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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §32 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Nichtowitz, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 27. August 2002, Zl. 230.451/0-V/15/02, betreffend § 32 Abs. 2 des Asylgesetzes 1997 (mitbeteiligte Partei: B, geboren 1975, in T), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Tunesiens, gelangte am 1. August 2002 in das Bundesgebiet und suchte an diesem Tag um Gewährung von Asyl an. Im Rahmen seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt am 2. August 2002 gab er als Grund für seinen Asylantrag an, er habe weder mit der Polizei noch mit der Regierung in Tunesien Probleme. Er suche ein menschenwürdiges Dasein und wolle einen höheren Lebensstandard erreichen. In Tunesien herrsche große Arbeitslosigkeit und er habe lange nach Arbeit gesucht.
Mit Bescheid vom 7. August 2002 wies das Bundesasylamt (die Erstbehörde) den Asylantrag gemäß § 6 Z 1 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) als offensichtlich unbegründet ab und sprach gemäß § 8 AsylG aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung (des Beschwerdeführers) nach Tunesien zulässig sei. Begründend führte sie aus, der Beschwerdeführer habe ausschließlich wirtschaftliche Gründe für das Verlassen seines Heimatlandes geltend gemacht, weshalb aus seinen Angaben mit absoluter Sicherheit erkennbar sei, dass ihm dort keine Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention drohe. Der Asylantrag entbehre eindeutig jeder Grundlage und sei daher als offensichtlich unbegründet abzuweisen gewesen. Die Erstbehörde gelange auch zur Ansicht, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, der Beschwerdeführer liefe im Fall seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Gefahr, in Tunesien einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer eine umfangreiche Berufung, in der er vorbrachte, seine bisher geltend gemachten Fluchtgründe hätten aus Angst vor den tunesischen Behörden nicht der Wahrheit entsprochen. Seine Familie habe auf Grund seiner Ausreise bereits Probleme mit der tunesischen Polizei gehabt. Wenn die tunesischen Behörden von seinem Asylantrag erführen, würden sie mit seiner Familie tun, was sie wollten, und gegen den Beschwerdeführer ein Urteil mit mindestens zehn Jahren Gefängnis, wenn nicht mehr, erlassen. Im weiteren legte er ausführlich dar, wegen seiner Sympathie mit der islamischen Al-Nahda-Partei bereits mehrfach verhaftet und gefoltert worden zu sein. Ebenso sei er nach einem Auslandsaufenthalt in Libyen exzessiver Folter unterzogen worden.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab der unabhängige Bundesasylsenat (die belangte Behörde) der Berufung des Mitbeteiligten ohne Durchführung einer Berufungsverhandlung statt, behob den Erstbescheid und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und zur Erlassung eines Bescheides an die Erstbehörde zurück. Die belangte Behörde begründete dies nach kurzer Darstellung des Verfahrensganges und Wiedergabe der §§ 6 und 32 Abs. 2 AsylG damit, der Mitbeteiligte habe nun in seiner Berufung erstmals vorgebracht, seit dem Jahr 1995 mit der islamischen Al-Nahda-Partei zu sympathisieren und auf Grund dessen von der tunesischen Polizei bereits öfter inhaftiert und auch gefoltert worden zu sein. Anlässlich seiner erstinstanzlichen Einvernahme hätte er seine wahren Fluchtgründe aus Furcht, dass die tunesischen Behörden bei Erlangung der Kenntnis von der Antragstellung seinen Familienangehörigen Probleme bereiten würden, nicht seine wahren Fluchtgründe angegeben. Unter Berücksichtigung des vom Mitbeteiligten in seiner Berufung neu Vorgebrachten könne nun nicht mehr davon ausgegangen werden, dass eine Verfolgungsgefahr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (eindeutig) auszuschließen sei. Da folglich das Vorbringen des Mitbeteiligten - ungeachtet der Möglichkeit, dass sein Asylantrag im Ergebnis unbegründet sein könnte - nicht mehr eindeutig jeder Grundlage entbehre und auch keine andere Ziffer des § 6 AsylG zur Anwendung gelange, sei der Berufung stattzugeben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung und Erlassung eines Bescheides an die Erstbehörde zurückzuverweisen gewesen.
Über die dagegen erhobene Amtsbeschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die Amtsbeschwerde sieht die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darin, die belangte Behörde habe sich nicht mit der Problematik des "gesteigerten Vorbringens" auseinander gesetzt. Ihre Rechtsansicht, wonach allein schon das gesteigerte Vorbringen in der schriftlichen Berufungsbegründung - dieses in völligem Widerspruch zu dem unter (richtig:) § 6 Z 1 AsylG zu subsumierenden erstinstanzlichen Vorbringen - zur Behebung und Zurückverweisung des erstinstanzlichen Bescheides ausreichend sein sollte, sei verfehlt. Im Hinblick auf die erstinstanzlichen Feststellungen, die Ausführungen des Mitbeteiligten vor der Erstbehörde und den dazu in absolutem Widerspruch stehenden Ausführungen in der Berufungsbegründung wären die Behauptungen des Mitbeteiligten einer Gesamtbetrachtung zu unterziehen und deren Glaubwürdigkeit neu zu beurteilen gewesen. Es erscheine nicht als ausgeschlossen, dass die Beweiswürdigung durch die belangte Behörde ergeben könnte, bezogen auf das gesamte im Lauf des Verfahrens getätigte Vorbringen des Mitbeteiligten dränge sich das Urteil der Offensichtlichkeit bzw.
Eindeutigkeit der Unglaubwürdigkeit auf.
Damit zeigt der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des
angefochtenen Bescheides auf.
Richtet sich die Berufung - wie im vorliegenden Fall - gegen
einen Bescheid, mit dem ein Asylantrag als "offensichtlich unbegründet" abgewiesen wurde, so ist es Aufgabe der Berufungsbehörde zu beurteilen, ob der Asylantrag insbesondere vor dem Hintergrund des Berufungsvorbringens tatsächlich offensichtlich unbegründet ist. In der Berufung vorgebrachte Neuerungen sind daraufhin zu prüfen, ob der Asylantrag unter Berücksichtigung dieser Neuerungen noch "eindeutig jeder Grundlage entbehrt". Bei dieser Beurteilung ist die Berufungsbehörde nicht an den von der Erstbehörde herangezogenen Tatbestand des § 6 AsylG gebunden. Der Berufungsbescheid ist auf Grund jener Sachlage zu fällen, die im Zeitpunkt der Erlassung des Berufungsbescheides feststeht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. April 2001, Zl. 2001/20/0161, mwN). Für die Ansicht der belangten Behörde, es sei (gemeint: abgesehen von der mit Bedachtnahme auf das Berufungsvorbringen nicht mehr aufrecht zu erhaltenden Subsumtion unter Z 1) "auch keine andere Ziffer des § 6 AsylG" anwendbar, fehlt im angefochtenen Bescheid aber - insbesondere hinsichtlich der in der Amtsbeschwerde relevierten Z 3 - jede Begründung.
Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Wien, am 8. April 2003
Schlagworte
Besondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des Berufungsbescheides Inhalt der BerufungsentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2002010449.X00Im RIS seit
28.05.2003