TE Vwgh Erkenntnis 2003/5/22 2000/20/0073

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Veröffentlicht am 22.05.2003
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §45 Abs2;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des 1982 geborenen J in W, vertreten durch Dr. Arno Brauneis, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Bauernmarkt 2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 17. September 1999, Zl. 206.602/0-XII/37/98, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Sierra Leone, reiste am 20. September 1998 nach Österreich ein und beantragte am 22. September 1998 die Gewährung von Asyl. Bei der vom Bundesasylamt am 21. Oktober 1998 durchgeführten Einvernahme zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, am 17. August 1998 seien drei "von der Regierung geschickte" Männer in das Geschäft seines Vaters gekommen und hätten dem Vater vorgeworfen, ein Mitglied der Rebellenorganisation RUF zu sein, was dieser bestritten habe. Bei dem Versuch zu flüchten, sei der Vater von diesen Männern erschossen worden. Der (damals sechzehnjährige) Beschwerdeführer sei unter dem Vorwand festgenommen worden, die Männer hätten Informationen darüber, dass ihn sein Vater zur RUF habe bringen wollen. Der Beschwerdeführer sei sodann zehn Tage unter näher beschriebenen Bedingungen - insbesondere sei er im Zuge der Befragungen über die RUF gefoltert worden - inhaftiert gewesen. Gegen von seiner Stiefmutter geleistetes Bestechungsgeld sei der Beschwerdeführer enthaftet worden, wobei behauptet werden sollte, er sei geflüchtet. Die "Leute", die "das Geld kassiert" haben, hätten gesagt, wenn "man" den Beschwerdeführer "im Land noch einmal sieht", werde er umgebracht. Deshalb habe er Sierra Leone verlassen müssen. Er habe sich nach seiner Enthaftung etwa sechs Tage lang bei einem Freund seines Vaters versteckt, weil nach ihm - auch durch Verteilung von in der Haft angefertigten Bildern - gesucht worden sei. Danach sei ihm per Schiff die Flucht gelungen.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 3. November 1998 gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass (insbesondere) seine Abschiebung nach Sierra Leone zulässig sei. Die Erstbehörde gestand dem Beschwerdeführer zwar zu, Staatsangehöriger von Sierra Leone zu sein, sprach aber seinem Vorbringen zu den Fluchtgründen die Glaubwürdigkeit mit folgender Begründung ab:

"Sie stützten Ihr Vorbringen hauptsächlich darauf, dass Ihr Vater Mitglied der Rebellenorganisation 'RUF' gewesen sei, und Sie nun deswegen, quasi im Sinne einer Sippenhaftung, Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt wären.

Sie waren aber nicht in der Lage, die Mitgliedschaft Ihres Vaters zu dieser Rebellenorganisation glaubhaft darzulegen. Während Sie eingangs erwähnten, Sie wüssten nicht, ob Ihr Vater nun Mitglied gewesen wäre oder nicht, dies begründeten Sie damit, er hätte nie etwas davon gesagt, erklärten Sie zu einem späteren Zeitpunkt, dass Sie schließlich doch von Ihrer Stiefmutter erfahren hätten, dass Ihr Vater Mitglied gewesen wäre. Sie führten aber aus, er hätte dies eventuell verheimlichen wollen, weil er befürchtet hätte, Sie könnten dieses Geheimnis nicht für sich behalten. Wie Ihnen aber im Zuge der Niederschrift vorgehalten wurde, hätte es für den Zeitraum von Mai 1997 bis Februar 1998 keinen nachvollziehbaren Grund gegeben, dass Ihr Vater die Mitgliedschaft verheimlichen hätte sollen. In dieser Zeit war nämlich John Paul Koroma, der mit der RUF ein Bündnis eingegangen ist, an der Macht. Ihr Vater hätte in diesem Zeitraum frei seine politische Meinung äußern können, beziehungsweise, wäre er tatsächlich, wie Sie behaupten, ein hochrangiges Mitglied der RUF gewesen, hätte er sich aktiv an der Tagespolitik in Sierra Leone beteiligt. Dies hätten Sie unter allen Umständen mitbekommen müssen. Alleine aus diesem Grund hegt die erkennende Behörde begründeten Zweifel an der Mitgliedschaft Ihres Vater zur RUF, was nun wieder die von Ihnen in den Raum gestellte Verfolgungsgefahr ad absurdum führt.

Im übrigen ist nicht anzunehmen, dass zur derzeitigen Lage in Sierra Leone eine solche Vorgangsweise der Sicherheitskräfte passt. Es ist zwar bekannt, dass sich die ehemaligen Putschisten vor Gericht verantworten müssen, doch werden gemäß den vororts vorliegenden Unterlagen faire Verfahren durchgeführt. Es ist nicht davon auszugehen, dass, selbst wenn man Ihren Angaben folgen würde, der bloße Verdacht, Sie seien Mitglied, weil der Vater Mitglied der RUF gewesen wäre - was aber nicht glaubhaft ist -, eine derartige Vorgangsweise der Behörden in Sierra Leone indizieren würde.

