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E000 EU- Recht allgemein;Norm
31998R1139 Etikettierung genetisch veränderter Lebensmittel;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Stöberl und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Binder-Krieglstein, über die Beschwerde der DG, vertreten durch Dr. Aldo Frischenschlager, Dr. Dieter Gallistl und Dr. Elfgund Frischenschlager, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Landstraße 15, gegen den Bescheid des Bundeskanzlers vom 10. Februar 2000, Zl. 301.891/1-VI/B/12/00, betreffend Verweigerung einer Auskunft nach dem Auskunftspflichtgesetz in einer Lebensmittelangelegenheit, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Schreiben vom 13. Jänner 2000 stellte die Beschwerdeführerin bei der belangten Behörde einen Antrag auf Auskunft betreffend "Kennzeichnung von Produkten aus Gensoja bzw. Genmais". Dabei wurden folgende Fragen gestellt:
"1. Wieviele Produkte aus Gensoja und Genmais wurden im genannten Zeitraum auf die korrekte Kennzeichnung nach EG-Verordnung 1139/98 überprüft?
2.
Wie oft kam es zu Beanstandungen?
3.
Um welche Produkte handelte es sich dabei? Bitte um Bekanntgabe der Produktnamen und der Produzenten.
4. Wie oft kam es zu Verhängung einer Verwaltungsstrafe? Welche Produzenten wurden wegen welcher Produkte bestraft?
5. Wie hoch war die Höchststrafe und die Mindeststrafe wegen fehlender Kennzeichnung a) von 1.8. bis 31.12.1999 und b) davor?"
Mit Schreiben vom 10. Februar 2000 wurde zu den Fragen 1 und 2 Auskunft erteilt.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde das Auskunftsbegehren der Beschwerdeführerin zu den restlichen Fragen unter Berufung auf § 4 des Auskunftspflichtgesetzes, BGBl. Nr. 287/1997 (AuskunftspflichtG), in Verbindung mit § 8 des Umweltinformationsgesetzes, BGBl. Nr. 495/1993 (UIG), abgewiesen.
In der Begründung vertrat die belangte Behörde nach Wiedergabe der angewendeten Rechtsgrundlagen im Wesentlichen die Auffassung, hinsichtlich der begehrten Bekanntgabe von Produktnamen und Produzenten, die zu einer Beanstandung Anlass gegeben hätten, dürfe die gewünschte Auskunft wegen eines Überwiegens des Geheimhaltungsinteresses (gesetzliche Verschwiegenheitspflicht) nicht erteilt werden. Ob gegen Bestimmungen der EG-Verordnung 1139/98 tatsächlich verstoßen worden sei, sei erst in konkreten Verwaltungsstrafverfahren, die von den zuständigen Bezirksverwaltungsbehörden durchzuführen seien, zu klären. Eine Mitteilung, welche Produkte und Firmen auf Grund der genannten Verordnung beanstandet worden seien, sei "für sich geeignet, Zweifel an der ordnungsgemäßen Beschaffenheit der Produkte zu wecken, mögen diese in der Sache berechtigt sein oder nicht (zu einer tatsächlichen Verurteilung geführt haben oder nicht)." Die Gefahr einer "medialen Vorverurteilung" als Folge der Auskunftserteilung sei nahe liegend. Insoweit bestehe ein auf die Verhinderung des Entstehens solcher Zweifel gerichtetes, somit im Sinne des § 1 Abs. 1 des Datenschutzgesetzes schutzwürdiges Interesse des Betroffenen auf Geheimhaltung dieser Daten. Dieses Geheimhaltungsinteresse werde von der belangten Behörde im Sinne des Art. 20 Abs. 3 B-VG als überwiegend bewertet.
