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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Nichtowitz, über die Beschwerde des I alias C, geboren 1986, in A, vertreten durch Dr. Johannes Schuster, Rechtsanwalt in 2640 Gloggnitz, Hauptstraße 48, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 26. April 2002, Zl. 227.909/0- V/15/02, betreffend §§ 7 und 8 des Asylgesetzes 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird in seinem zweiten, die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria feststellenden Spruchteil wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, gelangte seinen Angaben zufolge am 13. Jänner 2002 in das Bundesgebiet und beantragte an diesem Tag die Gewährung von Asyl.
Im Zuge seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt (der Erstbehörde) gab er zu seinem Fluchtgrund befragt Folgendes an:
"Mein Vater starb vor meiner Geburt, meine Mutter bei meiner Geburt. Meine Eltern habe ich nie kennen gelernt. Ich wuchs bei meiner Großmutter mütterlicherseits auf, bei der Mutter meiner Mutter. Ich ging mit meiner Großmutter von Haus zu Haus um zu betteln. Dann verstarb meine Großmutter, das ist etwa 2 Monate her. Dann hatte ich niemanden mehr, der sich um mich kümmerte. ...
Ich ging viel auf den Straßen herum und wurde auch Zeuge von kriminellen Straftaten. Ich sah z.B. Raubüberfälle, Diebstähle. Einmal wurde einer Frau eine Halskette geraubt. Diese Wahrnehmungen habe ich den Bakassi erzählt. Ich habe gesagt, dass dieser Mann ein Dieb ist. Die Bakassi haben dann manchmal den Dieb erwischt und ihn zusammen geschlagen. Sie haben ihn dann gewarnt, dass er das nächste Mal strenger bestraft wird, wenn er wieder etwas anstellt. ...
Eines Tages sah ich einen Mann, der einer Frau eine Tasche geraubt hatte, er hatte ein Messer in der Hand, er verletzte die Frau damit. Dann rannte er weg. Ich meldete auch diesen Vorfall den Bakassi Leuten. Aber die Eltern des Burschen, der der Frau die Tasche geraubt hatte, drohten mir und sagten, wenn sie ihr Kind nicht mehr sehen, werden sie mich töten. ...
F: Hatten Sie vor irgend jemanden Angst in Nigeria, außer vor den Eltern des Burschen?
A: Vor den Leuten, die mich verfolgten. Ich hatte keine Eltern, hatte keinen sicheren Ort. Die Leute im Dorf wollten mich nicht akzeptieren, so wie sie es mit jedem anderen tun, der keine Eltern hat.
F: Inwiefern wurden Sie von den Leuten in Ihrem Heimatort verfolgt?
A: Die Burschen liefen mir z.B. mit einem Stock nach, ich lief davon. Sie wollten nicht, dass ich mitspiele. Sie wollten mich auch nicht sehen.
F: Sie gaben an, dass Sie von der Bevölkerung nicht akzeptiert wurden und Sie verjagt wurden. Wurden Sie von den Leuten auch geschlagen, verletzt, eingesperrt oder sonstiges?
A: Ich habe 2 Narben am Kopf, ein älterer Mann aus meinem Ort war das. Als ich noch bei meiner Großmutter wohnte, sagte dieser Mann, dass dieses Grundstück ihm gehöre. Er hat mit uns gestritten. ...
F: Was befürchten Sie bei einer Rückkehr nach Nigeria?
A: Ich habe Angst getötet zu werden, von all den Leuten, die
hinter mir her waren, z.B. von dem Mann, der mich am Kopf verletzte, oder den Eltern, dessen Sohn ich den Bakassi verriet."
