügung schwerer seelischer Schmerzen, als Misshandlungen und als unmenschliche Behandlung anzusehen. Der richterliche Hausdurchsuchungsbefehl habe zwar das von der Mitbeteiligten bewohnte Zimmer erfasst, doch hätten weder die Mitbeteiligte noch ihre Mutter irgendein Naheverhältnis zu Personen aufgewiesen, auf die sich behördliche Ermittlungen oder gerichtliche Vorerhebungen bezogen hätten; die Durchsuchung des Zimmers und der darin befindlichen Besitztümer und der Schlafstelle der Mitbeteiligten sei somit als ein - die gerichtlichen Anordnungen überschreitender - rechtswidriger "Verwaltungsexzess" zu werten; Gründe für eine Durchsuchung durch Sicherheitsorgane aus eigener Macht nach § 141 StPO oder § 39 SPG hätten nicht vorgelegen. Die Freiheitsbeschränkung der Mitbeteiligten (Verhinderung eines Kontakts mit der Mutter) habe keinesfalls eine notwendige Begleitmaßnahme zur Hausdurchsuchung oder Personenfahndung dargestellt; sie sei daher ohne jede gesetzliche Grundlage erfolgt. Gleiches gelte für die Personsdurchsuchung der Mitbeteiligten, die schließlich durch die Verweigerung der Erfüllung jeglicher persönlicher Bedürfnisse in ihrer Menschenwürde verletzt worden sei und der durch die Handlungsweisen der einschreitenden Beamten als Misshandlungen anzusehende schwere seelische Schmerzen zugefügt worden seien. Es werde daher beantragt, die Durchsuchung des Zimmers sowie der dort befindlichen Besitztümer und der Schlafstelle der Mitbeteiligten, ihre Freiheitsbeschränkung sowie die an ihr vorgenommene Personsdurchsuchung für rechtswidrig zu erklären und die Rechtswidrigkeit der Verweigerung jeglicher Erfüllung persönlicher Bedürfnisse sowie die Verletzung im Recht auf Unterlassung unmenschlicher Behandlung und auf Unterlassung von Angriffen gegen ihre körperliche Unversehrtheit festzustellen.
Die Bundespolizeidirektion Wien wandte im "Maßnahmenbeschwerdeverfahren" vor der belangten Behörde - auf das Verfahren betreffend die behauptete Verletzung von Richtlinien für das Einschreiten braucht hier nicht eingegangen zu werden - im Wesentlichen ein, dass die Hausdurchsuchung durch den gerichtlichen Hausdurchsuchungsbefehl gedeckt gewesen sei; eine Freiheitsbeschränkung und eine Personsdurchsuchung der Mitbeteiligten hätten nicht stattgefunden.
Mit dem bekämpften Bescheid wies die belangte Behörde die "Maßnahmenbeschwerde" gemäß § 67c Abs. 3 AVG "in allen Punkten" als unbegründet ab. Überdies sprach sie dem Bund als Rechtsträger der belangten Bundespolizeidirektion Wien gemäß § 79a AVG Kostenersatz für Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand in der Höhe von 457,-- EUR zu.
