TE Vwgh Erkenntnis 2003/4/24 2000/20/0297

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.04.2003
beobachten
merken

Index

19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §6 Z3;
AsylG 1997 §6;
AsylG 1997 §8;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57;
MRK Art3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die gemeinsame Beschwerde 1. der K, geboren 1973, und deren mj. Kinder 2. S, geboren 1992, 3. U, geboren 1994, sowie 4. S, geboren 1994, alle wohnhaft in G und vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 31. Mai 2000, Zl. 215.665/0-X/30/00, betreffend § 6 Z 3 und § 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit einem an das Bundesasylamt Graz gerichteten und mit ihrem eigenen sowie den Namen ihrer unter 2.-4. genannten Kinder versehenen Schriftsatz vom 13. September 1999 teilte die Erstbeschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Türkei, mit, sie sei am selben Tag nach Österreich eingereist und ersuchte um die Gewährung von Asyl.

Am 8. Oktober 1999 gab die Erstbeschwerdeführerin, nach ihrem Vorbringen Alevitin und kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit, an, sie werde in ihrer Heimat aus politischen Gründen verfolgt. Da viele Aleviten in der Türkei erschossen worden seien, hätten die Erstbeschwerdeführerin und ihr damaliger Ehegatte in ihrer Heimat an Demonstrationen teilgenommen. Als sie nach einer solchen im Jahr 1995 vor der Polizei, die auf die Demonstrationsteilnehmer geschossen habe, geflüchtet und nach Hause gelaufen seien, habe die Polizei noch am gleichen Abend eine Razzia im Hause der Beschwerdeführer durchgeführt. Ihr damaliger Ehemann sei verhaftet und die Erstbeschwerdeführerin geschlagen, beleidigt und gedemütigt worden. Nachdem man ihn am selben Abend freigelassen habe, sei ihr Ehegatte geflüchtet. Daraufhin habe die Polizei die Erstbeschwerdeführerin immer wieder aufgesucht, nach ihrem damaligen Ehemann gefragt und ihre Kinder mit dem Umbringen bedroht. Nach dem Erdbeben in der Türkei im Jahr 1999 seien die Beschwerdeführer geflüchtet. Was die Zweit- bis Viertbeschwerdeführer anlange, so träfen auf diese die gleichen Fluchtgründe wie auf die Erstbeschwerdeführerin zu.

Mit Bescheid vom 18. Februar 2000 wies das Bundesasylamt die Asylanträge der Beschwerdeführer gemäß § 6 Z 3 AsylG als offensichtlich unbegründet ab und stellte die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführer in die Türkei gemäß § 8 AsylG fest. Nach der Begründung dieses Bescheides widerspreche nicht nur das genannte Vorbringen zur Bedrohungssituation offensichtlich den Tatsachen, sondern es stehe auch zweifellos fest, dass die Beschwerdeführer ihre Heimat ausschließlich aus "wirtschaftlichen Gründen (Zerstörung der Existenzgrundlage durch das Erdbeben)" verlassen hätten.

In ihrer dagegen erhobenen Berufung betonten die Beschwerdeführer, dass ihr Leben auf Grund der willkürlichen Handlungen der "Konterguerillas bzw. der Mitglieder des Staatssicherheitsdienstes" gefährdet sei, "weil wir Kurden und Aleviten sind". Außerdem habe die Erstbeschwerdeführerin seit 1995 immer an Demonstrationen teilgenommen und stehe auf Grund der Mitgliedschaft von Verwandten bei der PKK unter Verdacht, selbst Sympathisantin dieser Partei zu sein.

