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41 Innere AngelegenheitenNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Ausweisung von Kosovo-Albanern jugoslawischer Staatsangehörigkeit wegen Nichtanwendung der Verordnung über das Aufenthaltsrecht kriegsvertriebener Kosovo-Albaner und dem damit verbundenen Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit; teilweise Abweisung der Verfahrenshilfeanträge hinsichtlich der Beigebung eines Rechtsanwalts angesichts der bereits erfolgten Einbringung des Beschwerdeschriftsatzes durch einen RechtsanwaltSpruch
1. Den Anträgen auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird in Form der Gebührenbefreiung stattgegeben, im übrigen werden sie abgewiesen.
2. Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Die Bescheide werden aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit S 27.000,-- bestimmten Kosten dieses verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Beschwerdeführer sind Kosovo-Albaner jugoslawischer Staatsangehörigkeit. Die Erstbeschwerdeführerin, die Mutter des Zweitbeschwerdeführers, reiste am 11. Februar 1996 von ungarischem Staatsgebiet kommend ein und hielt sich seitdem (zumindest vorläufig) ohne Aufenthaltsberechtigung in Österreich auf. Der Zweitbeschwerdeführer wurde am 10. Jänner 1997 in Österreich geboren.
2. Mit Bescheid vom 5. Februar 1999 wies die Bezirkshauptmannschaft Bludenz die nunmehrigen Beschwerdeführer unter einem gemäß §33 Abs1 Fremdengesetz 1997, BGBl. I 1997/75 (im folgenden: FrG 1997), aus dem Bundesgebiet aus. Die dagegen erhobenen Berufungen wies die nunmehr belangte Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg mit gemeinsamem Bescheid vom 6. Juli 1999, zugestellt am 16. Juli 1999, ab.
3. Gegen diesen abweislichen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten "auf Freiheit, Gesundheit, Freizügigkeit der Person und des Vermögens, Achtung des Privat- und Familienlebens, der Freiheit des Aufenthaltes und der Einreise" behauptet wird.
4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in welcher sie den bekämpften Bescheid verteidigt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.
II. 1. Die hier vornehmlich maßgeblichen §§31 Abs1 und 33 Abs1 FrG 1997 haben (inklusive Überschriften) folgenden Wortlaut:
"3. Hauptstück
Aufenthalt von Fremden
1. Abschnitt
Begründung der Aufenthaltsberechtigung
Rechtmäßiger Aufenthalt
§31. (1) Fremde halten sich rechtmäßig im Bundesgebiet auf,
1. wenn sie unter Einhaltung der Bestimmungen des 2. Hauptstückes und ohne die Grenzkontrolle zu umgehen eingereist sind oder
2. wenn sie auf Grund eines Aufenthaltstitels oder einer Verordnung für Vertriebene (§29) zum Aufenthalt berechtigt sind oder
3. wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind oder
4. solange ihnen Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz 1997 zukommt.
(2) ....
2. Abschnitt
Aufenthaltsbeendigung
Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel
§33. (1) Fremde können mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten.
(2) ....."
2. Die "Verordnung der Bundesregierung, mit der das Aufenthaltsrecht kriegsvertriebener Kosovo-Albaner geregelt und die Niederlassungsverordnung 1999 geändert wird", BGBl. II 1999/133, ausgegeben und versendet am 24. April 1999, lautete zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides in ihrem ArtI (samt Einleitungsformel) wie folgt:
"Auf Grund der §§18 und 29 des Fremdengesetzes, BGBl. I Nr.75/1997, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr.158/1998, wird im Einvernehmen mit dem Hauptausschuß des Nationalrates verordnet:
Artikel I
§1. Fremden, denen Österreich im Rahmen der international vereinbarten Aufnahmeaktion die Einreise gestattet, kommt ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht zu. Für die Gestattung der Einreise kommen Staatsangehörige der Bundesrepublik Jugoslawien, die glaubhaft machen, Kosovo-Albaner zu sein, sowie deren Ehegatten und minderjährige Kinder in Betracht, die aus dem Kosovo vertrieben wurden und anderweitig keinen Schutz finden; hiebei sind Fremde besonders zu berücksichtigen, die in Österreich niedergelassene Angehörige haben.
§2. Staatsangehörigen der Bundesrepublik Jugoslawien, die glaubhaft machen, Kosovo-Albaner zu sein, sowie deren Ehegatten und minderjährigen Kindern, die vor dem 15. April 1999 aus dem Kosovo kommend in das Bundesgebiet eingereist sind, infolge des bewaffneten Konfliktes derzeit nicht in ihre Heimat zurückkehren und anderweitig keinen Schutz vor Verfolgung finden können, kommt ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht zu. Dies gilt nicht für Fremde, die sonst ein Aufenthaltsrecht haben.
