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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §6 Z3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Nichtowitz, über die Beschwerde des 1980 geborenen B in Wien, vertreten durch Mag. Daniela Ehrlich, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Strauchgasse 1-3, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 26. November 2001, Zl. 223.819/0-III/07/01, betreffend § 6 Z 3 und § 8 des Asylgesetzes 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, seinen Angaben zufolge ein Staatsangehöriger von Sierra Leone, gelangte am 24. Mai 2001 in das Bundesgebiet und beantragte am darauf folgenden Tag die Gewährung von Asyl. Im Rahmen seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt (die Erstbehörde) begründete er seine Flucht damit, dass im Oktober 2000 in seinem Heimatort, Peyama Village, zwei Priester - und auch mehrere Zivilpersonen - von RUF-Truppen getötet worden seien. Aus Angst vor Zwangsrekrutierung und Tötung sei er geflohen.
Mit Bescheid vom 20. August 2001 wies die Erstbehörde den Asylantrag gemäß § 6 Z 3 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) als offensichtlich unbegründet ab und sprach aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung (des Beschwerdeführers) nach Sierra Leone gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Zusammengefasst bewogen mangelnde Kenntnisse des Beschwerdeführers über Sierra Leone, mangelnde Kenntnisse der dort gebräuchlichen Sprache Krio und eine eingeholte Sprachanalyse die Erstbehörde dazu, das Vorbringen des Beschwerdeführers als offensichtlich nicht den Tatsachen entsprechend zu würdigen.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem unabhängigen Bundesasylsenat (der belangten Behörde) schilderte der Beschwerdeführer neuerlich seinen Fluchtgrund - in seinem Heimatdorf Payema sei ein Rebellensoldat getötet worden, worauf die Anführer der RUF Jugendliche, darunter den Beschwerdeführer, der Tat verdächtigt hätten - und beantwortete Fragen über Sierra Leone.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 6 Z 3 AsylG ab (Spruchpunkt 1.) und sprach gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 des Fremdengesetzes 1997 die Feststellung aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone zulässig sei (Spruchpunkt 2.). Nach zusammenfassender Darstellung des erstinstanzlichen Verfahrens und des Inhaltes der Berufung führte die belangte Behörde begründend aus:
"In der Folge wurde am 23.11.2001 vor dem unabhängigen Bundesasylsenat eine öffentliche mündliche Verhandlung gem. § 67 d AVG durchgeführt, bei welcher es dem Asylwerber jedoch nicht gelungen ist, sein Vorbringen (einschließlich seiner Identität und seinem behaupteten Herkunftsstaat Sierra Leone) glaubhaft zu machen.
Im Einzelnen ergibt sich die Unglaubwürdigkeit seiner Angaben aus nachstehenden Erwägungen:
Allgemein ist zunächst auszuführen, dass eine Aussage grundsätzlich nur dann als glaubhaft qualifiziert werden kann, wenn das Vorbringen des Asylwerbers nicht mit Widersprüchen behaftet ist, er sohin in beiden Instanzen im Wesentlichen den selben Lebenssachverhalt schildert. Weiters muss das Vorbringen plausibel sein, dh. mit überprüfbaren Tatsachen oder der allgemeinen Lebenserfahrung entspringenden Erkenntnissen übereinstimmen.
Diesen Anforderungen werden die Angaben des Asylwerbers nicht
gerecht.
..."
