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27/01 Rechtsanwälte;Norm
AVG §10 Abs1;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2000/10/0138Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Binder-Krieglstein, über die Beschwerden der EG in W, vertreten durch Dr. Johann Etienne Korab, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 34, gegen die Bescheide des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien 1. vom 12. Juli 2000, Zl. UVS- 06/V/46/1287/2000/2 (Zl. 2000/10/0137), und 2. vom 13. Juli 2000, Zl. UVS-06/V/9/1288/2000/2 (Zl. 2000/10/0138), betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Verwaltungsstrafsachen nach dem Arzneimittelgesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 82,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Hinsichtlich der Vorgeschichte des Beschwerdefalles wird auf die Entscheidungsgründe des Erkenntnisses vom 20. September 1999, Zlen. 99/10/0060, 0061, verwiesen.
Mit diesem Erkenntnis wurden die Bescheide des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien (UVS) vom 22. und 24. Februar 1999, mit denen Anträge der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Berufung gegen Straferkenntnisse des Magistrates Wien gemäß § 71 Abs. 1 AVG abgewiesen worden waren, wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben. Nach der Begründung dieses Erkenntnisses habe die Erstbehörde (Magistrat der Stadt Wien) über die Wiedereinsetzungsanträge der Beschwerdeführerin formale Entscheidungen (Zurückweisungen) getroffen. Die Entscheidungsbefugnis des UVS sei daher insofern eingeschränkt gewesen, als ihm ein meritorischer Abspruch über die Wiedereinsetzungsanträge verwehrt gewesen sei. Gegenstand des Berufungsverfahrens habe lediglich die Rechtmäßigkeit des verfahrensrechtlichen Ausspruches der Erstbehörden sein können, was der UVS jedoch verkannt habe.
Mit (Ersatz-)Bescheiden vom 10. Dezember 1999 gab der UVS den Berufungen der Beschwerdeführerin Folge und behob die Bescheide des Magistrates der Stadt Wien.
Mit Bescheiden vom 25. Jänner 2000 wies der Magistrat der Stadt Wien daraufhin die Anträge der Beschwerdeführerin vom 6. Mai 1998 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Berufungsfrist gegen die Straferkenntnisse vom
18. und 26. März 1998 gemäß § 71 Abs. 1 AVG ab.
Den dagegen erhobenen Berufungen wurde mit den angefochtenen Bescheiden keine Folge gegeben. Nach den - im Wesentlichen gleichlautenden - Begründungen seien der Beschwerdeführerin mit Straferkenntnissen vom 18. und 26. März 1998 näher umschriebene Übertretungen des Arzneimittelgesetzes zur Last gelegt worden. Die Straferkenntnisse seien der Beschwerdeführerin zu Handen ihres anwaltlichen Vertreters, Rechtsanwalt Dr. Peter L., dessen Vollmacht der Behörde mit Schriftsatz vom 9. Juni 1997 bekannt gegeben worden sei, am 10. April 1998 zugestellt worden. Dagegen habe die Beschwerdeführerin am 6. Mai 1998 durch ihren nunmehrigen anwaltlichen Vertreter Berufungen erhoben und diese jeweils mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verbunden. Die Anträge auf Wiedereinsetzung seien dahingehend begründet worden, dass das Vollmachtsverhältnis zwischen der Beschwerdeführerin und Dr. L. bereits am 29. Oktober 1997 aufgelöst worden sei. Die Bekanntgabe dieser Vollmachtskündigung an die Behörde sei aufgrund eines Versehens der Kanzlei von Dr. L. unterblieben. Dies habe die Beschwerdeführerin nicht wissen können und daher nicht (auch) selbst der Behörde die Vollmachtskündigung angezeigt. Wegen der bereits erfolgten Vollmachtskündigung habe Dr. L. die an seine Kanzleiadresse gesendeten Straferkenntnisse nicht weiter in Behandlung genommen, sondern an die Beschwerdeführerin weitergeleitet. Dort habe sie die Straferkenntnisse aber aufgrund eines bei der Post ordnungsgemäß bekannt gegebenen Auslandsaufenthaltes (Ortsabwesenheit) nicht sofort erhalten. Erst am 29. April 1998 habe der Sohn der Beschwerdeführerin, nachdem er den Briefkasten geleert habe, die Beschwerdeführerin von den Straferkenntnissen unterrichtet. Zu diesem Zeitpunkt sei die Berufungsfrist jedoch bereits abgelaufen gewesen. Die Beschwerdeführerin treffe an der Versäumung der Berufungsfrist kein Verschulden, da die Fristversäumung einzig auf den Umstand zurückzuführen sei, dass Dr. L. die Bekanntgabe der schon im Jahre 1997 erfolgten Vollmachtskündigung an die Behörde unterlassen habe. Es könne der Beschwerdeführerin jedoch nicht das Verschulden ihres seinzeitigen Parteienvertreters zugerechnet werden, da dieser zum Zeitpunkt der Zustellung der Straferkenntnisse an seine Kanzleianschrift die Beschwerdeführerin gar nicht mehr vertreten habe.
