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50/04 Berufsausbildung;Norm
AlVG 1977 §10;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des M in G, vertreten durch Dr. Robert A. Kronegger, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Raubergasse 27, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark vom 10. Jänner 2001, Zl. LGS600/ALV/1218/2001-Wa, betreffend Verlust des Anspruches auf Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer stellte am 4. Dezember 2000 einen Antrag auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld. Dabei gab er an, in der Zeit vom 2. Juni 1997 bis 1. Dezember 2000 als Schlosserlehrling bei dem Unternehmen M. tätig gewesen zu sein.
Am 13. Dezember 2000 nahm die Behörde erster Instanz mit dem Beschwerdeführer eine Niederschrift auf, wonach er erklärt habe, sein Dienstverhältnis selbst gelöst zu haben, da das Betriebsklima sehr schlecht gewesen sei. "Wir" seien seit Beginn der Lehrzeit vom Meister ständig beschimpft worden. Das habe er sich nun nicht mehr gefallen lassen. Eine Klage sei nicht eingebracht worden.
Mit Bescheid vom 21. Dezember 2000 sprach die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice aus, dass der Beschwerdeführer gemäß § 11 AlVG für den Zeitraum vom 2. Dezember 2000 bis 29. Dezember 2000 kein Arbeitslosengeld erhalte. Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer sein Dienstverhältnis ohne triftigen Grund selbst gelöst habe.
In seiner Berufung gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer vor, er habe sein Dienstverhältnis weder freiwillig ohne triftigen Grund gelöst noch sei es infolge seines Verschuldens berechtigt vorzeitig aufgelöst worden. Das Lehrverhältnis habe gemäß § 14 Abs. 1 Berufsausbildungsgesetz durch Zeitablauf geendet. Dies habe der Beschwerdeführer seinem Lehrberechtigten mit Schreiben vom 29. November 2000 schriftlich mitgeteilt. Die Weiterverwendungszeit habe er nicht antreten können, weil er mehrere Monate lang von Betriebsangehörigen täglich beschimpft worden sei. Es sei immer wieder zu Beleidigungen seiner Person und seiner Erziehungsberechtigten bekommen. Eine Weiterarbeit bei diesem Dienstgeber sei dem Beschwerdeführer daher nicht zumutbar gewesen.
Nach einem im Akt befindlichen Vermerk des Arbeitsmarktservice vom 4. Dezember 2000 sei der Beschwerdeführer misshandelt worden und habe täglich "an die 12 Stunden" arbeiten müssen. Sein Lehrverhältnis sei von ihm vorzeitig "auf Anraten AK" aufgelöst worden.
Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers nicht statt. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Lehrberechtigte vor Beendigung der Behaltepflicht auf Grund des besonderen Kündigungsschutzes das Beschäftigungsverhältnis nicht ohne Zustimmung des Beschwerdeführers mit 1. Dezember 2000 hätte beenden können. Es sei richtig, dass das Lehrverhältnis durch die Befristung automatisch mit Zeitablauf geendet habe. Auf Grund der Tatsache, dass für die Dauer der Behaltepflicht schon im Lehrvertrag bindend ein neues Dienstverhältnis vereinbart werde, sei daher zu prüfen, ob "im Falle einer Antragstellung auf Arbeitslosengeld dieses nicht angenommene Arbeitsangebot Auswirkungen auf den Leistungsbezug" habe. Eine der Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld sei die Arbeitswilligkeit, die dann als nicht gegeben anzusehen sei, wenn der Arbeitslose eine sonst sich bietende Arbeitsmöglichkeit nicht annehme. Da der Beschwerdeführer das im Lehrvertrag vereinbarte Dienstverhältnis nicht angenommen habe und auch die von ihm angeführten Gründe einer Weiterbeschäftigung nicht entgegenstünden, sei die Sperre des Arbeitslosengeldes zu Recht erfolgt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 7 Abs. 1 und 2 AlVG in der hier zeitraumbezogen maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 179/1999 ist Voraussetzung für den Anspruch auf Arbeitslosengeld u.a. die Arbeitswilligkeit.
§ 9 AlVG in der hier zeitraumbezogen anzuwendenden Fassung BGBl. Nr. 314/1994 hat auszugsweise folgenden Wortlaut:
"Arbeitswilligkeit
§ 9. (1) Arbeitswillig ist, wer bereit ist,
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eine durch die regionale Geschäftsstelle vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder
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sich zum Zwecke beruflicher Ausbildung nach- und umschulen zu lassen oder
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an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen oder
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von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen und
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auch sonst alle gebotenen Anstrengungen von sich aus unternimmt, eine Beschäftigung zu erlangen, soweit ihm dies nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbar ist.
