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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des T in Leibnitz, geboren 1980, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 9. Februar 2001, Zl. 219.561/9-I/02/01, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei kurdischer Abstammung, reiste am 31. Juli 2000 in das Bundesgebiet ein und stellte am 1. August 2000 einen Asylantrag. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 29. August 2000 führte er im Wesentlichen aus, er habe am 2. Juli 2000 anlässlich eines "Widerstandspicknicks" ein Schreiben verlesen. Dieses Picknick sei von Sicherheitskräften, wie auch ein von ihm vorgelegter Zeitungsartikel ergebe, aufgelöst worden. Die Polizei habe in der Folge nach ihm gesucht, er sei aber nicht nach Hause gegangen. Bei der Suche nach ihm hätten die Polizisten seinen Bruder geschlagen.
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 17. Oktober 2000 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 3 Asylgesetz als offensichtlich unbegründet abgewiesen und festgestellt, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Türkei gemäß § 8 Asylgesetz zulässig sei. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung.
Bei der mündlichen Verhandlung vor dem unabhängigen Bundesasylsenat am 11. Dezember 2000 führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, er habe studiert und noch nicht seinen Militärdienst absolviert und auch noch keine Ladung dafür erhalten. Das "Widerstandspicknick" sei von der Jugendorganisation der HADEP organisiert worden. Dort habe er ein Flugblatt verlesen. In diesem sei von einem Hungerstreik von Gefangenen berichtet worden. Der Inhalt des Flugblattes habe darin bestanden, dass die Menschen miteinander in Brüderlichkeit auskommen und nicht gegeneinander kämpfen sollten. Die "Teilgefängnisse" gehörten abgeschafft. Die Gefangenen sollten nicht in Isolation sondern gemeinsam in der Zelle inhaftiert werden. Der Beschwerdeführer habe nicht alles lesen können, da die Sicherheitskräfte bereits da gewesen seien, sodass er habe aufhören müssen. Der Hungerstreik, über den im Flugblatt berichtet worden sei, sei zwecks Abschaffung der "Teilgefängnisse" durchgeführt worden. Das Flugblatt sei das einzige Schreiben gewesen, das im Rahmen der Veranstaltung verlesen worden sei. Sein Bruder habe ihm in der Folge telefonisch mitgeteilt, dass ihn die Sicherheitsbehörden bereits zu Hause gesucht hätten. Den Bruder hätte man dabei misshandelt. Die Sicherheitsorgane hätten sie beschuldigt, "Terroristen" zu sein. Dass sein anderer Bruder in Deutschland lebe und noch nicht den Militärdienst abgeleistet habe, habe die Polizei veranlasst, sie als "Terroristen" zu bezeichnen. Früher sei der Beschwerdeführer dauernd zur Partei gegangen, auch zur Jugendorganisation. Im Dezember 1999 sei er für eine Nacht von der Polizei verhaftet und auch misshandelt worden, woraufhin er den Kontakt zur HADEP unterbrochen habe. Er sei auch Mitglied der Jugendorganisation der HADEP gewesen, nicht der HADEP selbst.
Mit Bescheid vom 21. Dezember 2000 behob die belangte Behörde den Bescheid des Bundesasylamtes vom 17. Oktober 2000 und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurück, da keine offensichtliche Unbegründetheit des Asylantrages im Sinne des § 6 Asylgesetz vorliege.
Mit Bescheid vom 27. Dezember 2000 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz ab und erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Türkei gemäß § 8 Asylgesetz für zulässig. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Aussagen des Beschwerdeführers seien völlig unglaubwürdig. Dies beziehe sich insbesondere auf seine Teilnahme an dem Picknick am 2. Juli 2000. Der Beschwerdeführer habe dieses Picknick anders dargestellt als es in dem von ihm vorgelegten Zeitungsartikel beschrieben sei. Weitere Unglaubwürdigkeiten ergäben sich auf Grund der Darstellung des Fluchtweges durch den Beschwerdeführer.
Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 27. Dezember 2000 ab. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer sei Mitglied der Jugendorganisation der HADEP, wenngleich nicht in exponierter Funktion. Der Kontakt zur HADEP sei auf Grund einer über eine Nacht dauernden Verhaftung des Beschwerdeführers durch die Polizei im Dezember 1999 unterbrochen. Wegen seines Studiums habe der Beschwerdeführer bislang noch keinen Einberufungsbefehl erhalten, sodass er auch noch keinen Militärdienst geleistet habe. Am 2. Juli 2000 hätten sich hunderte Jugendliche zu einem von der HADEP und ihrer Jugendorganisation veranstalteten Picknick zusammengefunden. Der Beschwerdeführer habe im Rahmen dieser Veranstaltung ein Flugblatt verlesen, das Anliegen wie Brüderlichkeit und Frieden, Informationen über unmenschliche Zustände in bestimmten Gefängnissen und einen Hungerstreik von Gefangenen gegen diese Haftbedingungen behandelt habe. Die Veranstaltung sei von Sicherheitskräften verhindert worden, wobei es zu Übergriffen und Tätlichkeiten seitens der Sicherheitskräfte gekommen sei. Am nächsten Tag hätten Polizeikräfte den Beschwerdeführer zu Hause gesucht, doch sei dieser nicht anwesend gewesen. Sie hätten seinen Bruder nach ihm gefragt, misshandelt und beschimpft und ihn sowie den Beschwerdeführer als "Terroristen" bezeichnet. Die Unterstützung und die Mitgliedschaft zur HADEP sowie die Beschäftigung bei ihr stellten noch keinen Grund für Verfolgungen dar. Der Staat versuche aber immer wieder, legale kurdische Parteien mit der PKK zu identifizieren bzw. in Verbindung zu bringen. Nach der Festnahme des PKK-Anführers Öcalan am 15./16. Februar 1999 sei es zu einer Welle von Festnahmen im ganzen Land gekommen. Auch in jüngster Zeit häuften sich die Maßnahmen gegen führende Persönlichkeiten der HADEP. Die Sicherheitsorgane interessierten sich allerdings weiterhin nur für Personen, die im Verdacht der Mitgliedschaft oder Unterstützung der PKK stünden. Insgesamt könne im Ergebnis davon ausgegangen werden, dass politisch aktive Mitglieder der HADEP, vornehmlich aber ihre Funktionäre, durch Aktionen der örtlichen Sicherheitskräfte gefährdet seien. Eine Sippenhaftung gebe es nicht, allerdings könne es z.B. zum Zweck der Ermittlung des Aufenthaltes eines Verdächtigen zu behördlichen Handlungen gegen Familienangehörige kommen, bei denen Übergriffe von Seiten der türkischen Sicherheitsorgane nicht auszuschließen wären. Für politisch aktive Mitglieder der HADEP, vornehmlich aber für ihre Funktionäre, sei im Ergebnis dann keine inländische Schutzalternative gegeben, wenn sie verdächtigt würden, die PKK zu unterstützen und deswegen mit strafrechtlicher Verfolgung zu rechnen hätten. In der türkischen Armee würden grundsätzlich keine Unterschiede zwischen Türken, Kurden oder anderen Ethnien gemacht. Der Berufungswerber sei glaubwürdig. Er habe Widersprüche seiner Schilderungen zu dem Zeitungsbericht über das Picknick am 2. Juli 2000 erklären können. Es könne aber hinreichend davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer bei seiner Rückkehr keine asylrelevante Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohe. Diese Beurteilung ergebe sich auf Grund der Gesamtsituation aus objektiver Sicht. Die Mitgliedschaft des Beschwerdeführers bei der Jugendorganisation der HADEP in Verbindung mit dem Umstand, dass gegen ihn bereits Verfolgungshandlungen von türkischen Sicherheitsorganen im Zusammenhang mit dieser Partei stattgefunden hätten, belegten zwar, dass eine Verfolgungsgefahr in seiner Heimatregion nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlich ausgeschlossen werden könne. Allerdings könne seinem Vorbringen nicht entnommen werden, dass er derjenigen Personengruppe innerhalb der HADEP angehöre, die als aktive Funktionäre dieser Partei und zusätzlich mit der Beschuldigung konfrontiert, Mitglieder der PKK zu sein oder diese zu unterstützen, von den türkischen Sicherheitskräften in einer für die Asylgewährung erheblichen Weise verfolgt werde. Der Beschwerdeführer sei bislang Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen, die im Lichte der Judikatur keine asylrelevante Intensität aufwiesen. Er sei einfaches Mitglied der Jugendorganisation der HADEP. Er sei weiters wegen des Verlesens eines Flugblattes im Rahmen des Picknicks von Sicherheitskräften aufgesucht worden. Allein aus diesen Umständen könne nicht hinreichend geschlossen werden, dass ihm die türkischen Sicherheitskräfte eine politische Gesinnung unterstellten, dass er Mitglied oder Unterstützer der PKK sei und deswegen Verfolgung zu befürchten