TE Vwgh Erkenntnis 2003/4/24 2002/20/0244

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.04.2003
beobachten
merken

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §6 Z3;
AsylG 1997 §6;
AsylG 1997 §8;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des K in G, geboren am 6. Juni 1971, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 20. März 2002, Zl. 225.395/4-II/04/02, betreffend §§ 6 Z 3 und 8 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein zur Volksgruppe der Kurden zählender Staatsangehöriger der Türkei, reiste am 24. September 2001 in das Bundesgebiet ein und stellte am 26. September 2001 einen Asylantrag. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 4. Dezember 2001 führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, er sei seit 2000 im Jugendflügel der HADEP tätig gewesen und habe die Jugend informiert. Eine leitende Funktion habe er nicht inne gehabt, er habe sich nur am Samstag oder Sonntag, wenn er Zeit gehabt habe, betätigt. Am 10. Juli 2001 habe er mit seinem Lastwagen Nahrungsmittel und Bekleidung in die HADEP-Zentrale mitnehmen wollen. Die Gendarmerie habe ihn angehalten und kontrolliert. Er habe angegeben, dass die Waren an die Armen verteilt werden sollten. Es wurde ihm jedoch vorgehalten, dass er sie den Separatisten bringen wolle, und er sei festgenommen worden. Am 15. Juli 2001 sei er wieder freigelassen worden. Im August 2001 hätte er wegen des Vorfalles vor Gericht erscheinen sollen.

Mit Bescheid vom 4. Dezember 2001 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 6 Z 3 Asylgesetz als offensichtlich unbegründet ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei gemäß § 8 Asylgesetz für zulässig. Begründend wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer habe keine staatliche Verfolgung glaubhaft machen können. Die Angaben zur Verfolgung durch die Gendarmerie wegen der Verdächtigung, Separatisten versorgt zu haben, seien völlig unglaubwürdig. Auf Grund widersprüchlicher Angaben des Beschwerdeführers könne seinem gesamten Fluchtvorbringen kein Glaube geschenkt werden.

In seiner Berufung gegen diesen Bescheid wandte sich der Beschwerdeführer vor allem gegen die Annahme, dass seine Angaben offensichtlich unglaubwürdig seien.

Bei der mündlichen Berufungsverhandlung vom 15. März 2002 führte der Beschwerdeführer aus, die Gendarmeriebeamten hätten gemeint, dass die Ladung seines Lastkraftwagens für die PKK bestimmt gewesen sei. Die Ladung sei beschlagnahmt worden. Der Beschwerdeführer glaube, dass die Beamten die Ladung für sich hätten verwenden wollen. Sein ursprünglich auch beschlagnahmter Lastkraftwagen sei ihm zurückgestellt worden. Im Übrigen sei der Transport der erste gewesen, den er für die HADEP durchgeführt habe. Seitens eines beigezogenen Sachverständigen wurde bei der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass Hilfslieferungen der vom Beschwerdeführer genannten Art häufig stattfänden und auch nach türkischem Recht legal seien. Es treffe zu, dass staatliche Organe häufig argwöhnten, dass es sich dabei eigentlich um Unterstützungen für die PKK handle. Bestätige sich dies, werde die Lieferung selbst und das Transportgerät beschlagnahmt sowie der Fahrer wegen Unterstützung einer verbotenen Organisation verhaftet, angeklagt und verurteilt. Im Falle des Beschwerdeführers sei offenbar der Verwendungszweck der Lieferung kontrolliert, die Angaben des Beschwerdeführers für zutreffend befunden und er demgemäß wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Die Rückbehaltung der Ladung durch Gendarmeriebeamte für eigene Zwecke sei zwar verboten, doch gängige Praxis, die so lange gedeckt werde, als nicht der Eigentümer auf der Herausgabe bestehe. Im Falle der HADEP sei es jedoch nachvollziehbar, dass ein derartiges Begehren nicht gestellt worden sei, aus Angst vor künftigen Schwierigkeiten. Werde jemand bei einer derartigen legalen, aber kurdenfreundlichen Aktion einmal betreten, werde er in der nächsten Zeit im engeren Umkreis des "Tatortes" verstärkt polizeilich überwacht, vor allem auch deshalb, da seitens des Staates vermutet werde, dass er sich in weiterer Folge auch für verbotene Kurdenorganisationen engagieren könnte. Mit einer solchen Überwachung könnten durchaus auch Schikanen, wie selektive Kontrollen, mit dem Ziel einer beruflichen Schädigung des Betroffenen verbunden sein. Derartige Schikanen seien jedoch, zumal dann, wenn kein Wiederholungsfall vorliege, zeitlich und vor allem lokal begrenzt. Der Beschwerdeführer als selbständiger Transportunternehmer mit Sitz ca. 400 km von dem Ort des Vorfalles vom 10. September 2001 entfernt habe daher in den übrigen Teilen der Türkei nichts zu befürchten. Der Beschwerdeführer erhob gegen das Gutachten keinen Einwand.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß §§ 6 Z 3 und 8 Asylgesetz abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, Gegenstand des Berufungsverfahren sei zunächst einzig die Frage, ob der Asylantrag zu Recht gemäß § 6 Asylgesetz aus dem vom Bundesasylamt einzig herangezogenen Grunde der Z 3 dieser Gesetzesstelle oder allenfalls aus einem anderen der in dieser Gesetzesstelle genannten konkreten Tatbestände als "offensichtlich unbegründet" abgewiesen worden sei. Diese Frage sei zu bejahen. Auf Grund des Sachverständigenbeweises in der Berufungsverhandlung sei nämlich eine Gefährdung des - im Gegensatz zur im erstinstanzlichen Bescheid enthaltenen Beurteilung - "persönlich glaubwürdigen" Berufungswerbers im Falle seiner Rückkehr in die Türkei wegen des einzig vorgebrachten Vorfalles vom 10. Juli 2001 jedenfalls außerhalb des engeren Gebietes dieses Vorfalles auszuschließen. Damit entspreche aber das (subjektive) Vorbringen des Beschwerdeführers zu einer ihn (angeblich) betreffenden Bedrohungssituation objektiv offensichtlich nicht den Tatsachen, weshalb der Asylantrag ungeachtet der von der Beurteilung der Behörde erster Instanz abweichenden Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers weiterhin gemäß § 6 Z 3 Asylgesetz abzuweisen gewesen sei. Die belangte Behörde ergänzte, dass keine Verweisung auf eine innerstaatliche Schutzalternative stattgefunden habe, da nach den Verfahrensergebnissen eine Gefährdung des Beschwerdeführers an seinem 400 km vom Ort des Geschehens am 10. September 2001 entfernten Wohnsitz nicht gegeben sei.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

§ 6 Asylgesetz lautet:

"Offensichtlich unbegründete Asylanträge

§ 6. Asylanträge gemäß § 3 sind als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat

1. sich dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht die Behauptung entnehmen läßt, daß ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung droht oder

2. die behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat nach dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen ist oder

3. das Vorbringen der Asylwerber zu einer Bedrohungssituation offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht oder

4. die Asylwerber an der Feststellung des maßgebenden Sachverhalts trotz Aufforderung nicht mitwirken oder

5. im Herkunftsstaat auf Grund der allgemeinen politischen Verhältnisse, der Rechtslage und der Rechtsanwendung in der Regel keine begründete Gefahr einer Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen besteht."

Die belangte Behörde hat dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu den Gründen seiner Flucht in tatsächlicher Hinsicht Glauben geschenkt. Dessen ungeachtet hat sie ihre Entscheidung auf § 6 Z 3 Asylgesetz gestützt. Es kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob eine solche Vorgangsweise rechtmäßig ist. Die belangte Behörde ist nämlich jedenfalls davon ausgegangen, dass durch den von ihr festgestellten Sachverhalt offensichtlich keine Bedrohungssituation für den Beschwerdeführer vorliege. Dem kann aus folgenden Gründen nicht beigepflichtet werden:

Wie der Sachverständige bei der mündlichen Verhandlung dargelegt hat, treffe es zu, dass die Behörden bei Transporten, wie der Beschwerdeführer einen durchgeführt hat, Unterstützungen für die PKK vermuten. Verstärkte polizeiliche Überwachungen seien zu gewärtigen. Der Staat gehe von der Möglichkeit eines künftigen Engagements auch für verbotene Kurdenorganisationen aus. Schon daraus ergibt sich, dass eine Bedrohungssituation für den Beschwerdeführer nicht von vornherein auszuschließen ist und dass daher unter diesen Umständen nicht von der "offensichtlichen" Unbegründetheit des Asylantrages im Sinne des § 6 AsylG ausgegangen werden durfte. Daran vermag es auch nichts zu ändern, dass die nicht auszuschließenden staatlichen Maßnahmen regional begrenzt wären, und es kann dahingestellt bleiben, ob es sich im gegenständlichen Fall angesichts dessen, dass der Beschwerdeführer nicht im Gefährdungsgebiet wohnt, bei dem Hinweis auf die lokale Begrenztheit um die Verweisung auf eine inländische Schutzalternative handelt. Ein Anhaltspunkt für die fehlende Offensichtlichkeit ist im Übrigen auch dadurch gegeben, dass sich die Behörde für die Beurteilung der Tatsachen als nicht bedrohlich auf die Aussagen eines Sachverständigen beruft.

Hinzu kommt aber noch, dass der - von der belangten Behörde als persönlich glaubwürdig eingestufte - Beschwerdeführer an mehreren Stellen seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt dargelegt hat, dass sein Fall noch nicht abgeschlossen gewesen und er im August 2001 aufgefordert worden sei, sich beim Staatssicherheitsgericht zu melden. Dass dieser Teil des Vorbringens, der bei der eher kursorischen Befragung des Beschwerdeführers in der Berufungsverhandlung nicht zur Sprache kam, im Gutachten des Sachverständigen dessen ungeachtet berücksichtigt worden sei, ist mangels jedweder Bezugnahme darauf in den Ausführungen des Sachverständigen nicht erkennbar. Die Erklärung des Beschwerdeführers, gegen das Gutachten keinen Einwand zu erheben, lässt sich nicht als konkludente Zurückziehung des erstinstanzlichen Vorbringens deuten. Ausgehend von der Beweiswürdigung der belangten Behörde waren die Voraussetzungen für eine Bestätigung des erstinstanzlichen Bescheides auch aus diesem Grund nicht gegeben.

Die belangte Behörde belastete somit den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Das Mehrbegehren war abzuweisen, da die Umsatzsteuer in den Pauschalbeträgen der genannten Verordnung bereits enthalten ist.

Wien, am 24. April 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2002200244.X00

Im RIS seit

20.06.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten