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E2D Assoziierung Türkei;Norm
61995CJ0171 Recep Tetik VORAB;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Germ und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hanslik, über die Beschwerde des Y in D, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh und Dr. Hanno Lechner, Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Vorarlberg vom 21. Juli 2000, Zl. LGSV/3/13115/2000 ABA 808808, betreffend Nichtausstellung eines Befreiungsscheines nach § 4c Abs. 2 AuslBG, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die beschwerdeführende Partei hat dem Arbeitsmarktservice Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, stellte am 11. September 1997 beim Arbeitsmarktservice Dornbirn den Antrag "auf Feststellung der Assoziationsintegration im Sinne des Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich ARB Nr. 1/80; in eventu beantragte er "die Verlängerung seiner bis 30.9.1997 befristet erteilten Arbeitserlaubnis, dies aber nur für den Fall der Abweisung seines Feststellungsantrages.
Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. April 2000, Zl. 98/09/0109, wurde der damals angefochtene Bescheid der belangten Behörde vom 9. März 1998 wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit mit der Begründung aufgehoben, dass aufgrund der geänderten Rechtslage (Inkrafttreten des § 4c AuslBG) mit 1. Jänner 1998 der Antrag des Beschwerdeführers als ein solcher auf Ausstellung eines Befreiungsscheines nach § 4c Abs. 2 AuslBG hätte behandelt werden müssen; auf das genannte Erkenntnis wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen.
Die Berufungsbehörde hielt dem Beschwerdeführer im fortgesetzten Berufungsverfahren mit Verständigung vom Ergebnis des Ermittlungsverfahrens vom 28. Juni 2000 unter anderem vor, aufgrund der im einzelnen aufgeführten Beschäftigungszeiten und der näher aufgeführten Zeiten der Vormerkung beim Arbeitsmarktservice sowie des Krankengeldbezuges ergebe sich, dass der Beschwerdeführer in der Zeit von 18. März bis 23. Mai 1994, von 1. September bis 29. September 1996, von 4. Februar bis 9. April 1997 und seit 19. Februar 1998 (bis laufend) nicht beschäftigt gewesen sei und während dieser Zeiten Arbeitslosengeld, Krankengeld bzw. sonstige Leistungen nach österreichischen Rechtsvorschriften nicht bezogen habe; für diese Zeiträume könne unverschuldete Arbeitslosigkeit im Sinne des Art. 6 Abs. 2 ARB NR. 1/80 nicht festgestellt werden, es liege keine Abwesenheit wegen langer Krankheit vor und der Beschwerdeführer sei beim Arbeitsmarkservice auch nicht als arbeitssuchend vorgemerkt gewesen.
Der Beschwerdeführer entgegnete in seiner Stellungnahme vom 13. Juli 2000 dazu, es sei zutreffend, dass während der im behördlichen Vorhalt näher aufgeführten Zeiten kein Beschäftigungsverhältnis vorgelegen habe. Er habe auch kein Arbeitslosengeld bezogen und er sei beim Arbeitsmarktservice nicht in Vermittlung gewesen, weil das Arbeitsmarktservice ihm in Verkennung der Rechtslage "beide Leistungen verweigert hat". Dies sei - nach Ansicht des Beschwerdeführers - allerdings für die Lösung der hier maßgeblichen Fragen unerheblich, weil es auf den Stichtag 30. September 1997, das sei der Ablauf des Befreiungsscheines und die grundlose Verweigerung der Assoziationsintegration, ankomme. Die im behördlichen Vorhalt aufgeführten Fehlzeiten könnten im Sinne der Urteile Tetik, Ertanir, Ergat und Nazli die bis dahin erworbenen Beschäftigungszeiten nicht invalidieren.
Mit dem als Ersatzbescheid im Instanzenzug ergangenen, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 21. Juli 2000 wurde der Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 4c Abs. 2 AuslBG keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid dahingehend abgeändert, dass die Ablehnung § 4c Abs. 2 AuslBG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 dritter Unterabsatz des ARB Nr. 1/80 zu lauten habe.