(2) Zumutbar ist eine Beschäftigung, die den körperlichen Fähigkeiten des Arbeitslosen angemessen ist, seine Gesundheit und Sittlichkeit nicht gefährdet, angemessen entlohnt ist und dem Arbeitslosen eine künftige Verwendung in seinem Beruf nicht wesentlich erschwert. Die letzte Voraussetzung bleibt bei der Beurteilung, ob die Beschäftigung zumutbar ist, außer Betracht, wenn der Anspruch auf den Bezug des Arbeitslosengeldes erschöpft ist und keine Aussicht besteht, daß der Arbeitslose in absehbarer Zeit in seinem Beruf eine Beschäftigung findet.
(3) Eine Beschäftigung außerhalb des Wohn- oder Aufenthaltsortes des Arbeitslosen ist zumutbar, wenn hiedurch die Versorgung seiner Familienangehörigen, zu deren Unterhalt er verpflichtet ist, nicht gefährdet wird und am Orte der Beschäftigung, wenn eine tägliche Rückkehr an den Wohnort nicht möglich ist, entsprechende Unterkunftsmöglichkeiten bestehen.
(4) Als zumutbar gilt nicht die Beschäftigung in einem von Streik oder Aussperrung betroffenen Betrieb.
(5) Zumutbar ist eine von der regionalen Geschäftsstelle vermittelte Beschäftigung auch dann, wenn dem Arbeitslosen eine Wiedereinstellungszusage von einem früheren Arbeitgeber erteilt wurde oder sich der Arbeitslose schon zur Aufnahme einer Beschäftigung in Zukunft verpflichtet hat (Einstellungsvereinbarung).
..."
§ 10 AlVG in der hier zeitraumbezogen maßgebenden Fassung BGBl. Nr. 201/1996 lautet:
§ 10. (1) Wenn der Arbeitslose
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sich weigert, eine ihm von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, oder
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sich ohne wichtigen Grund weigert, einem Auftrag zur Nach(Um)schulung zu entsprechen oder durch sein Verschulden den Erfolg der Nach(Um)schulung vereitelt, oder
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ohne wichtigen Grund die Teilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verweigert oder den Erfolg der Maßnahme vereitelt, oder
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auf Aufforderung durch die regionale Geschäftsstelle nicht bereit oder in der Lage ist, ausreichende Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung glaubhaft zu machen,
verliert er für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Liegt im Zeitraum eines Jahres vor dem Beginn eines Anspruchsverlustes bereits ein früherer Anspruchsverlust, so beträgt der im ersten Satz genannte Zeitraum acht Wochen. Die Zeiten des Anspruchsverlustes verlängern sich um die in ihnen liegenden Zeiträume, während derer Krankengeld bezogen wurde.
(2) Der Ausschluß vom Bezug des Arbeitslosengeldes ist in berücksichtigungswürdigen Fällen, wie zB Aufnahme einer anderen Beschäftigung, ganz oder teilweise nachzusehen. Vor dieser Nachsicht sowie vor Erlassung einer Entscheidung gemäß Abs. 1 ist der Regionalbeirat anzuhören."
§ 11 AlVG in der hier zeitraumbezogen anzuwendenden Fassung BGBl. Nr. 609/1977 lautet wie folgt:
"§ 11. Arbeitslose, deren Dienstverhältnis infolge eigenen Verschuldens beendet worden ist oder die ihr Dienstverhältnis freiwillig ohne triftigen Grund gelöst haben, erhalten für die Dauer von vier Wochen, gerechnet vom Tage der Beendigung des Dienstverhältnisses an, kein Arbeitslosengeld. § 10 Abs. 2 gilt sinngemäß."
Gemäß § 14 Abs. 1 des Berufsausbildungsgesetzes idF BGBl. Nr. 232/1978 endet das Lehrverhältnis mit Ablauf der im Lehrvertrag vereinbarten Dauer der Lehrzeit.
Der Lehrberechtigte ist gemäß § 18 Abs. 1 Berufsausbildungsgesetz idF BGBl. I Nr. 83/2000 verpflichtet, den Lehrling, dessen Lehrverhältnis gemäß § 14 Abs. 1 leg. cit. endet, im Betrieb drei Monate im erlernten Beruf weiter zu verwenden.
Die belangte Behörde ist davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer von einem bereits im Lehrvertrag verbindlich geschlossenen Arbeitsvertrag über die Behaltefrist zurückgetreten ist. In der Beschwerde wird hingegen ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer der Abschluss eines Arbeitsvertrages für die Behaltefrist nicht zumutbar gewesen sei. Im vorliegenden Fall kann allerdings dahingestellt bleiben, welche der genannten Varianten (vgl. dazu näher das hg. Erkenntnis vom 19. Juni 1990, Zl. 90/08/0084) zutreffend ist:
Selbst wenn nämlich ein Arbeitsverhältnis noch nicht bestanden, es vielmehr der Beschwerdeführer unterlassen hätte, einen Arbeitsvertrag über die Dauer des Lehrverhältnisses hinaus abzuschließen, so hätte er im Sinne des dritten Falles des § 9 Abs. 1 AlVG von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit keinen Gebrauch gemacht (vgl. das soeben zitierte hg. Erkenntnis vom 19. Juni 1990). Auch dies könnte aber nur dann zum Verlust des Anspruches auf Arbeitslosengeld führen, wenn die im § 9 Abs. 2 AlVG näher umschriebene Zumutbarkeit vorläge (vgl. auch dazu das Erkenntnis vom 19. Juni 1990).
