TE Vwgh Erkenntnis 2003/5/15 2001/01/0027

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Veröffentlicht am 15.05.2003
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

AVG §60;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Nichtowitz, über die Beschwerde des S in Wien, vertreten durch Dr. Wolfgang Waldeck und Dr. Hubert Hasenauer, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Doblhoffgasse 7, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 28. November 2000, Zl. MA 61/IV-A 506/99, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG) ab.

Begründend führte sie aus, der am 1. Juli 1948 im Irak geborene Beschwerdeführer sei irakischer Staatsangehöriger und habe am 29. April 1992 den Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gestellt. Er halte sich seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen in Österreich auf. Erhebungen hätten mehrere strafrechtliche Vormerkungen zu Tage gebracht, und zwar:

     "1996        Verurteilung wegen Körperverletzung zu einer

Geldstrafe von 2.400,- S

     1996        Verurteilung wegen Übertretung des

Lebensmittelgesetzes zu einer Geldstrafe von 1.200,-- S

     1998        Verurteilung wegen Übertretung des

Lebensmittelgesetzes zu einer Geldstrafe von 4.200,-- S

Die Tilgung dieser Verurteilungen wird erst mit 28. Juni 2004 eintreten.

Daneben bestehen zahlreiche mit der Gewerbeausübung (des Beschwerdeführers) zusammenhängende Verwaltungsstrafen.

Die Revisionen des Marktamtes haben seit 1996 immer wieder Beanstandungen ergeben; der Gewerbebetrieb (wohl des Beschwerdeführers) präsentierte sich in einem sehr schlechten hygienischen Zustand.

In einer Reihe von Vorräten fand sich reichlich Mäusekot, zahlreiche Lebensmittel waren durch Mäusefraß und Verunreinigung gefährdet.

Die Lagerung von zum Verzehr bestimmten Lebensmitteln war laut Kontrollbericht krass ekelerregend, eine mittelbare Gesundheitsschädigung vorausprogrammiert.

Abgesehen davon gibt es auch eine Reihe von ungetilgten Verkehrsstrafen mit einer Gesamtstrafhöhe von 12.500,-- S."

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde nach Darstellung der Rechtslage aus, dass schon aus den mit der beruflichen Tätigkeit des Beschwerdeführers zusammenhängenden Straftaten eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit abgeleitet werden müsse. Die von der belangten Behörde eingesehenen Gerichtsakten hätten diese Gefährdungsprognose untermauern können. Bei den vom Beschwerdeführer übertretenen Normen im Zusammenhang mit seiner Berufstätigkeit handle es sich um Bestimmungen zur Abwehr und Unterdrückung von Gefahren für Leben, Gesundheit und Sicherheit. Derzeit könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer Gewähr dafür biete, keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit zu bilden. Auch liege der Zeitraum der letzten einschlägigen Bestrafung nicht so lange zurück, dass bereits auf ein künftiges Wohlverhalten des Beschwerdeführers geschlossen werden könne. Das das öffentliche Interesse verletzende strafbare Verhalten des Beschwerdeführers wiege schwerer als sein langjähriger Aufenthalt in Österreich mit der damit verbundenen Integration. Die in den wiederholten Bestrafungen zum Ausdruck gekommene Beharrlichkeit bei der Begehung derartiger Straftaten müsse als besonders schwer wiegender Gesichtspunkt für die Beurteilung des Gesamtverhaltens des Beschwerdeführers gewertet werden. Nicht zuletzt habe auch der Umstand, dass alle Straftaten während der Anhängigkeit des Staatsbürgerschaftsverfahrens gesetzt worden seien, als für den Beschwerdeführer nachteilig angesehen werden müssen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde hat die Versagung der Verleihung der Staatsbürgerschaft ausschließlich mit dem Mangel der Verleihungsvoraussetzung nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG begründet. Diese Bestimmung in der Fassung der Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998, BGBl. I Nr. 124, lautet:

"Verleihung

§ 10. (1) Die Staatsbürgerschaft kann einem Fremden verliehen werden, wenn

...

6. er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet;

..."

