TE Vwgh Erkenntnis 2003/4/24 2002/20/0490

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Veröffentlicht am 24.04.2003
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AVG §45 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des M in W, geboren 1972, vertreten durch Dr. Helmut Berger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz Josefs-Kai 19, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 25. Juli 2002, Zl. 229.171/0-XIV/39/02, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Pakistan, reiste am 6. Dezember 2001 in das Bundesgebiet und stellte am 7. Dezember 2001 einen Asylantrag. Am 8. Mai 2002 sagte er bei einer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt zu seinen Fluchtgründen aus, er sei ein Angehöriger der schiitischen Glaubensgemeinschaft der Fiqah Jafria. Sein Vater sei der Obmann der Fiqah Jafria im Gemeindeverband Khanawali. Er habe seinen Vater zu verschiedenen religiösen Kundgebungen begleitet. Am 1. Oktober 2001 habe er mit seinem Vater eine religiöse Kundgebung am Hof seines Elternhauses organisiert, an der ca. 200 Schiiten teilgenommen hätten. Während dieser Kundgebung seien sie von ca. 20 bis 25 mit Pistolen und Gewehren bewaffneten fundamentalistischen Sunniten angegriffen worden, die der Sipah Sahaba angehörten. Diese hätten sie aufgefordert, die Kundgebung sofort zu beenden. Als sie dieser Aufforderung nicht Folge geleistet hätten, hätten die Sunniten das Feuer auf sie eröffnet. Einzelne Angehörige ihrer Gruppierung seien ebenfalls bewaffnet gewesen und hätten zurückgeschossen. Der Beschwerdeführer selbst sei nicht bewaffnet gewesen und habe nicht geschossen. Fünf Teilnehmer seien verletzt und ein Angehöriger der Sipah Sahaba erschossen worden. Die Polizei habe eineinhalb Stunden nach der Schießerei den Sachverhalt auf- und eine Anzeige gegen die Angreifer entgegengenommen. Der Beschwerdeführer habe die fünf Verletzten ins Spital gebracht. Dabei habe ihn sein Vater am Handy angerufen und ihm mitgeteilt, dass er von Angehörigen der Sipah Sahaba angezeigt worden sei. Sofort nach diesem Anruf habe er sich zu seinem Onkel nach Akiwala, ca. 100 km von seiner Heimatgemeinde entfernt, begeben. Am nächsten Tag habe ihm sein Vater am Telefon mitgeteilt, dass Angehörige der Sipah Sahaba am Morgen bei seinem Elternhaus gewesen seien und nach ihm gesucht hätten. Sie hätten den Vater und den Bruder des Beschwerdeführers geschlagen. Am selben Abend sei der Beschwerdeführer in seinem Elternhaus von der Polizei gesucht worden. Seinem Vater sei ein Bericht vorgewiesen worden, nach welchem der Beschwerdeführer wegen Mordes angezeigt worden sei. Daraufhin habe sein Onkel seine Ausreise organisiert. Er habe sich der Polizei nicht gestellt, da er kein Vertrauen in die Polizei habe, da sie nicht objektiv ermittle und von mächtigen Leuten unter den Sunniten beeinflusst werde. Er befürchte im Fall seiner Rückkehr nach Pakistan, dass ihn die Polizei verhaften und er von Angehörigen der Sipah Sahaba umgebracht werde.