Mit Bescheid vom 6. März 2002 wies die Erstbehörde den Asylantrag gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) ab und sprach aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung (des Beschwerdeführers) nach Nigeria gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Begründend führte sie unter Wiedergabe des Vorbringens des Beschwerdeführers vor der Erstbehörde und nach Aufzählung von vier Grundanforderungen an ein Vorbringen als glaubhaft aus, der Beschwerdeführer habe keine Dokumente in Vorlage gebracht. Seine "Person" stehe nicht fest. Es könne nicht festgestellt werden, dass ihm in seinem Heimatland Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) drohe. Auch könne nicht festgestellt werden, dass ihm im Fall einer Rückkehr eine Gefahr im Sinn des § 57 des Fremdengesetzes 1997 (FrG) drohe. Er habe sein Heimatland wegen allgemeiner Benachteiligungen und Bedrohung durch Privatpersonen verlassen. Der festgestellte Sachverhalt ergebe sich aus der Vernehmung des Beschwerdeführers. In rechtlicher Hinsicht folgerte die Erstbehörde, der Beschwerdeführer habe sein Heimatland verlassen, weil er als Waise von anderen Bewohnern nicht akzeptiert und einige Male geschlagen worden wäre. Das Asylrecht schütze Personen, gegen die mit staatlichen Maßnahmen von erheblicher Intensität in Verfolgungsabsicht vorgegangen werde. In diesem Sinn gelte nur zielgerichtetes Handeln des Heimatstaates als Verfolgung, das sich direkt gegen den Einzelnen wende und in dessen Leib, Leben, Freiheit oder psychische Integrität eingreife. Nicht als Verfolgung gelte aber ein Nachteil, der sich aus der allgemeinen Situation ergebe und der jedermann treffen könnte, der dort lebe. Nachteile, die auf die allgemeinen politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Lebensbedingungen in einem Staat zurückzuführen seien, stellten keine Verfolgung im Sinne der GFK dar. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers könne nicht entnommen werden, dass die Behandlung, die er durch Mitbürger erfahren habe, behördliche Unterstützung gefunden habe oder sogar von den Behörden des Heimatlandes forciert worden wäre. Bezüglich der Morddrohungen durch die Eltern eines Burschen, den der Beschwerdeführer bei den Bakassi-Boys verraten hätte, sei auszuführen, dass es sich dabei um Drohungen von Privatpersonen handle. Die befürchteten Übergriffe durch Private stellten auch im Heimatland des Beschwerdeführers strafbare Handlungen dar. Eine Billigung dieser Übergriffe durch die Behörden seines Heimatstaates könne nicht erkannt werden. Der Beschwerdeführer habe auch nicht dargetan, dass diese Übergriffe von den Behörden seines Heimatlandes geduldet worden wären oder dass er, hätte er sich an diese gewandt, keinen Schutz erhalten hätte. Es liege auch außerhalb der Möglichkeit eines Staates, jeden denkbaren Übergriff Dritter präventiv zu verhindern, was sich daraus erkennen lasse, dass überall Institutionen zur Strafrechtspflege eingerichtet seien, die andernfalls überflüssig wären. Es könne von keinem Staat verlangt werden, dass er jeden seiner Staatsbürger jederzeit umfassend schütze. Außerdem sei es dem Beschwerdeführer frei gestanden, sich in einen anderen Teil Nigerias zu begeben. Insgesamt beurteilt habe der Beschwerdeführer also nichts vorzubringen vermocht, was unter einen Tatbestand der GFK subsumierbar wäre, und sei demnach nicht Flüchtling. Zum Abspruch nach § 8 AsylG führte die Erstbehörde aus, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 57 Abs. 2 FrG sei bereits zur Frage der Asylgewährung geprüft und verneint worden. Betreffend den Prüfungsrahmen nach § 57 Abs. 1 FrG vertrat die Erstbehörde die Ansicht, die Bedrohung müsse vom Staat ausgehen oder zumindest von diesem gebilligt werden. Diese Voraussetzung sei jedoch im Fall des Beschwerdeführers nicht gegeben. Er habe nämlich vorgebracht, Verfolgung lediglich von Seiten Dritter zu befürchten. Dabei handle es sich um Bedrohungen von Privatpersonen. Da er nicht vorgebracht habe, dass der Staat diese Maßnahmen gebilligt hätte, könne nicht von einer Bedrohungssituation im Sinn der zitierten Bestimmung ausgegangen werden. Es könne auch nicht verlangt werden, dass ein Staat in jedem Fall in der Lage sein müsse, alle möglichen Angriffe Dritter präventiv zu verhindern. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Befürchtungen mögen zwar für ihn persönlich unangenehm erscheinen, das Ausmaß einer unmenschlichen Behandlung im Sinn des Art. 3 EMRK erreichten sie jedoch nicht.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er seinen Standpunkt aufrecht erhielt, dass ihm Asyl zu gewähren sei und überdies stichhaltige Gründe für eine Bedrohung im Sinn des § 57 FrG vorlägen.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 7 AsylG ab und sprach gemäß § 8 AsylG "in Verbindung mit § 57 Abs. 1" FrG die Feststellung aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei. Nach kurzer Darstellung des Verfahrensganges führte die belangte Behörde begründend aus:
"Sein damaliges Vorbringen wurde im Bescheid des Bundesasylamtes, Außenstelle Traiskirchen, vom 6. März 2002 ... im wesentlichen vollständig und richtig wiedergegeben, sodass der diesbezügliche Teil genannten Bescheides zum Inhalt gegenständlichen Bescheides erhoben wird.
