TE Vwgh Erkenntnis 2003/5/15 2001/01/0535

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Veröffentlicht am 15.05.2003
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnC;
FrG 1997 §83;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Nichtowitz, über die Beschwerde des M in Wien, geboren 1963, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwedenplatz 2/74, gegen den am 17. Oktober 2001 mündlich verkündeten und am 19. Oktober 2001 schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 203.573/22- XII/36/01, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zur Vorgeschichte dieses Verfahrens ist auf das Erkenntnis vom 22. Mai 2001, Zl. 2000/01/0076, zu verweisen.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen der Demokratischen Republik Kongo, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 8. Jänner 1992, mit dem der Asylantrag des Beschwerdeführers abgewiesen worden war, "gemäß § 7 AsylG (Asylgesetz 1997)" abgewiesen.

In der Begründung traf die belangte Behörde nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens folgende Feststellungen:

"Das oben wiedergegebene Vorbringen des (Beschwerdeführers) betreffend die Gründe seiner Flucht aus dem damaligen Zaire und betreffend die exilpolitische Betätigung in Österreich (Teilnahme an einer Demonstration am 13.6.1997 in Wien, Boltzmanngasse) werden für glaubhaft erachtet und der Entscheidung zugrunde gelegt. Der (Beschwerdeführer) trug bei der genannten Demonstration ein Spruchband. Bei der Demonstration wurden Filmaufnahmen angefertigt, wobei nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass diese Behörden der DR Kongo zur Kenntnis gelangt sein könnten. Dem staatspolizeilichen Dienst sind keine Informanten bekannt, die Informationen über eine allenfalls im Bundesgebiet bestehende exilpolitische Szene der DR Kongo an dortige Regierungsstellen weiter leiten könnten. Bis dato sind dem staatspolizeilichen Dienst keinerlei Aktivitäten solcher Personen in Österreich bekannt geworden, wobei Schwarzafrika grundsätzlich kein Interessensgebiet des staatspolizeilichen Dienstes ist. Der (Beschwerdeführer) war im Übrigen im Zeitraum 1999 bis 2000 Kassier des in Österreich bestehenden UDPS-Vereins und war damit befasst, Mitgliedsbeiträge von Schilling 50,-- für diesen Verein einzuheben. Sein Name scheint in verschiedenen Schriftstücken des österreichischen UDPS-Vereins auf.

Der (Beschwerdeführer) hat im Oktober 2000 bei der in Brüssel ansässigen Botschaft der DR Kongo einen Reisepass beantragt, der ihm am 6.10.2000 ausgestellt wurde. Eine Kopie dieses Reisepasses befindet sich in der Beilage zur Mitteilung der BPD Wien OZ 17. Der (Beschwerdeführer) hat in der Folge am 31.7.2001 einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Zweck 'Familiengemeinschaft mit Österreicher' gestellt, da er am 7.5.1999 vor dem Standesamt Baden die österreichische Staatsangehörige (Name) geehelicht hat und seit 7.12.2000 zusammen mit dieser in Wien wohnhaft ist. Er hat den Reisepass beantragt, um diese Niederlassungsbewilligung zu erhalten und solcherart die Möglichkeit zu erlangen, in Österreich einer legalen Beschäftigung nachzugehen. Auf Grund seines langen Aufenthaltes in Österreich hat der Berufungswerber das Bedürfnis, hier einer Beschäftigung nachgehen zu dürfen und hat aus diesem Grund den Reisepass seines Heimatstaates und in der Folge auch die Niederlassungsbewilligung beantragt."

In rechtlicher Hinsicht beurteilte die belangte Behörde diesen Sachverhalt wie folgt:

"Gemäß § 7 Asylgesetz 1997 hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Gemäß Art. 1 Abschnitt C Z 1 der GFK liegt ein derartiger Endigungsgrund dann vor, wenn sich eine Person freiwillig erneut dem Schutz des Landes, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, unterstellt. Eine derartige Unterschutzstellung ist in der Regel dann gegeben, wenn ein Asylwerber bzw. Flüchtling erfolgreich einen Reisepass seines Heimatlandes beantragt. Diesbezüglich ist ua. auf das Handbuch des UNHCR über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Randzahl 120 bis 124 zu verweisen. Dort wird ua. ausgeführt, dass die Beantragung eines Reisepasses darauf schließen lässt, dass der Flüchtling die Absicht hat, erneut den Schutz des Landes seiner Staatsangehörigkeit in Anspruch zu nehmen, sofern er nicht Beweise vorbringen kann, die diese Annahme widerlegen könnten. Des Weiteren ist auf die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach die Ausstellung oder Verlängerung eines Reisepasses den Tatbestand des Art. 1 Abschnitt C Z 1 der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllt, wenn nicht im konkreten Einzelfall ein dieser rechtlichen Beurteilung entgegen stehender Sachverhalt aufgezeigt wird (siehe zu dieser Rechtsprechung Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 1997 E. 254 zu § 7 AsylG).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Behauptung des Berufungswerbers, wonach er sich durch die Antragstellung um einen Reisepass nicht unter den Schutz seines Heimatstaates begeben wollte ('Mentalreservation' bei der Antragstellung) an dieser Rechtsfolge nichts ändern. Diese 'Mentalreservation' beeinträchtigt nämlich nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes die freie Willensbildung nicht. Ist die Willensbildung solcherart frei von physischen oder psychischen Zwängen gewesen, so ist der Asylwerber auch für das von ihm gewollte Tun (die Antragstellung auf Ausstellung des Reisepasses) verantwortlich und entfaltet diese gegen ihn die Wirkung des Art. 1 Abschnitt C Z 1 der GFK (vgl. VwGH 20.12.1995, 95/01/0441 und viele andere, im Einzelnen angeführt in Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 1997, E. 254 zu § 7 AsylG).