Im übrigen führten Sie an, Sie würden zurückkehren wollen, wenn sich die Lage beruhige, diesbezüglich würden Sie einen Schriftverkehr mit Ihrer Stiefmutter einleiten. Dies ist an sich ein Widerspruch zu Ihrer Fluchtgeschichte, zumal nicht anzunehmen ist, dass sich der behauptete Verdacht der Mitgliedschaft zur RUF in irgendeiner Weise von selbst 'erledigen' würde, sollte dieser bestehen. Somit kann diese Aussage mit Ihrem sonstigen Vorbringen ebenfalls nicht in Einklang gebracht werden."

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wandte sich der Beschwerdeführer mit näherer Begründung insbesondere gegen die wiedergegebene Beweiswürdigung und bemängelte, die Erstbehörde sei auf die persönliche Verfolgung, Verhaftung und Folterung des Beschwerdeführers überhaupt nicht eingegangen. Im Übrigen sei die politische Situation in Sierra Leone unberücksichtigt gelassen worden.

Die belangte Behörde führte am 11. August 1999 eine mündliche Berufungsverhandlung durch, zu welcher der mit der Aufforderung zum persönlichen Erscheinen zu Handen seines gesetzlichen Vertreters (Magistrat der Stadt Wien) geladene Beschwerdeführer ohne Angabe von Gründen nicht gekommen ist. In dieser Verhandlung wurden mehrere Unterlagen betreffend die Situation in Sierra Leone dargetan. Die Frage, ob der Beschwerdeführer in Kenntnis vom Verhandlungstermin war, wurde nach dem Protokollsinhalt mit dem erschienenen Vertreter des Beschwerdeführers nicht erörtert.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufung "gemäß § 7 AsylG" abgewiesen und es wurde erneut gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit (insbesondere) der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone ausgesprochen. Die belangte Behörde traf nähere Feststellungen "zur allgemeinen Situation in Sierra Leone", insbesondere zum Abschluss des Friedensabkommens von Lome am 7. Juli 1999 und zur Ankündigung einer Amnestie für ehemalige Kämpfer der RUF. In Ansehung der vom Beschwerdeführer vorgetragenen Fluchtgründe ging die belangte Behörde ebenfalls von der mangelnden Glaubwürdigkeit aus und verwies zur Begründung auf die diesbezüglichen Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid. Trotz seines jugendlichen Alters und angesichts der Tatsache, dass der Vater des Beschwerdeführers angeblich ein hochrangiges Mitglied der RUF gewesen sein soll und sich der Beschwerdeführer die meiste Zeit bei seinem Vater im Geschäft aufgehalten habe, wäre es ihm - so die belangte Behörde - sehr wohl zumutbar gewesen, widerspruchsfreie Angaben über die Mitgliedschaft des Vaters zur Rebellenorganisation zu machen.

Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung heißt es in diesem Zusammenhang noch:

"Da Ihren Angaben - nicht zuletzt auf Grund Ihrer mangelnden Mitwirkung - in Bezug auf die Mitgliedschaft Ihres Vaters bei der Rebellenorganisation und Ihre damit behauptete Verfolgungsgefahr durch die Regierung die Glaubwürdigkeit zu versagen war, konnte auch kein asylrechtlich relevanter Sachverhalt festgestellt werden."

Bei der Begründung des Ausspruches nach § 8 AsylG verwies die belangte Behörde schließlich auch darauf, dass in dem erwähnten Friedensabkommen eine Machtbeteiligung der Rebellenorganisation RUF vorgesehen sei. Abgesehen von den als unglaubwürdig zu qualifizierenden Angaben des Beschwerdeführers seien für die belangte Behörde damit unter "den derzeitigen Gegebenheiten" in Sierra Leone keine Verfolgungsmaßnahmen seitens der Regierung im Zusammenhang mit einer (vermuteten) Mitgliedschaft bei der RUF erkennbar.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Zur Begründung der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers verweist die belangte Behörde im Wesentlichen auf die oben wiedergegebene Begründung im Erstbescheid. Diese hält der dem Verwaltungsgerichtshof zukommenden Schlüssigkeitsprüfung allerdings nicht Stand:

Die Beschwerde verweist zunächst zutreffend darauf, dass der angenommene Widerspruch in den Angaben des Beschwerdeführers, ob er von der RUF-Mitgliedschaft seines Vaters in Kenntnis gewesen sei, der Niederschrift vor dem Bundesasylamt nicht zu entnehmen ist. Entgegen den Ausführungen der belangten Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung lässt sich die Aussage des Beschwerdeführers, sein Vater habe ihm nie etwas darüber erzählt, ob er RUF-Mitglied gewesen sei, nicht dahin deuten, der Beschwerdeführer habe damit zum Ausdruck bringen wollen, er wisse (im Zeitpunkt der Vernehmung) nicht, ob sein Vater Mitglied der Rebellenorganisation gewesen sei. Es ist somit nicht nachvollziehbar, warum zwischen dieser Aussage des Beschwerdeführers und seinen Angaben, er habe (nach dem Tod des Vaters) von seiner Stiefmutter erfahren, dass er tatsächlich für die RUF tätig gewesen sei, ein die Unrichtigkeit dieser Angaben indizierender (unauflöslicher) Widerspruch bestehen soll. Auch wenn - wie die Asylbehörden annehmen - für einen bestimmten Zeitraum kein Grund bestanden hätte, die RUF-Mitgliedschaft gegenüber Familienangehörigen zu verheimlichen, so lässt sich aus der gegenteiligen Aussage, der Vater habe davon dem damals erst sechzehnjährigen Beschwerdeführer keine Mitteilung gemacht, in nachvollziehbarer Weise noch nicht auf die Unglaubwürdigkeit dieser Angaben schließen. Durch die diesbezüglichen Mutmaßungen gewinnt die Beweiswürdigung sohin nicht an Schlüssigkeit.

