TE Vwgh Erkenntnis 2003/4/8 2002/01/0264

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Veröffentlicht am 08.04.2003
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Nichtowitz, über die Beschwerde des 1980 geborenen F alias N in G, vertreten durch Mag. Martina Weirer, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Burgring 16/I, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 2. April 2002, Zl. 225.612/0- XI/38/02, betreffend §§ 7 und 8 des Asylgesetzes 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Nigerias, gelangte seinen Angaben zufolge am 18. November 2001 in das Bundesgebiet und beantragte am darauf folgenden Tag die Gewährung von Asyl. Nach seiner Einvernahme am 18. Dezember 2001 durch das Bundesasylamt (die Erstbehörde) zu seinem Fluchtweg und Fluchtgrund - religiöse Auseinandersetzungen in Kano, der Stadt seines letzten Aufenthaltes - wies diese mit Bescheid vom selben Tag den Asylantrag gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) ab und sprach gemäß § 8 AsylG aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung (des Beschwerdeführers) nach Nigeria zulässig sei. Begründend führte sie aus, der behauptete Fluchtgrund habe nicht verifiziert werden können. Hätte schon den Angaben zum Fluchtweg die Glaubwürdigkeit abgesprochen werden müssen, so fehle den Angaben zum Fluchtgrund jegliche Substanziiertheit. Nigeria sei ein Großstaat mit Millionen von Einwohnern ohne Meldepflicht. Es sei daher jedenfalls davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer selbst im Falle der Verfolgung in Kano die Möglichkeit offen stehe, durch Verlegung des Wohnsitzes einer potenziellen Gefahr aus dem Weg zu gehen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer eine näher ausgeführte Berufung, in der er sich gegen die Versagung seiner Glaubwürdigkeit wandte, weil die Einvernahme durch die Erstbehörde nur 20 Minuten gedauert habe und es in dieser kurzen Zeit nicht möglich sei, sich ein Bild von seinen Fluchtgründen zu machen, und in der er auf mangelnden Schutz durch moslemisch dominierte Polizei vor Verfolgung durch Moslems verwies.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies der unabhängige Bundesasylsenat (die belangte Behörde) - unter Abstandnahme von einer öffentlichen mündlichen Verhandlung - die Berufung gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 des Fremdengesetzes 1997 fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei. Begründend führte sie aus, das Vorbringen des Beschwerdeführers vor der Erstbehörde sei im Erstbescheid im Wesentlichen richtig und vollständig wiedergegeben worden, sodass der diesbezügliche Teil des erstinstanzlichen Bescheides auch zum Inhalt des angefochtenen erhoben werde. Nach Wiedergabe des Vorbringens des Beschwerdeführers, Darstellung des weiteren Verfahrensganges und wörtlicher Zitierung der Berufung stellte die belangte Behörde fest, der Beschwerdeführer sei Staatsangehöriger von Nigeria. Weiters habe lediglich festgestellt werden können, dass er am 19. November 2001 einen Antrag auf Gewährung von Asyl gestellt habe. Hingegen hätten seine Identität, der Fluchtweg - und damit zusammenhängend das Datum der illegalen Einreise in das Bundesgebiet - sowie die Fluchtgründe nicht festgestellt werden können. Diese Feststellungen gründeten sich auf folgende Beweiswürdigung:

Das Datum der Asylantragstellung ergebe sich aus dem Akteninhalt. Aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers im erstinstanzlichen Verfahren und in der Berufung ergebe sich kein Grund, an seiner Herkunft aus Nigeria zu zweifeln. Was allerdings seine Identität betreffe, sei zunächst festzuhalten, dass er keinerlei Lichtbildausweis oder sonstige Dokumente zur Bescheinigung seiner Identität habe vorlegen können. Ansonsten würden hinsichtlich der Beweiswürdigung die diesbezüglichen Teile der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides zum Inhalt der Begründung des angefochtenen Bescheides erhoben. Betreffend die Fluchtgeschichte sei sein allgemein gehaltenes Vorbringen nicht nachvollziehbar und in dieser Allgemeinheit nicht geeignet, eine dem Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgungsgefahr darzutun und glaubhaft zu machen. Auch - im erstinstanzlichen Bescheid näher dargestellte - Widersprüche in seinen Angaben seien nicht geeignet, die Glaubwürdigkeit zu fördern. Seine Unwissenheit über Straßennahmen in Kano sei keine Frage der Bildung oder der mangelnden Fähigkeit des Lesens oder Schreibens. Seine im Asylverfahren mehrfach geleistete Unterschrift erwecke nicht den Eindruck, es würde sich hierbei um die Unterschrift eines völligen Analphabeten handeln. Aus einer Gesamtbetrachtung der Angaben des Beschwerdeführers ergebe sich für die belangte Behörde die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens hinsichtlich seiner Identität, seines Fluchtgrundes sowie seines Fluchtweges.