Diesem Bescheid legte die belangte Behörde folgende Feststellungen zugrunde:
"Am Morgen des 17.2.2000 drangen Organe der belangten Behörde in Wien 10, Sonnwendgasse 22, in das Zimmer 310 ein, wobei es unerheblich ist, ob die Mutter der Beschwerdeführerin nach Aufforderung das Zimmer selbst geöffnet hat oder die Beamten durch Nachsperre der Zimmertüre in das Zimmer gelangt waren. Bezüglich dieser Räumlichkeit und andere Räumlichkeiten des Objekts bestand ein Hausdurchsuchungsbefehl des Jugendgerichtshofes Wien. Im Zimmer 310 wurde die Beschwerdeführerin mit ihrer Mutter angetroffen und waren diese Personen im Durchsuchungsbefehl nicht als Verdächtige bezeichnet. Es erfolgte eine Durchsuchung des Zimmers und wurde durch den KrB B. das geöffnete Fenster bzw. die Balkontüre nach dem Betreten des Zimmers verschlossen. Die Mutter der Beschwerdeführerin war gerade dabei, sich um ihr Baby zu kümmern. Die Beschwerdeführerin (Baby) lag zu diesem Zeitpunkt leicht bekleidet und lediglich mangelhaft zugedeckt auf einem Bett. In weiterer Folge erfolgte im separaten WC eine Visitierung der Mutter der Beschwerdeführerin, wobei aus Verschulden der Mutter, die sich nicht mehr ankleiden und sich auch nicht um ihr Kind kümmern wollte, diese verzögert wurde. Im Anschluss an die Visitierung wurde die Mutter der Beschwerdeführerin aufgefordert, sich um ihr Baby zu kümmern. Die beiden im Zimmer vorhandenen Schlafstellen (Betten) wurden durch die Organe der belangten Behörde ebenfalls durchsucht, wobei es zu einer Ortsveränderung der Beschwerdeführerin von einem zum anderen Bett gekommen war. Eine regelrechte Entkleidung und Untersuchung der Beschwerdeführerin durch Organe der belangten Behörde erfolgte nicht. Nach Visitierung der Mutter und nachdem sie sich entschloss, sich wieder ihrem Kind zu widmen, erfolgte durch die Mutter ein Entkleiden der Beschwerdeführerin und ein Wechseln ihrer Windeln. Nach negativem Ergebnis der Durchsuchung des Zimmers haben die Beamten die Örtlichkeit verlassen."
Nur gegen den Kostenausspruch des Bescheides richtet sich die ausdrücklich als "Amtsbeschwerde gemäß § 91 Abs. 1 Z 1 SPG" titulierte Beschwerde des Bundesministers für Inneres, in der die Auffassung vertreten wird, dass dem Bund gemäß § 52 Abs. 1 VwGG dreifacher Schriftsatzaufwand zuzusprechen gewesen wäre.
Die Mitbeteiligte erstattete eine Gegenschrift, in der sie beantragt, die Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise diese als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese Beschwerde - in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat - erwogen:
Der beschwerdeführende Bundesminister gründet seine Beschwerdelegitimation auf § 91 Abs. 1 Z 1 SPG iVm Art. 131 Abs. 2 B-VG. Gemäß der genannten Bestimmung des SPG kann er gegen Entscheidungen der unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden gemäß §§ 88 und 89 SPG sowohl zugunsten als auch zum Nachteil des Betroffenen Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit an den Verwaltungsgerichtshof erheben.
Die allein - ausschließlich im Kostenpunkt - bekämpfte Entscheidung der belangten Behörde über die "Maßnahmenbeschwerde" kann der Natur der Sache nach keine Entscheidung über eine Beschwerde nach § 89 SPG sein. Sie stellt aber aus nachfolgenden Gründen auch keine Entscheidung über eine Beschwerde nach § 88 SPG dar: Wie der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen hat, erfasst § 88 SPG Beschwerden, die sich auf Verwaltungsakte im Bereich der Sicherheitsverwaltung iS des § 2 Abs. 2 SPG beziehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. September 1998, Zl. 97/01/1065). Im vorliegenden Fall wurde von der Mitbeteiligten ein Tätigwerden der Organe der Bundespolizeidirektion Wien im Dienste der Strafjustiz