TE Vwgh Erkenntnis 2003/4/8 2002/01/0365

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Veröffentlicht am 08.04.2003
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/02 Staatsbürgerschaft Staatenlosigkeit;

Norm

AsylG 1997 §5;
Dubliner Übk 1997 Art5 Abs4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Nichtowitz, über die Beschwerde der A, geboren 1978 (auch R, geboren 1975), vertreten durch Dr. Elisabeth Stern, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Freyung 6/12, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 25. Oktober 2001, Zl. 224.063/0-XII/37/01, betreffend § 5 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Nigeria, passierte am 9. Mai 2001 von Österreich kommend die Grenze nach Italien, wurde von dort nach Österreich zurückgeschoben und den österreichischen Behörden übergeben. Im Rahmen ihrer Einvernahme bei der Bezirkshauptmannschaft Villach gab sie am selben Tag an, R zu heißen, 1975 geboren worden und vor zwei Jahren über Marokko nach Spanien eingereist zu sein. Sie sei im Besitz einer bis 18. Dezember 2001 gültigen Aufenthaltserlaubnis für Spanien.

Mit Schriftsatz vom 14. Mai 2001 beantragte die Beschwerdeführerin die Gewährung von Asyl und behauptete, ihre am 9. Mai 2001 bei der Bezirkshauptmannschaft Villach gemachten Angaben seien unrichtig. Tatsächlich heiße sie A und sei 1978 geboren worden. Sie sei vor etwa drei Wochen von Lagos kommend direkt nach Österreich eingereist und von einem ihr namentlich nicht bekannten Mann unterstützt worden. Dieser Mann habe an der Grenzkontrollstelle am Flughafen Schwechat sämtliche notwendigen Papiere, die die Beschwerdeführerin nie gesehen habe, vorgewiesen. Da es nach Auskunft von Landsleuten schwierig sei, in Österreich Asyl zu erhalten, habe sie unter Zuhilfenahme eines spanischen Dokuments versucht, nach Italien weiterzureisen.

Bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt, Außenstelle Graz, am 23. Mai 2001 blieb die Beschwerdeführerin bei der in ihrem Asylantrag angegebenen Identität und führte unter anderem aus, sie habe die Aufenthaltsberechtigung für Spanien in Österreich von einem Afrikaner, der "diese Karten (anfertigt)", erhalten. Sie habe auf "diese Karte" ihren Fingerabdruck gesetzt, dann sei das Dokument eingeschweißt worden. Bezahlt habe sie nichts dafür. Sie habe sich nie in Italien oder Spanien aufgehalten.

Dem den vorgelegten Verwaltungsakten beigeschlossenen Akt des Bundesasylamtes, Außenstelle Wien, Zl. 01 14.761-BAW, eine andere Person betreffend, ist Folgendes zu entnehmen:

Am 21. Juni 2001 wurde am Flughafen Schwechat über eine fremdenpolizeiliche Befragung ein Protokoll aufgenommen, in dem es unter Anderem heißt:

"R gibt zu den vorhandenen Fakten befragt folgendes an:

'Die in dem gegenständlichen Ausweis 'PERMISO DE RESIDENCIA ESPESCIAL' angeführten Personaldaten entsprechen den Tatsachen - es sind meine persönlichen Daten....Ich bin am 15.05.2000 aus Nigeria mit dem Flugzeug nach Madrid (Spanien) gekommen. Ich lebe/wohne seither in Madrid...Das gegenständliche Dokument (span. Aufenthaltsbewilligung) habe ich über Vermittlung meiner Freundin (Name) von Herrn (Name) für US$ 2.000,- erhalten....Seit dieser Zeit verwende ich die gegenständliche Aufenthaltsbewilligung mit der Nr. X-02968051-Q."

