TE Vwgh Erkenntnis 2003/4/23 2001/04/0075

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Veröffentlicht am 23.04.2003
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Gruber, Dr. Stöberl, Dr. Blaschek und Dr. Rigler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Weiss, über die Beschwerde des G in W, vertreten durch Dr. Michaela Iro, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Invalidenstraße 13/1/15, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 21. Februar 2001, Zl. MA 63 - H 719/00, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Entziehung der Gewerbeberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Magistrats Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 18. Bezirk, vom 30. November 1999 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 87 Abs. 1 Z. 2 i.V.m. § 13 Abs. 3 GewO 1994 die Gewerbeberechtigung "Tischler" (§ 94 Z. 21 GewO 1994) im Standort W, Mstraße 43, mit der Begründung entzogen, es sei mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 17. September 1999, GZ: 4S 460/99w-1, über das Vermögen des Beschwerdeführers der Konkurs eröffnet worden.

Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 7. Dezember 1999 durch Hinterlegung zugestellt.

Mit Schriftsatz vom 3. Jänner 2000 beantragte der Beschwerdeführer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist und holte gleichzeitig die versäumte Berufung nach. Begründend brachte der Beschwerdeführer vor, er habe die vor Erlassung des Bescheides vom 30. November 1999 an ihn - trotz Postsperre - ergangene Aufforderung zur Stellungnahme im Entziehungsverfahren umgehend und rechtzeitig Herrn Mag. K., dem für ihn zuständigen Sachbearbeiter beim Masseverwalter Rechtsanwalt Dr. S. ebenso übergeben, wie den Entziehungsbescheid. Seine Frage, was mit der Stellungnahme geschehen sei und warum er diesen Bescheid erhalten habe, habe Mag. K. anlässlich der Übernahme des Entziehungsbescheides am 14. Dezember 1999 dahin beantwortet, dass er sich die Sache ansehen müsse, es stelle dies aber kein Problem dar, weil man "eine Berufung machen" könne. Einen persönlichen Termin beim Masseverwalter Dr. S. am 20. Dezember 1999 habe der Beschwerdeführer krankheitsbedingt nicht wahrnehmen können. Anlässlich des Ersatztermins am 22. Dezember 1999 habe ihm Mag. K. u. a. den Entziehungsbescheid übergeben und mitgeteilt, dass es zwar eine Stellungnahme des Masseverwalters im Entziehungsverfahren gebe, dass im Entziehungsverfahren aber nicht der Masseverwalter, sondern der Beschwerdeführer persönlich verantwortlich sei und er daher auch selbst Berufung erheben müsse. Erst zu diesem Zeitpunkt habe er erfahren, dass der Masseverwalter offenbar keine Berufung erhoben habe; dass er selbst rechtswirksam Berufung erheben könne, habe er bis dahin nicht gewusst. Vielmehr sei er der Meinung gewesen, dass der Masseverwalter Berufung erheben werde, weil der Beschwerdeführer wegen der Konkurseröffnung ja nicht handlungsfähig gewesen sei.

Mit Bescheid des Magistratischen Bezirksamtes für den

18. Bezirk vom 31. Oktober 2000 wurde dem Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht stattgegeben. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe gar nicht behauptet, dass er dem Masseverwalter den Auftrag zur Einbringung einer Berufung erteilt und die Ausführung dieses Auftrages überwacht habe. Mit seinem Vorbringen habe er daher nicht glaubhaft gemacht, dass ihn an der Fristversäumung kein Verschulden treffe.

Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 21. Februar 2001 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen die Verweigerung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgewiesen und der erstbehördliche Bescheid bestätigt; gleichzeitig wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den erstbehördlichen Entziehungsbescheid als verspätet zurückgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe einen Rechtsirrtum, nämlich seine Annahme, er sei auf Grund des Konkurses auch in Gewerbeangelegenheiten nicht handlungsfähig, geltend gemacht. Es sei daher zu prüfen, ob den Beschwerdeführer am nicht (rechtzeitigen) Erkennen seines Irrtums ein nicht nur minderer Grad des Versehens treffe. Nun habe der Beschwerdeführer gar nicht behauptet, dass ihm von einem Mitarbeiter des Masseverwalters eine falsche Rechtsauskunft in die Richtung gegeben worden sei, er sei im gewerbebehördlichen Verfahren nicht handlungsfähig. Vielmehr sei ihm lediglich eine Prüfung seiner Sache in Aussicht gestellt worden. Der Beschwerdeführer habe auch nicht behauptet, dass er sich vor dem persönlichen Termin am 22. Dezember 1999 über den Stand der Angelegenheit erkundigt hätte. Angesichts des Umstandes der persönlichen Zustellung des amtlichen Schriftstückes trotz verhängter Postsperre, der Wichtigkeit der Angelegenheit sowie der Fristgebundenheit von Eingaben müsse von einem sorgfältigen Menschen erwartet werden, dass er sich vor Ablauf der Berufungsfrist darüber erkundige, ob und welche Veranlassungen getroffen worden oder zu treffen seien. Indem der Beschwerdeführer dies unterlassen habe, treffe ihn ein nicht nur minderer Grad des Versehens, sondern ein Verschulden, das die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verhindere.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid im Recht auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie im Recht auf meritorische Erledigung seiner Berufung gegen die Entziehung der Gewerbeberechtigung verletzt. Er bringt hiezu im Wesentlichen vor, es treffe nicht zu, dass ihm auffallende Sorglosigkeit zur Last falle. Die Gesamtheit des Geschehens zeige vielmehr, dass ihm höchstens ein minderer Grad des Versehens vorgeworfen werden könne. Selbst wenn er nämlich über seine Handlungsfähigkeit im Konkursverfahren geirrt habe, so habe er doch darauf vertrauen dürfen, dass ein Rechtsanwalt, dem er einen Bescheid übergebe und er auch im Besitz der übrigen notwendigen Unterlagen sei, die Berufungsfrist wahre. Mag. K. habe ihm den Bescheid auch nicht etwa sofort zurückgegeben und ihn darauf aufmerksam gemacht, dass ihn die Sache nichts angehe. Vielmehr habe er erklärt, er müsse sich die Sache ansehen, es sei kein Problem, man könne eine Berufung machen. Somit habe der Beschwerdeführer davon ausgehen können, dass Berufung erhoben werde bzw. dass er jedenfalls zeitgerecht darüber aufgeklärt werde, dass er selbst Berufung erheben müsse.

Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

"Unvorhergesehen" ist ein Ereignis dann, wenn die Partei es tatsächlich nicht miteinberechnet hat und sein Eintritt auch unter Bedachtnahme auf zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwartet werden konnte, wobei die erforderliche zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht auch dann noch gewahrt ist, wenn der Partei nur ein "minderer Grad des Versehens" unterläuft. Ein solcher "minderer Grad des Versehens" liegt (nur) dann vor, wenn es sich um leichte Fahrlässigkeit handelt, also dann, wenn ein Fehler begangen wird, der gelegentlich auch einem sorgfältigen Menschen unterläuft. Der Wiedereinsetzungswerber darf allerdings nicht auffallend sorglos gehandelt haben (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998), 1552 f, dargestellte Judikatur).

Im vorliegenden Beschwerdefall gewann der Beschwerdeführer zum einen zwar wegen seiner irrigen Auffassung, es sei Sache des Masseverwalters Berufung gegen die Entziehung seiner Gewerbeberechtigung zu erheben, zum anderen aber auf Grund des Verhaltens des beim Masseverwalter für ihn zuständigen Bearbeiters Mag. K., der nämlich den Entziehungsbescheid mit dem Bemerken entgegennahm, dieser sei kein Problem, man könne dagegen Berufung erheben, die Überzeugung, Mag. K. werde fristgerecht Berufung einlegen. Nun kann die Übernahme des Entziehungsbescheides durch den zuständigen Mitarbeiter der Rechtsanwaltskanzlei (des Masseverwalters) in Verbindung mit der erwähnten Bemerkung durchaus in die Richtung verstanden werden, Mag. K. werde sich darum kümmern, dass gegen diesen Bescheid Berufung erhoben werde. Es kann daher nicht gesagt werden, dem Beschwerdeführer liege bei Bildung seiner Überzeugung, Mag. K. werde die Einbringung einer Berufung besorgen, auffallende Sorglosigkeit zur Last. Auffallende Sorglosigkeit begründet nach Lage des Falles aber auch der Umstand, dass sich der Beschwerdeführer vor Ablauf der Berufungsfrist nicht vergewissert hat, ob tatsächlich fristgerecht Berufung erhoben wurde, nicht; durfte der Beschwerdeführer doch auf Grund der Entgegennahme des Entziehungsbescheides durch den für ihn zuständigen juristischen Sachbearbeiter einer Rechtsanwaltskanzlei - ungeachtet des Fehlens eines diesbezüglichen Vertretungsverhältnisses - davon ausgehen, dass die erforderlichen Schritte fristgerecht gesetzt werden. Darüber hinausgehender besonderer Vorsicht oder Aufmerksamkeit des Beschwerdeführers bedurfte es diesfalls nicht.

Die belangte Behörde hat daher zu Unrecht angenommen, dem Beschwerdeführer läge, weil er sich nicht vor Ablauf der Berufungsfrist erkundigt hat, ob und welche Veranlassungen anwaltlicherseits getroffen worden seien, ein Verschulden an der Versäumung der Berufungsfrist zur Last, das über einen minderen Grad des Versehens hinausgehe. Sie hat dadurch den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, was gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG zu seiner Aufhebung zuführen hat.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 23. April 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2001040075.X00

Im RIS seit

20.06.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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