TE Vwgh Erkenntnis 2003/5/15 2001/01/0096

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Veröffentlicht am 15.05.2003
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

AVG §60;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Nichtowitz, über die Beschwerde des U in H, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 25. Jänner 2001, Zl. Ia 370-896/2000, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß §§ 10, 11a, 12, 13 und 14 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG) ab. Begründend führte sie aus, der Beschwerdeführer, 1979 in L geboren und türkischer Staatsangehöriger, habe sich bis September 1987 in Österreich aufgehalten, sei dann in die Türkei verzogen und habe seit 30. Jänner 1989 ununterbrochen seinen Hauptwohnsitz in Österreich. Er habe insgesamt drei Jahre Volksschule und fünf Jahre Sonderschule in Österreich besucht, keine Berufsausbildung absolviert und sei seit 1996 als Metallarbeiter beschäftigt.

Von der Bezirkshauptmannschaft B sei er wie folgt bestraft worden:

"mit Bescheid vom 16.05.1998, Zl. X-alt-1998/17308, wegen einer Übertretung nach § 102 Abs. 10 KFG 1967 mit einer Geldstrafe von S 300,--;

mit Bescheid vom 16.05.1998, Zl. X-alt-1998/17308, wegen einer Übertretung nach § 102 Abs. 10 KFG 1967 mit einer Geldstrafe von S 300,--;

mit Bescheid vom 24.05.1998, Zl. X-alt-1998/14718, wegen einer Übertretung nach § 102 Abs. 10 KFG 1967 mit einer Geldstrafe von S 400--;

mit Bescheid vom 24.05.1998, Zl. X-alt-1998/14718, wegen einer Übertretung nach § 102 Abs. 10 KFG 1967 mit einer Geldstrafe von S 400,--;

mit Bescheid vom 24.05.1998, Zl. X-alt-1998/14718, wegen einer Übertretung nach § 102 Abs. 1 KFG 1967 mit einer Geldstrafe von S 400,--;

mit Bescheid vom 24.05.1998, Zl. X-alt-1998/14718, wegen Übertretungen nach den §§ 102 Abs. 1 und 7 KFG in Verbindung mit § 4 Abs. 4 KDV mit einer Geldstrafe von S 400,--;

mit Bescheid vom 16.01.1999, Zl. X-alt-1999/2549, wegen einer Übertretung nach § 37 Abs. 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Z. 1 Führerscheingesetz mit einer Geldstrafe von S 500,--;

mit Bescheid vom 16.01.1999, Zl. X-alt-1999/2549, wegen einer Übertretung nach § 108 Abs. 1 Z 2 Fremdengesetz mit einer Geldstrafe von S 300,--;

mit Bescheid vom 16.01.1999, Zl. X-alt-1999/2549, wegen einer Übertretung nach § 103 Abs. 1 Z 1 KFG 1967 mit einer Geldstrafe von S 600,--;

mit Bescheid vom 29.05.1999, Zl. X-alt-1999/15606, wegen Übertretungen nach den §§ 52 lit. a Z 10a und 99 Abs. 3 lit. a StVO mit einer Geldstrafe von S 350,--;

mit Bescheid vom 21.08.1999, Zl. X-alt-1999/19829, wegen Übertretungen nach den §§ 52 lit. a Z 10a und 99 Abs. 3 lit. a StVO mit einer Geldstrafe von S 1.500,--;

mit Bescheid vom 21.08.1999, Zl. X-alt-1999/19829, wegen Übertretungen nach den §§ 16 Abs. 2 lit. a in Verbindung mit 52 lit. a Z 4a und 99 Abs. 3 lit. a StVO mit einer Geldstrafe von S 700,--;

mit Bescheid vom 21.08.1999, Zl. X-alt-1999/19829, wegen einer Übertretung nach § 102 Abs. 5 lit. b KFG 1967 mit einer Geldstrafe von S 300,--;

mit Bescheid vom 21.08.1999, Zl. X-alt-1999/19829, wegen einer Übertretung nach § 37 Abs. 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Z 1 Führerscheingesetz mit einer Geldstrafe von S 500,--;

mit Bescheid vom , Zl. X-alt-1999/23967, wegen einer Übertretung nach § 42 Abs. 1 KFG 1967 mit einer Geldstrafe von S 300,--;

mit Bescheid vom 29.10.1999, Zl. X-9-2000/5719, wegen einer Übertretung nach § 38 Abs. 5 StVO in Verbindung mit § 38 Abs. 1 lit. a StVO mit einer Geldstrafe von S 800,--;