Am 25. Juni 2001 wiederrief "R" ihre Angaben vom 21. Juni 2001 und behauptete, die nigerianische Staatsangehörige P, geboren 1983, zu sein. Sie habe in Madrid von einer Person namens D. die gefälschte spanische Aufenthaltsberechtigung erhalten, mit der sie am 21. Juni 2001 "unter Vortäuschung einer falschen Identität" nach Wien gelangt sei. Bei dieser Vernehmung stellte die Befragte einen Antrag auf Gewährung von Asyl und antwortete in dem darauf hin beim Bundesasylamt eingeleiteten Asylverfahren, Zl. 01 14.761- BAW, bei ihrer Einvernahme am 18. Juli 2001 auf die Frage, ob sie sich erklären könne, "wie es möglich sein kann, dass eine Asylwerberin, welche sich zur Zeit im Stande der Schubhaft in Villach befindet, die gleiche Identität wie Sie nämlich R verwendet hat und diese Person das selbe Dokument wie sie vorgewiesen hat?", folgender Maßen: "Der Spanier sagte, ich sollte angeben, dass ich so heißen würde, woher und wie er in Besitz dieser Karte gelangte, kann ich nicht angeben." Ihre Identität könne sie mangels an Dokumenten nicht nachweisen.

Den Asylantrag von P alias R wies das Bundesasylamt, Außenstelle Wien, mit Bescheid vom 19. November 2001 gemäß § 7 AsylG ab und erklärte ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria gemäß § 8 AsylG für zulässig. Begründend hielt das Bundesasylamt die Identität der Asylwerberin für nicht feststellbar.

In dem dem Beschwerdefall zu Grunde liegenden Verfahren des Bundesasylamtes, Außenstelle Graz bzw. Grundsatz- und Dublinabteilung, Zl. 01 11.500, erklärte sich Spanien auf Anfrage des Bundesasylamtes mit Schreiben vom 7. September 2001 bereit, "L, alias E...R, alias A...28/03/1975...Nigeria", einreisen zu lassen und ihren Asylantrag zu prüfen.

Daraufhin wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 11. September 2001 den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück und erklärte für die Prüfung ihres Asylantrages gemäß Art. 5 Abs. 4 des Dubliner Übereinkommens (DÜ) Spanien für zuständig; zudem sprach das Bundesasylamt aus, dass die Beschwerdeführerin aus dem Bundesgebiet nach Spanien ausgewiesen werde. Dieser Entscheidung lag die Feststellung zu Grunde, dass sich die Beschwerdeführerin vor ihrer Einreise nach Österreich in Spanien aufgehalten und von den spanischen Behörden eine Aufenthaltserlaubnis erhalten habe. Die Beweiswürdigung des Bundesasylamtes erschöpfte sich in dem Hinweis, dass die Angaben der Beschwerdeführerin den amtswegig ermittelten Verfahrensergebnissen widersprächen und daher nicht als Entscheidungsgrundlage dienen könnten. Nach dem DÜ sei jener Mitgliedstaat für die Prüfung eines Asylantrages zuständig, von dem der Asylwerber eine seit weniger als zwei Jahren abgelaufene Aufenthaltsberechtigung besitze. Dies treffe auf Spanien zu, weshalb der Asylantrag der Beschwerdeführerin als unzulässig zurückzuweisen und ihre Ausweisung anzuordnen gewesen sei.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung rügte die Beschwerdeführerin die Beweiswürdigung der erstinstanzlichen Behörde. Aus dieser sei nicht erkennbar, weshalb man ihren Angaben keinen Glauben geschenkt habe. Etwa sei unklar geblieben, auf welcher Grundlage festgestellt worden sei, die Beschwerdeführerin habe sich in Spanien aufgehalten und dort eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Die Beschwerdeführerin habe vorgebracht, die Aufenthaltserlaubnis sei "verfälscht", weshalb das Dokument einer kriminaltechnischen Untersuchung zu unterziehen gewesen wäre. Mangels tatsächlich erteilter Aufenthaltsgenehmigung könne die Beschwerdeführerin auch nicht nach Spanien einreisen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin ab und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. Begründend stellte sie nach kurzer Darstellung des Verfahrensganges fest, die Beschwerdeführerin sei Staatsangehörige von Nigeria und im Besitz einer am 19. Dezember 2000 ausgestellten Aufenthaltsberechtigung für Spanien, Nr. X-02968051-Q, gültig bis 18. Dezember 2001. Sie sei am 5. Mai 2001 nach Österreich eingereist und am 9. Mai 2001 nach ihrer Ausreise nach Italien nach Österreich zurückgestellt worden. In Italien bestehe gegen die Beschwerdeführerin ein bis 17. März 2004 gültiges Aufenthaltsverbot. Spanien habe seine Bereitschaft erklärt, die Beschwerdeführerin einreisen zu lassen und ihren Asylantrag zu prüfen. Dieser Sachverhalt ergebe sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung verwies die belangte Behörde

