TE Vwgh Erkenntnis 2003/4/24 2000/20/0278

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Veröffentlicht am 24.04.2003
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
AVG §45 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde der G in Wien, geboren 1955, vertreten durch Dr. Gerhard Koller, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Friedrich Schmidt-Platz 7, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 23. Mai 2000, Zl. 202.964/0-VI/17/98, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige des Iran, reiste am 15. Februar 1998 in das Bundesgebiet ein und ersuchte um Asyl. Sie begründete diesen Antrag mit Problemen, die ihren Ursprung in ihrer Beschäftigung als Psychologin in einem Krankenhaus nahe Teheran hätten. In diesem Spital, das eher den Eindruck einer Obdachlosenunterkunft vermittelt habe, hätten sich unglaubliche Vorfälle zugetragen, die sie gemeinsam mit anderen Ärzten aufzudecken versucht habe. Für die Patienten hätte es kein Essen und keine Kleidung gegeben, man habe ihnen Drogen verabreicht und sie vergewaltigt und Revolutionswächter hätten sich am Budget des Krankenhauses bereichert. Die Beschwerdeführerin habe diese Missstände nicht hinnehmen können und sei dagegen mit zwei oder drei weiteren Angestellten energisch aufgetreten. Sie habe sich über die genannten Vorfälle nicht nur beim Leiter des Spitals beschwert, sondern auch Briefe an das Gesundheitsministerium geschrieben. Sie sei deshalb "ständig bedroht" und eine ihrer Mitarbeiterinnen von einem Revolutionswächter sogar getötet worden. Nachdem man einen ihrer Patienten, einen jungen Burschen, vergewaltigt hätte, habe sie sich nicht länger zurückhalten können, im Krankenhaus zu toben begonnen und die islamische Republik beschimpft. Sie habe den Leiter des Pflegepersonals angeschrieen und aufgefordert, endlich diese Missstände abzustellen. Am Tag darauf sei die Beschwerdeführerin, als sie in einem Zimmer mit einem Pfleger gesprochen habe, plötzlich von zwei Revolutionswächtern mit dem Vorwurf, sie hätte eine Beziehung zu diesem Pfleger, konfrontiert worden. Nachdem die Beschwerdeführerin die Revolutionswächter deswegen aufs Ärgste beschimpft habe, sei sie zum Geheimdienst im Krankenhaus gerufen worden, wo man ihr eine widerrechtliche sexuelle Beziehung am Arbeitsplatz vorgeworfen habe. Die Beschwerdeführerin sei 48 Stunden lang festgehalten worden und nur durch die Intervention eines mit ihrem Ehegatten befreundeten Mullahs und unter der Auflage, Teheran nicht zu verlassen, freigelassen worden. Nach Auffassung eines Rechtsanwaltes, mit dem die Beschwerdeführerin Kontakt aufgenommen habe, sei ihr Leben im Iran in Gefahr. Wegen ihres "bereits registrierten Vorlebens" und weil sie den "Führer der islamischen Revolution beschimpft" habe, fürchte sie in ihrer Heimat um ihr Leben.

Mit Bescheid vom 1. April 1998 wies das Bundesasylamt den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 7 AsylG ab und stellte die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin in den Iran gemäß § 8 AsylG fest.

In ihrer dagegen erhobenen Berufung führte die Beschwerdeführerin aus, sie gehöre zwar keiner politischen Gruppierung im Iran an, habe jedoch in ihrer Heimat gegen die Korruption des iranischen Staatsapparates und damit gegen das Regime gekämpft. Daher werde sie einerseits wegen einer ihr unterstellten politischen, regimefeindlichen Gesinnung und andererseits wegen des ihr unterstellten Delikts der Unzucht verfolgt. Letzteres bedeute für sie im Iran den Tod durch Steinigung.

In der Berufungsverhandlung vom 5. Jänner 1999 meinte die Beschwerdeführerin, man habe ihr die sexuelle Verfehlung deshalb "angedichtet", weil sie stets die Missstände im Krankenhaus kritisiert habe. Der Grund ihrer Festnahme sei daher eigentlich ihre permanente Kritik an diesen Missständen gewesen. In Bezug auf die von ihr befürchtete Steinigung wegen der ihr unterstellten Unzucht entgegnete die Beschwerdeführerin über Vorhalt, die für diese Strafe gesetzlich erforderlichen vier männlichen Zeugen würden in einem allfälligen Prozess im Iran ohne weiteres willkürlich gestellt werden.

