TE Vwgh Erkenntnis 2003/3/31 2003/10/0026

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.03.2003
beobachten
merken

Index

E000 EU- Recht allgemein;
E3L E15202000;
E6J;
40/01 Verwaltungsverfahren;
82/05 Lebensmittelrecht;

Norm

31979L0112 Etikettierungs-RL;
62000CJ0421 Sterbenz VORAB;
EURallg;
LMG 1975 §17 Abs1;
LMG 1975 §17 Abs2;
LMG 1975 §7 Abs1 litc;
LMG 1975 §74 Abs1;
LMG 1975 §74 Abs5 Z3;
LMG 1975 §8 litf;
LMG 1975 §8;
LMG 1975 §9 Abs1;
VStG §44a Z1;

Beachte

Vorabentscheidungsverfahren:* Ausgesetztes Verfahren: 97/10/0019 B 29. Jänner 2001 * EuGH-Entscheidung: EuGH 62000CJ0421 23. Jänner 2003

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Stöberl und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Binder-Krieglstein, über die Beschwerde des MN in S, vertreten durch Dr. Ruth Hütthaler - Brandauer, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Otto-Bauer-Gasse 4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 19. Dezember 1996, Zl. VwSen-240223/2/Gf/Km, betreffend Übertretung des Lebensmittelgesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird im Umfang des Punktes 2.b (Übertretung nach § 74 Abs. 1 iVm § 7 Abs. 1 lit. c und § 9 Abs. 1 lit. a LMG) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 940,70 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug erlassenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe

1.) ein diätetisches Lebensmittel, nämlich das Produkt "Eisenblut" unter der Bezeichnung "Diätetische Saftkomposition mit Eisen" ohne vorangehende Anmeldung beim Bundesminister für Gesundheit und Umweltschutz verkauft und dadurch in Verkehr gebracht und hiedurch die Verwaltungsübertretung nach § 74 Abs. 5 Z. 3 iVm § 17 Abs. 2 LMG begangen;

2.a) ein Verzehrprodukt, nämlich "Pflaumi Ballast", ohne vorangehende Anmeldung beim Bundesminister für Gesundheit und Umweltschutz verkauft und dadurch in Verkehr gebracht und hiedurch die Verwaltungsübertretung nach § 74 Abs. 5 Z. 3 iVm § 18 Abs. 1 LMG begangen;

2.b) beim Inverkehrbringen des unter 2.a) erwähnten Produktes eine gesundheitsbezogene Bezeichnung, nämlich "verdauungsfördernde, mild abführende Wirkung" verwendet und hiedurch die Übertretung nach § 74 Abs. 1 iVm § 7 Abs. 1 lit. c und § 9 Abs. 1 lit. a LMG begangen.

Zu 1.) vertrat die belangte Behörde die Auffassung, die in § 17 Abs. 2 LMG normierte Anmeldepflicht knüpfe an die Aufmachung des Produktes an, die dessen Eignung als diätetisches Lebensmittel dartue. Im vorliegenden Fall werde durch die Bezeichnung "diätetische Saftkomposition" der Eindruck vermittelt, das Produkt eigne sich als diätetisches Lebensmittel.

Zu 2.a) vertrat die belangte Behörde die Auffassung, auf Grund der Produktbeschreibung ("Verzehrempfehlung: Morgens oder abends je ein bis zwei Esslöffel (ca. 20 ml) vor der Mahlzeit; bei Bedarf kann Pflaumi Ballast längere Zeit zur Nahrungsergänzung genommen werden") sowie des Preises von S 159,-- für 0,2 l sei offenkundig, dass es sich bei dem Produkt im Sinne von § 3 LMG um eine Flüssigkeit handle, die dazu bestimmt sei, von Menschen getrunken zu werden, ohne überwiegend Ernähungs- oder Genusszwecken zu dienen oder ein Arzneimittel zu sein, und damit um ein Verzehrprodukt und nicht um ein Lebensmittel.

