Index
41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Nichtowitz, über die Beschwerde des M in Wien, geboren 1958, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwedenplatz 2/74, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 24. Jänner 2002, Zl. 200.104/0-V/14/98, betreffend § 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Demokratischen Republik Kongo, reiste am 16. Oktober 1996 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 18. Oktober 1996 die Gewährung von Asyl.
Nach Durchführung einer Berufungsverhandlung am 15. November 2001, bei der der Beschwerdeführer unter anderem angab, seine Frau sei "eine Wahlcousine von E T", er sei "ein Sympathisant der Union Sacre, das ist eine Plattform für Oppositionsparteien unter Mobutu" gewesen, seine Ehefrau habe Probleme mit dem Regime Kabila gehabt und sei nach Brazzaville geflüchtet, wies die belangte Behörde mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid vom 24. Jänner 2002 den Asylantrag gemäß § 7 AsylG ab. Begründend ging sie von folgendem Sachverhalt aus:
"Der Asylwerber ist Staatsangehöriger der DR Kongo und wurde am 20.3.1958 in Kindu, Provinz Maniema, im Osten der DR Kongo geboren. Er verdiente sich zuletzt seinen Lebensunterhalt als Rezeptionist im Hotel Memling. vorher war er als Lehrer, Sicherheitsbeamter und Kolporteur der Zeitung Tempete des Tropics (von 1991-1993) tätig. Bei seiner bis Ende August 1996 dauernden Beschäftigung als Rezeptionist war er für den Telefon- und Faxdienst zuständig. Im Hotel wohnte ab Jänner 1996 ein Berater des Präsidenten Mobutu, Dr. A, für den er Faxe und Briefe versendete. Bei einem Spaziergang am 1.9.1996, in Begleitung seiner Schwester und seines Cousins, wurde er von zwei Personen angehalten, in den Kofferraum eines PKW's verfrachtet und in eine Gefängniszelle gesteckt. Im Verlauf eines Verhörs wurde ihm vorgeworfen, den Inhalt von Faxen an Zeitungen weiterzugeben. Trotz seiner Behauptung, diese Informationen nicht weitergegeben zu haben, wurde er verprügelt und wieder in die Zelle gesteckt. Mit Hilfe eines Nachbarn konnte er am 2.9.1996 flüchten. Dieser Mann brachte ihn nach Moluku, das ca. 80 km von Kinshasa entfernt liegt. Dort lebte er bis zu seiner Ausreise am 15.10.1996 bei einem Freund namens Fundi, der die Ausreise aus der DR Kongo organisierte. Der Asylwerber ist im Besitze eines Reisepasses, den er problemlos am 9.11.1993 erhalten hat. Der Pass war bis 1.12.1998 gültig. Desweiteren erhielt der Asylwerber ein Visum für Österreich, ausgestellt am 20.9.1996, gültig vom 5.10.1996 bis 5.12.1996 ... Festgestellt wird weiters, dass der Asylwerber in der DR Kongo keiner politischen Partei angehörte oder sich sonst regimekritisch betätigte. Der Asylwerber ist in der UDPS, Vertretung Österreich tätig. Weiters war der Asylwerber Diskussionsteilnehmer eines kleinen in Wien beheimateten Senders ('Radio Afrika'), der eine Sendung über die aktuelle politische Situation unter Joseph Kabila ausstrahlte."
Zur allgemeinen Situation in der "DR Kongo" sowie zur Verfolgung von Mitgliedern der Partei UDPS und von Personen, die im Ausland regimekritische Aktivitäten gesetzt haben, traf die belangte Behörde unter Anderem folgende Feststellungen:
"Am 17.5.1997 konnte der vorherige Staatschef Laurent Desire Kabila mit seinen als AFDL bezeichneten Streitkräften die Haupstadt Kinshasa einnehmen. Am 22.5.1997 wurde Kabila als Staatspräsident angelobt. Alle Gegner des früheren Staatspräsidenten Mobutu Sese Seko wurden zur Rückkehr und Mitarbeit an einer demokratischen Reformregierung eingeladen. Die für das Jahr 1999 angekündigten Parlamentswahlen wurden jedoch auf unbestimmte Zeit verschoben und wurde kein Wahltermin in Aussicht genommen. Am 26.5.1997, sohin wenige Tage nach seinem Amtsantritt wurden von Staatspräsident Kabila alle politischen Aktivitäten mit Ausnahme jener seiner Regierungspartei 'suspendiert' und wurden Demonstrationen generell verboten. Die politische Situation in der DR Kongo ist - in dem von der Staatsregierung unter Kabila beherrschten Landesteil - dadurch gekennzeichnet, dass die Macht in den Händen Kabilas und der Staatspartei AFDL konzentriert ist und politische Aktivitäten der Oppositionsparteien zur Gänze verboten sind. Es kam zu Verhaftungen und Mißhandlungen von Regimegegnern, Menschenrechtsaktivisten und Journalisten, die es wagten, offen gegen die Menschenrechtsverletzungen durch die Regierung Stellung zu beziehen. Weiters wurden Oppositionsführer einschließlich führender Mitglieder der UDPS und ihres Anführers Etienne Tshisekedi, die darauf bestanden, ihr Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit zum Ausdruck zu bringen, verhaftet und als Gefangene festgehalten, teilweise auch geschlagen und mißhandelt.