Zur Begründung ihrer Entscheidung führte die belangte Behörde - soweit diese zur Behandlung der vorliegenden Beschwerde erheblich ist - aus, die Beschäftigung des Beschwerdeführers sei in der Zeit von 18. März 1994 bis 23. Mai 1994, von 1. September 1996 bis 29. September 1996, von 4. Februar 1997 bis 9. April 1997 und seit dem 19. Februar 1998 bis laufend unterbrochen; während dieser Zeiten sei der Beschwerdeführer in keinem Beschäftigungsverhältnis gewesen und er habe während dieser Zeiten Arbeitslosengeld, Krankengeld oder sonstige Leistungen nach österreichischen Rechtsvorschriften nicht bezogen. Es könne für diese Zeiten unverschuldete Arbeitslosigkeit im Sinne des Art. 6 Abs. 2 ARB Nr. 1/80 nicht festgestellt werden und es liege auch keine Abwesenheit des Beschwerdeführers wegen langer Krankheit vor. Der Beschwerdeführer sei während dieser Zeiträume beim Arbeitsmarktservice nicht als arbeitssuchend vorgemerkt gewesen. Ein Befreiungsschein nach § 4c Abs. 2 AuslBG könne nicht ausgestellt werden, weil der Beschwerdeführer die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich nicht erfülle.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Der Beschwerdeführer erachtet sich nach dem in der Beschwerde bezeichneten Beschwerdepunkt durch den angefochtenen Bescheid in dem Recht auf "Erteilung eines Befreiungsscheines nach § 4c AuslBG iVm Art. 6 ARB Nr. 1/80; Anerkennung seines assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechtes nach Art. 6 Abs. 1 ARB Nr. 1/80; richtige und vollständige Sachverhaltsfeststellung sowie ordnungsgemäße Bescheidbegründung" verletzt. Er beantragt, eine mündliche Verhandlung durchzuführen und den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
§ 4c AuslBG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 78/1997 lautet:
"(1) Für türkische Staatsangehörige ist eine Beschäftigungsbewilligung von Amts wegen zu erteilen oder zu verlängern, wenn sie die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 erster und zweiter Unterabsatz oder nach Art. 7 erster Unterabsatz oder nach Art. 7 letzter Satz oder nach Artikel 9 des Beschlusses des Assoziationsrates EWG-Türkei - ARB Nr. 1/1980 erfüllen.
(2) Türkischen Staatsangehörigen ist von Amts wegen ein Befreiungsschein auszustellen oder zu verlängern, wenn sie die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 dritter Unterabsatz oder nach Art. 7 zweiter Unterabsatz des ARB Nr. 1/1980 erfüllen.
(3) Die Rechte türkischer Staatsangehöriger auf Grund der sonstigen Bestimmungen dieses Bundesgesetzes bleiben unberührt. Für die Verfahrenszuständigkeit und die Durchführung der Verfahren gemäß Abs. 1 und 2 gelten, soweit dem nicht Bestimmungen des ARB Nr. 1/1980 entgegenstehen, die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes."
Art. 6 und Art. 7 Satz 1 (Abs. 1) des Beschlusses des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19. September 1980, Nr. 1/80 (ARB Nr. 1/80), lauten:
"Artikel 6
(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Art. 7 über den freien
Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische
Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates
angehört, in diesem Mitgliedstaat
- nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung
Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen
Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;
- nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung -
vorbehaltlich des den Arbeitnehmer aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedienungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;
-
nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung
freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.
(2) Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die Aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche.
(3) Die Einzelheiten der Durchführung der Absätze 1 und 2 werden durch einzelstaatliche Vorschriften festgelegt.
Artikel 7
Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt
eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die
die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen
- haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den
Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das
Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort
seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;
- haben freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten
Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben."
Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Februar 2002, Zl. 99/09/0179, wurde die Beschwerde der Ehegattin des Beschwerdeführers, der türkischen Staatsangehörigen A Y, gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 12. Juli 1999 - mit dem die Ausstellung eines Befreiungsscheines für A Y nach § 4c Abs. 2 AuslBG abgelehnt worden war - als unbegründet abgewiesen. In der Begründung des genannten Erkenntnisses wurde ausgeführt, dass der in dem zugrundeliegenden Verwaltungsverfahren als Bezugsperson der A Y im Sinne des Art. 7 ARB Nr. 1/80 angegebene Beschwerdeführer deshalb nicht ein dem regulären Arbeitsmarkt angehörender türkischer Arbeitnehmer gewesen sei, weil er seit dem Verlust der Beschäftigung (im Februar 1998) bis zur Erlassung der Entscheidung der belangten Behörde (12. Juli 1999) während eines Zeitraumes von etwa 22 Monaten keine neue Arbeitsstelle gefunden gehabt habe. Im übrigen wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die (den Parteien des vorliegenden Beschwerdeverfahrens bekannte) Begründung des genannten Erkenntnisses verwiesen. Schon aufgrund der Ausführungen in dem genannten Erkenntnis zur Zl. 99/09/0179 ist auch vorliegend davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer - selbst wenn er früher dem regulären österreichischen Arbeitsmarkt angehörte - diese Zugehörigkeit eines begünstigten türkischen Arbeitnehmers jedenfalls seit Februar 1998 verloren hat, wobei vorliegend bis zur Entscheidung der belangten Behörde ein - verglichen mit dem im genannten Erkenntnis wiedergegebenen Zeitraum von 22 Monaten - noch längerer Zeitraum von 2 Jahren und 5 Monaten vergangen ist, in dem der Beschwerdeführer keine neue Arbeitsstelle gefunden hat. In der Beschwerde wird dieser Sachverhalt nicht in Zweifel gezogen und dazu auch nichts Entscheidendes vorgebracht.
Die Beschwerde erweist sich - ungeachtet des aus dem Erkenntnis Zl. 99/09/0179 entnehmbaren Ergebnisses - zudem aus folgenden Erwägungen als unbegründet:
Die belangte Behörde hat unter anderem im angefochtenen Bescheid festgestellt, dass der Beschwerdeführer in der Zeit von 18. März bis 23. Mai 1994, von 1. September bis 29. September 1996
und von 4. Februar bis 9. April 1997 nicht unverschuldet arbeitslos war und während dieser Zeiten nicht wegen langer Krankheit abwesend gewesen ist. Diese Feststellung wird in der Beschwerde nicht bestritten.
Davon ausgehend erfüllt der Beschwerdeführer die für Zeiten der Beschäftigungslosigkeit aufgestellte Vorschrift des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB Nr. 1/80, die verhindern soll, dass ein türkischer Arbeitnehmer die aufgrund vorheriger ordnungsgemäßer Beschäftigungszeiten erworbenen Ansprüche verliert, während der von der belangten Behörde festgestellten Zeiten allerdings nicht.
Für den Beschwerdefall bedeutet das, dass der Beschwerdeführer, weil er während der festgestellten Zeiten nicht unverschuldet arbeitslos war, nach den festgestellten Zeiten die in den drei Gedankenstrichen des Art. 6 Absatz 1 vorgesehenen Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung wieder von neuem zurücklegen müsste (vgl. das Urteil des EuGH vom 23. Jänner 1997, in der Rechtssache C-171/95, Recep Tetik gegen Land Berlin, Randnummern 38 und 39).
Der Beschwerdeführer lässt bei seiner Argumentation, er habe dem regulären Arbeitsmarkt von 1990 bis 1997 angehört, die festgestellten Zeiten verschuldeter Arbeitslosigkeit im Sinne des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB Nr. 1/80 unberücksichtigt. Dass er sich, nachdem er arbeitslos war, nicht nur um tatsächlich angebotene Arbeitsstellen beworben sondern auch eine neue Beschäftigung innerhalb eines angemessenen Zeitraums gesucht hat, behauptet der Beschwerdeführer nicht und die belangte Behörde hat in dieser Hinsicht unbekämpft das Gegenteil festgestellt (vgl. auch das Urteil des EuGH vom 19. November 2002, in der Rechtssache C- 188/00, Bülent Kurz geb. Yüce gegen Land Baden-Württemberg, Randnummern 58 und 59 mwN).
Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Von der Abhaltung der von der beschwerdeführenden Partei beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 1999, Zl. 98/09/0208, mwN).
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit § 41 AMSG und der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am 27. März 2003
Gerichtsentscheidung
EuGH 61995J0171 Recep Tetik VORABEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2000090156.X00Im RIS seit
09.07.2003Zuletzt aktualisiert am
11.11.2011