Zu 2.b) legte die belangte Behörde dar, die dem Produkt "Pflaumi Ballast" beigegebene Beschreibung "verdauungsfördernde, mild abführende Wirkung" suggeriere intentional einen normalen physiologischen Effekt im Sinne des § 9 Abs. 1 lit. a LMG.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zu 1. macht die Beschwerde geltend, bei dem Produkt ("Eisenblut", "Diätetische Saftkomposition") handle es sich (gemeint offenbar: objektiv, nach Zusammensetzung und Wirkungsweise) nicht um ein diätetisches Lebensmittel. Eine Verpflichtung zur Anmeldung nach § 17 LMG habe daher nicht bestanden. Eine Bestrafung hätte im vorliegenden Fall daher "nur" wegen der in der Verwendung des Begriffes "diätetisch" gelegenen Falschbezeichnung erfolgen dürfen. Ein Verstoß gegen § 74 Abs. 5 Z. 3 iVm § 17 Abs. 1 LMG liege jedoch nicht vor.

Nach § 17 Abs. 1 LMG sind diätetische Lebensmittel Lebensmittel besonderer Beschaffenheit, die für bestimmte Gruppen von Verbrauchern zu dem Zweck hergestellt wurden,

a) die Zufuhr bestimmter Nährstoffe oder anderer ernährungsphysiologisch wirkender Stoffe zu steigern oder zu verringern oder

b) besonderen Ernährungsbedürfnissen bei Krankheiten, Mangelerscheinungen, Funktionsanomalien und bei Überempfindlichkeit gegen einzelne Lebensmittel oder deren Bestandteile, während der Schwangerschaft und Stillzeit sowie des Säuglings oder Kleinkindes Rechnung zu tragen,

und die sich dadurch von Lebensmitteln vergleichbarer Art unterscheiden.

Wahrheitsgemäße Angaben über den diätetischen Zweck sind keine nach § 9 Abs. 1 verbotenen Bezeichnungen.

Nach § 17 Abs. 2 LMG ist es verboten, Lebensmittel unter einer Aufmachung oder unter Verwendung von Bezeichnungen, die die Eignung des Lebensmittels im Sinne des Abs. 1 dartun, vor ihrer Anmeldung beim Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz in Verkehr zu bringen.

Nach § 74 Abs. 5 Z. 3 LMG begeht eine Verwaltungsübertretung, wer den Bestimmungen der §§ ... 17 Abs. 2 ... zuwiderhandelt.

Mit der Auffassung, die Anmeldepflicht nach § 17 Abs. 2 LMG knüpfe nicht an die Aufmachung oder Bezeichnung des Produkts an, sondern an dessen ("objektive") Eignung zu einem diätetischen Zweck, entfernt sich die Beschwerde vom oben wiedergegebenen Wortlaut des Gesetzes. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Darlegungen bei Barfuß u.a., LebensmittelR2, Teil I A, Komm zu § 17, Seite 6, zu verweisen, wonach "nur solche Lebensmittel - auch wenn sie objektiv keine diätetischen Lebensmittel im Sinne des § 17 Abs. 1 sind - anmeldepflichtig sind, bei denen in der Aufmachung oder Bezeichnung auf die diätetische Eignung hingewiesen wird (§ 17 Abs. 2). Für die Anmeldepflicht ist es gleichgültig, ob die diätetische Eignung vorliegt oder nicht. Mit anderen Worten: Auch Lebensmittel, die keine diätetischen Lebensmittel sind, aber als solche aufgemacht werden, sind anmeldepflichtig; freilich sind sie dann zu untersagen." Die Übertretung nach § 74 Abs. 5 Z. 3 iVm § 17 Abs. 2 LMG verwirklicht somit derjenige, der ein Lebensmittel unter einer Aufmachung oder unter Verwendung von Bezeichnungen, die die Eignung des Lebensmittels im Sinne des § 17 Abs. 1 dartun, vor ihrer Anmeldung beim Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz in Verkehr bringt. Dies ist hier - im Hinblick auf die Verwendung der Bezeichnung "diätetisch" beim Inverkehrbringen einer "Saftkomposition" - nicht zweifelhaft. Der Begriff der "Bezeichnungen, die die Eignung des Lebensmittels im Sinne des § 17 Abs. 1 dartun", umfasst auch die generalisierende Bezeichnung als "diätetisch" und nicht allein Angaben, die konkret auf eine der in § 17 Abs. 1 LMG genannten Zweckbestimmungen hinweisen.

