TE Vfgh Erkenntnis 2000/2/28 B2016/97

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Veröffentlicht am 28.02.2000
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Index

L7 Wirtschaftsrecht
L7200 Beschaffung, Vergabe

Norm

B-VG Art133 Z4
EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
EMRK Art6 Abs1 / civil rights

Leitsatz

Verstoß gegen Art6 EMRK durch Verletzung des äußeren Anscheins der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des über zivilrechtliche Ansprüche entscheidenden Vergabeamtes aufgrund der Überschneidung dienstlicher Aufgabenbereiche einzelner - als Organwalter weisungsgebundener - Mitglieder mit der Tätigkeit im Vergabeamt

Spruch

Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid in ihrem durch Art6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Tirol ist verpflichtet, der beschwerdeführenden Gesellschaft zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit S 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Aufgrund einer im offenen Verfahren durchgeführten öffentlichen Ausschreibung des Bauvorhabens "Neubau Bezirks-krankenhaus Kufstein-Wörgl" erteilte der Gemeindeverband Bezirkskrankenhaus Kufstein-Wörgl einem Mitbewerber des nunmehrigen Beschwerdeführers den Zuschlag für das "Gewerk Meß/Regel/Steueranlagen - ZLT Haustechnik E-Verteiler". Die nunmehr beschwerdeführende Gesellschaft beantragte daraufhin mit Schriftsatz vom 7. März 1997 beim Tiroler Vergabeamt (TVA) gemäß §12 Abs2 Tiroler Vergabegesetz, LGBl. 87/1994, die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Zuschlagserteilung. Mit Bescheid des TVA vom 18. Juni 1997 stellte das TVA fest, daß im vorliegenden Vergabeverfahren der Zuschlag dem Bestbieter erteilt wurde und daß ein Verstoß des Auftraggebers gegen die Bestimmungen des Tiroler Vergabegesetzes oder einer Verordnung aufgrund dieses Gesetzes nicht feststellbar ist.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie den Beschwerdebehauptungen entgegentrat und die Abweisung der Beschwerde begehrte.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige (vgl. zB. VfSlg. 14.499/1996) - Beschwerde erwogen:

1. Art6 EMRK verlangt, daß in Angelegenheiten, die als civil rights zu qualifizieren sind, ein unabhängiges und unparteiisches Tribunal tätig wird. Der Verfassungsgerichtshof hat dazu in Kongruenz mit der Judikatur des EGMR mehrfach ausgesprochen, daß ein Tribunal derart zusammengesetzt sein muß, daß keine berechtigten Zweifel an der Unabhängigkeit seiner Mitglieder entstehen; bei dieser Beurteilung ist auch der äußere Anschein von Bedeutung (vgl. etwa VfSlg. 10.701/1985, 11.131/1986, 12.074/1989, 14.564/1996, alle auch mit entsprechenden Hinweisen auf die Judikatur des EGMR).

In seiner Entscheidung vom 1. Dezember 1999, B2835/96, hat der Verfassungsgerichtshof näher dargelegt, daß und warum das TVA diesen Anforderungen nicht genügte; die dort angestellten Erwägungen treffen auch im vorliegenden Fall zu:

Zwar stellt der Umstand, daß ein Mitglied einer kollegialen Verwaltungsbehörde im Sinne des Art133 Z4 B-VG Verwaltungsbeamter ist und als solcher in seiner sonstigen Tätigkeit weisungsgebunden ist, für sich allein noch keinen Grund dafür dar, an der Unabhängigkeit des Kontrollorgans zu zweifeln.

Dem äußeren Anschein der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit widerstreitet es aber, wenn sich der konkrete Aufgabenbereich eines Mitgliedes eines gemäß Art133 Z4 B-VG eingerichteten Organs mit seinem konkreten Aufgabenbereich als weisungsgebundener Organwalter des Landes derart überschneidet, wie dies beim TVA sowohl hinsichtlich des Vorsitzenden als auch hinsichtlich des Berichterstatters der Fall ist, die weisungsgebunden gerade in Vergabesachen tätig werden:

Der Vorsitzende und das als Berichterstatter tätig gewordene Mitglied des TVA sind in der Präsidialabteilung IV des Amtes der Tiroler Landesregierung tätig, in deren Kompetenz u.a. Aufgaben des Vergabewesens fallen. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem oben zitierten Erkenntnis festgestellt hat, ist es einerseits nicht ausgeschlossen, daß Mitarbeiter dieser Abteilung mit vergaberechtlichen Rechtsfragen auch in Angelegenheiten insbesondere der Landes- und Gemeindeverwaltung befaßt werden, die zu einer Befassung des TVA führen können, und andererseits wird der Anschein erweckt, als ob das TVA geradezu als Teil der Präsidialabteilung IV des Amtes der Landesregierung geführt wird.

Angesichts dieser Umstände können vom äußeren Anschein her Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Mitglieder des TVA entstehen. Die Zusammensetzung des im vorliegenden Fall tätig gewordenen Organs entspricht daher nicht den Anforderungen des Art6

EMRK.

Der Bescheid war daher bereits aus den genannten Gründen aufzuheben, ohne daß geprüft zu werden brauchte, ob er auch aus anderen Gründen mit Verfassungswidrigkeit behaftet ist.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG, vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen S 3.000,-- auf die Umsatzsteuer.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Vergabewesen, Kollegialbehörde, Behördenzusammensetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:B2016.1997

Dokumentnummer

JFT_09999772_97B02016_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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