§3. Staatsangehörigen der Bundesrepublik Jugoslawien, die glaubhaft machen, Kosovo-Albaner zu sein, sowie deren Ehegatten und minderjährigen Kindern, die aus dem Kosovo vertrieben wurden und anderweitig keinen Schutz gefunden haben, kommt ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht zu, wenn ihnen mit Zustimmung der Sicherheitsdirektion die Einreise in das Bundesgebiet deshalb gestattet wird, weil sie
1. Elternteil eines minderjährigen Kindes sind, dem gemäß der §§1 oder 2 das vorübergehende Aufenthaltsrecht zukommt, oder
2. minderjähriges Kind oder Ehegatte eines Fremden sind, dem gemäß der §§1 oder 2 das vorübergehende Aufenthaltsrecht zukommt, oder
3. nahe Angehörige haben, die rechtmäßig in Österreich niedergelassen sind, und ihr Unterhalt gesichert ist oder
4. Ehegatten oder minderjährige Kinder von Kosovo-Albanern sind, die gemäß §15 oder §19 AsylG zum Aufenthalt in Österreich berechtigt sind.
§4. Das Aufenthaltsrecht gemäß der §§1 bis 3 besteht bis zum 31. Dezember 1999."
III. 1. Die Voraussetzungen für die Gewährung der Verfahrenshilfe liegen dem Grunde nach vor; sie war deshalb in Form der Befreiung von den - noch nicht entrichteten - Eingabengebühren zugewähren (§64 Abs3, erster Satz, ZPO).
2. Nach §64 Abs1 Z3 ZPO kann die Verfahrenshilfe u.a. "die vorläufige unentgeltliche Beigebung eines Rechtsanwalts" umfassen, "sofern die Vertretung durch einen Rechtsanwalt gesetzlich geboten ist oder es nach der Lage des Falles erforderlich erscheint". Da die Beschwerdeführer den Beschwerdeschriftsatz im Zeitpunkt der Beantragung der Verfahrenshilfe aber bereits durch einen Rechtsanwalt eingebracht haben, kam die Zuerkennung der Verfahrenshilfe für diese Prozeßhandlung nicht mehr in Betracht.
IV. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen - Beschwerden, welche er in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO i. V.m. §35 VerfGG 1953 zur gemeinsamen Beratung und Beschlußfassung verbunden hat, erwogen:
1. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfSlg. 14.191/1995, 14.369/1995, 14.393/1995, 14.448/1996, 14.516/1996 und zuletzt etwa VfGH 10.3.1999, B2478/97, B2479/97, 30.9.1999, B1687/98, 30.9.1999, B309/99) enthält ArtI Abs1 des BVG zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist. Eine Verletzung des durch dieses Bundesverfassungsgesetz verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichbehandlung von Fremden liegt auch dann vor, wenn die Behörde Willkür geübt hat. Ein willkürliches Verhalten der Behörde liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (vgl. VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10.338/1985, 11.213/1987, 14.728/1997). Ein solches liegt auch dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg. 13.302/1992 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996).
Derartige in die Verfassungssphäre reichende Fehler sind der belangten Behörde hier insbesondere in folgenden Punkten unterlaufen:
2.1. Die belangte Behörde hat ihrer Entscheidung nach §33 Abs1 FrG über eine Ausweisung jene Rechtslage zugrundezulegen, die im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides in Geltung steht. Dazu gehört auch die oben wiedergegebene Verordnung der Bundesregierung, mit der das Aufenthaltsrecht kriegsvertriebener Kosovo-Albaner geregelt und die Niederlassungsverordnung 1999 geändert wird, BGBl. II 1999/133, auch wenn diese Verordnung im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides der Behörde erster Instanz noch nicht dem Rechtsbestand angehörte.
2.2. Die belangte Behörde geht selbst davon aus, daß die Erstbeschwerdeführerin vor dem 15. April 1999 eingereist ist, und sie ist deren Vorbringen, sie und ihr minderjähriges Kind seien Kosovo-Albaner jugoslawischer Staatsangehörigkeit, nicht entgegengetreten. Sie hat indes - ungeachtet dieser Umstände - keine weiteren Überlegungen angestellt, ob den Beschwerdeführern ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht nach §2 oder nach §3 der Verordnung über das Aufenthaltsrecht kriegsvertriebener Kosovo-Albaner zustehen könnte. Die Behörde hat daher auch keine Ermittlungen zu den Fragen angestellt, ob die Beschwerdeführer infolge des bewaffneten Konfliktes derzeit nicht in ihre Heimat zurückkehren oder anderweitig einen Schutz vor Verfolgung finden können und ob die Erstbeschwerdeführerin "aus dem Kosovo kommend in das Bundesgebiet eingereist" ist.
3. Die Beschwerdeführer wurden deshalb durch den angefochtenen Bescheid wegen Nichtanwendung der Verordnung der Bundesregierung, mit der das Aufenthaltsrecht kriegsvertriebener Kosovo-Albaner geregelt wird, und wegen dem damit verbundenen Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt.
Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben.
V. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG und entspricht dem Kostenantrag der Beschwerdeführer; in den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von S 4.500,-- enthalten.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz, VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Aufenthaltsrecht, Fremdenpolizei, Ausweisung, Fremdenrecht, Verwaltungsverfahren, Ermittlungsverfahren, Bescheiderlassung, VfGH / VerfahrenshilfeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2000:B1461.1999Dokumentnummer
JFT_09999694_99B01461_00