Hätte der Beschwerdeführer hingegen ein bereits bestehendes Dienstverhältnis beendet, führte dies nur dann zum Verlust des Anspruches auf Arbeitslosengeld, wenn er dies im Sinne des § 11 AlVG ohne triftigen Grund getan hätte.
Unter den in § 11 AlVG genannten "triftigen Gründen" sind zwar nicht nur Austrittsgründe im Sinne des Arbeitsvertragsrechtes (etwa im Sinne des § 26 Angestelltengesetz und verwandter Rechtsvorschriften) zu verstehen; die Verwendung des Wortes "triftig" deutet aber darauf hin, dass der Gesetzgeber nicht nur die gänzlich grundlose Herbeiführung des versicherten Risikos "Arbeitslosigkeit" als mangelnde und damit zumindest temporär anspruchshemmende Arbeitswilligkeit deutet, sondern auch jene Fälle der Auflösung von Dienstverhältnissen als den Anspruch auf Arbeitslosengeld ausschließend betrachtet, in denen zwar ein Grund für die Auflösung des Dienstverhältnisses ins Treffen geführt werden kann, es diesem Grund aber an zureichendem Gewicht mangelt. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes sind bei der Auslegung des unbestimmten Gesetzesbegriffes "triftige Gründe" vor allem Zumutbarkeitsgesichtspunkte maßgebend, wie sie etwa § 9 Abs. 2 und 3 AlVG auch für den arbeitslos gewordenen Versicherten im Hinblick auf dessen Verpflichtung, eine vom Arbeitsmarktservice vermittelte oder sich bietende Arbeitsgelegenheit zu ergreifen, vorsehen. Soweit als triftiger Grund für die Auflösung eines Dienstverhältnisses das Arbeitsverhältnis betreffende Umstände in Betracht kommen, wird es sich um solche handeln müssen, die einem wichtigen Grund (etwa im Sinne des § 26 Angestelltengesetz) zumindest nahe kommen (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 19. Mai 1992, Zl. 91/08/0189, vom 8. September 2000, Zl. 2000/19/0052, und vom 4. April 2002, Zl. 99/08/0092).
Nicht nur gemäß § 26 Z 4 Angestelltengesetz, BGBl. Nr. 292/1921, ist es ein wichtiger Grund, der den Angestellten zum vorzeitigen Austritt berechtigt, wenn sich der Dienstgeber Tätlichkeiten, Verletzungen der Sittlichkeit oder erhebliche Ehrverletzungen gegen den Angestellten oder dessen Angehörige zu Schulden kommen lässt oder sich weigert, den Angestellten gegen solche Handlungen eines Mitbediensteten oder eines Angehörigen des Dienstgebers zu schützen, sondern auch nach § 15 Abs. 4 lit. b Berufsausbildungsgesetz, BGBl. Nr. 142/1969 idF BGBl. I Nr. 83/2000, liegt ein Grund, der den Lehrling zur vorzeitigen Auflösung des Lehrverhältnisses berechtigt, vor, wenn ihn der Lehrberechtigte oder der Ausbilder erheblich wörtlich beleidigt.
Der Beschwerdeführer hat geltend gemacht, dass er mehrere Monate lang täglich von Betriebsangehörigen beschimpft worden und es immer wieder zu Beleidigungen seiner Person und seiner Erziehungsberechtigten gekommen sei. Damit hat er Umstände vorgebracht, die den zuvor genannten Gründen für einen Austritt zumindest nahe kommen. Die belangte Behörde hat aber hinsichtlich dieser vom Beschwerdeführer vorgebrachten Umstände, die im Hinblick sowohl auf § 9 Abs. 2 AlVG als auch auf § 11 AlVG Bedeutung haben, keine näheren Ermittlungen durchgeführt, sondern ihnen von vornherein ohne nähere Begründung jegliche Relevanz abgesprochen. Sie hat damit die Rechtslage verkannt.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Die Umrechnung der entrichteten Stempelgebühren erfolgte gemäß § 3 Abs. 2 Z 2 Eurogesetz, BGBl. I Nr. 72/2000. Das Mehrbegehren war abzuweisen, da es in den Pauschalbeträgen der genannten Verordnung keine Deckung findet bzw. die Umsatzsteuer in diesen bereits enthalten ist.
Wien, am 23. April 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2002080060.X00Im RIS seit
16.06.2003