TE Vwgh Erkenntnis 2003/5/22 99/20/0565

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Veröffentlicht am 22.05.2003
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1991 §2 Abs2 Z2;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 10. November 1999, Zl. 200.941/0-IX/26/98, betreffend § 7 Asylgesetz (mitbeteiligte Partei: S alias M, geboren 1969), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Die mitbeteiligte Partei, eine am 10. Februar 1997 in das Bundesgebiet eingereiste Staatsangehörige des Iran, ersuchte, nachdem ihr (erster) Asylantrag mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 21. Februar 1997 rechtskräftig abgewiesen worden war, mit Schriftsatz vom 17. Juli 1997 neuerlich um Asyl. Den letztgenannten Antrag begründete sie vor dem Bundesasylamt am 1. September 1997 damit, dass eine Halbschwester iranische Behörden über den Aufenthalt und die Asylantragstellung der mitbeteiligten Partei in Österreich informiert habe. Die mitbeteiligte Partei sei grundsätzlich gegen das politische Regime im Iran eingestellt und habe deshalb an Veranstaltungen gegen dasselbe teilgenommen. Sie habe auch Zeitschriften und Berichte, unter anderem der Volksmudjaheddin, gelesen, welche sich im Speziellen mit den Rechten der Frauen beschäftigten. Sie sei in ihrer Heimat wegen regimefeindlicher Tätigkeiten aber nicht belangt worden. Auch in Österreich, so die mitbeteiligte Partei in der genannten Vernehmung vom 1. September 1997 weiter, habe sie sich "bis dato noch nicht aktiv politisch" gegen das iranische Regime betätigt. Die mitbeteiligte Partei sei vielmehr in einer Phase, in der sie sich weiterbilde und Wissen über die Volksmudjaheddin verschaffe. Allerdings habe eine in Wien lebende (weitere) Schwester der mitbeteiligten Partei aktiv an Demonstrationen für die Volksmudjaheddin in verschiedenen europäischen Städten teilgenommen. Davon gebe es Videoaufnahmen, die mitbeteiligte Partei selbst sei auf diesen nicht zu sehen. Die mitbeteiligte Partei fürchte Verfolgung im Iran, weil die bereits genannte Halbschwester gedroht habe, diese Videoaufnahmen den iranischen Behörden vorzuführen und diesen auch mitzuteilen, dass die mitbeteiligte Partei genauso (zu ergänzen: regimefeindlich) denke wie ihre Schwester.

Gegen den den Asylantrag der mitbeteiligten Partei abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 1. Oktober 1997 erhob diese Berufung. Die belangte Behörde führte darüber am 22. Juli 1999 und am 31. August 1999 eine Verhandlung durch, in der die mitbeteiligte Partei ihre Halbschwester als gefährliche Person bezeichnete. Weil diese die mitbeteiligte Partei und ihre weitere Schwester bereits einmal vor iranischen Behörden belastet hätte, sei ihre Mutter im Iran behördlich vorgeladen worden. Zum Fluchtgrund gab die mitbeteiligte Partei weiters an, sie wolle ihren demokratischen Kampf fortsetzen. Deshalb lese sie in Österreich Zeitschriften der Volksmudjaheddin und nehme an Treffen derselben teil. Am 17. Juli 1999 habe sie sich in Wien an einer Demonstration vor der iranischen Botschaft beteiligt, bei der näher genannte Parolen gegen das politische Regime des Iran gerufen worden seien. Es habe sich um eine friedliche Demonstration gehandelt, die mitbeteiligte Partei habe aber zwischen den Vorhängen des Botschaftsgebäudes eine Kamera gesehen.