Derzeit befinden sich infolge eines ethnisch bedingten Bürgerkrieges in der DR Kongo nicht einmal 50 % des Staatsgebietes unter der Kontrolle der von Kabila dominierten Staatsregierung, während das restliche Staatsgebiet von Rebellengruppen kontrolliert wird, die von Ruanda bzw. Uganda unterstützt werden. Ein im Juli/August abgeschlossenes Waffenstillstandsabkommen von Lusaka brachte bisher keine Entspannung der Situation. ... Trotzdem geht einem von der Menschenrechtskommission am 26.3.2001 vorgelegten Bericht hervor, dass es im Kongo weiterhin Gewalt und Terror gebe und Menschenrechte weiterhin verletzt werden. Bis jetzt sei von der Regierung nichts unternommen worden, was auf eine Demokratisierung oder die Zulässigkeit unabhängiger politischer Parteien hinauslaufe. Gemäß dem kongolesischen Gesetz können die Behörden nach einer Festnahme eine Person maximal 48 Stunden ohne Anklageerhebung festhalten. Im Gegensatz zu geltenden Rechtsvorschriften werden festgenommene Personen ohne jede Fristeinhaltung inhaftiert, meist gibt es keine Anklage und kein Urteil. Nach Meinung eines hohen kongolanischen Oppositionspolitikers ... sind die ersten 24 bis 48 Stunden nach einer Festnahme durch den zivil- oder militärischen Geheimdienst ausschlaggebend (diese Dienste operieren außerhalb jeder Rechtsnormen). In diesem Zeitraum wird über das Schicksal von Festgenommenen entschieden. Dieser kann - nach Aussage der erwähnten Quelle - in einem nicht offiziellen Haftlager verschwinden oder außergerichtlicher Exekution zum Opfer fallen. Es werden auch nicht selten in der Provinz festgenommene Personen in die Hauptstadt Kinshasa transferiert und inhaftiert.
Der bloße Umstand, dass eine Person einer Oppositionspartei angehört, wie z.B. der von E T geleiteten UDPS-Fraktion, ist nicht geeignet, eine Verfolgung aus politischen Gründen darzutun. Eine politische Verfolgung kann nur dann angenommen werden, wenn eine Person politisch aktiv ist und solcher Art die Aufmerksamkeit staatlicher Behörden aus sich gezogen hat. ...
Was die Verfolgung von Personen betrifft, die im Exil politische Aktivitäten gesetzt haben oder einer Oppositionspartei angehören, ist Folgendes festzustellen:
Eine Gefährdung bei Rückkehrern in die DR Kongo kann für viele Personen nicht ausgeschlossen werden, die sich im Ausland aktiv an einer exilpolitischen Bestätigung gegen die Regierung beteiligt haben. Entscheidend dürfte im Einzelfall die Gefährlichkeit der jeweiligen Person aus der Sicht der Machthaber sein, mit deutlicher Konzentration auf Personen, die über erheblichen, dem Regime aktuell oder potenziell abträglichen Einfluss verfügen. Was die Mitglieder der Exil-UDPS betrifft, ist zu prüfen, ob die Aktivitäten dem kongolesischen Sicherheitsdienst bekannt geworden sind und als ernst zu nehmender Versuch gewertet werden, das aktuelle Regime zu diskreditieren. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Asylwerber, die etwa in Deutschland als Oppositionelle gegen die damalige Regierung von Präsident Kabila öffentlich in Erscheinung getreten und den staatlichen Institutionen in der DR Kongo dahingehend bekannt sind, bei einer Rückkehr in die DR Kongo staatlichen Repressionshandlungen unterliegen. Im Falle einfacher Mitgliedschaft (wie z.B. als stellvertretender Schriftführer, wie im vorliegenden Fall) bei einem Regionalverband der UDPS in Österreich ist es unwahrscheinlich, dass die betreffende Person allein schon deshalb in das Blickfeld der für die Staatsicherheit zuständigen kongolesischen Behörden - noch dazu bei der geänderten Lage - gerät."