Ob - wie die Beschwerde meint - in der Verwendung der Bezeichnung "diätetisch" beim Inverkehrbringen eines Produktes, das die Eignung zu einem der in § 17 Abs. 1 LMG angeführten Zwecke nicht aufweist, eine Falschbezeichnung im Sinne des § 74 Abs. 1 iVm § 7 Abs. 1 lit. c, § 8 lit. f LMG liegt, kann im vorliegenden Fall auf sich beruhen. Wäre der Tatbestand der Falschbezeichnung nach den zitierten Gesetzesstellen verwirklicht, wäre daraus für den Standpunkt der Beschwerde nur dann etwas zu gewinnen, wenn der erwähnte Tatbestand zu jenem des § 74 Abs. 5 Z. 3 iVm § 17 Abs. 2 LMG im Verhältnis unechter Idealkonkurrenz stünde und diesen im Hinblick auf Subsidiarität, Spezialität oder Konsumtion ausschlösse. Dies ist schon deshalb nicht der Fall, weil die in Rede stehenden Tatbestände einander nicht ausschließen; gegebenenfalls läge somit echte Konkurrenz (Deliktskonkurrenz) vor. Dadurch, dass der Beschwerdeführer nicht auch nach § 74 Abs. 1 iVm § 7 Abs. 1 lit. c, § 8 lit. f LMG bestraft wurde, wurde er nicht in Rechten verletzt.

Insoweit war die Beschwerde daher nach § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Zu 2.a.) macht die Beschwerde geltend, "Pflaumi Ballast" sei ein "normales Lebensmittel in Saftform". Teuer sei es wegen der "Anreicherung mit wertvollen Nahrungsergänzungszusätzen". Der Umstand, dass ein Lebensmittel "wertvoll ist, macht es weder zu einem diätetischen Lebensmittel noch zu einem Verzehrprodukt. Auch Kaviar ist ein Lebensmittel und teuer". "Pflaumi Ballast" bestehe aus typischen Lebensmitteln wie Trockenpflaumen, Datteln, Feigen, Leinsamen, Weizenkleie und Haferkleie. Es sei ein wohlschmeckender Trunk. Es würden "durch die Verwendung von Pflaumi Ballast sowohl Ernährungs- als auch Genusszwecke befriedigt". Es läge auch keine jener typischen Darreichungsformen vor, welche aus Lebensmittelbestandteilen zusammengesetzte Produkte zu Verzehrprodukten mache, wie Kapseln, Tabletten oder Kautabletten.

Nach § 2 LMG sind Lebensmittel (Nahrungs- oder Genussmittel) Stoffe, die dazu bestimmt sind, von Menschen in unverändertem, zubereitetem oder verarbeitetem Zustand überwiegend zu Ernährungs- oder Genusszwecken gegessen, gekaut oder getrunken zu werden.

Nach § 3 LMG sind Verzehrprodukte Stoffe, die dazu bestimmt sind, von Menschen gegessen, gekaut oder getrunken zu werden, ohne überwiegend Ernährungs- oder Genusszwecken zu dienen oder Arzneimittel zu sein.

Nach § 18 Abs. 1 LMG ist es verboten, Verzehrprodukte vor ihrer Anmeldung beim Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz in Verkehr zu bringen.

Nach § 74 Abs. 5 Z. 3 LMG begeht eine Verwaltungsübertretung, wer den Bestimmungen der §§ ... 18 Abs. 1 ... zuwiderhandelt.

Der Verwaltungsgerichtshof hatte sich mit der lebensmittelrechtlichen Qualifikation von Produkten, die in Form von "Säften" unterschiedlicher Zusammensetzung in Verkehr gebracht werden, schon mehrmals auseinander zu setzen (vgl. z.B. die Erkenntnisse vom 22. März 1999, Zl. 98/10/0350, und vom 27. August 2002, Zl. 99/10/0207).