Überdies kann dem angefochtenen Bescheid nicht entnommen werden, auf welchen Quellen die Annahme beruht, nach den "vororts vorliegenden Unterlagen" würden in Sierra Leone gegen Personen, denen eine Mitgliedschaft zu der erwähnten Rebellenorganisation unterstellt wird, faire Verfahren durchgeführt werden und es sei nicht davon auszugehen, dass die vom Beschwerdeführer geschilderte Vorgangsweise der Behörden in Sierra Leone tatsächlich angewendet werde. Das hätte vor dem Hintergrund der amtsbekannten Auseinandersetzungen zwischen der Regierung und den Rebellentruppen im Sommer 1998 - auf den sich die Schilderungen des Beschwerdeführers beziehen - einer näheren Begründung unter Bezugnahme auf entsprechende Länderberichte bedurft.

Dass aber die vom Beschwerdeführer geäußerte Hoffnung auf eine Beruhigung der Lage in seinem Heimatland (und damit auf einen Wegfall der von ihm befürchteten Verfolgungsgefahr) in keinem Zusammenhang mit der Glaubwürdigkeit der behaupteten Fluchtgründe steht, bedarf keiner weiteren Erörterung, verweist doch die belangte Behörde selbst auf die durch den Abschluss des Friedensabkommens von Lome ihrer Ansicht nach eingetretene Lageänderung.

Schließlich lässt sich die Beweiswürdigung der belangten Behörde auch nicht in tragfähiger Weise auf das Argument stützen, die Unglaubwürdigkeit der Fluchtgründe des Beschwerdeführers ergebe sich auch aus seiner "mangelnden Mitwirkung", womit die belangte Behörde offenbar das unentschuldigte Fernbleiben von der Berufungsverhandlung meint. Ein solcher beweiswürdigender Schluss wäre nur dann zulässig gewesen, wenn die sorgfältige Würdigung aller Umstände, unter anderem des Nichterscheinens des Beschwerdeführers zur Berufungsverhandlung, die Annahme gerechtfertigt hätte, der Beschwerdeführer gehe offenbar selbst davon aus, die behaupteten Fluchtgründe im Rahmen seiner Vernehmung nicht glaubwürdig darstellen zu können. Diese Schlussfolgerung setzte aber zumindest die Feststellung voraus, dass der Beschwerdeführer in Kenntnis vom Verhandlungstermin gewesen und diesem bewusst ferngeblieben ist.

Dass dem Beschwerdeführer auch bei Zutreffen seiner Angaben in Sierra Leone keine asylrelevante Gefahr drohe, nimmt die belangte Behörde nicht an. Der mangelnden Schlüssigkeit der Argumente, mit denen die belangte Behörde den Angaben des Beschwerdeführers die Glaubwürdigkeit versagte, kommt daher entscheidungswesentliche Bedeutung zu.

Zur Feststellung nach § 8 AsylG wendet die Beschwerde ein, der Hinweis auf die Unterzeichnung des Friedensabkommens von Lome erweise sich bei genauer Betrachtung als "inhaltsleer" und die daran geknüpfte Annahme eines Wegfalls der Rückkehrgefährdung sei "reine Spekulation". Sie ergebe sich weder aus dem von der Behörde festgestellten Sachverhalt noch aus der jahrelangen allgemeinen Erfahrung über die politisch instabile Bürgerkriegslage in Sierra Leone.

Diesen Ausführungen ist im Ergebnis beizupflichten. Bei der von der belangten Behörde angenommenen Lageänderung stützte sie sich auf - den Zeitraum Juni 1998 bis Juli 1999 betreffende - Unterlagen, insbesondere auf einen Artikel der TAZ vom 31. Juli 1999. Insoweit gleicht der vorliegende Fall jenem, der dem Erkenntnis vom 21. November 2002, Zl. 2000/20/0020, zugrunde lag. Auf die Begründung dieser Entscheidung kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen werden. Am Maßstab dieses Erkenntnisses erweist sich der Zulässigkeitsausspruch nach § 8 AsylG auch im vorliegenden Fall als nicht ausreichend begründet.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Spruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 22. Mai 2003

Schlagworte

Begründung Begründungsmangel Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2000200073.X00

Im RIS seit

03.07.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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