Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §6 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des H in L, geboren 1977, vertreten durch Mag. Klaus Michael Fürlinger, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Museumstraße 7/4, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 27. Juli 2000, Zl. 217.490/0-IX/26/00, betreffend § 6 Z 1 und 2 sowie § 8 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Irak und chaldäischen Glaubens, reiste am 30. April 2000 in das Bundesgebiet ein und ersuchte um die Gewährung von Asyl. Vor dem Bundesasylamt begründete er diesen Antrag einerseits damit, dass er als Angehöriger einer (religiösen) Minderheit im Irak "von den Jugendlichen belästigt" werde. Er meine damit, dass er von Jugendlichen "öfters angepöbelt" worden sei. Auch seine Eltern seien beschimpft worden, zu einer Schlägerei sei es jedoch nicht gekommen. Es sei nicht erfolgversprechend, deshalb Anzeige bei den Polizeibehörden seines Heimatstaates zu erheben, weil sich "die Jugendlichen ... immer gegen Bezahlung freikaufen" können. Zum anderen verwies der Beschwerdeführer hinsichtlich seiner Fluchtgründe auf seine Desertion vom Wehrdienst. Als Student sei er zwar nicht persönlich einberufen worden, er hätte aber dem nach seiner Ausreise aus dem Irak ergangenen öffentlichen Aufruf, den Wehrdienst abzuleisten, folgen müssen und gelte daher nun als fahnenflüchtig. Im Falle seiner Rückkehr hätte der Beschwerdeführer deswegen "die gesetzlichen Folgen" zu tragen; was ihn diesbezüglich genau erwarte, wisse er nicht.
Mit Bescheid vom 9. Juni 2000 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 2 AsylG als offensichtlich unbegründet ab und stellte die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß § 8 AsylG fest. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde (ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung) die Berufung des Beschwerdeführers "gemäß § 6 Z 1 & 2 AsylG" ab und stellte gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 FrG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "in den Nordirak" zulässig sei. Ausgehend vom Vorbringen des Beschwerdeführers meinte die belangte Behörde in Bezug auf die vom Beschwerdeführer behauptete Verfolgung durch Private, dass die genannten Anpöbelungen und Beschimpfungen lediglich allgemeine soziale bzw. religiöse Schwierigkeiten des Beschwerdeführers im Irak darstellten. Probleme dieser Art könnten schon von vornherein nicht zur Asylgewährung führen, weil sie nicht jenes Maß an Intensität erreichten, dessen es bedürfe, um den weiteren Verbleib des Asylwerbers im Heimatland bzw. seine Rückkehr dorthin als unerträglich erscheinen zu lassen.
Was die vom Beschwerdeführer befürchtete Bestrafung wegen der Verweigerung des Militärdienstes betreffe, so seien selbst strenge Sanktionen für die Desertion grundsätzlich nicht als Verfolgung im Sinn der Flüchtlingskonvention anzusehen. Asylrelevant sei eine Flucht wegen Wehrdienstverweigerung nur dann, wenn, so die belangte Behörde unter Bezugnahme auf Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes, die Einberufung aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe erfolgt wäre oder aus solchen Gründen die Behandlung während der Militärdienstleistung nachteiliger bzw. die dem Asylwerber drohende Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung strenger als gegenüber anderen Staatsangehörigen wäre. Ein Anknüpfungspunkt im letztgenannten Sinn sei aber weder vom Beschwerdeführer behauptet worden noch lägen bei der belangten Behörde "Amtskenntnisse" über eine Benachteiligung der religiösen Minderheit der chaldäischen Christen hinsichtlich der Militärdienstleistung vor. Der Asylantrag des Beschwerdeführers sei daher als offensichtlich unbegründet abzuweisen, weil "zum einen" die behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat nicht auf einen der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvektion genannten Verfolgungsgründe zurückzuführen sei und "zum anderen weite Teile des Vorbringens" des Beschwerdeführers in Bezug auf die Intensität der Verfolgungshandlungen so allgemein gehalten seien, dass sich daraus offensichtlich nicht die Behauptung entnehmen lasse, dem Beschwerdeführer drohe in seiner Heimat Verfolgung.