Bei den verlangten Informationen handle es sich nach Auffassung der belangten Behörde auch nicht um "Umweltdaten" im Sinne des § 2 UIG. Als einzige Anknüpfungsmöglichkeit wäre zu prüfen, ob das "Inverkehrbringen nicht korrekt gekennzeichneter Lebensmittel, die Genmais oder Gensoja enthalten", unter den Begriff der Tätigkeiten falle, die Gefahren für den Menschen hervorrufen (könnten) oder die Umwelt beeinträchtigen (könnten), insbesondere durch Emissionen, Einbringen oder Freisetzen von Chemikalien, Abfällen, gefährlichen Organismen oder Energie einschließlich ionisierender Strahlen in die Umwelt oder durch Lärm (§ 2 Z. 2 UIG). Dabei sei zunächst festzuhalten, dass die in § 2 Z. 2 UIG genannten Gefahren für die Gesundheit des Menschen in sinnvoller Weise nur Gefahren umfassen könnten, die im Wege von Belastungen der Umweltmedien (Wasser, Luft, Boden, Lärm) auf den Menschen einwirkten; andernfalls käme man zu dem Ergebnis, dass auch Daten über Raufhändel oder die unbefugte Abgabe von Suchtgift (zweifellos Handlungen, die die Gesundheit des Menschen zu gefährden geeignet seien) "Umweltdaten" wären. Den Erfahrungen des Lebens folgend, verursache das "Inverkehrbringen nicht korrekt gekennzeichneter Lebensmittel, die Genmais oder Gensoja enthalten" weder eine Beeinträchtigung der Umwelt noch eine Gefährdung der menschlichen Gesundheit, die über Umwelteinflüsse beim Menschen verursacht werde. Selbst wenn man das Vorliegen von "Umweltdaten" bejahe, sei im vorliegenden Fall auf Grund der bereits oben erwähnten Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit keine konkrete Auskunft möglich. Auch in diesem Fall überwiege das Geheimhaltungsinteresse.
Hinsichtlich der gewünschten Informationen über Verwaltungsstrafverfahren sei darauf zu verweisen, dass die belangte Behörde nicht verpflichtet sei, bei ihr nicht vorhandene Daten von dritter Seite einzufordern, um die Auskunft erteilen zu können. Das Auskunftsbegehren der Beschwerdeführerin sei daher auch in diesem Punkt abzuweisen gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts erhobene Beschwerde insoweit, als die belangte Behörde Auskünfte auf die Fragen 3 und 4 verweigert hat.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 1 Abs. 1 AuskunftspflichtG haben die Organe des Bundes sowie die Organe der durch die Bundesgesetzgebung zu regelnden Selbstverwaltung über Angelegenheiten ihres Wirkungsbereiches Auskünfte zu erteilen, soweit eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht dem nicht entgegensteht.
Als gesetzliche Verschwiegenheitspflicht im Sinne der zitierten Vorschrift kommt insbesondere die durch Art. 20 Abs. 3 B-VG normierte Amtsverschwiegenheit in Betracht. Danach sind alle mit Aufgaben der Bundes-, Landes- und Gemeindeverwaltung betrauten Organe sowie die Organe anderer Körperschaften des öffentlichen Rechts, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, zur Verschwiegenheit über alle ihnen ausschließlich aus ihrer amtlichen Tätigkeit bekannt gewordenen Tatsachen verpflichtet, deren Geheimhaltung im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, der umfassenden Landesverteidigung, der auswärtigen Beziehungen, im wirtschaftlichen Interesse einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, zur Vorbereitung einer Entscheidung oder im überwiegenden Interesse der Parteien geboten ist.
Die um Auskunft ersuchte Behörde hat zu beurteilen, ob und inwieweit dem Auskunftsbegehren die Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit entgegensteht. Sie hat somit im Sinne des Art. 20 Abs. 3 B-VG die Interessen der Gebietskörperschaft und der Parteien zu beurteilen. Der Begriff "Parteien" in Art. 20 Abs. 3 B-VG ist im weitesten Sinn zu verstehen und umfasst alle Personen, die aus irgendeinem Anlass mit Behörden in Berührung kommen. Als Parteien im Sinne der zitierten Vorschrift, auf deren Interesse bei der vorzunehmenden Interessenabwägung Bedacht zu nehmen ist, ist somit auch ein vom Auskunftswerber verschiedener Dritter, der vom Auskunftsverlangen betroffen ist, anzusehen (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 23. Oktober 1995, Zl. 93/10/0009, mit Hinweis auf Vorjudikatur).