Die erstinstanzliche Behörde hat den in Rede stehenden Asylantrag mit obig zitiertem Bescheid abgewiesen und festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig wäre.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer durch seinen gesetzlichen Vertreter Berufung und führte aus, er wäre Flüchtling iSd. GFK, da er sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befände und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt wäre, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen. Überdies lägen stichhaltige Gründe für die Annahme vor, dass er Gefahr liefe, in Nigeria einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden bzw. dort sein Leben oder seine Freiheit aus Gründen der Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten bedroht wäre.
Rechtlich wird hiezu nachstehend ausgeführt:
Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
Gemäß § 8 AsylG hat die Behörde im Falle einer Abweisung des Asylantrages von Amtswegen bescheidmäßig festzustellen, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist.
Die erstinstanzliche Behörde hat in der Begründung des Bescheides vom 6. März 2002 ... die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst. Der Unabhängige Bundesasylsenat als Berufungsbehörde schließt sich den bezughabenden Ausführungen des Bundesasylamtes zu beiden Spruchpunkten vollinhaltlich an und erhebt diese zum Inhalt gegenständlichen Bescheides. Das vom Beschwerdeführer erstattete Vorbringen stützt sich auf keinen in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Verfolgungsgrund.
Gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG, in der Fassung BGBl. I 1998/28 iVm. § 67d AVG konnte von einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung (in der der Beschwerdeführer keine neuen Tatsachenbehauptungen aufstellte, sondern im wesentlichen den Inhalt gesetzlicher Bestimmungen wiedergab) zur Beurteilung ausreichend geklärt erschien. Als "geklärt" im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. hiezu Zl. 98/01/0308 v. 11.11.1998) ist der Sachverhalt dann anzusehen, wenn er nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt neu und in konkreter Weise behauptet wird."
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die Beschwerde sieht zunächst die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften darin, dass die belangte Behörde zu Unrecht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen habe. Dadurch sei dem Beschwerdeführer die Möglichkeit genommen worden, seine bereits in erster Instanz erstatteten Tatsachenbehauptungen unter Beweis zu stellen.
Ausgehend von dem vor der Erstbehörde und in der Berufung erstatteten Vorbringen mangelt es einer allfälligen Verletzung der Verhandlungspflicht jedoch an Relevanz.
Unter Zugrundelegung der Behauptungen des Beschwerdeführers - seine Furcht vor Verfolgung durch die Eltern des an die Bakassi-Boys verratenen Sohnes sowie durch den ehemaligen Nachbarn seiner Großmutter - kann die behauptete Verfolgung durch Dritte, nämlich keinem der in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Gründen untergeordnet werden, weshalb gegen die Versagung von Asyl keine Bedenken bestehen. Die gegen die Versagung von Asyl gerichtete Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Schließlich wendet sich die Beschwerde gegen die im Grunde des § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 Abs. 1 FrG beschränkte Feststellung der belangten Behörde, deren tragende Erwägung sich nur anhand der Begründung der Erstbehörde erschließt, die - betreffend die Gefährdung nach § 57 Abs. 1 FrG - die Ansicht vertrat, die Bedrohung müsse vom Staat ausgehen oder zumindest von diesem gebilligt werden. Dadurch, dass die belangte Behörde die Rechtsansicht der Erstbehörde, wonach unter dem Blickwinkel des § 57 Abs. 1 FrG bei einer Bedrohung durch Privatpersonen eine Billigung von Seiten des Staates erforderlich sei, rezipierte, belastete sie den angefochtenen Bescheid in seinem Spruchabschnitt über die Feststellung nach § 8 AsylG mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, weshalb der Bescheid in diesem Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 21. November 2002, Zl. 2000/20/0313, mwN). Der Vollständigkeit halber sei für das weitere Verfahren auch darauf hingewiesen, dass die spruchmäßige Beschränkung der Feststellung nach § 8 AsylG auf Bedrohungen im Sinne des § 57 Abs. 1 FrG nicht dem Gesetz entspricht.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Die Abweisung des Mehrbegehrens folgt daraus, dass der Anspruch auf einen den Betrag von EUR 908,-- übersteigenden Schriftsatzaufwand einer gesetzlichen Grundlage entbehrt.
Wien, am 15. Mai 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2002010262.X00Im RIS seit
18.07.2003