hätte. Die Informationen bezüglich der politischen und menschenrechtlichen Situation belegten, dass Kurden allgemein in den östlichen Teilen der Türkei mit immer wiederkehrenden Kontrollen von Sicherheitskräften konfrontiert seien, in deren Rahmen es auch zu kurzfristigen Festhaltungen, Beschimpfungen, Übergriffen in Form von zumeist nicht asylerheblichen körperlichen Misshandlungen (Ohrfeigen, Fußtritte, ...) kommen könne. Vor diesem Hintergrund seien auch die Verfolgungshandlungen der türkischen Sicherheitskräfte gegen den Beschwerdeführer zu sehen, sodass auch die Bezichtigung, er und sein Bruder seien "Terroristen", als generell die Kurden betreffende Beschimpfung angesehen werden könne, nicht jedoch als konkreter Vorwurf, dass der Beschwerdeführer mit der PKK in Zusammenhang gebracht werde. Dies sei im Übrigen auch von ihm nicht vorgebracht worden. Es lägen auch keine Anhaltspunkte für eine asylrelevante Verfolgung in Anbetracht einer zukünftigen Ableistung des Militärdienstes (im Lichte näher genannter Berichte) vor. Jedenfalls in den westlichen Landesteilen der Türkei drohten dem Beschwerdeführer daher bei seiner Rückkehr keine asylerheblichen Verfolgungsmaßnahmen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit. Im Übrigen habe die belangte Behörde von der neuerlichen Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen, da eine solche bereits im Rahmen des vorangegangenen Verfahrens nach § 6 Asylgesetz stattgefunden habe. Weder im darauffolgenden erstinstanzlichen Verfahren nach § 7 Asylgesetz noch in der Berufung sei ein Sachverhalt neu und in konkreter Weise behauptet worden bzw. hervorgekommen. Es seien auch keine neuen Bescheinigungsmittel vorgelegt worden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Der angefochtene Bescheid ist nicht nachvollziehbar begründet. Die belangte Behörde ist davon ausgegangen, dass am 2. Juli 2000 ein von der HADEP bzw. ihrer Jugendorganisation organisiertes Picknick stattgefunden habe, bei dem der Beschwerdeführer ein Flugblatt verlesen habe. Dieses Picknick sei von Sicherheitskräften aufgelöst worden. Unwidersprochen blieben die Darlegungen des Beschwerdeführers, dass er seinen Vortrag nicht habe beenden können und es sonst bei dieser Veranstaltung zu keinen Aktivitäten gekommen sei. Die belangte Behörde ist ferner davon ausgegangen, dass als Folge dieses Picknicks die Sicherheitskräfte den Beschwerdeführer gesucht und dabei als "Terroristen" bezeichnet hätten.
Diese Feststellungen der belangten Behörde können nicht dazu führen, den Beschwerdeführer als politisch nicht aktives Mitglied der HADEP anzusehen. Hinsichtlich politisch aktiver Mitglieder hat die belangte Behörde aber eine Verfolgungsgefahr bejaht. Dass etwa eine Unterscheidung zwischen der HADEP und ihrer Jugendorganisation in dieser Beziehung zu machen sei, hat die belangte Behörde nicht dargelegt.
Wie die belangte Behörde weiter ausgeführt hat, versuche der türkische Staat immer wieder, legale kurdische Parteien mit der PKK zu identifizieren bzw. in Verbindung zu bringen. Wenn daher nach dem Picknick, bei dem sich der Beschwerdeführer nach den Feststellungen der belangten Behörde aktiv politisch betätigt hat, Sicherheitskräfte ihn gesucht und als "Terroristen" bezeichnet haben, kann dies nicht als generell die Kurden betreffende Beschimpfung gewertet werden. Vielmehr hätte es eine nähere Begründung erfordert, weshalb unter diesen Umständen nicht anzunehmen ist, dass der Beschwerdeführer mit der PKK in Zusammenhang gebracht wird. Eines besonderen weiteren diesbezüglichen Vorbringens des Beschwerdeführers bedurfte es dafür nicht.
Den dargestellten Verfahrensmängeln kommt insofern Relevanz zu, als es nicht ausgeschlossen ist, dass die belangte Behörde bei ihrer Vermeidung zu einem anderen Bescheid gekommen wäre. Angesichts dessen erübrigt es sich, auch noch darauf einzugehen, ob die belangte Behörde insbesondere im Hinblick darauf, dass sie eine andere Beweiswürdigung als die Behörde erster Instanz vornahm und dennoch zur Abweisung der Berufung gelangte, verhalten gewesen wäre, eine mündliche Verhandlung durchzuführen (vgl. dazu z.B. die hg. Erkenntnisse vom 18. Februar 1999, Zl. 98/20/0423, und vom 23. Jänner 2003, Zl. 2002/20/0533).
Der angefochtene Bescheid war aus den oben dargestellten Gründen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Das Mehrbegehren war abzuweisen, da die Umsatzsteuer in den Pauschalbeträgen der genannten Verordnung bereits berücksichtigt ist.
Wien, am 24. April 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2001200186.X00Im RIS seit
29.05.2003