mit Bescheid vom 31.01.2000, Zl. X-9-2000/4423, wegen einer Übertretung nach § 37 Abs. 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Z 1 Führerscheingesetz mit einer Geldstrafe von S 500,--;

mit Bescheid vom 10.02.2000, Zl. X-9-2000/8937, wegen einer Übertretung nach Art. III Abs. 5 lit. a der 3. KFG-Novelle, BGBl. Nr. 352/1976 i.d.g.F., mit einer Geldstrafe von S 200,--;

mit Bescheid vom 03.05.2000, Zl. X-9-2000/15711, wegen einer Übertretung nach § 102 Abs. 5 lit. b KFG mit einer Geldstrafe von S 300,--;

mit Bescheid vom 03.05.2000, Zl. X-9-2000/15711, wegen einer Übertretung nach § 108, Abs. 1 Z 2 Fremdengesetz mit einer Geldstrafe von S 300,--;"

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde nach Darstellung der von ihr angewendeten Vorschrift des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG aus, der Beschwerdeführer sei - unbestritten - wegen 20 Verwaltungsübertretungen, begangen in einem Zeitraum von zwei Jahren, bestraft worden. Dabei habe es sich immer wieder um Übertretungen nach der Straßenverkehrsordnung und dem Kraftfahrgesetz gehandelt. Der Beschwerdeführer habe somit wiederholt Vorschriften, die zum Schutz von Leben und Gesundheit Dritter erlassen worden seien, missachtet. So habe er "bei der Übertretung am 21. August 1999" die zulässige Höchstgeschwindigkeit um mehr als 40 % überschritten. Im Zuge der Geschwindigkeitsübertretung habe er ein mehrspuriges Kraftfahrzeug auf einer Straße, die durch das Vorschriftszeichen "Überholen verboten" gekennzeichnet gewesen sei, überholt. Weiters habe der Beschwerdeführer seit 1998 wiederholt bestraft werden müssen, weil er seinen Führerschein und/oder seinen Reisepass nicht mit sich geführt habe. Es handle sich auch dabei keineswegs um geringfügige Übertretungen, da durch das Nichtmitführen der erforderlichen Dokumente das Exekutivorgan vor Ort keine oder nur erschwerte Möglichkeiten habe, zu überprüfen, ob sich der Fahrzeuglenker überhaupt im Besitz einer gültigen Lenkerberechtigung befinde bzw. durch das Nichtmitführen des Reisepasses nicht ohne Weiteres festgestellt werden könne, ob sich der betreffende Fremde überhaupt rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Dieses Verhalten lasse den Schluss zu, dass der Beschwerdeführer möglicherweise auch in Zukunft wesentliche Vorschriften missachten werde, die zur Abwehr und Unterdrückung von Gefahren für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit bzw. für die anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen erlassen worden seien. Es könne daher derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass der Verleihungswerber Gewähr dafür biete, keine Gefahr für die genannten Interessen zu sein.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde hat die Versagung der Verleihung der Staatsbürgerschaft ausschließlich mit dem Mangel der Verleihungsvoraussetzung nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG begründet.

§ 10 StbG 1985 in der Fassung der Staatsbürgerschaftsnovelle 1998, BGBl. I Nr. 124, lautet auszugsweise:

"Verleihung

§ 10. (1) Die Staatsbürgerschaft kann einem Fremden verliehen werden, wenn

...

6. er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt, noch andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet;

..."

Bei der Klärung der Frage, ob die Verleihungsvoraussetzung nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG gegeben ist, ist vom Gesamtverhalten des Einbürgerungswerbers auszugehen. Dieses ist wesentlich durch das sich aus der Art, Schwere und Häufigkeit der von ihm begangenen Straftaten ergebende Charakterbild bestimmt. Hiebei stellt der Gesetzgeber nicht auf formelle Gesichtspunkte ab, sondern es ist lediglich maßgebend, ob es sich um Rechtsbrüche handelt, die den Schluss rechtfertigen, der Betreffende werde auch in Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung - oder andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte Rechtsgüter - erlassene Vorschriften missachten. Aus der Art, der Schwere und der Häufigkeit solcher Verstöße kommt die negative Einstellung des Betreffenden gegenüber den zur Hintanhaltung von Gefahren für Leben, Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit erlassenen Gesetzen in deutlicher Weise zum Ausdruck. Dies gilt auch für Verstöße gegen Schutznormen, die der Ordnung und Sicherheit des Straßenverkehrs dienen. Übertretungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit in erheblichem Ausmaß stellen schwerwiegende Verstöße gegen derartige Schutznormen dar (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom 11. Juni 2002, Zl. 2000/01/0190, mwN).