Nach Auffassung der belangten Behörde sei die Beschwerdeführerin zwar im Recht, dass entgegen der (ursprünglichen) Ansicht der Behörden erster Instanz kein Fall des § 8 des Zustellgesetzes vorliege, die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand seien jedoch aus folgenden Gründen abzuweisen: Die Kündigung der Vollmacht eines Parteienvertreters gegenüber der Behörde, bei welcher der Vertreter eingeschritten sei, werde nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erst wirksam, wenn der Behörde mitgeteilt werde, dass sie im Einklang mit den gemäß § 10 Abs. 2 AVG heranzuziehenden Vorschriften des bürgerlichen Rechts stehe. Gemäß § 1026 ABGB würden die Wirkungen der Aufhebung einer Vollmacht einem Dritten (hier: der Behörde) gegenüber solange nicht eintreten, solange sie diesem ohne sein Verschulden unbekannt seien. Die der Behörde nicht mitgeteilte und auch sonst nicht zur Kenntnis gelangte Vollmachtskündigung könne somit an der Rechtmäßigkeit der Zustellung der Straferkenntnisse nichts ändern (Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. November 1980, Zl. 3219/80, sowie vom 25. Mai 1988, Zl. 87/13/0234). Im Zusammenhalt mit den Ausführungen der Beschwerdeführerin über ihre Ortsabwesenheit zu jener Zeit, als ihr von ihrem früheren anwaltlichen Vertreter die Straferkenntnisse zugestellt worden seien, erweise sich somit die Unterlassung der Verständigung der Behörde von der erfolgten Vollmachtskündigung als ursächlich für die Versäumung der Berufungsfrist seitens der Beschwerdeführerin. Gemäß § 11 Abs. 2 der Rechtsanwaltsordnung (RAO) sei ein Rechtsanwalt dazu verpflichtet, seinen Mandanten noch durch 14 Tage, von der Zustellung der Kündigung an gerechnet, insoweit zu vertreten, als dies nötig sei, um den Mandanten vor Rechtsnachteilen zu schützen. Wie gerade der gegenständliche Fall zeige, sei die Bekanntgabe einer Vollmachtskündigung an die Behörde sehr wohl als Handlung zu qualifizieren, die nötig sei, um eine vormals vertretene Partei vor Rechtsnachteilen zu schützen. Die Bekanntgabe einer Vollmachtskündigung an die Behörde gehöre somit zu den Pflichten, die ein anwaltlicher Vertreter rechtlich zwingend auch nach erfolgter Vollmachtskündigung in seiner Funktion als Parteienvertreter noch wahrzunehmen habe. Eine diesbezügliche Pflichtverletzung durch den (früheren) Rechtsanwalt sei somit nicht anders zu beurteilen, als eine Versäumnis des Anwaltes während eines (auch) im Innenverhältnis noch aufrechten Vollmachtsverhältnisses, wie etwa das "Verschlampen" eines fristgebundenen Schriftsatzes. In diesem Zusammenhang sei weiters zu betonen, dass zu dem Zeitpunkt, zu dem der frühere anwaltliche Vertreter der Beschwerdeführerin die Vollmachtskündigung der Behörde hätte bekannt geben sollen, die Vollmacht nur im Innenverhältnis bereits aufgelöst, im Außenverhältnis (gegenüber der Behörde) jedoch im Sinne der vorhin zitierten Judikatur noch aufrecht gewesen sei.