Rechtlich folge daraus: Die belangte Behörde komme zum Schluss, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seiner Verfolgungssituation nicht den Tatsachen entspreche, weshalb der Asylantrag gemäß § 7 AsylG abzuweisen gewesen sei. Selbst wenn man jedoch hypothetisch - entgegen den Feststellungen der belangten Behörde - von der Glaubwürdigkeit der Angaben ausginge, wäre der Berufung dennoch kein Erfolg beschieden. Wie seitens der Erstbehörde zutreffend ausgeführt, stehe dem Beschwerdeführer unter hypothetischer Zugrundelegung seines Vorbringens selbst im Fall einer Verfolgung durch Moslems in Kano die Möglichkeit offen, durch Verlegung des Wohnsitzes in einen anderen Teil Nigerias einer potenziellen Gefahr aus dem Weg zu gehen. Etwa 43 % der Bevölkerung seien Moslems; diese seien allerdings im Wesentlichen auf den Norden Nigerias konzentriert und beschränkt. In diesem Zusammenhang sei anzumerken, dass keinerlei Berichte über eine Verfolgung von Christen auf Grund ihres Glaubens durch Moslems in den südlichen Landesteilen existent seien. Vielmehr seien in südlichen und östlichen Landesteilen Übergriffe von Christen auf Moslems keineswegs ausgeschlossen. Überdies lebten in ganz Nigeria über 120 Millionen, in der Zone Lagos und Umgebung über 12 Millionen Menschen. Nach Ansicht der österreichischen Botschaft in Nigeria sei es relativ einfach, in einem anderen Landesteil Nigerias vor einer allfälligen Verfolgung sicher zu leben. Der Beschwerdeführer sei in seiner Berufung den diesbezüglichen Ausführungen im Erstbescheid über eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht konkret entgegen getreten. Er habe nicht behauptet, eine dermaßen exponierte Position bekleidet zu haben, dass er mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ein gezielt auf ihn gerichtetes Interesse der Moslems bzw. eine gezielte, gegen seine Person gerichtete Verfolgung aus religiösen Gründen durch Moslems auch im Süden Nigerias zu gewärtigen hätte, und könne dies keinesfalls von Amts wegen angenommen werden. Dem Beschwerdeführer wäre daher eine inländische Fluchtalternative etwa in die Stadt Lagos oder in einen anderen christlich dominierten Teil Nigerias offen gestanden, weshalb die Berufung auch aus diesem Grund gemäß § 7 AsylG abzuweisen gewesen sei.

Weiters begründete die belangte Behörde ihren Abspruch nach § 8 AsylG. Abschließend führte sie aus, von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe abgesehen werden können, weil die Voraussetzungen des Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG im gegenständlichen Fall vorlägen. In der Berufung finde sich kein neues bzw. kein in irgendeiner Form konkretes und substanziiertes Tatsachenvorbringen hinsichtlich der Fluchtgründe des Beschwerdeführers.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die Beschwerde sieht die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften darin, dass die belangte Behörde ihren Bescheid ohne die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erlassen habe. Weder die Erst- noch die belangte Behörde hätten zur Frage der innerstaatlichen Fluchtalternative Beweisaufnahmen getätigt.

Nach Art. II Abs. 2 lit. D Z 43a EGVG ist auf das behördliche Verfahren des unabhängigen Bundesasylsenates das AVG anzuwenden, § 67d AVG - der grundsätzlich die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vorsieht - jedoch mit der Maßgabe, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheint. Dies ist dann der Fall, wenn der Sachverhalt nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und nach schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehen eines Neuerungsverbotes zulässiger Weise - neu und in konkreter Weise behauptet wird (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308).

Im vorliegenden Fall wandte sich der Beschwerdeführer in seiner Berufung gegen die Einschätzung seiner Angaben, die im Zuge der nur 20 Minuten dauernden Einvernahme vor der Erstbehörde (zum Fluchtgrund) nicht ausreichend erörtert worden seien, als unglaubwürdig. Sein niedriges Bildungsniveau stehe einer strukturierten, kurzen und bündigen Darstellung der Fluchtgründe entgegen.

Der Umstand, dass der Beschwerdeführer in der Berufung noch von der Erstbehörde - und in weiterer Folge auch von der belangten Behörde - nicht vermisste Details darlegte, entband die belangte Behörde nicht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung, weil der Beschwerdeführer in der Berufung in ausreichendem Maße zu erkennen gab, vor der belangten Behörde die Bedenken mangelnder Detailtreue auszuräumen zu wollen, die gegen seine Glaubwürdigkeit sprächen.

Der Relevanz einer Verfahrensverletzung durch Abstandnahme von einer mündlichen Berufungsverhandlung konnte auch nicht dadurch vorgebaut werden, dass die belangte Behörde - über die allgemeinen Ausführungen der Erstbehörde hinausgehend - Feststellungen über die Streuung bzw. Verteilung der religiösen Gruppen in Nigeria traf und offensichtlich davon ausgehend zur Schlussfolgerung gelangte, in den südlichen Teilen Nigerias sei mit einer Verfolgung wegen des christlichen Glaubens nicht zu rechnen. Abgesehen davon, dass die belangte Behörde die diesbezüglichen Annahmen ebenfalls außerhalb einer öffentlichen mündlichen Verhandlung gewann, legte sie im angefochtenen Bescheid auch die Grundlagen für diese Feststellungen nicht dar.

Nach dem Gesagten belastete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 8. April 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2002010264.X00

Im RIS seit

20.06.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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