TE Vwgh Erkenntnis 2003/4/24 2003/20/0045

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Veröffentlicht am 24.04.2003
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §38;
AsylG 1997 §7;
AVG §67d idF 2001/I/137;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde der D (auch D) in W, geboren 1963, vertreten durch Mag. Ralf Mössler, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Singerstraße 11/7, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 13. November 2002, Zl. 227.593/0-IX/27/02, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Ukraine, reiste am 10. Jänner 2001 in das Bundesgebiet ein und ersuchte mit einem am 9. Oktober 2001 beim Bundesasylamt eingelangten Schriftsatz um die Gewährung von Asyl. Als Fluchtgrund gab sie niederschriftlich an, ihr Vater habe einen Mann, der Mitglied bei einer ihr unbekannten Partei gewesen sei, umgebracht, zerstückelt und in einer Grube vergraben. Seit dieser Tat, wegen der ihr Vater gerichtlich zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt worden sei, werde die Beschwerdeführerin verfolgt. Von der Beschwerdeführerin näher beschriebene Männer hätten sie persönlich und pro Woche zwei- bis dreimal telefonisch bedroht und Schadenersatz gefordert. Die Mutter der Beschwerdeführerin habe "nach dem Ereignis" in ein Krankenhaus eingewiesen werden müssen, wo sie gestorben sei. Sie sei aus dem vierten Stock "hinausgestoßen" worden und die "Männer" hätten der Beschwerdeführerin gedroht, die ganze Familie auszurotten. Die Behörden, bei denen sie gewesen sei, hätten "einfach nichts unternommen" und der Beschwerdeführerin zu verstehen gegeben, dass sie lästig sei. Auf die Frage, weshalb die Beschwerdeführerin nicht in eine andere Stadt in der Ukraine übersiedelt sei, gab sie an, "sie" seien auch bereits bei ihrem Bruder gewesen, der in einem anderen Gebiet der Ukraine wohne, und hätten auch ihn erpresst.

Das Bundesasylamt wertete das Vorbringen der Beschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen als unglaubwürdig, wies den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 7 AsylG ab und stellte die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Ukraine gemäß § 8 AsylG fest. Abgesehen davon, dass die Beschwerdeführerin nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet mit der Asylantragstellung über zehn Monate zugewartet habe, spreche gegen die Glaubwürdigkeit ihres Vorbringens, dass sie über keine näheren Informationen über den Hintergrund des Mordes, den ihr Vater begangen habe, verfüge und unterschiedliche Angaben über den Zeitpunkt der Gerichtsverhandlung ihres Vaters gemacht habe.

In ihrer dagegen erhobenen Berufung führte die Beschwerdeführerin aus, es sei für sie nicht nachvollziehbar, worin die fehlende Plausibilität ihrer Angaben bestehe und sie wolle den Sachverhalt in einer - von ihr ausdrücklich beantragten -

mündlichen Verhandlung nochmals klarer darlegen. Zu den Hintergründen des von ihrem Vater verübten Mordes führte die Beschwerdeführerin aus, der Ermordete hätte ihrem Vater vor der Tötung gedroht, sein Wissen über die angebliche Verwicklung des Vaters der Beschwerdeführerin in staatsfeindliche Aktivitäten weiterzugeben.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß den §§ 7 und 8 AsylG ab und verwies auf die im Erstbescheid wiedergegebenen Gründe, die gegen die Glaubwürdigkeit des Vorbringens der Berufungswerberin sprächen. "Hinzu kommt", dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin hinsichtlich des Zeitpunktes des genannten Mordes mit dem Zeitpunkt des Todes ihrer Mutter nicht in Einklang zu bringen sei.

Selbst bei Zutreffen der Angaben der Beschwerdeführerin, so die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides weiter, sei "anzunehmen", dass sie sich der Bedrohungssituation in der "Ostukraine" entziehen könne. Von der beantragten Verhandlung habe die belangte Behörde Abstand nehmen können, weil die Beschwerdeführerin weder der Beweiswürdigung der Erstbehörde konkret entgegen getreten sei, noch in der Berufung einen asylrelevanten Sachverhalt neu behauptet habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Entgegen der Ansicht der belangten Behörde hat die Beschwerdeführerin in ihren dargestellten Berufungsausführungen ein neues Sachverhaltsvorbringen zum (politischen) Hintergrund des von ihrem Vater begangenen Mordes, dessentwegen sie verfolgt zu werden behauptet, erstattet. Schon deswegen durfte die belangte Behörde den Sachverhalt nicht als "geklärt" im Sinn des Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG ansehen und im Hinblick auf den ausdrücklichen Antrag der Beschwerdeführerin, eine Berufungsverhandlung durchzuführen, von einer solchen nicht Abstand nehmen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 23. Jänner 2003, Zl. 2002/20/0533, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird).

Von einem durch das Bundesasylamt geklärten Sachverhalt und dem Entfall der Verhandlungspflicht kann aber auch in Bezug auf die von der belangten Behörde hilfsweise vertretene Ansicht, es sei "anzunehmen", dass sich die Beschwerdeführerin in der Ostukraine der Bedrohungssituation entziehen könne, nicht ausgegangen werden. Ermittlungsergebnisse der Erstbehörde - diese geht in ihrem Bescheid nicht speziell auf die Situation in der Ostukraine ein und spricht vielmehr im Zusammenhang mit der organisierten Kriminalität in der Ukraine von einer Ineffizienz der öffentlichen Verwaltung -, die diese Rechtsansicht tragen könnten, finden sich im Verwaltungsakt nicht.

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 24. April 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2003200045.X00

Im RIS seit

03.07.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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