Mit Schreiben vom 11. Jänner 1999 ersuchte die belangte Behörde die Österreichische Botschaft in Teheran, nach allfälliger Konsultation des dortigen Vertrauensanwaltes mitzuteilen, ob der von der Beschwerdeführerin geschilderte Sachverhalt als glaubhaft anzusehen sei und ob der von der Beschwerdeführerin genannte Rechtsanwalt unter der von ihr in der Verhandlung bezeichneten Adresse existiere.

In ihrem Schreiben vom 16. Juni 1999 teilte die Österreichische Botschaft "nach Rücksprache mit Experten" mit, das Vorbringen der Beschwerdeführerin "klingt grundsätzlich glaubwürdig", der genannte Rechtsanwalt habe jedoch an der angegebenen Adresse "nicht festgestellt werden" können. Im Übrigen könne im Iran wegen des Ehebruchs einer verheirateten Frau durchaus die Todesstrafe durch Steinigung verhängt werden.

In der fortgesetzten Berufungsverhandlung vom 30. Juli 1999 hielt die Beschwerdeführerin ihre Fluchtgründe aufrecht und gab über Befragen an, sie habe ihre Kritik hinsichtlich der Missstände im Krankenhaus aus logischen und nicht aus politischen oder religiösen Gründen geäußert. Da sie sich als intellektuelle Frau gegen das islamische Regime, das die Herrschaft im Iran ausübe, betätigt habe, sehe sie sich aber automatisch einer religiösen Verfolgung ausgesetzt. Über Vorhalt des die Erkundigungen über den Rechtsanwalt betreffenden Teiles des genannten Schreibens der Österreichischen Botschaft sowie eines Aktenvermerks vom 14. Juli 1999, wonach das Zentrum der Teheraner Anwälte in einem Telefonat mitgeteilt habe, der von der Beschwerdeführerin genannte Rechtsanwalt "ist bei ihnen nicht registriert", beharrte die Beschwerdeführerin auf der Existenz dieses Rechtsanwaltes und darauf, bei diesem gewesen zu sein.

Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß §§ 7 und 8 AsylG ab. Sie begründete dies zunächst damit, dass auf Grund der vagen Ausführungen und gehäuften Widersprüche der Beschwerdeführerin von der Unglaubwürdigkeit "eines Großteils" ihres Vorbringens auszugehen sei. Nach ins Einzelne gehenden Argumenten der Beweiswürdigung - so hätte sich beispielsweise die Aussage der Beschwerdeführerin über die Konsultierung eines Rechtsanwaltes, wie die genannten Ermittlungen der belangten Behörde ergeben hätten, als nicht der Wahrheit entsprechend erwiesen - stellte die belangte Behörde aber die beiden folgenden Aussagen der Beschwerdeführerin als glaubwürdig fest: "Mein Widerstand gegen das Regime war in der Kritik am Krankenhaus und am Aufzählen der Missstände in diesem Krankenhaus begründet" , "Ich habe die Kritik aus logischen Gründen angebracht und nicht aus politischen oder religiösen." Damit sei, so die belangte Behörde an die letztgenannten Aussagen anknüpfend, erwiesen, dass die Beschwerdeführerin die behauptete Verfolgung nicht damit begründet habe, diese sei aus einem politischen oder religiösen Motiv erfolgt und es sei ihr jedenfalls das gegenständliche Delikt (Unzucht) auch nicht aus einem politischen oder religiösen Grund "angedichtet" worden.