Nach der Einvernahme mehrerer Zeugen insbesondere zum Verlauf der genannten Demonstration gab die belangte Behörde der Berufung mit dem angefochtenen Bescheid statt, gewährte der mitbeteiligten Partei gemäß § 7 AsylG Asyl und stellte gemäß § 12 leg. cit. fest, dass dieser damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Begründend führte die belangte Behörde aus, es könne weder festgestellt werden, dass die mitbelangte Partei im Iran verbotene Zeitungen oder Zeitschriften gelesen oder Filme der Volksmudjaheddin gesehen habe, noch dass iranische Sicherheitskräfte die Mutter der mitbeteiligten Partei (deswegen) vorgeladen hätte. Hingegen werde festgestellt, dass die mitbeteiligte Partei am 17. Juli 1999 vor der iranischen Botschaft in Wien an einer etwa zweistündigen, vom Nationalen Widerstandsrat organisierten Demonstration von insgesamt 21 Personen gegen die Verhaftung der protestierenden Studenten im Iran teilgenommen habe, bei der mehrere Transparente, darunter etwa eines mit der Aufschrift "Nieder mit Khomenei", verwendet worden seien. Bei der Demonstration sei über Megaphon auf die politische Situation im Iran hingewiesen worden, die mitbeteiligte Partei sei in der ersten Reihe der Kundgebungstruppe gestanden und habe ebenfalls ein Transparent oder die ehemalige iranische Fahne in der Hand gehalten. Diese Demonstration sei nicht nur von einem Kundgebungsteilnehmer sondern, wie üblich, auch von der iranischen Botschaft gefilmt worden. Deshalb und wegen der Beobachtung solcher Demonstrationen auch durch den iranischen Geheimdienst seien Mitglieder und Aktivisten iranischer Exilorganisationen den iranischen Behörden bekannt und deren Leib und Leben im Fall der Rückkehr in den Iran erheblich gefährdet. Die mitbeteiligte Partei sei Sympathisantin der Volksmujaheddin. Sie sei persönlich mit dem Organisator der genannten Demonstration vom 17. Juli 1999 bekannt und beziehe über diesen auch die wöchentlich erscheinende Zeitung der Volksmujaheddin "Mojahed". Anders als ihre seit 1994 in Österreich lebende Schwester, die bereits an verschiedenen Großveranstaltungen der Volksmujaheddin im europäischen Ausland teilgenommen habe, und der bereits Asyl gewährt worden sei, habe die mitbeteiligte Partei des Öfteren (nur) an Besprechungen von Anhängern der Volksmujaheddin in Privatwohnungen teilgenommen.

Nach einer über mehrere Seiten reichenden Beweiswürdigung führte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid in rechtlicher Hinsicht aus, die mitbeteiligte Partei habe mit ihrem Vorbringen über die Teilnahme an der Demonstration vom 17. Juli 1999 einen Nachfluchtgrund geltend gemacht. Da die mitbeteiligte Partei, wie festgestellt, bei dieser Demonstration in der ersten Reihe und damit an gut sichtbarer Stelle der Demonstrantengruppe regimefeindliche Parolen gerufen und regierungskritische Transparente bzw. Bilder oder eine Fahne empor gehalten habe und dabei von Botschaftsangehörigen gefilmt worden sei, sei die Identität der mitbeteiligten Partei von iranischen Behörden unschwer feststellbar. Erschwerend wirke sich dabei aus, dass bereits der Schwester der mitbeteiligten Partei und deren Ehemann in Österreich Asyl gewährt worden seien. Insgesamt ergebe sich für die mitbeteiligte Partei im Iran daher eine objektiv nachvollziehbare Verfolgungsgefahr aus Gründen der politischen oder zumindest unterstellten politischen Gesinnung, zumal sie im Falle der Rückkehr in ihre Heimat mit sofortiger Inhaftierung und schwerer Misshandlung zu rechnen habe.

"Auch wenn" - so die belangte Behörde in der rechtlichen Begründung des angefochtenen Bescheides unter Verweis auf das Fehlen einer dem § 2 Abs. 2 Z 2 AsylG 1991 vergleichbaren Gesetzesvorschrift im geltenden AsylG hinzufügend - im konkreten Verfahren auf Grund zahlreicher Unwahrheiten und Versuche der mitbeteiligten Partei, das Asylverfahren in eine bestimmte Richtung zu lenken, der "Eindruck" entstanden sei, dass die mitbeteiligte Partei mit allen Mitteln, nicht zuletzt auch mit ihrer Teilnahme an der genannten Demonstration, versucht habe, in Österreich Asyl zu erlangen, könne ihr mangels gesetzlicher Grundlage die bewusste Herbeiführung einer maßgeblichen Gefährdungswahrscheinlichkeit nicht nachteilig angelastet werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde des Bundesministers für Inneres, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der beschwerdeführende Bundesminister vertritt die Auffassung, dass "alles darauf hindeutet", dass die mitbeteiligte Partei den angeführten Nachfluchtgrund "ausschließlich in der Absicht gesetzt hat, mit ihrer Verhaltensweise in Österreich politisches Asyl zu erlangen". Die belangte Behörde messe dem im angefochtenen Bescheid in unrichtiger Beurteilung der Rechtslage deshalb keine Bedeutung zu, weil sie der Auffassung sei, es käme bei der Asylgewährung gar nicht darauf an, ob der geltend gemachte Nachfluchtgrund etwa "dolo malo" herbeigeführt worden sei. Wenn sie diese Rechtsauffassung im angefochtenen Bescheid mit dem Fehlen einer dem § 2 Abs. 2 Z 2 AsylG 1991 vergleichbaren Bestimmung im geltenden Asylgesetz begründe, so sei ihr entgegenzuhalten, dass sich schon aus der juristischen Methodenlehre ein generelles Missbrauchsverbot von Rechten ableiten lasse. Nach Ansicht des Bundesministers für Inneres bedürfe es daher für die Hintanhaltung von explizitem Missbrauch des Instituts des Flüchtlingsschutzes gar nicht einer Bestimmung wie jener des § 2 Abs. 2 Z 2 AsylG 1991, weil sich schon aus dem "Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention insgesamt" und im Besonderen der dortigen Flüchtlingsdefinition ergebe, dass diese Rechtsnormen, wie andere auch, jedenfalls nicht dem eigenen Missbrauch dienen sollen. Als völkerrechtlicher Vertrag sei die Genfer Flüchtlingskonvention gemäß Art. 31 Abs. 1 der Wiener Vertragsrechtskonvention nach Treu und Glauben mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen. Der Bundesminister für Inneres sehe sich in dieser Rechtsauffassung auch durch den Gemeinsamen Standpunkt des Rates der Europäischen Union vom 4. März 1996 betreffend die harmonisierte Anwendung der Definition des Begriffs "Flüchtling" in Art. 1 des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (im Folgenden kurz: Gemeinsamer Standpunkt des Rates) bestärkt. Eine "reine Literalinterpretation", wie sie die belangte Behörde vorgenommen habe, führe daher zu einem "absolut nicht sachgerechten Ergebnis", sodass der angefochtene Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet sei. Sollten aber, so die Beschwerde weiter, im angefochtenen Bescheid ausreichende Ermittlungen und Begründungen über die Absichtlichkeit (in Bezug auf die Asylerlangung) der exilpolitischen Aktivitäten der mitbeteiligten Partei fehlen, so wäre dies vom Verwaltungsgerichtshof als sekundärer Verfahrensmangel aufzugreifen.