Mit Bescheid vom 27. Mai 2002 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und sprach gemäß § 8 AsylG aus, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Pakistan zulässig sei. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer sei in keiner Phase der Befragung in der Lage gewesen, konkrete, detaillierte und differenzierte Angaben zum Sachverhalt zu machen. Sein Vortrag habe einer "einstudierten Schablone" geglichen, die kaum Details aufgewiesen und im Zusammenhang mit seinem "emotionslosen Vortrag" den zwingenden Eindruck einer "unausgegorenen Konstruktion" erweckt habe. Er habe auch keine weiteren Beweismittel vorgelegt, die seine Behauptungen hätten untermauern können. Der Glaubhaftigkeit seiner durchwegs "subjektiven" Angaben, dass die Polizei in seinem Fall nicht objektiv ermittle, weil sie von einflussreichen Sunniten beeinflusst werde, spreche nicht nur entgegen, dass aus den dem Bundesasylamt vorliegenden Erkenntnissen und Berichten "objektivierbar" nicht hervorgehe, dass eine solche Annahme begründet sein könnte, sondern sogar aus den Angaben des Beschwerdeführers habe sich ergeben, dass die Polizei sehr wohl die zu erwartenden Ermittlungsschritte gesetzt habe, indem der Sachverhalt am Schauplatz des Geschehens aufgenommen worden sei und die Polizei auch eine Anzeige gegen die Angreifer entgegengenommen habe. Immerhin habe den Angaben des Beschwerdeführers zufolge auch sein Vater, der Obmann seiner Glaubensgemeinschaft, in seinem Gemeindeverband durchaus "gute Kontakte" zur lokalen Polizei gehabt, zumal er schon vor den eigentlichen polizeilichen Ermittlungen gegen die Person des Beschwerdeführers informiert gewesen sei, dass eine Anzeige gegen diesen vorliege. Im Asylverfahren sei es nicht ausreichend, dass der Asylwerber Behauptungen aufstelle, sondern er müsse diese glaubhaft machen. Dazu müsse das Vorbringen in gewissem Maß konkret und nachvollziehbar sein. Würde es bereits genügen, wenn das Vorbringen von Tatsachen abstrakt ausreichend sei, so könne von "Beweiswürdigung im eigentlichen Sinn" wohl kaum gesprochen werden. Durch seine bloßen (unbewiesenen) Behauptungen habe der Beschwerdeführer die von ihm dargelegten Sachverhalte nicht glaubhaft machen können. In einer Eventualbegründung führte das Bundesasylamt aus, soweit der Beschwerdeführer vorgebracht habe, in seinem Heimatland behördliche Verfolgungsmaßnahmen befürchtet zu haben bzw. solchen ausgesetzt gewesen zu sein, seien diese lediglich im Zusammenhang mit dem Verdacht der Begehung einer gerichtlich strafbaren Handlung gestanden. Dass die gegen den Beschwerdeführer von den Behörden erhobenen Beschuldigungen aber lediglich als Vorwand genommen worden seien, um seiner z.B. aus politischen oder religiösen Interessen habhaft zu werden, oder dass der Beschwerdeführer aus sonstigen in der Genfer Konvention angeführten Gründen Verfolgung zu befürchten gehabt habe, lasse sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers keinesfalls "objektivierbar" ableiten. Der Beschwerdeführer habe im Übrigen vorgebracht, Verfolgung lediglich von Seiten Dritter, nämlich von einzelnen Angehörigen der Sunnitischen Glaubensgemeinschaft, zu befürchten. Dabei handle es sich um Bedrohung durch Privatpersonen. Dass die staatlichen Behörden nicht in der Lage und nicht gewillt gewesen seien, dem Beschwerdeführer Schutz vor Verfolgung zu gewähren, sei seinem Vorbringen "objektivierbar" nicht zu entnehmen und stehe auch mit den zum Heimatland des Beschwerdeführers getroffenen Feststellungen nicht im Einklang, wonach die grundsätzliche Bereitschaft der Behörden und insbesondere der "Judikative" bestehe, derartige Übergriffe zu verhindern, und dies auch in hinreichend effektiver Art und Weise umgesetzt werde. Es könne auch nicht verlangt werden, dass ein Staat in jedem Fall in der Lage sein müsse, alle möglichen Angriffe Dritter präventiv zu verhindern. Selbst bei Zutreffen der Darstellungen des Beschwerdeführers bezüglich des gegen ihn behauptetermaßen vorliegenden Haftbefehles und des angeblichen Übergriffes durch Anhänger der Sunnitischen Glaubensgemeinschaft als Private sei für den Beschwerdeführer daher nichts gewonnen, da keine hinreichend intensive, "objektivierbare" asylrelevante Verfolgung vorliege.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung, in welcher er seine persönliche Einvernahme beantragte und im Wesentlichen ausführte, die Argumente des Bundesasylamtes seien nicht nachvollziehbar, da sie unter Heranziehung allgemeiner Feststellungen auf Grund dem Akt nicht entnehmbarer Ermittlungsergebnisse getroffen worden seien.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Erstbehörde habe in ihrer Begründung den Sachverhalt, die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich dargestellt. Um Wiederholungen zu vermeiden, beziehe sich die belangte Behörde zustimmend auf diese Ausführungen und erhebe sie zum Inhalt des gegenständlichen Bescheides. Eine mündliche Verhandlung habe unterbleiben können, da der Sachverhalt nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt worden sei. Der Beschwerdeführer sei diesen erschöpfenden Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid in seinen schriftlichen Berufungsausführungen nicht konkret entgegengetreten. Auch der Eventualbegründung des erstinstanzlichen Bescheides sei der Beschwerdeführer mit keinem Wort entgegengetreten. In diesem Zusammenhang verwundere auch der Vorwurf des Beschwerdeführers, er hätte nähere Details zu seinen Fluchtgründen angeben können, wenn ihm die Behörde Parteiengehör eingeräumt hätte, wenn er nicht einmal in der Berufung die Möglichkeit genutzt habe, ergänzende, erläuternde oder weiterführende Angaben zu tätigen. Darüber hinaus sei dieser Vorwurf nicht nachvollziehbar, zumal sich aus der vom Beschwerdeführer unterfertigten Niederschrift vom 8. Mai 2002 ergebe, dass dem Beschwerdeführer durchaus Gelegenheit zugekommen sei, alles zu schildern, was für seinen Asylantrag und für die Möglichkeit der Gewährung von Asyl dienlich gewesen wäre. Da somit in der Berufung kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt behauptet worden sei, sei die erstinstanzliche Entscheidung "spruchgemäß zu bestätigen" gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der angefochtene Bescheid hält der nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nicht stand. So kann den Ausführungen des Bundesasylamtes, auf die die belangte Behörde verweist, der Glaubhaftigkeit der durchwegs "subjektiven" Angaben des Beschwerdeführers, wonach allgemein bekannt sei, dass die Polizei nicht objektiv ermittle, weil diese von einflussreichen Sunniten beeinflusst werde, stehe entgegen, dass aus den vorliegenden Erkenntnissen und Berichten "objektivierbar" nicht hervorgehe, dass eine solche Annahme begründet sein könne, nicht gefolgt werden. Dies insbesondere deshalb, da eine Berichtslage hinsichtlich Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten und einer etwaigen Verfolgung durch Private aus religiösen Gründen durch falsche Vorwürfe von Kriminalität und einer eventuellen Parteilichkeit der Polizei gar nicht aktenkundig gemacht wurde. Feststellungen dazu wären aber notwendig gewesen, um die Glaubwürdigkeit und die allfällige (bloße) "Subjektivität" der Befürchtungen des Beschwerdeführers insbesondere hinsichtlich der Parteilichkeit der Polizei beurteilen zu können.

Wenn weiters zur Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers dargelegt wird, immerhin habe den Angaben des Beschwerdeführers zufolge auch sein Vater als Obmann seiner Glaubensgemeinschaft in seinem Gemeindeverband durchaus "gute Kontakte" zur lokalen Polizei gehabt, zumal er schon vor den eigentlichen polizeilichen Ermittlungen gegen die Person des Beschwerdeführers informiert gewesen sei, dass eine Anzeige gegen den Beschwerdeführer vorliege, steht dies im Widerspruch zu den Angaben des Beschwerdeführers.

Die Ausführungen zur "Beweiswürdigung im eigentlichen Sinn" der Behörde erster Instanz, auf die die belangte Behörde verwies, sind nicht nachvollziehbare abstrakte Rechtsformeln. Sollte die belangte Behörde aber gemeint haben, dass die Behauptungen des Beschwerdeführers nicht glaubwürdig seien, so erweist sich diese Annahme, wie bereits dargestellt, als unzureichend begründet (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 21. September 2000, Zl. 98/20/0422, und vom 15. Mai 1997, Zl. 95/20/0386).

Mit dem hg. Erkenntnis vom 23. Jänner 2003, Zl. 2002/20/0533, auf das insoweit gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, hat der Verwaltungsgerichtshof die rechtlichen Voraussetzungen für das Absehen von einer mündlichen Berufungsverhandlung durch die belangte Behörde dargestellt und auf die Vorjudikatur hingewiesen, wonach eine dieser Voraussetzungen in der Schlüssigkeit der Beweiswürdigung im erstinstanzlichen Bescheid besteht. Im vorliegenden Fall waren daher, wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, die rechtlichen Voraussetzungen für die Abstandnahme von einer mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde nicht gegeben.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Von der beantragten Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG Abstand zu nehmen.

Ein Kostenersatzausspruch hatte zu entfallen, weil der Beschwerdeführer ein diesbezügliches Begehren nicht erhoben hat.

Wien, am 24. April 2003

Schlagworte

freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2002200490.X00

Im RIS seit

23.05.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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