Daran anschließend begründete die belangte Behörde ihren "Eindruck der Unglaubwürdigkeit der Angaben" des Beschwerdeführers im Wesentlichen damit, dass seine Fluchtgeschichte im Widerspruch zu aktuellen Berichten über die Sicherheitslage in Sierra Leone stünde und vor der Erst- und der belangten Behörde widersprüchlich dargelegt worden sei. Seine Angaben zu geographischen Gegebenheiten über sein Heimatdorf und seine Umgebung hätten sich als unrichtig erwiesen. Dieser Eindruck werde durch die erstinstanzlich in Auftrag gegebene Sprachanalyse bestärkt. Rechtlich folge aus den Erwägungen zur Beweiswürdigung, dass die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Bedrohungssituation im Sinn des § 6 Z 3 AsylG offensichtlich nicht den Tatsachen entspreche. Da keine sonstigen Hinweise vorlägen, dass der Asylwerber in Sierra Leone konkrete Verfolgungsgefahr zu gewärtigen hätte, sei sein Asylantrag gemäß § 6 Z 3 AsylG abzuweisen gewesen. Ihre Feststellung nach § 8 AsylG begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, auf Grund der Unglaubwürdigkeit der Angaben bestünden keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass der Beschwerdeführer in Sierra Leone - im Kontext mit der behaupteten Fluchtgeschichte - aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten bedroht wäre. Somit verbliebe zu klären, ob stichhaltige Gründe für die Annahme der Gefahr einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bestünden. Diesbezüglich treffe den Beschwerdeführer eine Mitwirkungspflicht bezüglich jener Umstände, die in seiner Sphäre gelegen seien und deren Kenntnis sich die belangte Behörde nicht von Amts wegen verschaffen könne. Die Gefahr müsse sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen, die drohende Maßnahme müsse von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu gelangen. Eine solche Glaubhaftmachung sei dem Beschwerdeführer jedoch nicht gelungen. Es seien weiters keine Umstände bekannt, dass in Sierra Leone landesweit eine solche extreme Gefährdungslage bestünde, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehre, einer Gefährdung im Sinn des Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Vielmehr sei - wie sich aus den Berichten des österreichischen Honorarkonsuls in Freetown ergebe - die Lage in weiten Teilen des Landes stabil, ruhig und sicher.
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfasst der Tatbestand des § 6 Z 3 AsylG nur Fälle "qualifizierter Unglaubwürdigkeit", nicht jedoch solche einer "schlichten Unglaubwürdigkeit" des Asylwerbers. Gelangt die Asylbehörde auf dem Boden ihrer Beweiswürdigung zu dem Ergebnis, dass das Vorbringen eines Asylwerbers als unglaubwürdig zu werten ist, so ist damit noch nichts darüber ausgesagt, ob es ein solches Maß an Unglaubwürdigkeit erreicht, dass der Tatbestand des § 6 Z 3 AsylG als erfüllt angesehen werden kann. Letzteres kann nur dann angenommen werden, wenn Umstände vorliegen, die besonders deutlich die Unrichtigkeit der erstatteten Angaben vor Augen führen. Es muss unmittelbar einsichtig ("eindeutig", "offensichtlich") sein, dass die abgegebene Schilderung tatsächlich wahrheitswidrig ist. Dieses Urteil muss sich quasi "aufdrängen", der (die) dazu führende(n) Gesichtspunkt(e) muss (müssen) klar auf der Hand liegen, sei es allenfalls auch deshalb, weil nach einem Ermittlungsverfahren "Hilfstatsachen" (z.B. fehlende Kenntnis der behaupteten Stammessprache) substantiell unbestritten bleiben (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. August 2001, Zl. 2000/01/0214).
Dem entgegen legte die belangte Behörde im vorliegenden Fall - soweit ersichtlich - lediglich den Maßstab einer "schlichten" Unglaubwürdigkeit zu Grunde (arg.: "... glaubhaft ...", "... Unglaubwürdigkeit seiner Angaben ...", "... als glaubhaft qualifiziert ..." etc.) und gewann unter Heranziehung dieses Maßstabes den "Eindruck der Unglaubwürdigkeit" des Beschwerdeführers.
Die belangte Behörde belastete den angefochtenen Bescheid schon dadurch, dass sie das Erfordernis einer offensichtlichen Unglaubwürdigkeit nach § 6 Z 3 AsylG mit einer Abweisungsreife des Asylantrages nach § 7 AsylG gleichsetzte, mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 21. März 2002, Zl. 99/20/0419, mwN).
Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Die Abweisung des Mehrbegehrens an Umsatzsteuer gründet sich darauf, dass die Abgeltung von Umsatzsteuer bereits im pauschalierten Schriftsatzaufwand enthalten ist.
Wien, am 15. Mai 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2002010086.X00Im RIS seit
11.08.2003