Bei der Prüfung des Interesses der Partei an der Geheimhaltung ist eine Abwägung der Interessen, nämlich einerseits des Interesses an der Information und andererseits des Geheimhaltungsinteresses der Partei, vorzunehmen. Stehen einander die beiden Interessenlagen gleichwertig gegenüber, so steht der Auskunftserteilung keine Geheimhaltungsverpflichtung der Behörde entgegen; (nur) bei Überwiegen der Geheimhaltungsinteressen der Partei ist der Behörde eine Auskunftserteilung verwehrt (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 25. Jänner 1993, Zl. 90/10/0061).
Die belangte Behörde hat ihren die Auskunft verweigernden Bescheid hinsichtlich des Punktes 3. der Anfrage auf das Bestehen einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht gegründet. Sie hat dabei im Wesentlichen die Auffassung vertreten, dass eine "Beanstandung" nicht bedeuten müsse, dass auch tatsächlich eine Übertretung der Kennzeichnungsvorschriften gegeben ist. Bereits eine Mitteilung, welche Produkte und Firmen beanstandet worden seien, sei für sich geeignet, Zweifel an der ordnungsgemäßen Beschaffenheit der Produkte zu wecken, mögen diese in der Sache berechtigt sein oder nicht. Als Folge der Auskunftserteilung an die Beschwerdeführerin sei die Gefahr einer "medialen Vorverurteilung" nahe liegend. Es überwiege daher das Geheimhaltungsinteresse des vom Auskunftswerber verschiedenen Dritten.
Die Beschwerdeführerin hält dem im Wesentlichen entgegen, ihr Informationsinteresse gründe sich "auf den Schutz des Lebensmittelgesetzes vor gesundheitsschädigenden Lebensmitteln und vor Täuschung (§ 9 Abs. 1 LMG)". Dem korrespondiere die Informationspflicht der Produzenten. Es sei allgemein davon auszugehen, dass gentechnisch veränderte Organismen Risiken für Menschen mit sich brächten. Nach einer von der belangten Behörde herausgegebenen Broschüre bestünden klare Analysemethoden für gentechnisch veränderte Lebensmittel. Übertretungen der Kennzeichnungsvorschriften seien somit eindeutig feststellbar. Ein Produzent, der gegen die Kennzeichnungsvorschriften verstoße, also vorschriftswidrig handle, könne sich nicht mit Erfolg auf den Schutz seines Geheimhaltungsinteresses berufen.
Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, der Beschwerde zum Erfolg zu verhelfen.
Die belangte Behörde hat die Anfrage der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 10. Februar 2000 u. a. dahin beantwortet, dass im Zeitraum zwischen 1. August und 31. Dezember 1999 150 Proben gezogen worden seien. Von den bis zum 31. Jänner 2000 beurteilten 138 Proben seien 3 Proben gemäß der EG-Verordnung 1139/98 beanstandet worden.
Nach der Aktenlage ist davon auszugehen, dass zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens Übereinstimmung dahingehend besteht, dass unter "Beanstandung" jedenfalls zu verstehen ist, dass die nahrungsmitteluntersuchende Einrichtung gegenüber der zur Nahrungsmittelkontrolle berufenen Behörde im Einzelfall die Auffassung vertreten hat, bei einem bestimmten Produkt sei gegen die Kennzeichnungsvorschriften des Lebensmittelrechts verstoßen worden.