In der Berufungsverhandlung vom 21. April 2000 erläuterte die Erstbeschwerdeführerin, sie sei 1997 von ihrem Ehegatten geschieden worden, nachdem sie von ihm seit seinem Verschwinden im Jahr 1995 getrennt gelebt habe. Ihre Unterdrückung habe nach dem geschilderten Vorfall des Jahres 1995 begonnen. Polizisten hätten ihr vorgeworfen, sie hätte Kenntnis über den Aufenthalt ihres Ehegatten und hätten die Erstbeschwerdeführerin wegen ihrer Demonstrationsteilnahme bzw. wegen Tätigkeiten für die kurdischen Aleviten "bei jeder Gelegenheit drangenommen". Sie meine damit, dass sie bei jedem Vorfall, der die kurdischen Aleviten betraf, von der Polizei bedroht, geohrfeigt, sexuell gedemütigt und eingeschüchtert worden sei, dies auch vor ihren Kindern. Über Vorhalt der belangten Behörde, es sei auffallend, dass die Ausreise der Beschwerdeführerin zeitlich mit der Zerstörung ihres Hauses "durch das Erdbeben" zusammenfalle, bestätigte die Erstbeschwerdeführerin, dass auch dies ein Grund für ihre Flucht gewesen sei. Sie habe in einer kleinen Blechhütte gelebt, die durch das Erdbeben zerstört worden sei und sei "auch finanziell am Ende" gewesen. Hilfsorganisationen für Erdbebenopfer, an die sie sich mit der Bitte um Hilfe gewendet habe, hätten sie aber immer abgewiesen. Dennoch hätten die Beschwerdeführer auch mit dieser Situation fertig werden können, wären nicht die von ihr geschilderten Vorfälle (gemeint: Misshandlungen durch die Polizei) gewesen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführer gemäß § 6 Z 3 und § 8 AsylG ab. Die Erstbeschwerdeführerin habe sich während des gesamten Verfahrens in derart viele Widersprüche verwickelt, dass vernünftigerweise nicht von einem Zutreffen der von ihr behaupteten Vorfälle ausgegangen werden könne. Im Gegensatz zum Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin habe ihr früherer Ehegatte schon im Dezember 1995 bei der Befragung zu seinem eigenen Asylantrag vor dem Bundesasylamt angegeben, dass der Erstbeschwerdeführerin nach der Demonstration im Jahr 1995 von Seiten der Polizei nichts geschehen sei. Was die behaupteten Übergriffe der Erstbeschwerdeführerin nach der Flucht ihres damaligen Ehegatten betreffe, so sei auch dieses Vorbringen widersprüchlich und offensichtlich tatsachenwidrig. So habe die Erstbeschwerdeführerin vor dem Bundesasylamt etwa ausgesagt, von der Polizei wegen der Ermittlung des Aufenthaltsortes ihres Ehegatten aufgesucht worden zu sein, wohingegen sie in der Berufungsverhandlung gemeint habe, sie hätte seit 1995 immer wieder an Demonstrationen teilgenommen und sei auf eine Polizeistation gebracht und dort misshandelt worden. In Anbetracht der Tatsache, dass sich die Beschwerdeführer durch das Erdbeben in der Türkei "in einer wirtschaftlichen Notlage" befunden hätten, bestehe für die belangte Behörde nicht der geringste Zweifel, dass das Verlassen der Heimat in Wahrheit aus wirtschaftlichen Gründen erfolgt und die dargestellte Bedrohungssituation konstruiert sei. Im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 6 AsylG finde sich auch kein sonstiger Hinweis auf eine den Beschwerdeführern im Falle ihrer Rückkehr in die Türkei drohende Verfolgung.

