TE Vfgh Erkenntnis 2000/2/29 B1620/99

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Veröffentlicht am 29.02.2000
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

EMRK Art6 Abs3 litd
StGB §33 Abs2

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt aufgrund beleidigender Äußerungen gegenüber einem Polizeibeamten bei einer Verkehrskontrolle; keine Verletzung von Verfahrensgrundsätzen durch Unterlassung von bestimmten Zeugenbefragungen; Frage des Vorliegens von Milderungsgründen bloß einfachgesetzliche Frage

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt in Niederösterreich. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich (im folgenden: Disziplinarrat) vom 9. November 1998 wurde er des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes für schuldig erkannt, weil er am 29. März 1992 im Zuge einer Anhaltung wegen eines Verkehrsdeliktes gegenüber den Polizeibeamten D S und S L folgende Äußerung getätigt habe:

"Wegen des Sicherungsgurtes bezahle ich nichts, ich gurte mich nie an. Mein Kind sitzt auf dem vorderen Sitz, da es ihm hier besser gefällt. Zeigen sie mich an, sie können mir nichts anhaben, denn ihre Kollegen werden mich sicher abmahnen. Eine Visitenkarte möchte ich auch haben, denn sie werden große Schwierigkeiten bekommen."

Der Beschwerdeführer wurde hiefür zu einer Zusatzstrafe von S 10.000,- (zu der bereits in anderen Verfahren vor dem Disziplinarrat über den Beschwerdeführer verhängten Geldstrafe von S 25.000,-) verurteilt.

2. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung des Beschwerdeführers gab die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) mit Erkenntnis vom 14. Juni 1999 keine Folge.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf ein faires Verfahren geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

4. Die OBDK hat die Verwaltungsakten vorgelegt, erstattete jedoch keine Gegenschrift.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Der Beschwerdeführer bringt gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Rechtsvorschriften keine verfassungsrechtlichen Bedenken vor. Aus der Sicht des Verfassungsgerichtshofes sind solche aus Anlaß dieses Beschwerdefalles nicht entstanden.

Der Beschwerdeführer wurde deshalb nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt.

2. Zu den behaupteten Vollzugsfehlern:

2.1. Der Beschwerdeführer bringt zunächst vor, daß sowohl seine Ehefrau als auch seine Mutter - als die von ihm beantragten und zur Klärung der Sachlage notwendigen Zeugen - nicht gehört worden seien.

Der Beschwerdeführer erachtet sich dadurch in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie auf ein faires Verfahren verletzt.

2.1.1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10413/1985, 11682/1988) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10338/1985, 11213/1987).

2.1.2. Nach Art6 Abs3 litd EMRK hat jeder Angeklagte das Recht, Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und die Vernehmung der Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen wie die der Belastungszeugen zu erwirken.

2.1.3. Eine Verletzung der behaupteten Rechte liegt jedoch nicht vor:

Vorweg sei festgehalten, daß die Ehefrau des Beschwerdeführers zur mündlichen Verhandlung am 9. November 1998 vor dem Disziplinarrat ordnungsgemäß geladen wurde. Sie hat jedoch der Ladung (unentschuldigt) nicht Folge geleistet. Die Mutter des Beschwerdeführers wurde nicht geladen. Sie hätte zwar zum Thema der grundsätzlichen Befolgung der Gurtenpflicht durch den Beschwerdeführer eine Aussage treffen können, hätte aber, da sie nicht Augenzeugin der Amtshandlung war, nicht direkt über das Tatgeschehen Zeugnis ablegen können.

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid in ausführlicher Weise dargelegt, warum von einer neuerlichen Ladung der Ehefrau des Beschwerdeführers Abstand genommen wurde bzw. warum die nach Durchführung der mündlichen Verhandlungen vor dem Disziplinarrat Niederösterreich (vom 6.10.1997, 14.9.1998, 9.11.1998) aufgenommenen Beweise für die Wahrheitsfindung vor dem Disziplinarrat als ausreichend erachtet wurden. Der Verfassungsgerichtshof vermag den Ausführungen der belangten Behörde weder unter den Gesichtspunkten des Gleichheitsgrundsatzes noch unter jenen des Rechts auf ein faires Verfahren (vgl. zu Art6 EMRK etwa EGMR 22.4.1992, Vidal gg. Belgien, EuGRZ 1992, 440ff.) entgegenzutreten.

2.2. Soweit der Beschwerdeführer unter dem Titel der Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes die Glaubwürdigkeit der vor dem Disziplinarrat vernommenen Polizeibeamten in Zweifel zieht und der Behörde vorwirft, daß sie es unterlassen habe, bereits von ihm vorformulierte Fragen an diese Zeugen zu stellen, ist ihm entgegenzuhalten, daß er dadurch bloß einfachgesetzliche Fragen des Beweisverfahrens vor den Disziplinarbehörden anspricht, nicht aber Verletzungen in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten aufzeigt.

Ob der Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen eine Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. etwa VfSlg. 13419/1993, 14408/1996, VfGH 8.6.1999, B788/99).

2.3. Wenn der Beschwerdeführer schließlich meint, daß ein Milderungsgrund des §33 Abs2 StGB vorliege und die belangte Behörde daher von der Verhängung der Zusatzstrafe hätte absehen müssen, handelt es sich gleichfalls ausschließlich um Fragen der richtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Eine willkürliche Vorgangsweise kann der Behörde nicht angelastet werden.

2.4. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

3. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Rechtsanwälte Disziplinarrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:B1620.1999

Dokumentnummer

JFT_09999771_99B01620_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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