Rechtlich folge daraus nach Ansicht der belangten Behörde, dass wegen der "völligen Unglaubwürdigkeit" der Beschwerdeführerin eine diese im Iran betreffende Verfolgungsgefahr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen sei. Selbst wenn aber die Angaben der Beschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen zugrunde gelegt würden, so änderte dies nichts an der genannten asylrechtlichen Beurteilung. Eine Steinigung wegen des Deliktes des Ehebruches, so die belangte Behörde unter Verweis auf Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes, sei nämlich nicht als eine Verfolgung aus religiösen bzw. politischen Gründen anzusehen. Im weiteren begründete die belangte Behörde ihre Entscheidung nach § 8 AsylG.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die Beschwerdeführerin tritt in der Beschwerde den beweiswürdigenden Argumenten der belangten Behörde im Einzelnen entgegen und meint in Bezug auf den von ihr geschilderten Vorwurf der Unzucht, im angefochtenen Bescheid sei dieser Vorfall als erwiesen zugrundegelegt worden. Davon ausgehend sei in ihrer Heimat ein faires Verfahren gegenüber einer Frau, also der Angehörigen einer minderen sozialen Schichte, nicht zu erwarten.

Der angefochtene Bescheid beruht, wie dargestellt, auf einer differenzierenden Beweiswürdigung. Einerseits hat die belangte Behörde einem (nicht näher präzisierten) "Großteil" des Vorbringens der Beschwerdeführerin die Glaubwürdigkeit versagt, andererseits erachtete sie die Angaben der Beschwerdeführerin, was deren Widerstand gegenüber dem iranischen Regime in Form von geäußerter Kritik sowie durch das Aufzählen von Missständen im Krankenhaus betrifft, ausdrücklich als den Tatsachen entsprechend. Hingegen scheint die belangte Behörde den zum angeblichen Vorwurf der Unzucht führenden Vorfall entgegen der Beschwerdemeinung nicht als erwiesen zugrundegelegt zu haben.

Vor dem Hintergrund der dargestellten Begründung des angefochtenen Bescheides erübrigt es sich, auf die in der Beschwerde relevierte Frage einzugehen, ob die von der belangten Behörde angeführten Argumente die genannte Differenzierung in der Beweiswürdigung rechtfertigen können und ob diese Argumente in sich stimmig sind. Nur beispielhaft ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass etwa aus den - offenbar auf den jeweiligen Auskunftszeitpunkt abstellenden - Mitteilungen über die Unkenntnis bzw. eine Nichtregistrierung des von der Beschwerdeführerin genannten Rechtsanwaltes für die (allenfalls) maßgebliche Frage, ob dieser Rechtsanwalt - im Zeitpunkt des Konsultierens durch die Beschwerdeführerin - einen Kanzleisitz an der von ihr genannten Adresse hatte, wenig zu gewinnen ist. Andererseits hat die belangte Behörde die Einschätzung der im Schreiben der Österreichischen Botschaft genannten "Experten", das Vorbringen der Beschwerdeführerin klinge grundsätzlich glaubwürdig, in ihrer Entscheidung weder erwähnt noch erkennbar gewürdigt.

Unter Zugrundelegung der Feststellung der belangten Behörde über das (bloße) Zutreffen der Angaben der Beschwerdeführerin über ihren Widerstand gegen das iranische Regime durch die von ihr geübte Kritik am Krankenhaus (in untrennbarem Zusammenhang damit hat die Beschwerdeführerin, wie dargestellt, die islamische Republik, nach ihren weiteren Angaben sogar den Führer der islamischen Revolution, beschimpft) ist es jedenfalls verfehlt, wenn die belangte Behörde diesen Angaben der Beschwerdeführerin in der rechtlichen Beurteilung - dort nicht nachvollziehbar ausgehend von der "völligen" Unglaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin - keine Beachtung beimaß und ohne weitere Auseinandersetzung mit den genannten Beschimpfungen die Gefahr von Verfolgung für die Beschwerdeführerin ausschloss.

Aber auch die Hilfsbegründung, der Steinigung als Strafe für den Ehebruch komme Asylrelevanz nicht zu, vermag den angefochtenen Bescheid nicht zu tragen, weil durch diesen Begründungsteil die hier maßgeblichen beschimpfenden Äußerungen der Beschwerdeführerin nicht erfasst sind. Im Übrigen kann nach der neueren Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. dazu die Erkenntnisse vom 27. September 2001, Zl. 99/20/0409 sowie vom 17. Oktober 2002, Zl. 2000/20/0102, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird) der Sanktionierung des Ehebruches im Iran nicht von vornherein die Asylrelevanz abgesprochen werden.

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 24. April 2003

Schlagworte

freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2000200278.X00

Im RIS seit

26.05.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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