Zu § 8 AsylG meinte die belangte Behörde, eine konkrete Gefährdung der Beschwerdeführer im Sinn des § 57 Abs. 1 und Abs. 2 FrG sei schon auf Grund der festgestellten Unglaubwürdigkeit der Fluchtgeschichte auszuschließen. Es könne aber auch angesichts "umfassender internationaler Hilfsmaßnahmen aus Anlass der Erdbeben in der Türkei", wozu sie im angefochtenen Bescheid erkennbar auf einen Zeitungsartikel vom 18. August 1999 verwies, nicht erkannt werden, dass für die Beschwerdeführer eine lebensbedrohende Notlage in ihrer Heimat bestehe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die Beschwerdeführer machen geltend, die belangte Behörde habe es unterlassen, amtswegig Ermittlungen über die politische Situation in der Türkei, insbesondere die Kurden und die Angehörigen der alevitischen Glaubensgemeinschaft betreffend, anzustellen. Die belangte Behörde habe sich nicht mit dem Vorbringen der Beschwerdeführer, diese seien schon allein auf Grund ihrer Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit einer Verfolgung von Seiten der türkischen Behörden ausgesetzt, befasst.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg. Gemäß § 6 AsylG sind Asylanträge als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist nach der Z 3 dieser Bestimmung dann der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat das Vorbringen der Asylwerber zu einer Bedrohungssituation offensichtlich den Tatschen nicht entspricht. Wie dargestellt hat die belangte Behörde das Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin zu Misshandlungen durch türkische Behörden als offensichtlich tatsachenwidrig gewertet. Mit dem Berufungsvorbringen, die Beschwerdeführer seien in ihrer Heimat schon wegen der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden und wegen ihrer alevitischen Religion der Verfolgung ausgesetzt, hat sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht weiter befasst, sodass nicht davon ausgegangen werden kann, sie hätte auch in Bezug auf diesen Teil der Fluchtgründe deren offensichtliche Tatsachenwidrigkeit dargelegt. Schon von daher kann dem angefochtenen Bescheid nicht entnommen werden, das maßgebliche Vorbringen der Beschwerdeführer zur Bedrohungssituation in seiner Gesamtheit (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 8. Juni 2000, Zl. 99/20/0446, und vom 31. Mai 2001, Zl. 2000/20/0496) entspreche offensichtlich nicht den Tatsachen und der Tatbestand des § 6 Z 3 AsylG sei erfüllt.

Abgesehen von der aufgezeigten inhaltlichen Rechtswidrigkeit kann der angefochtene Bescheid in seinem zweiten Spruchteil aber auch aus einem anderen Grund nicht Bestand haben. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Entscheidung nach § 8 AsylG vor dem Hintergrund des Art. 3 EMRK auch zu prüfen, ob eine Abschiebung mit Rücksicht auf die humanitäre Lage am Zielort einer unmenschlichen Behandlung gleichkäme, was unter dem Gesichtspunkt des § 57 Abs. 1 FrG die Unzulässigkeit einer solchen Maßnahme bedeuten würde (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 17. September 2002, Zl. 2001/01/0597, mwN).

Diesen Gesichtspunkt einer unmenschlichen Behandlung scheint die belangte Behörde zwar insoweit erkannt zu haben, als sie in der Refoulemententscheidung eine lebensbedrohende Notlage der Beschwerdeführer in der Türkei "angesichts umfassender internationaler Hilfsmaßnahmen aus Anlass der Erdbeben in der Türkei" verneint hat. Abgesehen davon, dass jedoch der von der belangten Behörde für diese Feststellung herangezogene (im Bescheid inhaltlich nicht wiedergegebene, im Verwaltungsakt aber enthaltene) Zeitungsartikel - dieser spricht im Zusammenhang mit dem Erdbeben vom 17. August 1999 vom Eingehen zahlreicher ausländischer "Hilfsangebote" in der Türkei und von der Entsendung eines "Vorausdetachements" - keine ausreichende Grundlage für eine solche Feststellung bietet, übergeht die belangte Behörde dabei auch das Vorbringen in der Verhandlung, dass die Beschwerdeführer eine Unterstützung von Seiten der Hilfsorganisationen nicht hätten erlangen können.

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Das Mehrbegehren war abzuweisen, da die beantragte Umsatzsteuer bereits im Pauschalbetrag für den Schriftsatzaufwand nach der genannten Verordnung enthalten ist.

Wien, am 24. April 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2000200297.X00

Im RIS seit

03.07.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten