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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
FrG 1997 §107;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky, Dr. Beck und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. König, über die Beschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 9. Jänner 2001, Zl. UVS-01//43/48/2001/22, betreffend Festnahme und Schubhaft (mitbeteiligte Partei: QZ, geboren am 16. August 1973, vertreten durch Dr. Eva Barki, Rechtsanwältin in Wien I, Landhausgasse 4), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 9. Jänner 2001 wurde der an diese vom Mitbeteiligten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (eines chinesischen Staatsangehörigen) erhobenen Beschwerde gemäß § 72 des Fremdengesetzes 1997 - FrG stattgegeben und festgestellt, dass die Festnahme, die Verhängung der Schubhaft sowie die Anhaltung des Mitbeteiligten vom 18. Dezember 2000, 14.00 Uhr, bis 5. Jänner 2000 (richtig: 2001), 11.10 Uhr, rechtswidrig war. Weiters wurde der Bund (Bundesminister für Inneres) zum Kostenersatz gegenüber dem Mitbeteiligten verpflichtet.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf § 74 FrG gestützte Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.
Dieser hat erwogen:
Was zunächst die als rechtswidrig erkannte Festnahme des Mitbeteiligten durch die vor dem Verwaltungsgerichtshof belangte Behörde anlangt, wurde zwar in der an diese gerichteten Beschwerde auch diese Maßnahme bekämpft, doch finden sich dort diesbezüglich keine näheren Ausführungen.
In der Begründung des angefochtenen Bescheides wird die Rechtswidrigkeit der Festnahme allein damit begründet, dass der Mitbeteiligte "sowohl rechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist war und sich auch rechtmäßig im Gebiet der Republik Österreich aufgehalten hat", ohne dass sich eine nähere Auseinandersetzung mit der Frage findet, ob die Festnahme nach § 110 Abs. 3 FrG - auf diese Bestimmung wurde sie gestützt - berechtigt war oder nicht.
Dies ist offenbar in Verkennung der Rechtslage unterblieben:
§ 110 Abs. 3 FrG lautet:
"Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes können einen Fremden, den sei bei der Begehung einer Verwaltungsübertretung nach den §§ 107 oder 108 Abs. 1 Z 3 lit. b betreten, zum Zwecke einer für die Sicherung des Verfahrens unerläßlichen Vorführung vor die Behörde festnehmen, es sei denn, es wäre auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen, er werde das Bundesgebiet unverzüglich verlassen."
Der Mitbeteiligte wurde entsprechend dem Inhalt der "Anhaltemeldung" vom 18. Dezember 2000 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes in einem "China-Restaurant" angetroffen, wo er mit Arbeiten im Lagerraum beschäftigt war. Er wies sich mit einem chinesischen Reisepass - ohne Eintragung einer Aufenthaltsbewilligung für Österreich - aus, wies allerdings eine Aufenthaltsbewilligung für Italien vor. "Meldezettel und Arbeitspapiere" konnte der Mitbeteiligte keine vorlegen. Sodann findet sich in dieser "Anhaltemeldung" der Absatz:
"Da der begründete Verdacht gegeben war, daß die vorliegende Aufenthaltsbewilligung aus Italien und der vorgezeigte chin. Reisepaß nicht für Z. (Name des Mitbeteiligten) ausgestellt waren, weiters er keine Arbeitspapiere vorweisen konnte, er offensichtlich nicht pol. gemeldet ist, wurde er gem. § 110/3 FrG vorläufig festgenommen und zum hs. Amt überstellt."
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis vom 5. September 2002, Zl. 2000/02/0037) ist eine Festnahme nach § 110 Abs. 3 FrG schon dann zulässig, wenn das einschreitende Sicherheitsorgan ein Verhalten unmittelbar selbst wahrnahm, das es zumindest vertretbarer Weise als eine als Verwaltungsübertretung strafbare Tat qualifizieren konnte, wenn also das Organ mit gutem Grund annehmen konnte, dass eine Verwaltungsübertretung (nach den §§ 107 oder 108 Abs. 1 Z. 3 lit. b FrG) vorliegt. Ein solcher Fall lag hier vor:
Nach § 107 Abs. 1 Z. 4 FrG begeht eine Verwaltungsübertretung, wer sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, wobei auf § 31 leg. cit. verwiesen wird. Nach dieser Bestimmung (Abs. 1 Z. 2) halten sich Fremde dann rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie u.a. auf Grund eines Aufenthaltstitels zum Aufenthalt berechtigt sind.
Dass die vom Mitbeteiligten vorgezeigte "Aufenthaltsbewilligung für Italien" nicht zu einer Rechtmäßigkeit seines Aufenthaltes in Österreich führte, wird unten aufgezeigt. Da der Beschwerdeführer bei einer "Erwerbstätigkeit" angetroffen wurde, hätte er - selbst ohne an einem Wohnsitz niedergelassen zu sein - einer Aufenthaltserlaubnis bedurft (vgl. § 7 Abs. 4 Z. 4 FrG). Dafür aber, dass "auf Grund bestimmter Tatsachen" anzunehmen war, der Mitbeteiligte werde das Bundesgebiet "unverzüglich" verlassen (vgl. § 110 Abs. 3 FrG) ergibt sich kein Anhaltspunkt.
