TE Vwgh Erkenntnis 2003/5/15 2000/01/0144

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Veröffentlicht am 15.05.2003
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/02 Staatsbürgerschaft Staatenlosigkeit;

Norm

AsylG 1997 §5 Abs1;
Dubliner Übk 1997 Art10 Abs3;
Dubliner Übk 1997 Art6;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla sowie die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Nichtowitz, über die Beschwerde des G in Wien, geboren 1983, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 31. März 2000, Zl. 216.027/0-X/31/00, betreffend § 5 AsylG, (weitere Partei: Bundesminister für Inneres) zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der aus Albanien stammende Beschwerdeführer beantragte am 27. Jänner 1999 die Gewährung von Asyl. Bei seiner Einvernahme am 22. März 1999 gab er an, er habe am 25. Jänner 1999, auf der Ladefläche eines LKWs versteckt, Tirana verlassen und sei am 27. Jänner 1999 in das Bundesgebiet eingereist. Er sei bereits einmal in Italien gewesen und habe im Dezember 1998 nach Österreich einreisen wollen. Er sei damals von der Polizei aufgegriffen worden und sei freiwillig nach Albanien zurückgekehrt, da er sich nicht in Italien habe aufhalten wollen. Er habe nicht gewusst, dass er bereits einmal in Österreich aufhältig gewesen sei, er sei von Uniformierten aufgegriffen worden, könne aber nicht angeben, ob es italienische oder österreichische gewesen seien. Seine Eltern hätten nicht gewollt, dass er in Italien bleibe. Da er minderjährig gewesen sei, kein Geld gehabt hätte und Unterstützung gebraucht habe, sei er in sein Heimatland zurückgekehrt und habe sich nicht in ein anderes Land begeben. Bei der Bezirkshauptmannschaft Villach habe er damals absichtlich ein falsches Geburtsdatum angegeben.

Im Verwaltungsakt findet sich eine Niederschrift der Bezirkshauptmannschaft Villach vom 29. Dezember 1998, aus der sich ergibt, dass der Beschwerdeführer gemeinsam mit einem anderen Albaner am genanntem Tag gegen 19 Uhr in einem Regionalzug im Bereich Thörl Maglern kontrolliert und festgenommen worden sei. Laut Stellungnahme der beiden albanischen Staatsangehörigen seien diese zirka einen Monat zuvor illegal nach Italien eingereist. Nunmehr hätten sie nach Villach reisen wollen, um hier einige Tage zu verbringen. Sie hätten wieder nach Italien zurückkehren wollen.

Mit Bescheid vom 24. Jänner 2000 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück. Zugleich sprach es aus, dass für die Prüfung des Asylantrages gemäß Artikel 6 Dubliner Übereinkommen (DÜ) Italien zuständig sei, sowie dass der Beschwerdeführer aus dem Bundesgebiet nach Italien ausgewiesen werde. Begründend wurde festgestellt, der Beschwerdeführer habe Ende Dezember 1998 sein Heimatland in Richtung Bari/Italien verlassen und sei von dort mit dem Zug nach Österreich gereist, wo er von der Polizei aufgegriffen und zur italienischen Grenze zurückgebracht worden sei. In der Folge sei er erneut nach Österreich gereist.

In der dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, er sei nach seiner erstmaligen Zurückweisung aus Österreich nicht in Italien geblieben, sondern in sein Heimatland Albanien zurückgekehrt. Dort sei er bei seinen Eltern geblieben und habe bei nächster Gelegenheit erneut die Flucht nach Österreich angetreten. Er sei diesmal aber sicherlich nicht über Italien nach Österreich gefahren, weil er in einem Pkw versteckt in das Bundesgebiet gelangt sei.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers "gemäß § 5 Abs. 1 AsylG" ab und führte begründend aus, dass Italien trotz seiner inzwischen möglicherweise erfolgten Rückkehr nach Albanien und seiner neuerlichen Einreise über ein unbekanntes Land für die Prüfung des Asylantrages zuständig geblieben sei, weil der Beschwerdeführer das Hoheitsgebiet nicht für die Dauer von mindestens drei Monaten, sondern nur für die Zeit von Ende Dezember 1998 bis Ende Jänner 1999, verlassen habe. Durch Art. 10 Abs. 3 DÜ werde eine Schwelle eingeführt, die eine spezielle Kontinuität für die Zuständigkeit Italiens herstelle.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

In seiner Beschwerde bringt der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, das gesamte im DÜ vorgesehene Verfahren zur Feststellung der Zuständigkeit eines Staates zur Prüfung eines Asylantrages werde grundsätzlich erst mit der Asylantragstellung ausgelöst. Ab diesem Zeitpunkt werde der Reiseweg des Asylwerbers unmittelbar zurückverfolgt. Diese rückwärts gewandte Überprüfung müsse dort enden, wo die Anreise bzw. Flucht ihren Ausgang genommen habe; dies sei der Herkunftsstaat eines Asylwerbers. Im vorliegenden Fall habe die belangte Behörde keine Feststellungen über die Behauptung des Beschwerdeführers getroffen, er sei nach seinem ersten Aufenthalt in Österreich nach Albanien zurückgekehrt und von dort über ihm unbekannte Länder, jedoch nicht über Italien, neuerlich in das Bundesgebiet eingereist. Schon wegen dieses Vorbringens hätte die belangte Behörde eine mündliche Verhandlung durchführen müssen.