"Beweiswürdigend" hielt die belangte Behörde fest, dass die Mitgliedschaft des Beschwerdeführers bei einer UDPS-Exilgruppe keine Verfolgung befürchten lasse, weil sich der Beschwerdeführer in seinem Heimatland nie politisch betätigt habe und eben nicht jede exilpolitische Aktivität automatisch Verfolgung nach sich ziehe.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer mit der Behauptung, er sei wegen einer ihm unterstellten Weitergabe von Faxinhalten an Zeitungen festgenommen und misshandelt worden, keine asylrelevante Verfolgung aufzuzeigen vermochte. Es handle sich bei der angeblichen Weitergabe von "Staatsgeheimnissen" um eine Indiskretion und um ein kriminelles Delikt. Politische Motive für die Weitergabe der Faxe seien im Verfahren nicht hervorgekommen; der Beschwerdeführer selbst habe behauptet, nie politisch tätig gewesen zu sein oder einer politischen Partei angehört zu haben. Die von den Behörden vermuteten - gegen den damaligen Staatschef Mobutu gerichteten - politischen Indiskretionen vermochten auch wegen der maßgeblichen Änderungen der politischen Verhältnisse nicht mehr zur Anerkennung als Flüchtling zu führen. Was die Nachfluchtgründe (nunmehrige UDPS-Mitgliedschaft als Kassier dieser Exilorganisation in Wien) betreffe, handle es sich um Aktivitäten in einem untergeordneten Rang. Weder eine Mitgliedschaft bei einer Exil-UDPS-Organisation noch eine Teilnahme an einer Diskussion bei einem kleinen, lokalen Sender in Wien führte automatisch dazu, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr Verfolgung zu befürchten hätte. Auf Grund seiner Tätigkeit als Kassier lasse sich nicht ableiten, dass er eine ernst zu nehmende Gefahr für das derzeitige Regime der "DR Kongo" darstelle.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Der Verwaltungsgerichtshof hatte im Erkenntnis vom 22. Mai 2001, Zl. 2000/01/0076, als "Nachfluchtgrund" eines kongolesischen Staatsangehörigen dessen Teilnahme an einer Demonstration in Wien gegen die Regierung Kabila zu beurteilen, wobei die im dort angefochtenen Bescheid der belangten Behörde zur Gefährdung von "Rückkehrern in die DR Kongo" getroffenen Feststellungen mit jenen im vorliegend angefochtenen Bescheid nahezu wortgleich sind, sodass die im genannten Erkenntnis, auf dessen Ausführungen gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, entwickelten Überlegungen auch auf den Beschwerdefall anwendbar sind.
Demnach ist bei der Frage, ob der Beschwerdeführer infolge seiner exilpolitischen Tätigkeit ins Blickfeld der für die Staatssicherheit zuständigen kongolesischen Behörden geraten konnte, zunächst zu beurteilen, ob er so in Erscheinung getreten ist, dass er als auffällig "regimekritisch" identifizierbar war. Die belangte Behörde hat keine Feststellungen darüber getroffen, welchen Beitrag der Beschwerdeführer "als Diskussionsteilnehmer" bei der Radiosendung des Senders "Radio Afrika" über die aktuelle politische Situation unter Joseph Kabila geleistet hat. Solche Feststellungen wären aber erforderlich gewesen um beurteilen zu können, ob der Beschwerdeführer als aktiv exilpolitisch identifizierbar aufgetreten ist. Sollte sich dies herausstellen, wäre zu klären, ob damit zu rechnen ist, dass die kongolesischen Behörden von dem Auftreten des Beschwerdeführers Notiz genommen haben, zumal der Beschwerdeführer nicht nur einfaches Mitglied des österreichischen Zweigs der UDPS ist, sondern als stellvertretender Schriftführer bzw. als Kassier eine Funktion innehat. Jedenfalls kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden - wie dies die belangte Behörde meint -, dass die "Teilnahme an einer Diskussion bei einem kleinen, lokalen Sender in Wien" nicht derart beobachtet worden ist, dass sie den kongolesischen Behörden zur Kenntnis gelangen konnte.
Bei ihrer Einschätzung, der Beschwerdeführer könne keine ernst zu nehmende Gefahr für das derzeitige Regime der Demokratischen Republik Kongo sein, stellte die belangte Behörde lediglich auf seine exilpolitische Tätigkeit ab, ohne zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer schon einmal wegen ihm unterstellter politischer Aktivitäten in seinem Heimatland in Haft genommen wurde und seine Frau, die selbst verfolgt würde, ein Naheverhältnis zu dem - selbst nach den Feststellungen der belangten Behörde - wegen seiner oppositionellen Tätigkeit verfolgten und verhafteten Anführer der UDPS E T haben soll.
Für eine abschließende Beurteilung bedarf der Sachverhalt somit insbesondere im Hinblick auf die näheren Umstände, unter denen die besagte Radiosendung stattgefunden hat bzw. ausgestrahlt worden ist sowie im Hinblick auf das familiäre Umfeld des Beschwerdeführers einer Ergänzung, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 8. April 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2002010078.X00Im RIS seit
12.06.2003