Aber auch der Schubhaftbescheid und in der Folge die Schubhaft (der Mitbeteiligte wurde am 5. Jänner 2001 abgeschoben) erweisen sich als rechtmäßig:
Die belangte Behörde stützte ihre Annahme, der Mitbeteiligte habe sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten, auf das "Schengener Durchführungsübereinkommen" (BGBl. III Nr. 90/1997, im Folgenden: SDÜ), näherhin auf dessen Artikel 18, wobei sie die Ansicht vertrat, die (negativen) Voraussetzungen des Artikel 5 Abs. 1 lit. a, d und e seien nicht erfüllt.
Damit hat die belangte Behörde zunächst verkannt, dass ein "Sichtvermerk für einen Aufenthalt von mehr als drei Monaten" (ein solcher ist Gegenstand der Regelung des Artikels 18 SDÜ) den Inhaber allenfalls nur berechtigt, "durch" das Hoheitsgebiet eines anderen Staates zu reisen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 5. Mai 2000, Zl. 2000/19/0013), was im Beschwerdefall allerdings schon sachverhaltsbezogen ausscheidet, sodass dahinstehen kann, ob der Mitbeteiligte im Besitz eines "Sichtvermerkes" im Sinne dieser Bestimmung war.
Aber auch auf Artikel 21 SDÜ könnte sich der Mitbeteiligte - worauf die beschwerdeführende Sicherheitsdirektion zu Recht verweist - nicht berufen. Der hier interessierende Abs. 1 lautet:
"Drittausländer, die Inhaber eines gültigen, von einer der Vertragsparteien ausgestellten Aufenthaltstitels sind, können sich aufgrund dieses Dokuments und eines gültigen Reisedokuments höchstens bis zu drei Monaten frei im Hoheitsgebiet der anderen Vertragsparteien bewegen, soweit sie die in Artikel 5 Absatz 1 Buchstaben a, c und e aufgeführten Einreisevoraussetzungen erfüllen und nicht auf der nationalen Ausschreibungsliste der betroffenen Vertragspartei stehen."
Anders als in Artikel 18 SDÜ, wo auf Artikel 5 Abs. 1 Buchstaben a, d und e Bezug genommen wird, sind in Artikel 21 die Buchstaben a, c und e angeführt. Dieser Buchstabe c lautet:
"(1) Für einen Aufenthalt von bis zu drei Monaten kann einem Drittausländer die Einreise in das Hoheitsgebiet der Vertragsparteien gestattet werden, wenn er die nachstehenden Voraussetzungen erfüllt:
...
c) Er muss gegebenenfalls die Dokumente vorzeigen, die seinen Aufenthaltszweck und die Umstände seines Aufenthalts belegen, und über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts sowohl für die Dauer des Aufenthalts als auch für die Rückreise in den Herkunftsstaat oder für die Durchreise in einen Drittstaat, in dem seine Zulassung gewährleistet ist, verfügen oder in der Lage sein, diese Mittel auf legale Weise zu erwerben."
Dass der Mitbeteiligte nicht über "ausreichende Mittel" im Sinne dieser Bestimmung verfügte, entspricht der Aktenlage. Dass er aber in der Lage gewesen sei, diese Mittel auf "legale Weise" zu erwerben, ist deshalb zu verneinen, weil er - wie sich aus der zitierten "Anhaltemeldung" ergibt - bei einer unselbständigen Tätigkeit entgegen den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes angetroffen wurde.
Die belangte Behörde ist daher zu Unrecht davon ausgegangen, der Mitbeteiligte habe sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten.
Die Anordnung der Schubhaft setzt nicht die Gewissheit, dass ein Aufenthaltsverbot verhängt werde, voraus; vielmehr genügt hiefür bereits die berechtigte Annahme der Möglichkeit der Verhängung eines solchen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Februar 1999, Zl. 99/02/0011). Entgegen der Ansicht des Mitbeteiligten in seiner an die belangte Behörde gerichteten Beschwerde stand auch die angeführte italienische Aufenthaltsberechtigung im Zusammenhang mit dem SDÜ der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht entgegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. November 2002, Zl. 2002/18/0058). Was aber die berechtigte Annahme der Möglichkeit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes anlangt, genügt der Hinweis, dass der unberechtigt in Österreich aufhältige Mitbeteiligte polizeilich nicht gemeldet war und bei einer unzulässigen Beschäftigung betreten wurde (vgl. § 36 Abs. 2 Z. 8 und Abs. 4 FrG).
Die u.a. zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes verhängte Schubhaft wurde aber auch unter dem Blickwinkel der "Sicherung des Verfahrens" zu Recht angeordnet:
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis vom 28. Juni 2002, Zl. 2002/02/0138) genügt es, dass Grund zur Annahme für die Gefahr besteht, dass sich der betreffende Fremde diesem Verfahren entziehen werde. Ein solcher Fall lag hier vor:
Im gegenständlichen Schubhaftbescheid wird darauf verwiesen, dass gegen den Mitbeteiligten (der "unangemeldet wohnhaft" sei) "unter anderem Namen ein Festnahmeauftrag besteht", was in der an die belangte Behörde gerichteten Beschwerde nicht bestritten wurde. Der Umstand, dass der Mitbeteiligte schon unter anderem - falschem - Namen in Österreich aufhältig war, rechtfertigt aber schon für sich allein die Annahme der Gefahr, er werde sich dem fremdenpolizeilichen Verfahren entziehen. Ob sich der Mitbeteiligte im Zeitpunkt der Inschubhaftnahme bereit erklärt habe, nach Italien zurückzukehren, ist entgegen der Ansicht der belangten Behörde nicht ausschlaggebend.
Der angefochtene Bescheid war daher zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 28. März 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2001020035.X00Im RIS seit
05.05.2003