Selbst wenn man in der Unterlassung der Bekanntgabe der Vollmachtskündigung an die Behörde durch den früheren anwaltlichen Vertreter der Beschwerdeführerin ein für diese unvorhergesehenes Ereignis erblicken wolle, sei das für die Fristversäumnis ursächliche Verhalten des Rechtsanwaltes der Beschwerdeführerin noch in vollem Umfange zuzurechnen. Es sei daher zu prüfen, ob die pflichtwidrige Unterlassung der Bekanntgabe der Vollmachtskündigung durch den Rechtsanwalt schuldhaft erfolgt sei. Diesbezüglich sei festzustellen, dass Dr. L. in seiner eidesstattlichen Erklärung vom 11. Mai 1998 die Unterlassung der Bekanntgabe der Vollmachtskündigung an die Behörde auf ein nicht näher umschriebenes "kanzleiinternes Versehen" zurückgeführt habe, ohne darzulegen, welche Vorkehrungen bzw. Aufsichtsmaßnahmen er allenfalls getroffen hätte, um ein derartiges Versehen möglichst hintanzuhalten. Auch im Wiedereinsetzungsantrag bzw. in der Berufung der Beschwerdeführerin fänden sich keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass den früheren Rechtsanwalt der Beschwerdeführerin kein Verschulden oder bloß ein minderer Grad des Versehens an der Unterlassung der Bekanntgabe der Vollmachtskündigung getroffen habe. Da der frühere anwaltliche Vertreter der Beschwerdeführerin sowohl von dem gegen seine Mandantin geführten Verwaltungsstrafverfahren als auch von der erfolgten Vollmachtskündigung Kenntnis gehabt habe, sei von einem den Grad eines bloß minderen Versehens übersteigenden Verschulden des früheren Rechtsanwaltes ausgehen. Der Wiedereinsetzungsgrund des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG liege daher nicht vor. Ferner sei festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin weder im Wiedereinsetzungsantrag noch in ihrer Berufung vorgebracht habe, von sich aus der Behörde die Vollmachtskündigung angezeigt zu haben oder sich bei ihrem früheren Rechtsvertreter nach einem solchen Schritt erkundigt habe.
Gegen diese Bescheide richten sich die zu den Zlen. 2000/10/0137 und 2000/10/0138 protokollierten Beschwerden. Es wird beantragt, die angefochtenen Bescheide wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, jedoch von der Erstattung von Gegenschriften abgesehen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerden wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbunden und darüber erwogen:
Nach § 10 Abs. 1 AVG in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung BGBl. Nr. 51/1991 können sich die Beteiligten und ihre gesetzlichen Vertreter, sofern nicht ihr persönliches Erscheinen ausdrücklich gefordert wird, durch eigenberechtigte Personen vertreten lassen, die sich durch eine schriftliche Vollmacht auszuweisen haben. Vor der Behörde kann eine Vollmacht auch mündlich erteilt werden; zu ihrer Beurkundung genügt ein Aktenvermerk. Schreitet ein Rechtsanwalt oder Notar ein, so ersetzt die Berufung auf die ihm erteilte Vollmacht deren urkundlichen Nachweis.
Der die "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" regelnde § 71 AVG in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 bestimmt auszugsweise:
"§ 71. (1) Gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn:
1. Die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, ..."
Nach § 11 Abs. 1 RAO ist der Rechtsanwalt schuldig, das ihm vertraute Geschäft, solange der Auftrag besteht, zu besorgen und ist über die Nichtvollziehung verantwortlich.