Bei der Klärung der Frage, ob die Verleihungsvoraussetzung nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG gegeben ist, ist vom Gesamtverhalten des Einbürgerungswerbers auszugehen. Dieses ist wesentlich durch das sich aus der Art, Schwere und Häufigkeit der von ihm begangenen Straftaten ergebende Charakterbild bestimmt. Hiebei stellt der Gesetzgeber nicht auf formelle Gesichtspunkte ab, sondern es ist lediglich maßgebend, ob es sich um Rechtsbrüche handelt, die den Schluss rechtfertigen, der Betreffende werde auch in der Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung - oder andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Rechtsgüter - erlassene Vorschriften missachten. Aus der Art, der Schwere und der Häufigkeit solcher Verstöße kommt die negative Einstellung des Betreffenden gegenüber den zur Hintanhaltung von Gefahren für Leben, Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit erlassenen Gesetzen in deutlicher Weise zum Ausdruck. Ob die Verstöße von den Gerichten oder von den Verwaltungsbehörden zu ahnden waren und ob es sich um eine Angelegenheit der allgemeinen Sicherheitspolizei oder einer speziellen Verwaltungspolizei handelt, spielt dabei keine Rolle (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom 4. April 2001, Zl. 99/01/0369).

Unter dem Blickwinkel des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG bedarf es einer materiellen Prüfung der Persönlichkeit des Einbürgerungswerbers. Eine solche Prüfung gebietet einen Rückgriff auf die den rechtskräftigen Verurteilungen zu Grunde liegenden Taten - selbst wenn sie bereits getilgt sind -, weil nur so ein Rückschluss auf das Charakterbild des Staatsbürgerschaftswerbers möglich ist. Dazu sind die maßgeblichen Tathandlungen, die näheren Umstände der Tat und der Zeitpunkt der Tatbegehung zu ermitteln (vgl. das Erkenntnis vom 24. November 1999, Zl. 99/01/0323).

Vor diesem rechtlichen Hintergrund sind die von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen nicht geeignet, eine abschließende Prognoseentscheidung aus staatsbürgerschaftsrechtlicher Sicht über das zukünftige Verhalten des Beschwerdeführers zu treffen. Weder wurden die näheren Umstände der im Jahre 1996 begangenen Körperverletzung sowie der in den Jahren 1996 und 1998 bestraften Übertretungen nach dem Lebensmittelgesetz dargestellt noch die Tathandlungen der "zahlreiche(n) mit der Gewerbeausübung des Bewerbers zusammenhängende(n) Verwaltungsstrafen" näher beschrieben. Der Begründung des angefochtenen Bescheides ist nicht einmal zu entnehmen, welches Gewerbe der Beschwerdeführer ausgeübt hat; auch wird kein Bezug zwischen verunreinigten "Vorräten" und Lebensmitteln und den dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Tathandlungen hergestellt. Aus den rudimentären Feststellungen im angefochtenen Bescheid kann demnach kein Rückschluss auf das Charakterbild des Beschwerdeführers gezogen werden, was auch auf das Fehlen von Feststellungen über "ungetilgte(n) Verkehrsstrafen" zutrifft.

Dem angefochtenen Bescheid fehlt es daher an konkreten Feststellungen, auf Grund derer die die Versagung der Staatsbürgerschaft tragende Schlussfolgerung der belangten Behörde, aus der Art, der Schwere und der Häufigkeit bestimmter Verstöße käme eine negative Einstellung des Beschwerdeführers gegenüber den zur Hintanhaltung von Gefahren für Leben, Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit erlassenen Gesetzen in deutlicher Weise zum Ausdruck, beurteilt werden könnte. Das Fehlen der notwendigen Feststellungen verwehrt dem Verwaltungsgerichtshof die nachprüfende Kontrolle der von der belangten Behörde vertretenen und vom Beschwerdeführer bekämpften Ansicht, er erfülle nicht die Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Die im Betrag von S 2.500,-- entrichtete Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG war im Betrag von EUR 181,68 zuzusprechen.

Wien, am 15. Mai 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2001010027.X00

Im RIS seit

20.06.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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