in Beschwerde gezogen. Behördenhandeln im Dienste der Strafjustiz zählt jedoch nicht zur "Sicherheitsverwaltung" nach dem SPG (Wiederin, Einführung in das Sicherheitspolizeirecht (1998), Rz 737; Hauer/Keplinger, Kommentar zum Sicherheitspolizeigesetz2, (2001), B. 7. zu § 2). Da weder dem Vorbringen in der an die belangte Behörde erhobenen Beschwerde der Mitbeteiligten noch den im bekämpften Bescheid getroffenen Feststellungen etwas zu entnehmen ist, was dem Verhalten der einschreitenden Polizeibeamten über ihr Tätigwerden im Dienste der Strafjustiz hinaus eine sicherheitspolizeiliche Komponente verleihen könnte (etwa im Hinblick auf Gefahrenabwehr oder Vorbeugung von gefährlichen Angriffen), liegt - unabhängig von der Frage, ob der gegenständliche gerichtliche Hausdurchsuchungsbefehl das gesamte Behördenhandeln abdeckte - mithin keine Entscheidung über eine Beschwerde nach § 88 SPG vor. Dass die Mitbeteiligte ihrerseits in der erhobenen Beschwerde an die belangte Behörde einleitend auf § 88 SPG Bezug genommen hat, ist im hier zu beurteilenden Zusammenhang ohne Belang (vgl. den hg. Beschluss vom 16. Februar 2000, Zl. 99/01/0339). § 91 Abs. 1 Z 1 SPG vermag demnach für die gegenständliche Amtsbeschwerde keine taugliche Grundlage zu bieten (vgl. auch Hauer/Keplinger, aaO., B. 9. zu § 88).
Die Beschwerdelegitimation des Bundesministers für Inneres kann aber auch nicht daraus abgeleitet werden, dass die angefochtene Kostenentscheidung Interessen des Rechtsträgers "Bund" unmittelbar verletzt. Mit diesen ergänzend angestellten Überlegungen macht der Beschwerdeführer der Sache nach geltend, er könne infolge Verletzung subjektiver Rechte Parteibeschwerde nach Art. 131 Abs. 1 Z 1 B-VG erheben (vgl. zu einer insoweit dem Bund zukommenden Beschwerdelegitimation etwa das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 1996, Zl. 94/01/0714). Dabei übersieht der Beschwerdeführer jedoch, dass die vorliegende Beschwerde nicht namens des Rechtsträgers "Bund" erhoben worden ist. Vielmehr hat er sich ausdrücklich auf die Amtsbeschwerdebefugnis nach § 91 Abs. 1 Z 1 SPG berufen und demnach klar ein ihm unmittelbar als Verwaltungsorgan zustehendes Beschwerderecht (vgl. dazu etwa Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit (1983), 68 f.) ausüben wollen, sodass er nicht als Vertreter des Rechtsträgers "Bund" sondern eindeutig "im eigenen Namen" aufgetreten ist. Ausschließlich dem Rechtsträger "Bund" wäre indes, infolge Verletzung seiner Interessen durch die Kostenentscheidung, nach der dargestellten Judikatur das Recht zur Erhebung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zugekommen, während es dem beschwerdeführenden Bundesminister selbst an der Möglichkeit einer Rechtsverletzung ermangelt (vgl. sinngemäß das hg. Erkenntnis vom 8. Februar 1995, Zl. 93/03/0093, und den hg. Beschluss vom 20. November 1997, Zl. 97/06/0209; siehe auch Walter/Thienel, Die Verwaltungsverfahrensnovellen 1995, 66).
Nach dem Gesagten fehlt gegenständlich die Berechtigung zur Erhebung der vorliegenden Beschwerde, weshalb diese gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG als unzulässig zurückzuweisen war.
Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere auf § 51 leg. cit., iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Das Kostenersatzbegehren der belangten Behörde war im Hinblick auf § 47 Abs. 4 VwGG abzuweisen.
Wien, am 25. März 2003
Schlagworte
Mangel der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde mangelnde subjektive Rechtsverletzung Parteienrechte und Beschwerdelegitimation Verwaltungsverfahren Mangelnde Rechtsverletzung Beschwerdelegitimation verneint keineBESCHWERDELEGITIMATIONEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2002010252.X00Im RIS seit
07.07.2003