Selbst wenn also der (Beschwerdeführer) angibt, dass er sich durch die Beantragung und Ausstellung des Reisepasses nicht unter den Schutz seines Heimatstaates stellen habe wollen, ist dennoch der Tatbestand des Art. 1 Abschnitt C Z 1 der GFK erfüllt. Ein dieser rechtlichen Beurteilung entgegen stehender Sachverhalt wurde nicht aufgezeigt. Aus den Feststellungen ergibt sich nämlich, dass der (Beschwerdeführer) den Reisepass aus freiem Willen und ohne Zwang beantragt hat. Es ist auch kein sonstiger Umstand ersichtlich, der den (Beschwerdeführer) zur Antragstellung genötigt haben könnte, zumal seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten, im Zeitpunkt der Ausstellung des Reisepasses anhängigen Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt war, sodass er gemäß § 19 AsylG über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung für Asylwerber verfügte, wobei auch die Möglichkeit bestanden hätte, gemäß § 4b Z 9 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes eine Beschäftigungsbewilligung während des laufenden Asylverfahrens zu erlangen.

Selbst wenn der (Beschwerdeführer) auf Grund seiner exilpolitischen Betätigung (Demonstrationsteilnahme im Jahr 1997, Kassier der UDPS-Partei bis Juni 2000) Flüchtlingseigenschaft erlangt haben sollte, kommt eine Asylgewährung nicht mehr in Betracht, zumal er im Oktober 2000 einen Reisepass seines Heimatstaates erlangt und sich solcherart wieder unter den Schutz seines Staates gestellt hat.

Da sohin der Endigungsgrund des Art. 1 Abschnitt C Z 1 der GFK vorliegt, kommt eine Asylgewährung nicht in Betracht und war der Berufung nicht Folge zu geben."

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde geht - im Ergebnis schlüssig (vgl. das genannte Erkenntnis vom 22. Mai 2001) - davon aus, dass der Beschwerdeführer in seinem Heimatstaat möglicherweise auf asylrelevante Weise verfolgt wird, verneint jedoch ohne weitere Prüfung dieser Frage die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen des von ihm im Laufe des Asylverfahrens erfolgreich beantragten Reisepasses seines Heimatstaates. Ihre rechtliche Beurteilung stützte sie auf die zum Asylgesetz 1991 ergangene Rechtsprechung, wonach im Falle der Ausstellung eines Reisepasses des Heimatstaates von einer "vermuteten" Unterschutzstellung des Asylwerbers ausgegangen wurde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im Hinblick auf das im Beschwerdefall anzuwendende Asylgesetz 1997 - unter Auseinandersetzung mit der Judikatur zu den vorangegangenen Asylgesetzen - im Erkenntnis vom heutigen Tage, Zl. 2001/01/0499, grundsätzlich mit der Frage auseinander gesetzt, welche Konsequenzen die erfolgreiche Beantragung der Ausstellung oder Verlängerung eines Reisepasses durch den Heimatstaat eines anerkannten Flüchtlings bzw. eines Asylwerbers für diesen hat. Auf die Begründung dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen. Für den vorliegenden Fall ist daraus hervorzuheben, dass bei Asylwerbern bei erfolgreicher Antragstellung eine von diesen zu widerlegende "Vermutung" der Unterschutzstellung bzw. einer darauf abzielenden Absicht nicht in Betracht kommt. Ob eine solche Absicht bestand, ist zu ermitteln und festzustellen, wobei der jeweils betroffene Asylwerber die Gründe für sein Verhalten zu erläutern hat.

Ging die belangte Behörde aber - ohne weitere Ermittlungen bzw. Feststellungen - von einer solchen Vermutung aus, hat sie im Lichte des genannten Erkenntnisses vom heutigen Tage den angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 15. Mai 2003

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2001010535.X00

Im RIS seit

20.06.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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