Diese Ausführungen führen die Beschwerde schon deshalb nicht zum Erfolg, weil die belangte Behörde nicht davon ausgegangen ist, die Mitbeteiligte habe im Sinne der hg. Judikatur zu § 2 Abs. 2 Z 2 des Asylgesetzes 1991 mit einer sich aus bestimmten Tatsachen ergebenden, andere Beweggründe deutlich überwiegenden Absicht der Asylerlangung gehandelt (vgl. etwa das Erkenntnis vom 6. Februar 1996, Zl. 95/20/0187), oder es sei im Sinne des in der Beschwerde zitierten Gemeinsamen Standpunktes "ganz offensichtlich", dass die Mitbeteiligte ihre Aktivitäten "hauptsächlich" mit dem Ziel gesetzt habe, Asyl zu erlangen (vgl. die Textwiedergabe bei Schmid/Frank, Europäisches Asylrecht (2001) 284). Die belangte Behörde hat auch keine Feststellungen getroffen, auf die sich - unter der Voraussetzung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Falle der nunmehrigen Rückkehr in den Herkunftsstaat - die Annahme eines "Rechtsmissbrauches" gründen ließe. Dass und wie derartige Feststellungen, die im Sinne der in der Beschwerde vertretenen Rechtsauffassung einer Asylgewährung entgegen stünden, auf Grund der schon vorliegenden Ermittlungsergebnisse begründbar gewesen wären oder welche weiteren Ermittlungen in dieser Hinsicht geboten gewesen wären, ist der Beschwerde gleichfalls nicht zu entnehmen.

Bei dieser Sachlage erübrigt sich eine nähere Auseinandersetzung mit der vom Beschwerdeführer vertretenen Rechtsmeinung, der zufolge das Fehlen einer dem § 2 Abs. 2 Z 2 des Asylgesetzes 1991 entsprechenden Vorschrift im geltenden Asylgesetz im Ergebnis bedeutungslos sei. Es ist lediglich anzumerken, dass Versuche, eine entsprechende Einschränkung der Asylgewährung nicht sondergesetzlich unter Wahrung der Rechte aus der Flüchtlingskonvention, sondern auf dem Wege einer interpretativen Einschränkung des Flüchtlingsbegriffes zu erreichen, im Schrifttum etwa von Goodwin-Gill als Ergebnis einer fehlerhaften Analyse der Konvention, der Flüchtlingsdefinition und der Verpflichtungen der Staaten eingestuft werden (International Journal of Refugee Law Vol. 12 No. 4 (2001) 665; vgl. auch die Äußerung von Steiner, Asylrecht '92 (1992) 17, über die Unvereinbarkeit des § 2 Abs. 2 Z 2 des Asylgesetzes 1991 mit der Flüchtlingskonvention).

Die Amtsbeschwerde war aber schon aus den zuvor angeführten Gründen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 22. Mai 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:1999200565.X00

Im RIS seit

03.07.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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