Die Beschwerdeführerin ist zwar mit ihrer Auffassung im Recht, dass das Bestehen eines Interesses des Verbrauchers an der Auskunft, ob den Kennzeichnungsvorschriften entsprochen worden ist, zu bejahen ist (vgl. etwa zum Bejahen des Interesses des Verbrauchers an der Auskunft, ob ein bestimmtes Lebensmittel als "diätetisches Lebensmittel" iSd § 7 Abs. 2 LMG angemeldet worden ist, das Erkenntnis vom 25. Jänner 1993, Zl. 90/10/0061). Eine (bloße) Beanstandung muss allerdings noch nicht bedeuten, dass ein Verstoß gegen Kennzeichnungsvorschriften gegeben ist. Ob dies der Fall ist, ist erst in dafür bestimmten behördlichen Verfahren, gegebenenfalls in Verwaltungsstrafverfahren zu klären.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem vergleichbaren Fall die Auffassung vertreten, eine unter Bezugnahme auf § 36 LMG begehrte Mitteilung über die Häufigkeit amtlicher Untersuchungen eines bestimmten Produktes könne den Eindruck entstehen lassen, die Untersuchungen seien in der vorgenommenen Anzahl erforderlich (gewesen), um die ordnungsgemäße Beschaffenheit des Produktes zu gewährleisten. Eine derartige Mitteilung sei daher für sich geeignet, Zweifel an der ordnungsgemäßen Beschaffenheit des Produkts zu wecken, mögen diese in der Sache berechtigt sein oder nicht. Insoweit bestehe ein in der Verhinderung des Entstehens solcher Zweifel gerichtetes, somit im Sinne des § 1 DSG schutzwürdiges Interesse des Betroffenen auf Geheimhaltung dieser Daten (vgl. das Erkenntnis vom 26. Jänner 1998, VwSlg. 14.828/A).
Eine Mitteilung, welche Produkte und Firmen "beanstandet" worden seien, ist nach der insofern zutreffenden Auffassung der belangten Behörde geeignet, Zweifel an der ordnungsgemäßen Beschaffenheit der Produkte zu wecken. Die Gefahr, dass die "Beanstandung" in der öffentlichen Wahrnehmung bereits mit einer Übertretung von Kennzeichnungsvorschriften gleich gesetzt werden könnte (die belangte Behörde spricht in diesem Zusammenhang von einer "medialen Vorverurteilung"), die "Beanstandung" sich in der Folge aber als nicht berechtigt erweist, ist somit gegeben. Davon ausgehend, ist es nicht rechtswidrig, dass die Behörde das Interesse der Partei (Produzent) an der Geheimhaltung als überwiegend angesehen hat.
Gegen eine Auskunftserteilung kann im Übrigen auch ins Treffen geführt werden, dass im Lebensmittelgesetz keine Regelungen über eine etwaige Veröffentlichung von Beanstandungen enthalten sind (vgl. demgegenüber etwa die Bestimmung über die Veröffentlichung eines Strafurteils in § 67 LMG).
Was die gewünschten Informationen über Verwaltungsstrafverfahren (Frage Nr. 4) anlangt, so ist darauf zu verweisen, dass die belangte Behörde nach § 1 Abs. 1 AuskunftspflichtG nur Auskünfte über Angelegenheiten "ihres Wirkungsbereiches" zu erteilen hat.
Die Auskunftspflicht besteht daher nur im Rahmen der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit des jeweils befragten Organes. Für die Hoheitsverwaltung bedeutet dies, dass Auskünfte nur über solche Angelegenheiten erteilt werden müssen, die entweder schon Gegenstand eines Verwaltungsverfahrens vor der befragten Behörde sind bzw. waren oder nach der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit in einem Verwaltungsverfahren vor dieser Behörde zu entscheiden wären (vgl. dazu z.B. Wieser, Auskunftspflichtgesetze, Anmerkung 4 zu § 1 AuskunftspflichtG). Bei der Art der gewünschten Auskunft besteht eine sachliche Zuständigkeit des Bundeskanzlers allerdings nicht (vgl. zur fehlenden Zuständigkeit des Bundesministers für Finanzen zur Erteilung von Auskünften über den Stand von Abgabenverfahren etwa das Erkenntnis vom 14. November 1990, Zl. 90/13/0086).
Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am 31. März 2003
Schlagworte
sachliche Zuständigkeit in einzelnen Angelegenheiten Gemeinschaftsrecht Verordnung EURallg5European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2000100052.X00Im RIS seit
26.05.2003Zuletzt aktualisiert am
07.10.2008