- beweiswürdigend - auf eine den spanischen Behörden übersandte Kopie der in Rede stehenden Aufenthaltsberechtigung, auf deren Grundlage Spanien den Asylantrag der Beschwerdeführerin prüfen wolle. Das Berufungsvorbringen, wonach die Beschwerdeführerin nicht nach Spanien einreisen dürfe, um dort ihren Asylantrag prüfen zu lassen, "geht somit ins Leere". Die belangte Behörde erachtete auch eine Überprüfung der Echtheit der Aufenthaltsberechtigung für nicht erforderlich, weil Spanien auf Grund der übersandten Kopie, die mit einer Nummer versehen und daher leicht überprüfbar sei, die genannte Bereitschaft erklärt habe. Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheine, sei eine mündliche Verhandlung unterblieben.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

In der Beschwerde rügt die Beschwerdeführerin unter Anderem, die belangte Behörde habe ihr Vorbringen, sie sei nicht die in der spanischen Aufenthaltsberechtigung genannte Person, übergangen.

Tatsächlich hat sich die belangte Behörde mit der Identität der Beschwerdeführerin nicht näher auseinander gesetzt, sondern ist - offenbar als Schlussfolgerung aus der von ihr vermuteten Echtheit der Aufenthaltsberechtigung - davon ausgegangen, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um "R" handelt. Eine nähere Begründung für diese Annahme bleibt die belangte Behörde jedoch schuldig, weshalb sich ihre Beweiswürdigung als unschlüssig erweist. Insbesondere hätte es im angefochtenen Bescheid einer Antwort der belangten Behörde darauf bedurft, in welchem Verhältnis die Asylwerberinnen der genannten Verfahren des Bundesasylamtes zueinander stehen bzw. standen, zumal beide (auch) dieselbe Identität behauptet und sich dabei (zunächst) auf ein Dokument berufen haben, das - zumindest seiner Nummer nach - dieselbe Person ausweisen sollte. Da das Bundesasylamt in dem bei der Außenstelle Wien geführten Verfahren die Identität der Asylwerberin - ebenfalls - offen ließ, kann auch aus diesem Verfahren kein Rückschluss auf das vorliegende Verfahren gezogen werden. Ebenso wenig lässt sich der Beweiswürdigung entnehmen, dass etwa die spanischen Behörden eine Identifizierung der Beschwerdeführerin vorgenommen hätten. Demnach kann nach dem bisherigen Stand des Ermittlungsverfahrens bzw. nach der Begründung des bekämpften Bescheides nicht ausgeschlossen werden, dass die mehrfach erwähnte Aufenthaltsberechtigung samt der darin angeführten Identität nicht der Beschwerdeführerin dieses Beschwerdeverfahrens zuzurechnen ist. Diese Frage bedarf jedenfalls einer Klärung, zumal von einer Ausweisung immer nur eine bestimmte - identifizierbare - Person betroffen sein kann.

Nach dem Gesagten wurden Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben war. Von der Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 8. April 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2002010365.X00

Im RIS seit

13.05.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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