§ 5 AsylG lautet:

"Unzulässige Asylanträge wegen vertraglicher Unzuständigkeit

§ 5. (1) Ein nicht gemäß § 4 erledigter Asylantrag ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat das Bundesasylamt auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Ein solcher Bescheid ist mit einer Ausweisung zu verbinden.

(2) ....

(3) Eine Ausweisung gemäß Abs. 1 und 2 gilt stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den bezeichneten Staat."

Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Dubliner Übereinkommens (DÜ) haben - auszugsweise - folgenden Inhalt:

"Artikel 1

(1) Im Sinne dieses Übereinkommens gilt als

a)

....

b)

Asylantrag: Antrag, mit dem ein Ausländer einen Mitgliedstaat um Schutz nach dem Genfer Abkommen unter Berufung auf den Flüchtlingsstatus im Sinne von Artikel 1 des Genfer Abkommens in der Fassung des New Yorker Protokolls ersucht,

              c)              Asylwerber: ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, über den noch nicht endgültig befunden wurde,

....

Artikel 3

(1) Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, jeden Asylantrag zu prüfen, den ein Ausländer an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt.

(2) Dieser Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat gemäß den in diesem Übereinkommen definierten Kriterien geprüft. Die in den Artikeln 4 bis 8 aufgeführten Kriterien werden in der Reihenfolge, in der sie aufgezählt sind, angewendet.

(3) Der Antrag wird von diesem Staat gemäß seinen innerstaatlichen Rechtsvorschriften und seinen internationalen Verpflichtungen geprüft.

...

(6) Das Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der auf Grund dieses Übereinkommens für die Prüfung des Asylantrages zuständig ist, wird eingeleitet, sobald ein Asylantrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat gestellt wird.

Artikel 6

Hat der Asylwerber aus einem Drittstaat die Grenze eines Mitgliedstaates illegal auf dem Land-, See oder Luftweg überschritten, so ist der Mitgliedstaat, über den er nachweislich eingereist ist, für die Antragprüfung zuständig. Die Zuständigkeit dieses Staates erlischt jedoch, wenn sich der Ausländer nachweislich mindestens sechs Monate lang in dem Mitgliedstaat, in dem er den Asylantrag gestellt hat, aufgehalten hat, bevor er seinen Asylantrag einreichte. In diesem Fall ist der letztgenannte Staat für die Prüfung des Asylantrages zuständig.

Artikel 10

(1) Der Mitgliedstaat, der nach den in diesem Übereinkommen definierten Kriterien für die Prüfung eines Asylantrages zuständig ist, ist verpflichtet:

a) den Asylwerber, der einen Antrag in einem anderen Mitgliedstaat gestellt hat, gemäß den Bestimmungen des Artikels 11 aufzunehmen;

b)

die Prüfung des Asylantrages bis zum Ende durchzuführen;

c)

den Asylwerber, dessen Antrag geprüft wird und der sich illegal in einem anderen Mitgliedstaat aufhält, wieder zuzulassen oder gemäß den Bestimmungen des Artikels 13 wieder aufzunehmen;

              d)              den Asylwerber, der seinen in Prüfung befindlichen Antrag zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hat, gemäß den Bestimmungen des Artikels 13 wieder aufzunehmen;

              e)              den Ausländer, dessen Antrag er abgelehnt hat und der sich illegal in einem anderen Mitgliedstaat aufhält, gemäß den Bestimmungen des Artikels 13 wieder aufzunehmen.

(2) Stellt ein Mitgliedstaat dem Asylwerber eine Aufenthaltserlaubnis für einen Aufenthalt von mehr als drei Monaten aus, so gehen die Pflichten gemäß Absatz 1 Buchstabe a) bis e) auf diesen Staat über.

(3) Die Pflichten gemäß Absatz 1 Buchstabe a) bis d) erlöschen, wenn der betreffende Ausländer das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für eine Dauer von mindestens drei Monaten verlassen hat.

..."

Die belangte Behörde wendete im Beschwerdefall Art. 10 Abs. 3 DÜ an und leitete aus der dort geregelten Dreimonatsfrist entscheidend ab, dass das bloß kurzfristige Verlassen des Hoheitsgebietes der Mitgliedstaaten durch den Beschwerdeführer die Zuständigkeit Italiens zur Prüfung des Asylantrages nicht zum Erlöschen gebracht habe. Es könne daher dahin stehen, wo sich der Beschwerdeführer zwischen der ersten und der zweiten Einreise nach Österreich aufgehalten habe, da dieser Zeitraum drei Monate nicht überstiegen habe.

Nach seinem Vorbringen ist der Beschwerdeführer nach seiner erstmaligen Einreise nach Österreich nach Albanien zurückgekehrt und über einen Drittstaat erneut auf dem Landweg in das Bundesgebiet eingereist, wo er einen Asylantrag gestellt hat. Das DÜ gibt bei dieser Konstellation keine Antwort auf die Frage, wer Einreisestaat iSd Artikel 6 DÜ sein soll. Die zuständigkeitsbegründenden Voraussetzungen dieses Artikels scheinen vielmehr sowohl für Italien (hinsichtlich der früheren Einreise) als auch für Österreich (hinsichtlich der dem Asylantrag zuletzt vorangegangenen Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten) erfüllt zu sein. In der Literatur wird im Falle der Ausreise eines Asylwerbers aus einem Mitgliedstaat des DÜ in einen Drittstaat und der neuerlichen Einreise in einen anderen Mitgliedstaat die Ansicht vertreten, angesichts der Erkenntnisse über die Hauptreiserouten illegaler Zuwanderung treffe den ersten Mitgliedstaat eine Mitverantwortung daran, wenn ein Asylwerber auf seinem weiteren Reiseweg zu einem späteren Zeitpunkt Asyl im gemeinsamen Hoheitsgebiet beantragt hat, weshalb dieser für die Prüfung zuständig sei (vgl. Löper, Das Dubliner Übereinkommen über die Zuständigkeit für Asylverfahren, ZAR 1/2000, 21) bzw. es soll jener Staat zuständig sein, bei dem sich ein Zuständigkeitskriterium zum ersten Mal verwirklicht hat (vgl. Schmid/Bartels, Handbuch zum Dubliner Übereinkommen, 84f); dies jeweils - im Sinne der belangten Behörde - unter der Voraussetzung der Einreise in den "nächsten" Mitgliedstaat innerhalb der dreimonatigen Frist des Artikel 10 Abs. 3 DÜ.

Im Beschwerdefall kommt aber zur - behaupteten - Ausreise in einen Drittstaat bzw. zur (neuerlichen) Einreise in das Bundesgebiet über einen Drittstaat noch die behauptete Rückreise des Beschwerdeführers in seinen Heimatstaat hinzu. Nach den zitierten Literaturmeinungen beruhen die Zuständigkeitskriterien des DÜ auf dem Prinzip, dass der Staat für die Prüfung eines Asylantrages zuständig sein soll, der für die Anwesenheit des Asylwerbers im gemeinsamen Hoheitsgebiet verantwortlich ist. Diese Verantwortung ist nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes aber dann nicht (mehr) gegeben, wenn sich der Asylwerber zwar schon (irgend wann) einmal in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, dort aber keinen Asylantrag gestellt hat und vor seiner neuerlichen Einreise in das Gebiet der Mitgliedstaaten wieder in seinen Heimatstaat zurückgekehrt ist. Zumindest in diesem Fall kann nicht davon gesprochen werden, dass der "erste" Mitgliedstaat für die Anwesenheit des Asylwerbers im "zweiten" Mitgliedstaat die Verantwortung trage, weil der Reiseweg des Asylwerbers von Neuem begonnen hat.

Es ist daher - entgegen der Ansicht der belangten Behörde - nicht ohne Bedeutung, ob dem Vorbringen des Beschwerdeführers über seinen Reiseweg Glauben zu schenken ist, weil diese Behauptungen auch ausgehend davon, dass es grundsätzlich auf die frühere Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten ankomme, zu einem anderen Ergebnis führen würden.

Ob die gemäß Art. 6 DÜ zuständigkeitsbegründende Verantwortung für die Anwesenheit des Asylwerbers im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Asylantragstellung nicht grundsätzlich - entgegen der Ansicht der zuvor genannten Autoren - bei demjenigen Mitgliedstaat liegt, über dessen Grenze der Asylwerber zuletzt in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten eingereist ist, bedarf bei der gegebenen Sachlage vorerst keiner Klärung.

Der angefochtene Bescheid war aus den dargestellten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 15. Mai 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2000010144.X00

Im RIS seit

24.06.2003

Zuletzt aktualisiert am

07.10.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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