Was die Refoulemententscheidung betreffe, so könne nach Ansicht der belangten Behörde auch eine wegen Desertion drohende bzw. bereits erfolgte strenge Bestrafung unter § 57 Abs. 1 FrG fallen. Vor dem Hintergrund der "notorischen Verhältnisse im Irak, welche von massiven Menschenrechtsverletzungen und Willkür geprägt" seien, könne eine solche unmenschliche Bestrafung des Beschwerdeführers wegen Desertion nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Auch die illegale Ausreise des Beschwerdeführers aus seinem Heimatstaat - das "durchschnittliche" Strafausmaß hiefür betrage acht Jahre Freiheitsstrafe - berge die Gefahr einer unmenschlichen Bestrafung des Beschwerdeführers in sich. Dennoch seien gegenständlich die Voraussetzungen für die Gewährung von Abschiebungsschutz nicht erfüllt. Der Beschwerdeführer sei nämlich wegen der fehlenden Gebietshoheit des "Zentralirak" in der autonomen Kurdenzone des Nordirak vor staatlicher Bedrohung sicher. Auf Grund der "bisherigen Unauffälligkeit" des Beschwerdeführers gegenüber den staatlichen irakischen Behörden sei auszuschließen, dass diese in den nördlichen Landesteilen des Irak nach dem Beschwerdeführer suchten.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der sich der Beschwerdeführer erkennbar gegen die Ansicht, die Voraussetzungen für die Beurteilung seines Asylantrages als offensichtlich unbegründet seien erfüllt, wendet. Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese Beschwerde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Anders als die Behörde erster Instanz differenziert die belangte Behörde bei der rechtlichen Beurteilung des Vorbringens des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen, indem sie zunächst meint, Teile des Fluchtgeschehens (betreffend die staatliche Verfolgung wegen Desertion) ließen sich offensichtlich nicht auf die Gründe der Genfer Flüchtlingskonvention zurückführen (§ 6 Z 2 AsylG). Demgegenüber vertritt sie zu anderen Teilen des Vorbringens (Verfolgung des Beschwerdeführers durch Private wegen seines chaldäischen Glaubens) die Auffassung, diesen ließe sich offensichtlich nicht einmal die Behauptung einer Verfolgung entnehmen (§ 6 Z 1 AsylG). Soweit die belangte Behörde dabei einer drohenden strengen Bestrafung des Beschwerdeführers wegen Desertion die Asylrelevanz mit der Begründung abspricht, der Beschwerdeführer würde bei einer solchen Bestrafung nach ihren "Amtskenntnissen" nicht strenger als andere Staatsangehörige des Irak bestraft und somit als Angehöriger einer religiösen Minderheit bei einer solchen Bestrafung nicht benachteiligt werden, so ist diese Rechtsansicht unter zweierlei Gesichtspunkten nicht zu teilen: Hält es die belangte Behörde unter Bezugnahme auf ältere Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für die Gewährung von Asyl für erforderlich, dass dem Beschwerdeführer wegen der von ihm geltend gemachten Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung strengere Sanktionen drohen als anderen Staatsangehörigen des Irak, so hätte sie das Vorliegen dieser Voraussetzungen nicht bloß anhand der ihr zur Verfügung stehenden "Amtskenntnisse" und ohne weitere Ermittlungen und Feststellungen beurteilen dürfen. Ungeachtet dessen ist aber zu den Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl bei Wehrdienstverweigerung auf die zur geltenden Rechtslage ergangene Judikatur zu verweisen. Im Erkenntnis vom 21. März 2002, Zl. 99/20/0401, hat der Verwaltungsgerichtshof dargelegt, dass auch die Gefahr einer - allen - Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat des Asylwerbers gleichermaßen drohenden Bestrafung u.a. dann zur Asylgewährung führen kann, wenn das Verhalten des Betroffenen im Einzelfall auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht und den Sanktionen jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Schon von daher durfte die belangte Behörde nicht ohne Weiteres davon ausgehen, die vom Beschwerdeführer behauptete Verfolgung im Irak sei offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvektion genannten Gründe zurückzuführen (§ 6 Z 2 AsylG).
Was die, wie erwähnt ohne Durchführung einer Verhandlung vorgenommene, erstmalige Subsumtion eines Teiles des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers unter § 6 Z 1 AsylG betrifft, so kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob die belangte Behörde die Behauptungen des Beschwerdeführers zu seiner Verfolgung zunächst inhaltlich aufspalten und danach die einzelnen Teile seines Vorbringens am Maßstab unterschiedlicher Ziffern des § 6 AsylG beurteilen durfte (vgl. zur Gesamtwürdigung der behaupteten Asylgründe in Bezug auf die Voraussetzungen des § 6 die hg. Erkenntnisse vom 16. September 1999, Zl. 99/20/0310, vom 8. Juni 2000, Zl. 99/20/0446 und vom 31. Mai 2001, Zl. 2000/20/0496). Gegenständlich braucht auch der Frage nicht weiter nachgegangen werden, ob die Intensität der vom Beschwerdeführer behaupteten Privatverfolgung im Hinblick auf das im § 6 AsylG geforderte "Offensichtlichkeitskalkül" völlig eindeutig als unzureichend eingestuft (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2002, Zl. 99/20/0531) und damit vom Vorliegen des Tatbestandes des § 6 Z 1 AsylG ausgegangen werden durfte.
Der Beurteilung des vorliegenden Asylantrages als offensichtlich unbegründet nach § 6 AsylG steht nämlich schon entgegen, dass hinsichtlich des Beschwerdeführers ein "sonstiger Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat" (§ 6 zweiter Satz AsylG) gegeben ist. Die belangte Behörde selbst weist im angefochtenen Bescheid darauf hin, dass dem Beschwerdeführer wegen der illegalen Ausreise aus dem Irak eine unmenschliche Strafe im "durchschnittlichen" Ausmaß von acht Jahren Gefängnis drohe. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in mehreren Erkenntnissen zum Ausdruck gebracht, dass in der Unverhältnismäßigkeit der Strafdrohung für die unerlaubte Ausreise aus dem Irak ein Anhaltspunkt dafür zu sehen ist, dass den von der Strafdrohung Betroffenen unter den früheren politischen Verhältnissen im Irak eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wurde (vgl. zur Asylrelevanz der im Irak vorgesehenen Sanktionen für das illegale Verlassen des Landes die im Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2001/20/0268, wiedergegebene Judikatur). Schon von daher durfte die belangte Behörde nicht vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 6 AsylG ausgehen.
Was die von der belangten Behörde bezüglich der Entscheidung nach § 8 AsylG vertretene Auffassung über das Bestehen einer inländischen Schutzalternative für den Beschwerdeführer in der autonomen Kurdenzone des Nordirak anbelangt, so ist - was den hier maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides betrifft - der Vollständigkeit halber auch zu diesem Thema auf die im bereits zitierten Erkenntnis, Zl. 2001/20/0268, referierte Rechtsprechung zu verweisen, mit der der genannte Standpunkt der belangten Behörde nicht in Einklang steht.
Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 22. Mai 2003
Schlagworte
Maßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2000200420.X00Im RIS seit
03.07.2003