Der Rechtsanwalt ist jedoch gemäß § 11 Abs. 2 RAO berechtigt, seiner Partei die Vertretung zu kündigen, in welchem Fall, sowie in jenem, wenn die Kündigung von der Partei erfolgt, der Rechtsanwalt gehalten ist, selbe noch durch 14 Tage, von der Zustellung der Kündigung an gerechnet, insoweit zu vertreten als nötig, um die Partei vor Rechtsnachteilen zu schützen.
Nach § 11 Abs. 3 RAO entfällt diese Verpflichtung, wenn die Partei dem Rechtsanwalt das Mandat widerruft.
Dem angefochtenen Bescheid liegt im Wesentlichen die Auffassung zugrunde, die Unterlassung der Verständigung der Behörde von der erfolgten Vollmachtskündigung durch den ursprünglichen Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin sei ursächlich für die Versäumung der Berufungsfrist durch diese. Das Verhalten des Rechtsanwaltes der Beschwerdeführerin sei dieser auch in vollem Umfang zuzurechnen, da zu dem Zeitpunkt, zu dem der frühere Rechtsanwalt die Vollmachtskündigung der Behörde hätte bekannt geben sollen, die Vollmacht nur im Innenverhältnis aufgelöst, im Außenverhältnis gegenüber der Behörde jedoch noch aufrecht gewesen sei. Die auf ein nicht näher umschriebenes "kanzleiinternes Versehen" zurückzuführende Unterlassung der Bekanntgabe der Vollmachtskündigung an die Behörde stelle ein den Grad eines bloß minderen Versehens übersteigenden Verschuldens des Rechtsanwaltes dar, weshalb der Wiedereinsetzungsgrund des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG nicht gegeben sei.
Die Beschwerde hält dem zunächst entgegen, dass der Beschwerdeführerin mangels eines bestehenden Vollmachtsverhältnisses das Verhalten des Rechtsanwaltes nicht zugerechnet werden konnte.
Zur Wirksamkeit des Widerrufes einer Vollmacht genügt allerdings nicht, wenn dieser Widerruf dem Rechtsanwalt bekannt gegeben wird; vielmehr muss dies auch der Behörde gegenüber mitgeteilt werden. Hatte die Erstbehörde von der Auflösung des Vollmachtsverhältnisses keine Kenntnis, war die Zustellung des Straferkenntnisses zu Handen des Rechtsanwaltes rechtswirksam. Nach Widerruf der Vollmacht war der Rechtsanwalt gemäß § 11 Abs. 3 RAO (abgesehen vom Ablauf der Frist des § 11 Abs. 2 RAO) zu weiteren Vertretungshandlungen nicht verpflichtet (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 11. November 1992, Zl. 92/02/0208). In dem einen ganz ähnlich gelagerten Sachverhalt betreffenden Erkenntnis vom 11. November 1992, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, hat der Verwaltungsgerichtshof eine Verpflichtung des Beschuldigten bejaht, der Behörde von der Auflösung des Vollmachtsverhältnisses Mitteilung zu machen, weil ansonsten mit Fristversäumnissen zu rechnen sei. Im erwähnten Erkenntnis wurde die Unterlassung dieser Mitteilung an die Behörde als auffallende Sorglosigkeit im Verkehr mit der Verwaltungsstrafbehörde angesehen. Die vorliegende Beschwerde verweist darauf, dass "sich die Beschwerdeführerin bei Post und Polizei abgemeldet hat, um die Zustellung von Rsa- oder Rsb-Briefen zu verhindern"; diese Maßnahme konnte aber die Mitteilung an die Verwaltungsstrafbehörde von der Auflösung des Vollmachtsverhältnisses nicht ersetzen. Die Beschwerdeführerin legt aber auch nicht dar, aus welchen Gründen sie hätte annehmen können, die Behörde habe von der erfolgten Auflösung des Vollmachtsverhältnisses Kenntnis gehabt. Auch die Beschwerde zeigt somit nicht auf, dass nur ein minderer Grad des Versehens zur Versäumung der Berufungsfrist geführt hatte.
Die Beschwerden erweisen sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen waren.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Wien, am 5. Mai 2003
Schlagworte
Ende VertretungsbefugnisEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2000100137.X00Im RIS seit
18.08.2003