Im zuletzt erwähnten Erkenntnis ging der Gerichtshof davon aus, dass der Zweck des Produktes nach Erscheinungsform und Aufmachung nicht - wie dies bei Lebensmitteln, die in flüssiger Form konsumiert werden, regelmäßig der Fall ist - vor allem in der Deckung des Flüssigkeitsbedarfes, der Durstlöschung und dem Genuss liege, sondern in der Zufuhr von Vitaminen und Mineralstoffen. Dies wurde zum Einen aus der Aufmachung des Produktes, in dem (unter anderem) auf dessen Gehalt an Vitaminen und Mineralstoffen sowie die Eignung zur Stärkung der körpereigenen Abwehrkräfte hingewiesen wurde, zum anderen aus der Erscheinungsform (Trinkfläschchen mit einem Inhalt von 20 ml, dessen Einnahme nach der Gebrauchsempfehlung einen Tagesbedarf deckt) gefolgert. Davon unterscheidet sich der vorliegende Fall nicht wesentlich. Mit Bezeichnung und "Verzehrempfehlung" wird darauf hingewiesen, dass das Produkt der Nahrungsergänzung durch Zufuhr von Ballaststoffen diene. Schon deshalb und im Hinblick auf die Beigabe einer "Verzehrempfehlung", wonach morgens oder abends je ein bis zwei Esslöffel (ca. 20 ml) vor der Mahlzeit eingenommen werden sollten und den Hinweis auf einen "Bedarf" kann nicht gesagt werden, dass das Produkt vom durchschnittlich informierten Verbraucher als "Fruchtsaftgetränk" gesehen werde. Dem hohen Preis (S 795,-- je Liter) mag im vorliegenden Zusammenhang eine illustrative Bedeutung zukommen; mit dem Hinweis der Beschwerde, dass auch Lebensmittel "teuer" oder "wertvoll" sein könnten, kann die Auffassung nicht widerlegt werden, dass das Produkt nach Aufmachung und Bezeichnung nicht vor allem der Deckung des Flüssigkeitsbedarfes, der Durstlöschung und dem Genuss diene.

Davon ausgehend zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit in der Beurteilung als Verzehrprodukt auf; sie behauptet auch keinen Sachverhalt, aus dem zu folgern wäre, dass es sich beim Produkt deshalb um kein Verzehrprodukt handle, weil die Voraussetzungen der Begriffe "diätetisches Lebensmittel" oder "Arzneimittel" (§ 1 AMG) verwirklicht wären.

Die Beschwerde zeigt somit mit ihrer Behauptung, der Tatbestand der Übertretung nach § 74 Abs. 5 Z. 3 iVm § 18 Abs. 1 LMG sei nicht verwirklicht, weil es sich bei "Pflaumi Ballast" nicht um ein Verzehrprodukt, sondern um ein "normales Lebensmittel in Saftform" handle, keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Auch insoweit war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Zu 2.b) macht die Beschwerde insbesondere geltend, der Regelung der §§ 9 Abs. 1 und 3 LMG wie auch der Bestrafung im vorliegenden Fall stehe Gemeinschaftsrecht entgegen. Das durch die angeführte Vorschrift eingerichtete Genehmigungsverfahren sei ein unzulässiges Handelshemmnis. Art. 2 der Richtlinie 79/112 verbiete es, einem Lebensmittel Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zuzuschreiben oder den Eindruck dieser Eigenschaften entstehen zu lassen. Das Verbot des § 9 LMG gehe darüber hinaus. Die Angabe, dass Pflaumi Ballast verdauungsfördernd und mild abführend wirke, stelle eine Angabe über eine physiologische Wirkung dar, die der Gesunderhaltung diene. Es könne keine Rede davon sein, dass diese Angabe einen Bezug auf eine Krankheit beinhalte.

Nach dem - über das Ersuchen des Verwaltungsgerichtshofes um Vorabentscheidung vom 18. Dezember 2000 ergangenen - Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 23. Jänner 2003, C-421/00, C-426/00 und C-16/01, sind jene Bestimmungen des österreichischen Lebensmittelgesetzes, die jede gesundheitsbezogene Angabe auf der Etikettierung und der Aufmachung von Lebensmitteln vorbehaltlich besonderer Genehmigung generell verbieten, mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar.

In der Begründung dieses Urteils hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften dazu ausgeführt, dass die Richtlinie 79/112 (Etikettierungsrichtlinie) alle Angaben verbietet, die sich auf eine menschliche Krankheit beziehen, unabhängig von ihrer Eignung, den Verbraucher irrezuführen, sowie diejenigen Angaben, die, obzwar sie sich nicht auf eine Krankheit, sondern etwa auf die Gesundheit beziehen, irreführend sind (Rz 28).