Es bedarf unter dem Blickwinkel des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG einer materiellen Prüfung der Persönlichkeit des Einbürgerungswerbers. Eine solche Prüfung gebietet einen Rückgriff auf die den rechtskräftigen Verurteilungen zugrundeliegenden Taten, weil nur so ein Rückschluss auf das Charakterbild des Staatsbürgerschaftswerbers möglich ist. Im Einzelnen heißt das, dass die Behörde die maßgeblichen Tathandlungen, die näheren Umstände und den Zeitpunkt der Tatbegehung zu ermitteln hat (vgl. das Erkenntnis vom 24. November 1999, Zl. 99/01/0323).

Die belangte Behörde beschränkte sich darauf, hinsichtlich der von ihr zugrunde gelegten 20 verwaltungsbehördlichen Bestrafungen zum größten Teil nur die übertretenen Verwaltungsstraftatbestände sowie die dafür über den Beschwerdeführer verhängten Verwaltungsstrafen zu zitieren, ohne jeweils nähere Feststellungen über das diesen Bestrafungen zugrunde liegende, einer Beurteilung nach der genannten Bestimmung zuzuführende Verhalten des Beschwerdeführers zu treffen. Allein die Zahl der Verwaltungsübertretungen und ihre Zuordnung zu einzelnen Rechtsbereichen ist jedoch noch nicht hinreichend aussagekräftig. Zudem deuten idente Bescheiddaten in mehreren Fällen - der Bescheid vom 24. Mai 1998 etwa ist in den Feststellungen vier Mal angeführt - darauf hin, dass es im Zuge eines bestimmten Verhaltens des Beschwerdeführers zur Verwirklichung mehrerer Tatbestände gekommen ist. Soweit die belangte Behörde hinsichtlich der Verwaltungsübertretung vom 21. August 1999 näher feststellte, der Beschwerdeführer habe die zulässige Höchstgeschwindigkeit um mehr als 40 % überschritten (nach der im Akt einliegenden Strafverfügung betrug die erlaubte Geschwindigkeit 80 km/h, die gemessene Geschwindigkeit 114 km/h) und er habe im Zuge der Geschwindigkeitsübertretung trotz eines Überholverbotes ein mehrspuriges Fahrzeug überholt sowie, er habe mehrmals seinen Führerschein bzw. seinen Reisepass nicht mit sich geführt, vermögen allein diese Feststellungen die Prognose der belangten Behörde über das zukünftige Verhalten des Beschwerdeführers im Hinblick auf § 10 Abs. 1 Z 6 StbG nicht zu stützen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. März 2003, Zl. 2001/01/0427). Die Einmaligkeit der Geschwindigkeitsübertretung sowie die, wenn auch mehrmaligen, Verstöße gegen das Fremden- und Führerscheingesetz rechtfertigen nicht die Schlussfolgerung, dass aus der Art, der Schwere und der Häufigkeit bestimmter Verstöße eine negative Einstellung des Beschwerdeführers gegenüber den zur Hintanhaltung von Gefahren für Leben, Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit erlassenen Gesetzen in deutlicher Weise zum Ausdruck käme. Zu dieser abschließenden Beurteilung bedarf es konkreter Feststellungen über die näheren Umstände der Deliktsbegehung, auf Grund derer eine verlässliche Prognoseentscheidung möglich ist.

Die fehlenden Feststellungen über das verwaltungsbehördlich strafbare Verhalten des Beschwerdeführers verwehren dem Verwaltungsgerichtshof aber die nachprüfende Kontrolle der von der belangten Behörde vertretenen Ansicht, der Beschwerdeführer erfülle nicht die Verleihungsvoraussetzung nach § 10 Abs. 1 Z 6 StbG, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.

Abschließend sei festgehalten, dass der Verwaltungsgerichtshof die vom Beschwerdeführer in seiner Beschwerde geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Bestimmung des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG ebenso wenig zu teilen vermag wie die Ansicht, die Berücksichtigung verwaltungsbehördlicher Strafverfügungen bei der Beurteilung des Verhaltens eines Einbürgerungswerbers verstoße gegen Art. 6 Abs. 2 und gegen Art. 8 EMRK.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Die im Betrag von S 2.500,-- entrichtete Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG war im Betrag von EUR 181,68 zuzusprechen.

Wien, am 15. Mai 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2001010096.X00

Im RIS seit

20.06.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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