Weiters hat der Gerichtshof ausgesprochen, dass Lebensmittel mit einer Etikettierung, die nicht irreführende gesundheitsbezogene Angaben enthält, als den Vorschriften der Richtlinie 79/112 entsprechend anzusehen sind und dass die Mitgliedstaaten ihren Vertrieb nicht mit der Begründung untersagen können, diese Etikettierung sei möglicherweise nicht ordnungsgemäß (Rz 30).

Nach der Rechtsprechung des EuGH besitzt das Gemeinschaftsrecht Vorrang gegenüber innerstaatlichem Recht. Dieser "Anwendungsvorrang" hat zur Folge, dass entgegen stehendes innerstaatliches Recht ohne Weiteres unanwendbar wird (vgl. EuGH Rs 106/77 (Simmenthal II(, Slg. 1978, 629, Rz 17/18, u. a.).

Auf den Beschwerdefall bezogen bedeutet dies, dass die Bestimmungen des LMG, soweit sie jede gesundheitsbezogene Angabe auf der Etikettierung und der Aufmachung von Lebensmitteln vorbehaltlich besonderer Genehmigung generell verbieten, also unabhängig davon, ob sie irreführend sind oder nicht, nicht mehr anwendbar sind.

Der alle gesundheitsbezogenen Angaben erfassende Verwaltungsstraftatbestand des § 74 Abs. 1 LMG in Verbindung mit § 8 lit. f und § 9 Abs. 1 leg. cit. wird durch die Etikettierungs-Richtlinie eingeschränkt. Verboten sind gesundheitsbezogene Angaben demnach nur, wenn sie

a)

sich auf eine menschliche Krankheit beziehen, oder

b)

irreführend sind.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im Erkenntnis vom 25. Jänner 2003, Zl. 2003/10/0025, mit den Auswirkungen der erwähnten Einschränkung des Verwaltungsstraftatbestandes des § 74 Abs. 1 LMG in Verbindung mit § 8 lit. f und § 9 Abs. 1 leg. cit., die sich für die Anforderungen an die Rechtmäßigkeit des Spruches eines Straferkenntnisses ergeben, mit dem einem Beschuldigten die Übertretung dieses Verwaltungsstraftatbestandes zur Last gelegt wird, auseinander gesetzt. Er ist dabei zur Auffassung gelangt, dass der bloße Vorwurf der Anbringung "gesundheitsbezogener Angaben" allein dem § 44a Z. 1 VStG nicht genügt, weil "gesundheitsbezogene Angaben" allein, ohne nähere Spezifizierung im oben dargestellten Sinn, nicht strafbar sind.

Dem Beschwerdeführer wurde ausschließlich das Inverkehrbringen von Lebensmitteln mit "einem verbotenen gesundheitsbezogenen Hinweis" zur Last gelegt, nicht aber das Inverkehrbringen von Lebensmitteln mit (gesundheitsbezogenen) irreführenden Angaben oder das Inverkehrbringen von Lebensmitteln mit krankheitsbezogenen Angaben.

Das Inverkehrbringen von Lebensmitteln mit gesundheitsbezogenen Angaben allein stellt aber keinen Verwaltungsstraftatbestand dar. Der angefochtene Bescheid ist daher im Umfang des Punktes 2b inhaltlich rechtswidrig.

Ob die unter 2b angeführten Angaben (verbotene) krankheitsbezogene oder (verbotene) irreführende gesundheitsbezogene Angaben darstellen, war demnach nicht mehr zu prüfen. Denn selbst wenn dies der Fall wäre, änderte sich an der im unrichtigen Tatvorwurf gelegenen inhaltlichen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nichts, da der Verwaltungsgerichtshof den Tatvorwurf nicht austauschen kann.

Aus den dargestellten Erwägungen erweist sich der angefochtene Bescheid im Umfang des Punktes 2b als inhaltlich rechtswidrig, weshalb er insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 31. März 2003

Gerichtsentscheidung

EuGH 62000J0421 Sterbenz VORAB

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4Mängel im Spruch Fehlen von wesentlichen TatbestandsmerkmalenGemeinschaftsrecht Anwendungsvorrang, partielle Nichtanwendung von innerstaatlichem Recht EURallg1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2003100026.X00

Im RIS seit

16.05.2003

Zuletzt aktualisiert am

14.03.2012
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten